Ein amerikanischer Industrieller, ein Exilrusse und ein polnischer Jude planen eine Kunstausstellung privater Sammler im idyllischen Kurort Bad Kranach. Es sollen reiche Kunstsammler aus allen Teilen der Welt daran teilnehmen. Eine Ausstellung, die ein Beweis dafür sein könnte, wie haushoch überlegen die schönen Künste doch kleinkariertem Nationalismus gegenüber sind. Doch bald stellt sich heraus, dass die wahren Interessen der Beteiligten in Wirklichkeit ganz woanders liegen...
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 16.12.2000Der Coup von Bad Kranach
Bittere Moral: Andrzej Szczypiorskis Roman "Feuerspiele"
Andrzej Szczypiorski starb, zweiundsiebzigjährig, am 16. Mai dieses Jahres. Sein Tod ist nicht nur für die Polen ein großer Verlust, sondern für alle Freunde guter Bücher, auch und besonders für uns Deutsche. Spätestens seit 1988 die Romane "Die schöne Frau Seidenmann" und "Eine Messe für Arras" in deutscher Übersetzung erschienen, wußten wir, was wir an Szczypiorski hatten: einen Autor, der seine Leser durch hohen geistigen Standard ehrte und durch absoluten Mangel an Langeweile erfreute. Hinzu kam, daß dieser Pole, der als Sechzehnjähriger im Warschauer Aufstand kämpfte, danach im Konzentrationslager Sachsenhausen litt, mit den Nachkriegsdeutschen freundlich zu kooperieren gelernt hatte. Er akzeptierte sie als Nachbarn und schätzte sie als Lotsen in eine europäische Zukunft. Zudem wußte er meisterhaft mit der deutschen Sprache umzugehen.
Im Roman "Feuerspiele", dessen polnisches Original 1999 erschien, spricht er zu uns auf gewohnte Weise und zugleich auf neue Art. Vertraut ist uns das Thema, denn es hat ihn sein Leben lang beherrscht: die Schrecknisse, die im zwanzigsten Jahrhundert Menschen einander antaten, auch und vor allem auf dem Boden des vergewaltigten polnischen Landes. Auch in "Feuerspiele" zeigt uns der Autor die inhumanen Muster des Säkulums. Aber diesmal weist er mit einem neuen Gestus auf sie, insofern nämlich, als weder die braune noch die rote Unrechtsherrschaft als Ding an sich erscheinen. Vielmehr sind sie herabgestuft zu zeitgeborenen Ausdrucksformen prinzipieller Unfähigkeit, aus den Konditionen menschlichen Daseins vernünftige Schlüsse zu ziehen. Vernünftig, das hieße, angesichts der irdischen Unvollkommenheiten mit sich und seinesgleichen Erbarmen zu haben. Szczypiorski sagt es nicht expressis verbis, doch aus jedem Satz klingt die Klage, daß der Mensch keinen schlimmeren Feind habe als sich selbst. Seit Adam vom Baum der Erkenntnis aß, weiß er, was zuvor Gott allein wußte. Aber welchen Gebrauch machen Adams Kinder davon?
Ein Roman, der das Rätsel Erdenleben philosophisch zu entschlüsseln trachtet, kann nicht auf übliche Weise aufgebaut sein. "Feuerspiele" ist ein Kaleidoskop, das die handelnden Personen in mannigfachen Situationen zeigt, aus dem Blickwinkel rückt, erneut sichtbar macht und so ein buntes, fesselndes Vielerlei von Szenen erzeugt. Eine Fabel im klassischen Verstande hat das Buch nicht. Oder, so kann man es auch sehen, es hat verwirrend viele Fabeln, die unaufhörlich einander kreuzen, verdeutlichen, bestätigen.
Da gibt es zum Beispiel eine Gruppe scheinbar honetter Leute, aus deren Gesprächen sich eine schäbige Gaunerei entwickelt. Der Exilrusse Fürst Kyrill, der amerikanische Großindustrielle Graham Wilson und der Ungar Dr. Kovàcs wollen im deutschen Kurort Bad Kranach eine Kunstausstellung organisieren, die in Flammen aufgehen soll. Natürlich werden bloß Kopien verbrennen, so daß den Herren die Originale bleiben und eine gewaltige Versicherungssumme anheimfällt. Ferner enthüllen sich zwischen den Herren und einer Menge weiterer Personen allerlei Beziehungen privater, geschäftlicher oder politischer Art oder aller Arten zusammen, einige aktuell, andere halb oder ganz vergessen, manche auch so peinlichen Ursprungs, daß die Betroffenen lieber nicht daran denken. Der Romanautor freilich denkt dauernd daran, er sorgt dafür, daß die Beteiligten einander irgendwo treffen und sich dabei demaskieren, in der Phantasie oder in der Wirklichkeit und am Ende im großen Feuer. So begegnen wir dem Polen Jan, den der Tod seiner Frau zum trübsinnigen Grübler gemacht hat; dessen Freund Edek Laski, der selbst unter deutscher Verfolgung immer die Kurve kriegte; dem Juden Grynszpan, der den deutschen Mördern Bütteldienste leisten mußte und seither nicht weiß, wie er sich zum eigenen Überleben stellen soll; den SS-Mördern Kugler, Ackermann und Halberstamm, die nach dem Krieg zu gewöhnlichen Alltagsmenschen gediehen; dem Russen Semjaschkin, unter Stalin vom Verfolgten zum Verfolger mutiert, in der Nach-Stalin-Ära zum grollenden, relativ gut situierten Pensionär.
Damit ist der Vorrat an Figuren und Schicksalen noch nicht erschöpft. Zuweilen überwältigen die vielen Details, aber das schadet weder dem Lesenden, noch tut es dem Buch Abbruch. Man muß nicht alle Einzelheiten immer säuberlich sortiert am Schnürchen haben. Man muß nur begreifen, für welchen Part der trüben Säkulumsgeschichte welche Person jeweils steht.
Welche Rolle aber spielt im Zeitgemälde der Versicherungsbetrug? Nur die eine, bestimmte Personen mit bestimmten Charakterzügen auszustatten. Der Roman ist keine Kriminalstory, der Betrug eine vergleichsweise lächerliche Verfehlung, rückt man ihn neben das, was die Romanfiguren in politischen Zusammenhängen verbrochen oder erduldet haben. Die Versicherung kommt denn auch gar nicht zum Zuge, und was bloß zu ihrer Ausplünderung inszeniert schien, gerät mit erschütternder Zwangsläufigkeit zur vernichtenden Katastrophe. Das idyllische Bad Kranach wird zur mörderischen Feuerhölle. Scheinbar hatten dort, wie überall auf der Welt, teils gute, teils böse Menschen an ihren jeweiligen privaten Zwecken gebastelt. In Wahrheit aber waltete auch in Bad Kranach das Gesetz, das die Erde verdirbt, seit der Mensch sie beherrscht. Der Mensch - als einziges von allen Geschöpfen hat er die Fähigkeit erworben, den Planeten zu vernichten, auf dem und von dem er lebt. Und offenbar begreift er nicht, daß er seine böse Intelligenz durch Moralgesetze zügeln muß, wenn er weiter existieren will.
Das ist die Botschaft, die von dem Roman ausgeht. Ein Verdammungsurteil? Eher wohl ein Aufschrei. Szczypiorski war nie ein Menschenfeind, er ist es auch in diesem letzten Werk nicht. Selbst die bösesten Schurken im Buch haben menschliche, wenn auch erschreckend aus den Fugen geratene Züge. Und wenn seine Leidenden und Verfolgten zu schwach sind, um gut zu sein, dann weint der Autor tränenlos um sie.
SABINE BRANDT
Andrzej Szczypiorski: "Feuerspiele". Roman. Aus dem Polnischen übersetzt von Barbara Schaefer. Diogenes Verlag, Zürich 2000. 363 S., geb., 39,90 DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Bittere Moral: Andrzej Szczypiorskis Roman "Feuerspiele"
Andrzej Szczypiorski starb, zweiundsiebzigjährig, am 16. Mai dieses Jahres. Sein Tod ist nicht nur für die Polen ein großer Verlust, sondern für alle Freunde guter Bücher, auch und besonders für uns Deutsche. Spätestens seit 1988 die Romane "Die schöne Frau Seidenmann" und "Eine Messe für Arras" in deutscher Übersetzung erschienen, wußten wir, was wir an Szczypiorski hatten: einen Autor, der seine Leser durch hohen geistigen Standard ehrte und durch absoluten Mangel an Langeweile erfreute. Hinzu kam, daß dieser Pole, der als Sechzehnjähriger im Warschauer Aufstand kämpfte, danach im Konzentrationslager Sachsenhausen litt, mit den Nachkriegsdeutschen freundlich zu kooperieren gelernt hatte. Er akzeptierte sie als Nachbarn und schätzte sie als Lotsen in eine europäische Zukunft. Zudem wußte er meisterhaft mit der deutschen Sprache umzugehen.
Im Roman "Feuerspiele", dessen polnisches Original 1999 erschien, spricht er zu uns auf gewohnte Weise und zugleich auf neue Art. Vertraut ist uns das Thema, denn es hat ihn sein Leben lang beherrscht: die Schrecknisse, die im zwanzigsten Jahrhundert Menschen einander antaten, auch und vor allem auf dem Boden des vergewaltigten polnischen Landes. Auch in "Feuerspiele" zeigt uns der Autor die inhumanen Muster des Säkulums. Aber diesmal weist er mit einem neuen Gestus auf sie, insofern nämlich, als weder die braune noch die rote Unrechtsherrschaft als Ding an sich erscheinen. Vielmehr sind sie herabgestuft zu zeitgeborenen Ausdrucksformen prinzipieller Unfähigkeit, aus den Konditionen menschlichen Daseins vernünftige Schlüsse zu ziehen. Vernünftig, das hieße, angesichts der irdischen Unvollkommenheiten mit sich und seinesgleichen Erbarmen zu haben. Szczypiorski sagt es nicht expressis verbis, doch aus jedem Satz klingt die Klage, daß der Mensch keinen schlimmeren Feind habe als sich selbst. Seit Adam vom Baum der Erkenntnis aß, weiß er, was zuvor Gott allein wußte. Aber welchen Gebrauch machen Adams Kinder davon?
Ein Roman, der das Rätsel Erdenleben philosophisch zu entschlüsseln trachtet, kann nicht auf übliche Weise aufgebaut sein. "Feuerspiele" ist ein Kaleidoskop, das die handelnden Personen in mannigfachen Situationen zeigt, aus dem Blickwinkel rückt, erneut sichtbar macht und so ein buntes, fesselndes Vielerlei von Szenen erzeugt. Eine Fabel im klassischen Verstande hat das Buch nicht. Oder, so kann man es auch sehen, es hat verwirrend viele Fabeln, die unaufhörlich einander kreuzen, verdeutlichen, bestätigen.
Da gibt es zum Beispiel eine Gruppe scheinbar honetter Leute, aus deren Gesprächen sich eine schäbige Gaunerei entwickelt. Der Exilrusse Fürst Kyrill, der amerikanische Großindustrielle Graham Wilson und der Ungar Dr. Kovàcs wollen im deutschen Kurort Bad Kranach eine Kunstausstellung organisieren, die in Flammen aufgehen soll. Natürlich werden bloß Kopien verbrennen, so daß den Herren die Originale bleiben und eine gewaltige Versicherungssumme anheimfällt. Ferner enthüllen sich zwischen den Herren und einer Menge weiterer Personen allerlei Beziehungen privater, geschäftlicher oder politischer Art oder aller Arten zusammen, einige aktuell, andere halb oder ganz vergessen, manche auch so peinlichen Ursprungs, daß die Betroffenen lieber nicht daran denken. Der Romanautor freilich denkt dauernd daran, er sorgt dafür, daß die Beteiligten einander irgendwo treffen und sich dabei demaskieren, in der Phantasie oder in der Wirklichkeit und am Ende im großen Feuer. So begegnen wir dem Polen Jan, den der Tod seiner Frau zum trübsinnigen Grübler gemacht hat; dessen Freund Edek Laski, der selbst unter deutscher Verfolgung immer die Kurve kriegte; dem Juden Grynszpan, der den deutschen Mördern Bütteldienste leisten mußte und seither nicht weiß, wie er sich zum eigenen Überleben stellen soll; den SS-Mördern Kugler, Ackermann und Halberstamm, die nach dem Krieg zu gewöhnlichen Alltagsmenschen gediehen; dem Russen Semjaschkin, unter Stalin vom Verfolgten zum Verfolger mutiert, in der Nach-Stalin-Ära zum grollenden, relativ gut situierten Pensionär.
Damit ist der Vorrat an Figuren und Schicksalen noch nicht erschöpft. Zuweilen überwältigen die vielen Details, aber das schadet weder dem Lesenden, noch tut es dem Buch Abbruch. Man muß nicht alle Einzelheiten immer säuberlich sortiert am Schnürchen haben. Man muß nur begreifen, für welchen Part der trüben Säkulumsgeschichte welche Person jeweils steht.
Welche Rolle aber spielt im Zeitgemälde der Versicherungsbetrug? Nur die eine, bestimmte Personen mit bestimmten Charakterzügen auszustatten. Der Roman ist keine Kriminalstory, der Betrug eine vergleichsweise lächerliche Verfehlung, rückt man ihn neben das, was die Romanfiguren in politischen Zusammenhängen verbrochen oder erduldet haben. Die Versicherung kommt denn auch gar nicht zum Zuge, und was bloß zu ihrer Ausplünderung inszeniert schien, gerät mit erschütternder Zwangsläufigkeit zur vernichtenden Katastrophe. Das idyllische Bad Kranach wird zur mörderischen Feuerhölle. Scheinbar hatten dort, wie überall auf der Welt, teils gute, teils böse Menschen an ihren jeweiligen privaten Zwecken gebastelt. In Wahrheit aber waltete auch in Bad Kranach das Gesetz, das die Erde verdirbt, seit der Mensch sie beherrscht. Der Mensch - als einziges von allen Geschöpfen hat er die Fähigkeit erworben, den Planeten zu vernichten, auf dem und von dem er lebt. Und offenbar begreift er nicht, daß er seine böse Intelligenz durch Moralgesetze zügeln muß, wenn er weiter existieren will.
Das ist die Botschaft, die von dem Roman ausgeht. Ein Verdammungsurteil? Eher wohl ein Aufschrei. Szczypiorski war nie ein Menschenfeind, er ist es auch in diesem letzten Werk nicht. Selbst die bösesten Schurken im Buch haben menschliche, wenn auch erschreckend aus den Fugen geratene Züge. Und wenn seine Leidenden und Verfolgten zu schwach sind, um gut zu sein, dann weint der Autor tränenlos um sie.
SABINE BRANDT
Andrzej Szczypiorski: "Feuerspiele". Roman. Aus dem Polnischen übersetzt von Barbara Schaefer. Diogenes Verlag, Zürich 2000. 363 S., geb., 39,90 DM.
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