ROHSTOFF. SPEKULATION. MORD.Weizen, Platin, Holz - das sind die Waren, mit denen bei dem Multi-Milliarden-Dollar-Glücksspiel namens Rohstoffmarkt spekuliert wird. Wer hier groß abkassiert, macht eine "fette Ernte". Ross Thomas, meisterhafter Berichterstatter dunkler Machenschaften aus den Hinterzimmern der Mächtigen, erzählt, wie mit einer letalen statt legalen Methode eine besonders fette Ernte eingefahren werden soll.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.07.2014In den Hinterzimmern der Demokratie
Der Meister aller Klassen des Politthrillers: Ross Thomas fährt eine "Fette Ernte" ein
Wenn man all die Enthüllungen über das Treiben der NSA liest und nicht ganz ohne Belustigung erfährt, wie der hilfsbereite BND von den transatlantischen Freunden über den Tisch gezogen wurde; wenn man sich vorstellt, welch aufregende Dinge die Spione über die Abgeordneten in Erfahrung gebracht haben; wenn man weiter nachdenkt über die gezielten Indiskretionen, mit denen die Steuermoral eines Uli Hoeneß ans Licht kamen und die Bildbestellungen oder der Drogenkonsum von nicht ganz unwichtigen Funktionsträgern der Sozialdemokratie; wenn man also in die Gegenwart schaut, fragt man sich sofort: Woher hat Ross Thomas, der 1995 im Alter von 69 Jahren verstorbene amerikanische Autor, das alles im Prinzip gewusst? Warum wirken all die Machenschaften so, als hätten die Politthriller des Amerikaners die Blaupause geliefert?
Die Antwort hat nichts mit hellseherischen Gaben zu tun und auch nicht damit, dass die menschliche Natur unwiderruflich zum Schlechten neigt. Es liegt, ganz prosaisch, daran, dass dieser Ross Thomas in den fünfziger Jahren als Journalist gearbeitet hat, unter anderem in Bonn, dass er Gewerkschaftssprecher war und Public-Relations-Berater in den Vereinigten Staaten, dass er dort Wahlkämpfe organisiert hat und dass er all das getan und erlebt hat, bevor er zu der Erkenntnis kam, Schriftsteller könnte auch ein ganz interessanter und moralisch vielleicht unverfänglicherer Beruf sein.
Und natürlich hat diese Weitsicht damit zu tun, dass die politischen Systeme sich gleichen, dass sie analoge Mechanismen aufweisen und eine bestimmte Typologie von Menschen wenn auch nicht allein hervorbringen, dann doch entscheidend formen. In Washington und in Berlin. In Paris und London. Und in parlamentarischen Demokratien mit ihrer Artenvielfalt innerhalb des politischen Feldes schillernder als in von Ambivalenzen weitgehend gereinigten Diktaturen.
Die alten Romane von Ross Thomas in neuer Auflage, verbesserter und vor allem vollständiger Version heute lesen, das heißt also nicht bloß, in die Hinterzimmer der Vergangenheit zu schauen, sondern auch, sich eine Sehhilfe für die Gegenwart zu verschaffen. Und man kann dabei den Berliner Alexander Verlag gar nicht genug loben, der sich trotz knapper Ressourcen und nicht gerade durch die Decke schießender Auflagen nicht beirren lässt und einen in regelmäßigen Abständen mit neuen-alten Ross-Thomas-Romanen erfreut.
"Fette Ernte" ist der Ross Thomas dieses Sommers, "The Money Harvest" hieß das Buch, als es 1975 in Amerika erschien, "Die Millionenernte", als es ebenfalls 1975 zuerst auf Deutsch herauskam - leider nicht vollständig, leider ziemlich verstümmelt, wie der Neu-Übersetzer Jochen Stremmel in seiner Nachbemerkung an ein paar (er-)schlagenden Beispielen demonstriert, ohne die Übersetzer-Kollegin von damals abzukanzeln, die sich dem ökonomischen Diktat zur Umfangskürzung unterwerfen musste.
Trotzdem waren natürlich die Folgen verheerend. Ross Thomas' manchmal skurril wirkende, aufopferungsvolle Liebe zum kleinsten Detail blieb auf der Strecke. Es ging verloren, dass er mitunter geradezu heranzoomte an scheinbar abwegige Einzelheiten, um dann wieder in festen, klaren Strichen zu zeichnen, wofür andere viel zu viele Worte brauchen. Diese Ökonomie seines Erzählens, welche es so besonders macht, so besonders wie das Faible für ausgefallene Namen und komplizierte Intrigen, ist wieder intakt.
Und man spürt es gleich im ersten Satz der "Fetten Ernte": "Der mit Hammerzehen geschlagene Freund und Berater von sechs US-Präsidenten war natürlich nicht tot. Noch nicht." Der uralte Mann heißt William M. "Crawdad" Gilmore, er wird bald tot sein, weil er etwas Entscheidendes auf der Toilette seines Clubs gehört hat. Sein jüngerer Freund und ehemaliger Protegée, der "klügste Mann in Washington", der Anwalt Ancel Easter, wird sich der Sache annehmen, gemeinsam mit Faye Hix, der aparten Enkelin des Ermordeten, und Jake Pope, der so reich ist, dass er sich langweilt und als Ermittler betätigt. Es geht um Rohstoffhandel, Termingeschäfte, die Mafia ist dabei, auch das Landwirtschaftsministerium, und mehr muss man hier gar nicht verraten.
Nur dies noch am Ende: Wer in diesem Szenario nicht Thrill und Spaß statt "Shock and awe" findet, dem ist nicht zu helfen; der möchte auch nichts Genaueres wissen über die Durchstechereien unserer Gegenwart.
PETER KÖRTE
Ross Thomas: "Fette Ernte". Roman.
Aus dem Englischen übersetzt und mit einer Nachbemerkung versehen von Jochen Stremmel. Alexander Verlag, Berlin 2014. 344 S., br., 14,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Der Meister aller Klassen des Politthrillers: Ross Thomas fährt eine "Fette Ernte" ein
Wenn man all die Enthüllungen über das Treiben der NSA liest und nicht ganz ohne Belustigung erfährt, wie der hilfsbereite BND von den transatlantischen Freunden über den Tisch gezogen wurde; wenn man sich vorstellt, welch aufregende Dinge die Spione über die Abgeordneten in Erfahrung gebracht haben; wenn man weiter nachdenkt über die gezielten Indiskretionen, mit denen die Steuermoral eines Uli Hoeneß ans Licht kamen und die Bildbestellungen oder der Drogenkonsum von nicht ganz unwichtigen Funktionsträgern der Sozialdemokratie; wenn man also in die Gegenwart schaut, fragt man sich sofort: Woher hat Ross Thomas, der 1995 im Alter von 69 Jahren verstorbene amerikanische Autor, das alles im Prinzip gewusst? Warum wirken all die Machenschaften so, als hätten die Politthriller des Amerikaners die Blaupause geliefert?
Die Antwort hat nichts mit hellseherischen Gaben zu tun und auch nicht damit, dass die menschliche Natur unwiderruflich zum Schlechten neigt. Es liegt, ganz prosaisch, daran, dass dieser Ross Thomas in den fünfziger Jahren als Journalist gearbeitet hat, unter anderem in Bonn, dass er Gewerkschaftssprecher war und Public-Relations-Berater in den Vereinigten Staaten, dass er dort Wahlkämpfe organisiert hat und dass er all das getan und erlebt hat, bevor er zu der Erkenntnis kam, Schriftsteller könnte auch ein ganz interessanter und moralisch vielleicht unverfänglicherer Beruf sein.
Und natürlich hat diese Weitsicht damit zu tun, dass die politischen Systeme sich gleichen, dass sie analoge Mechanismen aufweisen und eine bestimmte Typologie von Menschen wenn auch nicht allein hervorbringen, dann doch entscheidend formen. In Washington und in Berlin. In Paris und London. Und in parlamentarischen Demokratien mit ihrer Artenvielfalt innerhalb des politischen Feldes schillernder als in von Ambivalenzen weitgehend gereinigten Diktaturen.
Die alten Romane von Ross Thomas in neuer Auflage, verbesserter und vor allem vollständiger Version heute lesen, das heißt also nicht bloß, in die Hinterzimmer der Vergangenheit zu schauen, sondern auch, sich eine Sehhilfe für die Gegenwart zu verschaffen. Und man kann dabei den Berliner Alexander Verlag gar nicht genug loben, der sich trotz knapper Ressourcen und nicht gerade durch die Decke schießender Auflagen nicht beirren lässt und einen in regelmäßigen Abständen mit neuen-alten Ross-Thomas-Romanen erfreut.
"Fette Ernte" ist der Ross Thomas dieses Sommers, "The Money Harvest" hieß das Buch, als es 1975 in Amerika erschien, "Die Millionenernte", als es ebenfalls 1975 zuerst auf Deutsch herauskam - leider nicht vollständig, leider ziemlich verstümmelt, wie der Neu-Übersetzer Jochen Stremmel in seiner Nachbemerkung an ein paar (er-)schlagenden Beispielen demonstriert, ohne die Übersetzer-Kollegin von damals abzukanzeln, die sich dem ökonomischen Diktat zur Umfangskürzung unterwerfen musste.
Trotzdem waren natürlich die Folgen verheerend. Ross Thomas' manchmal skurril wirkende, aufopferungsvolle Liebe zum kleinsten Detail blieb auf der Strecke. Es ging verloren, dass er mitunter geradezu heranzoomte an scheinbar abwegige Einzelheiten, um dann wieder in festen, klaren Strichen zu zeichnen, wofür andere viel zu viele Worte brauchen. Diese Ökonomie seines Erzählens, welche es so besonders macht, so besonders wie das Faible für ausgefallene Namen und komplizierte Intrigen, ist wieder intakt.
Und man spürt es gleich im ersten Satz der "Fetten Ernte": "Der mit Hammerzehen geschlagene Freund und Berater von sechs US-Präsidenten war natürlich nicht tot. Noch nicht." Der uralte Mann heißt William M. "Crawdad" Gilmore, er wird bald tot sein, weil er etwas Entscheidendes auf der Toilette seines Clubs gehört hat. Sein jüngerer Freund und ehemaliger Protegée, der "klügste Mann in Washington", der Anwalt Ancel Easter, wird sich der Sache annehmen, gemeinsam mit Faye Hix, der aparten Enkelin des Ermordeten, und Jake Pope, der so reich ist, dass er sich langweilt und als Ermittler betätigt. Es geht um Rohstoffhandel, Termingeschäfte, die Mafia ist dabei, auch das Landwirtschaftsministerium, und mehr muss man hier gar nicht verraten.
Nur dies noch am Ende: Wer in diesem Szenario nicht Thrill und Spaß statt "Shock and awe" findet, dem ist nicht zu helfen; der möchte auch nichts Genaueres wissen über die Durchstechereien unserer Gegenwart.
PETER KÖRTE
Ross Thomas: "Fette Ernte". Roman.
Aus dem Englischen übersetzt und mit einer Nachbemerkung versehen von Jochen Stremmel. Alexander Verlag, Berlin 2014. 344 S., br., 14,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension
Rezensentin Katharina Granzin dankt dem engagierten Berliner Alexander Verlag, der seit nunmehr einigen Jahren in einer vorbildlichen Ross-Thomas-Edition dessen lange Zeit von drastischen Kürzungen betroffenen Thriller in ungekürzten, neu übersetzten und zudem noch grafisch ansprechenden Neuauflagen wieder zugänglich macht. Und auch dieser Roman über Lebensmittelpreis-Spekulationen in den 70er Jahren und einen unbeabsichtigten Mord findet wieder seinen direktem Weg in das Herz der Kritikerin. Wobei sie in diesem speziellen Fall zugeben muss, dass Thomas sich seinen Nebenfiguren mit einer Aufmerksamkeit widmet, die einen sorgfältig kürzenden Eingriff vielleicht doch ganz gut vertragen hätte. Doch Schwamm drüber, denn dass man nun endlich Thomas' auf "unnachahmlich unterkühlte Art pointierte Dialoge" ohne Abstriche genießen kann, ist ein wahres Geschenk an die deutschen Krimifans, so Granzin: Mag Thomas auch ein Spätnachzügler des Noir sein, ein packender Stilist ist er allemal.
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH