Berlin, fast zwanzig Jahre nach dem Mauerfall. Kreuzberg ist gesichtslos geworden, in den Szenebezirken lebt man auf zu dünnem Eis ('man hört es leise knacken, wenn sie die Deckel ihrer Laptops schließen'), und so ziehen Alina und Wolf an den grünen Rand der Stadt. Am Müggelsee, wo die Unterschiede zwischen Ost und West noch nicht verwischt sind, dem Ort erstaunlicher Begegnungen mit Menschen aus der untergegangenen Republik, sieht Wolf sich aber zunehmend überfordert von dem alltäglichen Zusammenleben mit Alina, den 'Details der Zweisamkeit', der Enge trotz komfortabler Wohnung.
Als plötzlich Charlotte auftaucht, eine Geliebte aus der Vergangenheit, ergreift er die Flucht in neue, vom offensiven Eros der Professorin befeuerte Sensationen - getarnt als Ausflüge mit seinem Labrador Webster. In dessen Fell hält sich der fremde Parfümduft jedoch unvermutet lange. Alina wird skeptisch, und so überwindet Wolf 'die Hölle der Verheimlichung' und ist überrascht: Seine Frau akzeptiert das Verhältnis zu der Anderen nicht nur, sie ermuntert ihn sogar dazu ...'Heute noch etwas erfinden heißt, der Wahrheit verloren gehen.' Ralf Rothmann hat einen Roman über das behutsame Zusammenwachsen von Ost und West und eine Chronik des erotischen Begehrens geschrieben, eine dunkel-glühende Liebesgeschichte.
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Als plötzlich Charlotte auftaucht, eine Geliebte aus der Vergangenheit, ergreift er die Flucht in neue, vom offensiven Eros der Professorin befeuerte Sensationen - getarnt als Ausflüge mit seinem Labrador Webster. In dessen Fell hält sich der fremde Parfümduft jedoch unvermutet lange. Alina wird skeptisch, und so überwindet Wolf 'die Hölle der Verheimlichung' und ist überrascht: Seine Frau akzeptiert das Verhältnis zu der Anderen nicht nur, sie ermuntert ihn sogar dazu ...'Heute noch etwas erfinden heißt, der Wahrheit verloren gehen.' Ralf Rothmann hat einen Roman über das behutsame Zusammenwachsen von Ost und West und eine Chronik des erotischen Begehrens geschrieben, eine dunkel-glühende Liebesgeschichte.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.06.2009Dichterflügel, frisch gestutzt
Poesie ist eine wundersame Panzerung: Ralf Rothmann, einer der subtilsten Erzähler seiner Generation, setzt in "Feuer brennt nicht" alles auf eine Karte.
Von Hubert Spiegel
Ob Engel beten? Das ist eine Frage, an der sich Kirchenväter die Zähne ausbeißen könnten. Warum sollten sie, vielleicht um zu beichten? Man kann sich das Bild mühelos vorstellen, die Hände vor der Brust gefaltet, die Fittiche auf dem Rücken bescheiden angelegt, der Blick unter langen Wimpern hervor ist gesenkt. Aber auf dem leuchtend weißen Gefieder ist ein kleiner schwarzer Fleck, der nicht vergehen will. Die schöne Wendung vom "Dreck am Flügel" hat Ralf Rothmann vor acht Jahren geprägt, als er in seinem Erzählungsband "Ein Winter unter Hirschen", dezent auf Walter Benjamin anspielend, das Bild vom Engel des Erzählens entwarf. In seinem neuen Roman schwingt sich dieser Engel zur Hauptfigur auf, aber der Dreck am Flügel ist größer und größer geworden und wiegt nun zuweilen bleischwer. Und jetzt ist auch zu erkennen, was da so schwarz und schmierig das schöne Gefieder verklebt: Es ist ein Gemisch aus Nektar und Ambrosia, Blut, Tränen und allen anderen erdenklichen menschlichen Ausscheidungen. Es ist das Schmierfett der Poesie.
Ralf Rothmanns neuer Roman "Feuer brennt nicht" ist ein Buch der Abschiede und des Schmerzes. Es ist ein Buch der zarten Empfindungen und brutalen Verletzungen, eine Liebesgeschichte, die sich zur ruinösen Dreiecksbeziehung ausweitet, ein verkappter Berlin-Roman, der die misslingenden Wanderbewegungen der West-Berliner in den Ostteil der Stadt nachzeichnet, und es ist vor allem ein Künstlerroman, der unbarmherzig von den Nebenkosten der poetischen Produktion berichtet. Der Schriftsteller Wolf spielt darin die Hauptrolle. Auf die Frage, ob er auf seine alten Tage religiös geworden sei, lautet die selbstgefällige Antwort: "Natürlich bin ich nicht religiös, wie jeder Engel. Nur Gottlose beten."
Der Satz fällt nach 250 Seiten des Buches. Ein Freund aus einer längst vergangenen Lebensphase ist wiederaufgetaucht, der Schriftsteller Richard Sander. Vor vielen Jahren hatte man sich kennengelernt, Sander war damals schon ein berühmter Autor, Wolf, ein ehemaliger Maurer, schlug sich mit Gelegenheitsjobs durchs Leben und träumte davon, Dichter zu werden. Zwischen den beiden Männern, deren Biographien reichlich Parallelen zu den Lebensläufen von Ralf Rothmann und Christoph Meckel aufweisen, kommt es zu einer Freundschaft mit klarer hierarchischer Struktur: Sander ist Mentor und Lehrer, der gut zwanzig Jahre jüngere Wolf Schützling und Schüler. Größer als zwischen dem extrovertierten, weltläufig-selbstsicheren Charmeur und dem schüchternen, von Selbstzweifeln zerfressenen Jüngling könnten die Gegensätze nicht sein. Hier stoßen zwei Entwürfe vom Dichtertum aufeinander, die nur harmonieren können, solange der Abstand zwischen den beiden klar abgesteckt ist. Als er schrumpft, kommt es zum Bruch. Sein Auslöser ist das vage Bekenntnis des Jüngeren zu einer Metaphysik, die über das Kunstreligiöse der Romantik weit hinausweist. Wut und Spott seines Mentors treffen den Schützling an ebenjener Stelle, von dieser selbst noch nicht wusste, dass es seine verletzlichste war. Wolf weint, zum ersten und einzigen Mal in diesem Buch, in dem viele Tränen fließen.
Zwanzig Jahre später ist die private Metaphysik des Alltäglichen zum poetischen Programm geworden, dessen Verteidigung angesichts des verbraucht und heruntergekommen wirkenden Freundes nicht mehr nötig ist. Ralf Rothmann lässt Richard Sander sterben: es bleibt eine Randnotiz in den "Vermischten Kulturnachrichten".
Die brillant-böse Binnenerzählung von Wolf und Sander ist nur auf den ersten Blick ein Fremdkörper in diesem Roman, der vor allem die Liebesgeschichte von Wolf und Alina erzählt. Drei Jahrzehnte umfasst die erzählte Zeit des Buches, und drei Menschen nur spielen in diesen Jahren eine nennenswerte Rolle in Wolfs Leben. Zwei von ihnen sterben im Verlauf des Romans.
Aber haben sie überhaupt jemals gelebt? Nie zuvor hat Ralf Rothmann, einer der wichtigsten deutschen Gegenwartsautoren und der vielleicht beste und subtilste Erzähler seiner Generation, sich solcher Klischeefiguren bedient. Richard Sander ist der genialisch verwahrloste Berliner Dichterdarsteller mit dem obligatorischen Zweitwohnsitz im Süden. Die Professorin Charlotte, mit der Wolf ein obsessives sexuelles Verhältnis beginnt, ist die alternde intellektuelle Karrierefrau, der auch drei Liebhaber zur selben Zeit die Angst vor der herannahenden Einsamkeit nicht nehmen können. Am schlimmsten aber trifft es Alina, Wolfs Lebensgefährtin: Die Haut wie "Alabaster", der Blick "chronisch blau". Die roten Locken bilden eine "Mähne aus feinem Kupferdraht", die Brüste sind "schwer", die Waden "kraftvoll", doch ihr Anblick von hinten ist "knabenhaft". Sie "kauft sich Strapse vom Lehrlingslohn", alles an ihr sagt "Schütze mich", und im Bett ist sie von "frecher Gefügigkeit". Ihr einziges Talent, so glaubt sie, liege darin, Wolf zu lieben, und dazu bedarf es freilich außergewöhnlicher Fähigkeiten.
Denn der einsame Wolf, den Ralf Rothmann hier unerbittlich vorführt, ist ein rücksichtsloses, durch und durch egozentrisches Sensibelchen, ein im unablässigen Prozess der Selbstvergewisserung begriffener Dichter und Hypochonder, nur dem eigenen Werk verpflichtet und im Übrigen vollauf damit beschäftigt, die nicht immer harmonierenden Konzeptionen von Dichtertum und Männlichkeit, die er für sich entworfen hat, in Einklang zu bringen.
Mit dem Eifer des Apostaten verfolgt er den Weg zur Transzendenz durch alle Betten, ein obsessiver Erotiker und frommer Sünder, wie aus einem Roman Walker Percys. Aber vor der existentiellen Verzweiflung, die Percys Figuren kennzeichnet, ist Ralf Rothmanns Held geschützt durch sein literarisches Werk. Die Poesie ist seine wundersame Panzerung: durchlässig für alles, was dem Werk dient oder darin Verwendung finden könnte, undurchdringlich für alles andere. Ob er Alina zur Feier seines fünfzigsten Geburtstages in Paris von seinem Verhältnis mit Charlotte berichtet oder diese nach dem Liebesakt demütigt und verletzt - die Tränen, die fließen, führen in der Regel nur zu vollendeten Formulierungen, wie jener, das auch Charlotte offenbar eine verletzliche Stelle besitzt, an die "nur rühren darf, wer ihrer Trauer gewachsen ist".
Wolf ist es nicht, weil er es nicht sein will. Er scheut die emotionalen Unkosten. Was er an Trauer zu empfinden vermag, ist nicht wenig, aber es ist reserviert für die eigenen, die ureigenen Belange: die ebenso bittere wie bequeme Erkenntnis, dass Beobachten nicht identisch ist mit Teilnahme. Wolfs Ideale sind naiv: Er träumt von "jemandem, mit dem er schweigen kann". So stellt sich die Frage, wovon die verstummende Alina träumt, gar nicht erst. Wenn Ralf Rothmann die letzten Stunden in ihrem Leben erzählt, blendet er auch kurz den am Schreibtisch sitzenden Wolf ein, der schon dabei ist, Alinas Gang in den Tod aufs Papier zu bannen. Diese Seiten sind glänzend geschrieben, wie so vieles glänzend geschrieben ist in diesem riskanten und schonungslosen Roman, mit dem ein Dichter sich die Flügel stutzt.
Ralf Rothmann: "Feuer brennt nicht". Roman. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2009. 305 S., geb., 19,80 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Poesie ist eine wundersame Panzerung: Ralf Rothmann, einer der subtilsten Erzähler seiner Generation, setzt in "Feuer brennt nicht" alles auf eine Karte.
Von Hubert Spiegel
Ob Engel beten? Das ist eine Frage, an der sich Kirchenväter die Zähne ausbeißen könnten. Warum sollten sie, vielleicht um zu beichten? Man kann sich das Bild mühelos vorstellen, die Hände vor der Brust gefaltet, die Fittiche auf dem Rücken bescheiden angelegt, der Blick unter langen Wimpern hervor ist gesenkt. Aber auf dem leuchtend weißen Gefieder ist ein kleiner schwarzer Fleck, der nicht vergehen will. Die schöne Wendung vom "Dreck am Flügel" hat Ralf Rothmann vor acht Jahren geprägt, als er in seinem Erzählungsband "Ein Winter unter Hirschen", dezent auf Walter Benjamin anspielend, das Bild vom Engel des Erzählens entwarf. In seinem neuen Roman schwingt sich dieser Engel zur Hauptfigur auf, aber der Dreck am Flügel ist größer und größer geworden und wiegt nun zuweilen bleischwer. Und jetzt ist auch zu erkennen, was da so schwarz und schmierig das schöne Gefieder verklebt: Es ist ein Gemisch aus Nektar und Ambrosia, Blut, Tränen und allen anderen erdenklichen menschlichen Ausscheidungen. Es ist das Schmierfett der Poesie.
Ralf Rothmanns neuer Roman "Feuer brennt nicht" ist ein Buch der Abschiede und des Schmerzes. Es ist ein Buch der zarten Empfindungen und brutalen Verletzungen, eine Liebesgeschichte, die sich zur ruinösen Dreiecksbeziehung ausweitet, ein verkappter Berlin-Roman, der die misslingenden Wanderbewegungen der West-Berliner in den Ostteil der Stadt nachzeichnet, und es ist vor allem ein Künstlerroman, der unbarmherzig von den Nebenkosten der poetischen Produktion berichtet. Der Schriftsteller Wolf spielt darin die Hauptrolle. Auf die Frage, ob er auf seine alten Tage religiös geworden sei, lautet die selbstgefällige Antwort: "Natürlich bin ich nicht religiös, wie jeder Engel. Nur Gottlose beten."
Der Satz fällt nach 250 Seiten des Buches. Ein Freund aus einer längst vergangenen Lebensphase ist wiederaufgetaucht, der Schriftsteller Richard Sander. Vor vielen Jahren hatte man sich kennengelernt, Sander war damals schon ein berühmter Autor, Wolf, ein ehemaliger Maurer, schlug sich mit Gelegenheitsjobs durchs Leben und träumte davon, Dichter zu werden. Zwischen den beiden Männern, deren Biographien reichlich Parallelen zu den Lebensläufen von Ralf Rothmann und Christoph Meckel aufweisen, kommt es zu einer Freundschaft mit klarer hierarchischer Struktur: Sander ist Mentor und Lehrer, der gut zwanzig Jahre jüngere Wolf Schützling und Schüler. Größer als zwischen dem extrovertierten, weltläufig-selbstsicheren Charmeur und dem schüchternen, von Selbstzweifeln zerfressenen Jüngling könnten die Gegensätze nicht sein. Hier stoßen zwei Entwürfe vom Dichtertum aufeinander, die nur harmonieren können, solange der Abstand zwischen den beiden klar abgesteckt ist. Als er schrumpft, kommt es zum Bruch. Sein Auslöser ist das vage Bekenntnis des Jüngeren zu einer Metaphysik, die über das Kunstreligiöse der Romantik weit hinausweist. Wut und Spott seines Mentors treffen den Schützling an ebenjener Stelle, von dieser selbst noch nicht wusste, dass es seine verletzlichste war. Wolf weint, zum ersten und einzigen Mal in diesem Buch, in dem viele Tränen fließen.
Zwanzig Jahre später ist die private Metaphysik des Alltäglichen zum poetischen Programm geworden, dessen Verteidigung angesichts des verbraucht und heruntergekommen wirkenden Freundes nicht mehr nötig ist. Ralf Rothmann lässt Richard Sander sterben: es bleibt eine Randnotiz in den "Vermischten Kulturnachrichten".
Die brillant-böse Binnenerzählung von Wolf und Sander ist nur auf den ersten Blick ein Fremdkörper in diesem Roman, der vor allem die Liebesgeschichte von Wolf und Alina erzählt. Drei Jahrzehnte umfasst die erzählte Zeit des Buches, und drei Menschen nur spielen in diesen Jahren eine nennenswerte Rolle in Wolfs Leben. Zwei von ihnen sterben im Verlauf des Romans.
Aber haben sie überhaupt jemals gelebt? Nie zuvor hat Ralf Rothmann, einer der wichtigsten deutschen Gegenwartsautoren und der vielleicht beste und subtilste Erzähler seiner Generation, sich solcher Klischeefiguren bedient. Richard Sander ist der genialisch verwahrloste Berliner Dichterdarsteller mit dem obligatorischen Zweitwohnsitz im Süden. Die Professorin Charlotte, mit der Wolf ein obsessives sexuelles Verhältnis beginnt, ist die alternde intellektuelle Karrierefrau, der auch drei Liebhaber zur selben Zeit die Angst vor der herannahenden Einsamkeit nicht nehmen können. Am schlimmsten aber trifft es Alina, Wolfs Lebensgefährtin: Die Haut wie "Alabaster", der Blick "chronisch blau". Die roten Locken bilden eine "Mähne aus feinem Kupferdraht", die Brüste sind "schwer", die Waden "kraftvoll", doch ihr Anblick von hinten ist "knabenhaft". Sie "kauft sich Strapse vom Lehrlingslohn", alles an ihr sagt "Schütze mich", und im Bett ist sie von "frecher Gefügigkeit". Ihr einziges Talent, so glaubt sie, liege darin, Wolf zu lieben, und dazu bedarf es freilich außergewöhnlicher Fähigkeiten.
Denn der einsame Wolf, den Ralf Rothmann hier unerbittlich vorführt, ist ein rücksichtsloses, durch und durch egozentrisches Sensibelchen, ein im unablässigen Prozess der Selbstvergewisserung begriffener Dichter und Hypochonder, nur dem eigenen Werk verpflichtet und im Übrigen vollauf damit beschäftigt, die nicht immer harmonierenden Konzeptionen von Dichtertum und Männlichkeit, die er für sich entworfen hat, in Einklang zu bringen.
Mit dem Eifer des Apostaten verfolgt er den Weg zur Transzendenz durch alle Betten, ein obsessiver Erotiker und frommer Sünder, wie aus einem Roman Walker Percys. Aber vor der existentiellen Verzweiflung, die Percys Figuren kennzeichnet, ist Ralf Rothmanns Held geschützt durch sein literarisches Werk. Die Poesie ist seine wundersame Panzerung: durchlässig für alles, was dem Werk dient oder darin Verwendung finden könnte, undurchdringlich für alles andere. Ob er Alina zur Feier seines fünfzigsten Geburtstages in Paris von seinem Verhältnis mit Charlotte berichtet oder diese nach dem Liebesakt demütigt und verletzt - die Tränen, die fließen, führen in der Regel nur zu vollendeten Formulierungen, wie jener, das auch Charlotte offenbar eine verletzliche Stelle besitzt, an die "nur rühren darf, wer ihrer Trauer gewachsen ist".
Wolf ist es nicht, weil er es nicht sein will. Er scheut die emotionalen Unkosten. Was er an Trauer zu empfinden vermag, ist nicht wenig, aber es ist reserviert für die eigenen, die ureigenen Belange: die ebenso bittere wie bequeme Erkenntnis, dass Beobachten nicht identisch ist mit Teilnahme. Wolfs Ideale sind naiv: Er träumt von "jemandem, mit dem er schweigen kann". So stellt sich die Frage, wovon die verstummende Alina träumt, gar nicht erst. Wenn Ralf Rothmann die letzten Stunden in ihrem Leben erzählt, blendet er auch kurz den am Schreibtisch sitzenden Wolf ein, der schon dabei ist, Alinas Gang in den Tod aufs Papier zu bannen. Diese Seiten sind glänzend geschrieben, wie so vieles glänzend geschrieben ist in diesem riskanten und schonungslosen Roman, mit dem ein Dichter sich die Flügel stutzt.
Ralf Rothmann: "Feuer brennt nicht". Roman. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2009. 305 S., geb., 19,80 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 25.04.2009Der Pakt mit dem Schreiben
Und die Witterung des Ostens: Ralf Rothmann erzählt von einem alternden Berliner Schriftsteller
Dies ist der Roman einer großen Erschöpfung. Vor allem aber der Flucht vor dieser Erschöpfung. Hinter seinem Titel zeichnet sich beschwörend die Formel „Das Feuer brennt noch” ab, und er enthält Sätze, die auf den Kopf zugesagt bekommen wollen, sie seien glutvolle Prosa. Aber diese Glut lebt von der Asche, aus der sie noch einmal angefacht wurde, und es kommt andauernd neue Asche hinzu. Denn diesen Roman hat ein alternder Schriftsteller geschrieben, der nicht nur seinem Altern Paroli bieten will, sondern auch der Kunst, der er doch in allen seinen Büchern gehuldigt hat, der Kunst des Erzählens, der Form des Romans.
Manchmal überfällt den alternden Schriftsteller die Angst, die letzte Vorstellung, den Punkt des Aufhörens verpasst zu haben. Dann unterbricht er seinen Roman mit Aphorismen („Todsünde des Schriftstellers: Über Mozart schreiben”) oder Reflexionen wie dieser: „Die Unwahrheit fängt mit dem Kunstwillen an, dem Arrangement, aber das merkt man zunächst nicht. Er kommt mit den Jahren, der Überdruss an der Fiktion, der Ekel vor dem Phantasieren, Fabulieren, retardieren, dem Ausmalen und Weglassen. Es hat etwas Gefälliges, Hurenhaftes, Falsches, und nach über einem Dutzend Büchern glaubt er zu wissen: Es ist vorbei, dieses Erzähltheater; es geht nicht mehr.”
Es geht aber dann doch immer weiter mit dem Erzählen. Denn der alternde Schriftsteller weiß, dass der Pakt mit dem Schreiben, den er in jungen Jahren geschlossen hat, nicht kündbar ist: „Wer aufhören kann, hätte niemals anfangen dürfen.” Der Schriftsteller Ralf Rothmann, der 1953 geboren wurde, im Ruhrgebiet aufwuchs und als junger Mann Mitte der siebziger Jahre des vorigen Jahrhunderts nach Berlin ging und seither dort lebt, hat einiges dafür getan, dass der Leser ihn selbst in dem alternden Schriftsteller wiedererkennt. Er hat dessen Lebensstationen der eigenen Biographie angeglichen und lässt ihn zudem andeuten, der Roman sei nur deshalb in der dritten Person geschrieben, weil es nahezu unmöglich sei, von sich selbst in der ersten Person zu schreiben, ohne sich zu verstellen: „Das ,Ich’ ist ein schiefes Licht, und der Vorsatz, schonungs- oder gar schamlos zu sein, hat sich immer noch abgeschliffen während der Arbeit und Schwächen in persönliche Vorzüge verwandelt. So bleibt nur die dritte Person, eine dürftige Tarnung, womöglich mit sprechendem Namen.”
Das unschlüssige Kokettieren mit dem autobiographischen Erzählen bringt den alternden Schriftsteller in eine diffuse Nähe zu seinem Autor. Aber die ist weniger interessant als der sprechende Name, den Ralf Rothmann für seine Hauptfigur gewählt hat: „Wolf”. Darin mag soviel maskierter Ralf stecken, wie Rothmann will. Es ist vor allem der Name eines Tiers, aus dem der Volksmund gern das Rudel ausblendet, wenn er vom einsamen Wolf erzählt, der mit der Nacht, dem Wildern und dem gefährlichen Leben im Bunde ist.
Es konnte nicht ausbleiben, dass die modernen Schriftsteller auf ihrer unablässigen Suche nach Bildern, in denen sich ihre Künstlerhelden spiegeln konnten, auch auf den Wolf verfielen, der möglichst einsam der Gesellschaft gegenübersteht und ihr durch sein nächtliches Heulen einen tiefen Schrecken einjagt, weil darin eben jene Abgründe der Seele anklingen, über die die Normalmenschen den Sargdeckel des bürgerlichen Alltags gelegt haben. Der immer noch erfolgreichste Künstlerroman dieses Typs stammt von Hermann Hesse, trägt den Titel „Steppenwolf” und war, verstärkt vom „Born to be wild”– Soundtrack, ein prägendes Lektüreerlebnis der Generation, der Rothmann angehört.
Der alternde Wolf in Rothmanns neuem Roman ist in seiner antibürgerlichen Kunstauffassung und Lebenshaltung ein Steppenwolf-Nachfahre. Aber auf große Fahrt, in die Welt hinaus zieht es ihn längst nicht mehr. Als er zu einem Schriftsteller-Kolloquium über den 11. September 2001 nach New York eingeladen wird, sagt er lustlos ab. Sein Easy-Rider Klischee „von den Highways in der weiten, blau überwölbten Prärie” ist ihm während einer Dozentur an einer amerikanischen Universität abhanden gekommen. Statt des pathetischen hat er ein missvergnügtes Klischee mitgebracht: „dass das Land der Freien aus lauter Fernsehsklaven besteht, die einzig und allein in Dollars denken und sich kaum rühren können vor lauter Bürokratie”.
Zu Hause, in Berlin, ist der alternde Wolf dem Vergehen der Zeit gleich doppelt ausgeliefert: sein kulturelles Biotop, das West-Berlin der siebziger und achtziger Jahre beginnt im Nachwende-Berlin zu verschwinden; sein soziologisches Biotop, das Single-Wolf-Dasein, beginnt sich in Richtung stabiler Zweisamkeit zu entwickeln; und seine sexuelle Potenz, der Kern seiner gesamten (und zugleich die Energiequelle seiner schriftstellerischen) Existenz, sieht sich nicht erst mit dem Überschreiten der Fünfzig-Jahrs-Schwelle ständig herausgefordert, den Verdacht, sie sei im Niedergang, zu widerlegen.
In zwei Zeitschichten vor allem hat Ralf Rothmann den Roman angesiedelt. In der ersten, kurz vor und nach dem Mauerfall des Jahres 1989, Wolf noch gerade in den Dreißigern, schreibt und revidiert seinen ersten Roman. Er ist mit seiner jüngeren Freundin Alina, die ihm aus Westdeutschland nachgezogen ist, vom Südstern nach Friedrichshagen im Südosten umgezogen, vertrieben vom Vordringen der Neuköllner Gangs nach Kreuzberg. Die Teile des Romans, in denen, ständig von Klischees bedroht, der gelernte Westberliner Wolf die Witterung des Ostens und seiner Bewohner aufnimmt, enthalten starke Passagen wie die über die Verschiebung der Statik der Stadtteile nach dem Mauerfall, „kaum merklich erst, wie sich ein Gebiss nach neuen Kronen oder Brücken ändert, und was man früher für ein Lächeln halten konnte, ist jetzt ein unverhohlenes Zähneblecken”.
Aber es liegt etwas Unschlüssiges, Halbherziges über diesen Rückblenden in die Jahre des Umbruchs. Denn ständig konkurriert der Berlin–Roman mit dem Porträt des Künstlers als gerade noch junger Mann. Dessen erster Roman ähnelt dem Roman–Erstling von Ralf Rothmann „Stier”, der 1991. Darin war bereits das Grundthema dieses Schriftstellers erkennbar: die Erfahrung, dass das Altern früh beginnt in einem Milieu und für eine Generation, der sich die höchste Intensität des Lebens allein in der Jugend verdichten kann. Die Hebammendienste der Freundin Alina bei der Entstehung dieses Romans werden ausgiebig gewürdigt.
Aber leider hat Rothmann den Dialog, den sein jüngste Romans mit seinem Erstling über das Ende der Jugend und die Angst vor dem Alter führt, kaum ausgearbeitet. Die gelungene Erzählung, in der der Schriftsteller als Mann von fünfzig Jahren mit einem ehemaligen Mentor und Freund seiner Anfangsjahre bricht, ist dafür kein vollgültiger Satz. Und leider hat Rothmann in den Vordergrund seines Romans eine eher schematisch konstruierte, sehr melodramatische und bisweilen kitschigen Dreiecksgeschichte gestellt, in der der alternde Single-Wolf in den Jahren um 2003 seine sexuelle Potenz panisch an zwei Frauen zugleich in einer Weise überprüft, die ihnen als Romanfiguren wenig Entwicklungschancen lässt.
Der guten Fee und Freundin, der treuen, aber sexuell schamlos-naiven Literaturhebamme Alina, ist der positive Part samt Tod und Verklärung reserviert. Die böse akademische Fee Charlotte muss mit dirty sex-Prosa vorlieb nehmen und muss zudem für ihren Feminismus durch das Nachstellen von Pornofilmen büßen. Am Ende hat dieser Dreiecksroman über beide Rivalen gewonnen: den Berlin- und den Roman eines erschöpften Künstlers. LOTHAR MÜLLER
RALF ROTHMANN: Feuer brennt nicht. Roman. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2009. 304 Seiten, 19,80 Euro.
Das Land der Freien bestand aus lauter Fernsehsklaven
Was früher ein Lächeln war, ist jetzt unverhohlenes Zähneblecken
Und es geht dann doch immer weiter mit dem Erzählen: Ralf Rothmann, Jahrgang 1953 Foto: Sven Paustian / Agentur Focus
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Und die Witterung des Ostens: Ralf Rothmann erzählt von einem alternden Berliner Schriftsteller
Dies ist der Roman einer großen Erschöpfung. Vor allem aber der Flucht vor dieser Erschöpfung. Hinter seinem Titel zeichnet sich beschwörend die Formel „Das Feuer brennt noch” ab, und er enthält Sätze, die auf den Kopf zugesagt bekommen wollen, sie seien glutvolle Prosa. Aber diese Glut lebt von der Asche, aus der sie noch einmal angefacht wurde, und es kommt andauernd neue Asche hinzu. Denn diesen Roman hat ein alternder Schriftsteller geschrieben, der nicht nur seinem Altern Paroli bieten will, sondern auch der Kunst, der er doch in allen seinen Büchern gehuldigt hat, der Kunst des Erzählens, der Form des Romans.
Manchmal überfällt den alternden Schriftsteller die Angst, die letzte Vorstellung, den Punkt des Aufhörens verpasst zu haben. Dann unterbricht er seinen Roman mit Aphorismen („Todsünde des Schriftstellers: Über Mozart schreiben”) oder Reflexionen wie dieser: „Die Unwahrheit fängt mit dem Kunstwillen an, dem Arrangement, aber das merkt man zunächst nicht. Er kommt mit den Jahren, der Überdruss an der Fiktion, der Ekel vor dem Phantasieren, Fabulieren, retardieren, dem Ausmalen und Weglassen. Es hat etwas Gefälliges, Hurenhaftes, Falsches, und nach über einem Dutzend Büchern glaubt er zu wissen: Es ist vorbei, dieses Erzähltheater; es geht nicht mehr.”
Es geht aber dann doch immer weiter mit dem Erzählen. Denn der alternde Schriftsteller weiß, dass der Pakt mit dem Schreiben, den er in jungen Jahren geschlossen hat, nicht kündbar ist: „Wer aufhören kann, hätte niemals anfangen dürfen.” Der Schriftsteller Ralf Rothmann, der 1953 geboren wurde, im Ruhrgebiet aufwuchs und als junger Mann Mitte der siebziger Jahre des vorigen Jahrhunderts nach Berlin ging und seither dort lebt, hat einiges dafür getan, dass der Leser ihn selbst in dem alternden Schriftsteller wiedererkennt. Er hat dessen Lebensstationen der eigenen Biographie angeglichen und lässt ihn zudem andeuten, der Roman sei nur deshalb in der dritten Person geschrieben, weil es nahezu unmöglich sei, von sich selbst in der ersten Person zu schreiben, ohne sich zu verstellen: „Das ,Ich’ ist ein schiefes Licht, und der Vorsatz, schonungs- oder gar schamlos zu sein, hat sich immer noch abgeschliffen während der Arbeit und Schwächen in persönliche Vorzüge verwandelt. So bleibt nur die dritte Person, eine dürftige Tarnung, womöglich mit sprechendem Namen.”
Das unschlüssige Kokettieren mit dem autobiographischen Erzählen bringt den alternden Schriftsteller in eine diffuse Nähe zu seinem Autor. Aber die ist weniger interessant als der sprechende Name, den Ralf Rothmann für seine Hauptfigur gewählt hat: „Wolf”. Darin mag soviel maskierter Ralf stecken, wie Rothmann will. Es ist vor allem der Name eines Tiers, aus dem der Volksmund gern das Rudel ausblendet, wenn er vom einsamen Wolf erzählt, der mit der Nacht, dem Wildern und dem gefährlichen Leben im Bunde ist.
Es konnte nicht ausbleiben, dass die modernen Schriftsteller auf ihrer unablässigen Suche nach Bildern, in denen sich ihre Künstlerhelden spiegeln konnten, auch auf den Wolf verfielen, der möglichst einsam der Gesellschaft gegenübersteht und ihr durch sein nächtliches Heulen einen tiefen Schrecken einjagt, weil darin eben jene Abgründe der Seele anklingen, über die die Normalmenschen den Sargdeckel des bürgerlichen Alltags gelegt haben. Der immer noch erfolgreichste Künstlerroman dieses Typs stammt von Hermann Hesse, trägt den Titel „Steppenwolf” und war, verstärkt vom „Born to be wild”– Soundtrack, ein prägendes Lektüreerlebnis der Generation, der Rothmann angehört.
Der alternde Wolf in Rothmanns neuem Roman ist in seiner antibürgerlichen Kunstauffassung und Lebenshaltung ein Steppenwolf-Nachfahre. Aber auf große Fahrt, in die Welt hinaus zieht es ihn längst nicht mehr. Als er zu einem Schriftsteller-Kolloquium über den 11. September 2001 nach New York eingeladen wird, sagt er lustlos ab. Sein Easy-Rider Klischee „von den Highways in der weiten, blau überwölbten Prärie” ist ihm während einer Dozentur an einer amerikanischen Universität abhanden gekommen. Statt des pathetischen hat er ein missvergnügtes Klischee mitgebracht: „dass das Land der Freien aus lauter Fernsehsklaven besteht, die einzig und allein in Dollars denken und sich kaum rühren können vor lauter Bürokratie”.
Zu Hause, in Berlin, ist der alternde Wolf dem Vergehen der Zeit gleich doppelt ausgeliefert: sein kulturelles Biotop, das West-Berlin der siebziger und achtziger Jahre beginnt im Nachwende-Berlin zu verschwinden; sein soziologisches Biotop, das Single-Wolf-Dasein, beginnt sich in Richtung stabiler Zweisamkeit zu entwickeln; und seine sexuelle Potenz, der Kern seiner gesamten (und zugleich die Energiequelle seiner schriftstellerischen) Existenz, sieht sich nicht erst mit dem Überschreiten der Fünfzig-Jahrs-Schwelle ständig herausgefordert, den Verdacht, sie sei im Niedergang, zu widerlegen.
In zwei Zeitschichten vor allem hat Ralf Rothmann den Roman angesiedelt. In der ersten, kurz vor und nach dem Mauerfall des Jahres 1989, Wolf noch gerade in den Dreißigern, schreibt und revidiert seinen ersten Roman. Er ist mit seiner jüngeren Freundin Alina, die ihm aus Westdeutschland nachgezogen ist, vom Südstern nach Friedrichshagen im Südosten umgezogen, vertrieben vom Vordringen der Neuköllner Gangs nach Kreuzberg. Die Teile des Romans, in denen, ständig von Klischees bedroht, der gelernte Westberliner Wolf die Witterung des Ostens und seiner Bewohner aufnimmt, enthalten starke Passagen wie die über die Verschiebung der Statik der Stadtteile nach dem Mauerfall, „kaum merklich erst, wie sich ein Gebiss nach neuen Kronen oder Brücken ändert, und was man früher für ein Lächeln halten konnte, ist jetzt ein unverhohlenes Zähneblecken”.
Aber es liegt etwas Unschlüssiges, Halbherziges über diesen Rückblenden in die Jahre des Umbruchs. Denn ständig konkurriert der Berlin–Roman mit dem Porträt des Künstlers als gerade noch junger Mann. Dessen erster Roman ähnelt dem Roman–Erstling von Ralf Rothmann „Stier”, der 1991. Darin war bereits das Grundthema dieses Schriftstellers erkennbar: die Erfahrung, dass das Altern früh beginnt in einem Milieu und für eine Generation, der sich die höchste Intensität des Lebens allein in der Jugend verdichten kann. Die Hebammendienste der Freundin Alina bei der Entstehung dieses Romans werden ausgiebig gewürdigt.
Aber leider hat Rothmann den Dialog, den sein jüngste Romans mit seinem Erstling über das Ende der Jugend und die Angst vor dem Alter führt, kaum ausgearbeitet. Die gelungene Erzählung, in der der Schriftsteller als Mann von fünfzig Jahren mit einem ehemaligen Mentor und Freund seiner Anfangsjahre bricht, ist dafür kein vollgültiger Satz. Und leider hat Rothmann in den Vordergrund seines Romans eine eher schematisch konstruierte, sehr melodramatische und bisweilen kitschigen Dreiecksgeschichte gestellt, in der der alternde Single-Wolf in den Jahren um 2003 seine sexuelle Potenz panisch an zwei Frauen zugleich in einer Weise überprüft, die ihnen als Romanfiguren wenig Entwicklungschancen lässt.
Der guten Fee und Freundin, der treuen, aber sexuell schamlos-naiven Literaturhebamme Alina, ist der positive Part samt Tod und Verklärung reserviert. Die böse akademische Fee Charlotte muss mit dirty sex-Prosa vorlieb nehmen und muss zudem für ihren Feminismus durch das Nachstellen von Pornofilmen büßen. Am Ende hat dieser Dreiecksroman über beide Rivalen gewonnen: den Berlin- und den Roman eines erschöpften Künstlers. LOTHAR MÜLLER
RALF ROTHMANN: Feuer brennt nicht. Roman. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2009. 304 Seiten, 19,80 Euro.
Das Land der Freien bestand aus lauter Fernsehsklaven
Was früher ein Lächeln war, ist jetzt unverhohlenes Zähneblecken
Und es geht dann doch immer weiter mit dem Erzählen: Ralf Rothmann, Jahrgang 1953 Foto: Sven Paustian / Agentur Focus
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Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension
Sehr eingenommen ist Rolf-Bernhard Essig von Ralf Rothmanns neuem Roman "Feuer brennt nicht". Er liest die Geschichte um den so empfindsamen wie selbstbezogenen Schriftsteller Wolf - für ihn eine Mischung aus Parzival, Hamlet und "Steppenwolf" Harry Haller -, seine Freundin Alina und seine Geliebte Charlotte auch als Geschichte einer scheiternden Liebe mit einem "melodramatischen Ende". Besonders hebt er die funkelnde Sprache des Autors hervor, dessen Beschreibungen von Wetter, Wald, Tieren, Straßen für ihn wie "kleine Prosagedichte" sind. Allerdings bewahrt dies Rothmann nach Einschätzung Essigs nicht davor, gelegentlich ins Konventionelle oder gar Peinliche abzugleiten - besonders bei den Sexszenen. Allerdings wiegt das für den Rezensenten nicht allzu negativ, zumal der "variantenreiche Rhythmus" von Rothmanns Sätzen in seinen Augen dem Roman etwas "unauffällig Beunruhigendes und Aufregendes" verleihen. Lobend äußert er sich auch über die gekonnte Figurenrede, die überzeugende Komposition des Buchs sowie die eingestreuten Reflexionen: "Der Mensch ist ein romantisches Röhrensystem ."
© Perlentaucher Medien GmbH
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»Rothmann hat eine große Reflexion über Altern und Männlichkeit, Liebe und Begehren, Freiheit und Abhängigkeit geschrieben.« Felicitas von Lovenberg Frankfurter Allgemeine Zeitung 20090303