Ein amerikanischer Industrieller, ein Exilrusse und ein polnischer Jude planen eine Kunstausstellung privater Sammler im idyllischen Kurort Bad Kranach. Es sollen reiche Kunstsammler aus allen Teilen der Welt daran teilnehmen. Eine Ausstellung, die ein Beweis dafür sein könnte, wie haushoch überlegen die schönen Künste doch kleinkariertem Nationalismus gegenüber sind. Doch bald stellt sich heraus, dass die wahren Interessen der Beteiligten in Wirklichkeit ganz woanders liegen...
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 18.10.2000Flammendes Vermächtnis
Der letzte Roman von Andrzej Szczypiorski: „Feuerspiele”
„In meinem Schaffen gilt die eiserne Regel, dass nicht ich der Richter meiner Nächsten bin, dass ich kein Recht habe, in Fragen ihrer Haltungen und Meinungen zu urteilen. ” So lautet eine der letzten Selbstauskünfte von Andrzej Szczypiorski (1928 – 2000). Es war vor allem seine eigene Biografie – die Erfahrung des Nationalsozialismus in Form von Okkupation, Warschauer Aufstand und KZ Sachsenhausen und die des Kommunismus in verschiedenartiger Form der physischen und psychischen Gewalt –, die ihn immer wieder dazu zwang, mit den Dämonen der europäischen Geschichte dieses Jahrhunderts zu ringen.
Das tut er auch in seinem letzten Roman Feuerspiele, und zwar auf eine Art und Weise, die dem Buch einen Vermächtnischarakter verleiht: Wieder entwirft Szczypiorski ein Panorama menschlicher Schicksale, zeigt er die wichtigsten Knoten ihrer kollektiven Biografie, die durch das größte Drama dieses Jahrhunderts, die Vernichtung der Einzelnen in der Maschinerie totalitärer Systeme, entstanden sind. Seine Hauptfiguren sind Menschen verschiedener Nationalitäten, Polen, Deutsche, Juden, die dennoch eine gemeinsame Vergangenheit haben: Sie besteht aus Angst, Verfolgung, Trauer und Tod.
Dabei kämpft Szczypiorski mit allen Mitteln gegen das Vergessen, das Verharmlosen, das Relativieren der Geschichte, als befürchte er, die Menschen seien nun, am Ende des Jahrhunderts, endgültig bereit, sich selbst eine Absolution zu erteilen. Er aber scheint sich an alles noch so deutlich zu erinnern, als trenne ihn von gestern nur eine Glasscheibe. „Jetzt waren die Gespenster aus dem Jenseits gekommen”, heißt es im Roman über Jan, das literarische Alter ego des Autors „um ihn zu besuchen, an seinem Tisch Platz zu nehmen, in den Ecken seines Hauses zu stehen, sich mit ihm zu unterhalten und Gerechtigkeit zu fordern. ”
Wie in all seinen Büchern bemüht sich Szczypiorski auch in Feuerspiele, eine spannende Handlung zu konstruieren: Ein amerikanischer Millionär, sein Faktotum von unbestimmter Herkunft und ein russischer Fürst planen im Zusammenhang mit einer Kunstausstellung einen Versicherungsbetrug. Um dieses Trio gruppiert Szczypiorski die weiteren Hauptfiguren: einen ehemaligen sowjetischen Geheimdienstler, einen Polen und dessen jüdischen Freund, einen Deutschen, der mit einem falschen Adelstitel seine frühere Identität als KZ-Kommandant kaschiert, sowie zwei einst miteinander befreundete Berliner Juden, die ein Eisernes Kreuz, das Insignium der Weimarer Republik, entzweite. Szczypiorski bringt sie alle im Kurort Bad Kranach zusammen, um sie am Ende in den Flammen eines Großbrands umkommen zu lassen.
Dazwischen streut Szczypiorski ausgedehnte Reminiszenzen an die Kriegszeit, die zahllose weitere Figuren auf den Plan rufen. Denn die eigentlichen Schauplätze seines Romans sind erneut die Orte der Vernichtung – das Warschau unter der deutschen Okkupation, das Ghetto, die Todeslager –, an denen es sich um „Feuerspiele” ganz anderer Art handelt: um Handlungen, die Mut und Zivilcourage erfordern, manchmal eine Wahl zwischen Leben und Tod bedeuten, die wiederum ein Spiel mit dem Feuer der Verdammnis, der Hölle konnotiert.
In den letzten Jahren beeindruckte Szczypiorski immer wieder durch den polemischen Nerv seiner publizistischen Texte. In seiner Prosa hingegen schien er langsam die Fabulierlaune zugunsten der Lust am Räsonieren zu verlieren. Schon sein vorletzter Roman Selbstportrait mit Frau las sich stellenweise wie ein historisch-moralischer Essay, nicht viel anders ist es im Falle der Feuerspiele: Seine Erzählweise ist die eines allwissenden Weisen, der sich allerdings gefährlich an der Grenze zur Geschwätzigkeit bewegt. Die Handlung wirkt zu konstruiert, um wirklich zu überzeugen. Die Figuren bleiben seltsam konturlos, die Erzählung ihres Schicksals wird immer wieder durch Verallgemeinerungen unterbrochen, die unser Wissen über den Menschen und seine Motivation aber nicht wirklich erweitert. Kurzum: Der Moralist hat sein Schlussplädoyer gesprochen, der Erzähler, der mit Die schöne Frau Seidenman und Eine Messe für die Stadt Arras die Glanzstücke seiner Prosa lieferte, hat dabei leider nicht Schritt gehalten.
MARTA KIJOWSKA
ANDRZEJ SZCZYPIORSKI: Feuerspiele. Roman. Aus dem Polnischen von Barbara Schaefer. Diogenes Verlag, Zürich 2000. 363 Seiten, 39,90 Mark.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
Der letzte Roman von Andrzej Szczypiorski: „Feuerspiele”
„In meinem Schaffen gilt die eiserne Regel, dass nicht ich der Richter meiner Nächsten bin, dass ich kein Recht habe, in Fragen ihrer Haltungen und Meinungen zu urteilen. ” So lautet eine der letzten Selbstauskünfte von Andrzej Szczypiorski (1928 – 2000). Es war vor allem seine eigene Biografie – die Erfahrung des Nationalsozialismus in Form von Okkupation, Warschauer Aufstand und KZ Sachsenhausen und die des Kommunismus in verschiedenartiger Form der physischen und psychischen Gewalt –, die ihn immer wieder dazu zwang, mit den Dämonen der europäischen Geschichte dieses Jahrhunderts zu ringen.
Das tut er auch in seinem letzten Roman Feuerspiele, und zwar auf eine Art und Weise, die dem Buch einen Vermächtnischarakter verleiht: Wieder entwirft Szczypiorski ein Panorama menschlicher Schicksale, zeigt er die wichtigsten Knoten ihrer kollektiven Biografie, die durch das größte Drama dieses Jahrhunderts, die Vernichtung der Einzelnen in der Maschinerie totalitärer Systeme, entstanden sind. Seine Hauptfiguren sind Menschen verschiedener Nationalitäten, Polen, Deutsche, Juden, die dennoch eine gemeinsame Vergangenheit haben: Sie besteht aus Angst, Verfolgung, Trauer und Tod.
Dabei kämpft Szczypiorski mit allen Mitteln gegen das Vergessen, das Verharmlosen, das Relativieren der Geschichte, als befürchte er, die Menschen seien nun, am Ende des Jahrhunderts, endgültig bereit, sich selbst eine Absolution zu erteilen. Er aber scheint sich an alles noch so deutlich zu erinnern, als trenne ihn von gestern nur eine Glasscheibe. „Jetzt waren die Gespenster aus dem Jenseits gekommen”, heißt es im Roman über Jan, das literarische Alter ego des Autors „um ihn zu besuchen, an seinem Tisch Platz zu nehmen, in den Ecken seines Hauses zu stehen, sich mit ihm zu unterhalten und Gerechtigkeit zu fordern. ”
Wie in all seinen Büchern bemüht sich Szczypiorski auch in Feuerspiele, eine spannende Handlung zu konstruieren: Ein amerikanischer Millionär, sein Faktotum von unbestimmter Herkunft und ein russischer Fürst planen im Zusammenhang mit einer Kunstausstellung einen Versicherungsbetrug. Um dieses Trio gruppiert Szczypiorski die weiteren Hauptfiguren: einen ehemaligen sowjetischen Geheimdienstler, einen Polen und dessen jüdischen Freund, einen Deutschen, der mit einem falschen Adelstitel seine frühere Identität als KZ-Kommandant kaschiert, sowie zwei einst miteinander befreundete Berliner Juden, die ein Eisernes Kreuz, das Insignium der Weimarer Republik, entzweite. Szczypiorski bringt sie alle im Kurort Bad Kranach zusammen, um sie am Ende in den Flammen eines Großbrands umkommen zu lassen.
Dazwischen streut Szczypiorski ausgedehnte Reminiszenzen an die Kriegszeit, die zahllose weitere Figuren auf den Plan rufen. Denn die eigentlichen Schauplätze seines Romans sind erneut die Orte der Vernichtung – das Warschau unter der deutschen Okkupation, das Ghetto, die Todeslager –, an denen es sich um „Feuerspiele” ganz anderer Art handelt: um Handlungen, die Mut und Zivilcourage erfordern, manchmal eine Wahl zwischen Leben und Tod bedeuten, die wiederum ein Spiel mit dem Feuer der Verdammnis, der Hölle konnotiert.
In den letzten Jahren beeindruckte Szczypiorski immer wieder durch den polemischen Nerv seiner publizistischen Texte. In seiner Prosa hingegen schien er langsam die Fabulierlaune zugunsten der Lust am Räsonieren zu verlieren. Schon sein vorletzter Roman Selbstportrait mit Frau las sich stellenweise wie ein historisch-moralischer Essay, nicht viel anders ist es im Falle der Feuerspiele: Seine Erzählweise ist die eines allwissenden Weisen, der sich allerdings gefährlich an der Grenze zur Geschwätzigkeit bewegt. Die Handlung wirkt zu konstruiert, um wirklich zu überzeugen. Die Figuren bleiben seltsam konturlos, die Erzählung ihres Schicksals wird immer wieder durch Verallgemeinerungen unterbrochen, die unser Wissen über den Menschen und seine Motivation aber nicht wirklich erweitert. Kurzum: Der Moralist hat sein Schlussplädoyer gesprochen, der Erzähler, der mit Die schöne Frau Seidenman und Eine Messe für die Stadt Arras die Glanzstücke seiner Prosa lieferte, hat dabei leider nicht Schritt gehalten.
MARTA KIJOWSKA
ANDRZEJ SZCZYPIORSKI: Feuerspiele. Roman. Aus dem Polnischen von Barbara Schaefer. Diogenes Verlag, Zürich 2000. 363 Seiten, 39,90 Mark.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 16.12.2000Der Coup von Bad Kranach
Bittere Moral: Andrzej Szczypiorskis Roman "Feuerspiele"
Andrzej Szczypiorski starb, zweiundsiebzigjährig, am 16. Mai dieses Jahres. Sein Tod ist nicht nur für die Polen ein großer Verlust, sondern für alle Freunde guter Bücher, auch und besonders für uns Deutsche. Spätestens seit 1988 die Romane "Die schöne Frau Seidenmann" und "Eine Messe für Arras" in deutscher Übersetzung erschienen, wußten wir, was wir an Szczypiorski hatten: einen Autor, der seine Leser durch hohen geistigen Standard ehrte und durch absoluten Mangel an Langeweile erfreute. Hinzu kam, daß dieser Pole, der als Sechzehnjähriger im Warschauer Aufstand kämpfte, danach im Konzentrationslager Sachsenhausen litt, mit den Nachkriegsdeutschen freundlich zu kooperieren gelernt hatte. Er akzeptierte sie als Nachbarn und schätzte sie als Lotsen in eine europäische Zukunft. Zudem wußte er meisterhaft mit der deutschen Sprache umzugehen.
Im Roman "Feuerspiele", dessen polnisches Original 1999 erschien, spricht er zu uns auf gewohnte Weise und zugleich auf neue Art. Vertraut ist uns das Thema, denn es hat ihn sein Leben lang beherrscht: die Schrecknisse, die im zwanzigsten Jahrhundert Menschen einander antaten, auch und vor allem auf dem Boden des vergewaltigten polnischen Landes. Auch in "Feuerspiele" zeigt uns der Autor die inhumanen Muster des Säkulums. Aber diesmal weist er mit einem neuen Gestus auf sie, insofern nämlich, als weder die braune noch die rote Unrechtsherrschaft als Ding an sich erscheinen. Vielmehr sind sie herabgestuft zu zeitgeborenen Ausdrucksformen prinzipieller Unfähigkeit, aus den Konditionen menschlichen Daseins vernünftige Schlüsse zu ziehen. Vernünftig, das hieße, angesichts der irdischen Unvollkommenheiten mit sich und seinesgleichen Erbarmen zu haben. Szczypiorski sagt es nicht expressis verbis, doch aus jedem Satz klingt die Klage, daß der Mensch keinen schlimmeren Feind habe als sich selbst. Seit Adam vom Baum der Erkenntnis aß, weiß er, was zuvor Gott allein wußte. Aber welchen Gebrauch machen Adams Kinder davon?
Ein Roman, der das Rätsel Erdenleben philosophisch zu entschlüsseln trachtet, kann nicht auf übliche Weise aufgebaut sein. "Feuerspiele" ist ein Kaleidoskop, das die handelnden Personen in mannigfachen Situationen zeigt, aus dem Blickwinkel rückt, erneut sichtbar macht und so ein buntes, fesselndes Vielerlei von Szenen erzeugt. Eine Fabel im klassischen Verstande hat das Buch nicht. Oder, so kann man es auch sehen, es hat verwirrend viele Fabeln, die unaufhörlich einander kreuzen, verdeutlichen, bestätigen.
Da gibt es zum Beispiel eine Gruppe scheinbar honetter Leute, aus deren Gesprächen sich eine schäbige Gaunerei entwickelt. Der Exilrusse Fürst Kyrill, der amerikanische Großindustrielle Graham Wilson und der Ungar Dr. Kovàcs wollen im deutschen Kurort Bad Kranach eine Kunstausstellung organisieren, die in Flammen aufgehen soll. Natürlich werden bloß Kopien verbrennen, so daß den Herren die Originale bleiben und eine gewaltige Versicherungssumme anheimfällt. Ferner enthüllen sich zwischen den Herren und einer Menge weiterer Personen allerlei Beziehungen privater, geschäftlicher oder politischer Art oder aller Arten zusammen, einige aktuell, andere halb oder ganz vergessen, manche auch so peinlichen Ursprungs, daß die Betroffenen lieber nicht daran denken. Der Romanautor freilich denkt dauernd daran, er sorgt dafür, daß die Beteiligten einander irgendwo treffen und sich dabei demaskieren, in der Phantasie oder in der Wirklichkeit und am Ende im großen Feuer. So begegnen wir dem Polen Jan, den der Tod seiner Frau zum trübsinnigen Grübler gemacht hat; dessen Freund Edek Laski, der selbst unter deutscher Verfolgung immer die Kurve kriegte; dem Juden Grynszpan, der den deutschen Mördern Bütteldienste leisten mußte und seither nicht weiß, wie er sich zum eigenen Überleben stellen soll; den SS-Mördern Kugler, Ackermann und Halberstamm, die nach dem Krieg zu gewöhnlichen Alltagsmenschen gediehen; dem Russen Semjaschkin, unter Stalin vom Verfolgten zum Verfolger mutiert, in der Nach-Stalin-Ära zum grollenden, relativ gut situierten Pensionär.
Damit ist der Vorrat an Figuren und Schicksalen noch nicht erschöpft. Zuweilen überwältigen die vielen Details, aber das schadet weder dem Lesenden, noch tut es dem Buch Abbruch. Man muß nicht alle Einzelheiten immer säuberlich sortiert am Schnürchen haben. Man muß nur begreifen, für welchen Part der trüben Säkulumsgeschichte welche Person jeweils steht.
Welche Rolle aber spielt im Zeitgemälde der Versicherungsbetrug? Nur die eine, bestimmte Personen mit bestimmten Charakterzügen auszustatten. Der Roman ist keine Kriminalstory, der Betrug eine vergleichsweise lächerliche Verfehlung, rückt man ihn neben das, was die Romanfiguren in politischen Zusammenhängen verbrochen oder erduldet haben. Die Versicherung kommt denn auch gar nicht zum Zuge, und was bloß zu ihrer Ausplünderung inszeniert schien, gerät mit erschütternder Zwangsläufigkeit zur vernichtenden Katastrophe. Das idyllische Bad Kranach wird zur mörderischen Feuerhölle. Scheinbar hatten dort, wie überall auf der Welt, teils gute, teils böse Menschen an ihren jeweiligen privaten Zwecken gebastelt. In Wahrheit aber waltete auch in Bad Kranach das Gesetz, das die Erde verdirbt, seit der Mensch sie beherrscht. Der Mensch - als einziges von allen Geschöpfen hat er die Fähigkeit erworben, den Planeten zu vernichten, auf dem und von dem er lebt. Und offenbar begreift er nicht, daß er seine böse Intelligenz durch Moralgesetze zügeln muß, wenn er weiter existieren will.
Das ist die Botschaft, die von dem Roman ausgeht. Ein Verdammungsurteil? Eher wohl ein Aufschrei. Szczypiorski war nie ein Menschenfeind, er ist es auch in diesem letzten Werk nicht. Selbst die bösesten Schurken im Buch haben menschliche, wenn auch erschreckend aus den Fugen geratene Züge. Und wenn seine Leidenden und Verfolgten zu schwach sind, um gut zu sein, dann weint der Autor tränenlos um sie.
SABINE BRANDT
Andrzej Szczypiorski: "Feuerspiele". Roman. Aus dem Polnischen übersetzt von Barbara Schaefer. Diogenes Verlag, Zürich 2000. 363 S., geb., 39,90 DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Bittere Moral: Andrzej Szczypiorskis Roman "Feuerspiele"
Andrzej Szczypiorski starb, zweiundsiebzigjährig, am 16. Mai dieses Jahres. Sein Tod ist nicht nur für die Polen ein großer Verlust, sondern für alle Freunde guter Bücher, auch und besonders für uns Deutsche. Spätestens seit 1988 die Romane "Die schöne Frau Seidenmann" und "Eine Messe für Arras" in deutscher Übersetzung erschienen, wußten wir, was wir an Szczypiorski hatten: einen Autor, der seine Leser durch hohen geistigen Standard ehrte und durch absoluten Mangel an Langeweile erfreute. Hinzu kam, daß dieser Pole, der als Sechzehnjähriger im Warschauer Aufstand kämpfte, danach im Konzentrationslager Sachsenhausen litt, mit den Nachkriegsdeutschen freundlich zu kooperieren gelernt hatte. Er akzeptierte sie als Nachbarn und schätzte sie als Lotsen in eine europäische Zukunft. Zudem wußte er meisterhaft mit der deutschen Sprache umzugehen.
Im Roman "Feuerspiele", dessen polnisches Original 1999 erschien, spricht er zu uns auf gewohnte Weise und zugleich auf neue Art. Vertraut ist uns das Thema, denn es hat ihn sein Leben lang beherrscht: die Schrecknisse, die im zwanzigsten Jahrhundert Menschen einander antaten, auch und vor allem auf dem Boden des vergewaltigten polnischen Landes. Auch in "Feuerspiele" zeigt uns der Autor die inhumanen Muster des Säkulums. Aber diesmal weist er mit einem neuen Gestus auf sie, insofern nämlich, als weder die braune noch die rote Unrechtsherrschaft als Ding an sich erscheinen. Vielmehr sind sie herabgestuft zu zeitgeborenen Ausdrucksformen prinzipieller Unfähigkeit, aus den Konditionen menschlichen Daseins vernünftige Schlüsse zu ziehen. Vernünftig, das hieße, angesichts der irdischen Unvollkommenheiten mit sich und seinesgleichen Erbarmen zu haben. Szczypiorski sagt es nicht expressis verbis, doch aus jedem Satz klingt die Klage, daß der Mensch keinen schlimmeren Feind habe als sich selbst. Seit Adam vom Baum der Erkenntnis aß, weiß er, was zuvor Gott allein wußte. Aber welchen Gebrauch machen Adams Kinder davon?
Ein Roman, der das Rätsel Erdenleben philosophisch zu entschlüsseln trachtet, kann nicht auf übliche Weise aufgebaut sein. "Feuerspiele" ist ein Kaleidoskop, das die handelnden Personen in mannigfachen Situationen zeigt, aus dem Blickwinkel rückt, erneut sichtbar macht und so ein buntes, fesselndes Vielerlei von Szenen erzeugt. Eine Fabel im klassischen Verstande hat das Buch nicht. Oder, so kann man es auch sehen, es hat verwirrend viele Fabeln, die unaufhörlich einander kreuzen, verdeutlichen, bestätigen.
Da gibt es zum Beispiel eine Gruppe scheinbar honetter Leute, aus deren Gesprächen sich eine schäbige Gaunerei entwickelt. Der Exilrusse Fürst Kyrill, der amerikanische Großindustrielle Graham Wilson und der Ungar Dr. Kovàcs wollen im deutschen Kurort Bad Kranach eine Kunstausstellung organisieren, die in Flammen aufgehen soll. Natürlich werden bloß Kopien verbrennen, so daß den Herren die Originale bleiben und eine gewaltige Versicherungssumme anheimfällt. Ferner enthüllen sich zwischen den Herren und einer Menge weiterer Personen allerlei Beziehungen privater, geschäftlicher oder politischer Art oder aller Arten zusammen, einige aktuell, andere halb oder ganz vergessen, manche auch so peinlichen Ursprungs, daß die Betroffenen lieber nicht daran denken. Der Romanautor freilich denkt dauernd daran, er sorgt dafür, daß die Beteiligten einander irgendwo treffen und sich dabei demaskieren, in der Phantasie oder in der Wirklichkeit und am Ende im großen Feuer. So begegnen wir dem Polen Jan, den der Tod seiner Frau zum trübsinnigen Grübler gemacht hat; dessen Freund Edek Laski, der selbst unter deutscher Verfolgung immer die Kurve kriegte; dem Juden Grynszpan, der den deutschen Mördern Bütteldienste leisten mußte und seither nicht weiß, wie er sich zum eigenen Überleben stellen soll; den SS-Mördern Kugler, Ackermann und Halberstamm, die nach dem Krieg zu gewöhnlichen Alltagsmenschen gediehen; dem Russen Semjaschkin, unter Stalin vom Verfolgten zum Verfolger mutiert, in der Nach-Stalin-Ära zum grollenden, relativ gut situierten Pensionär.
Damit ist der Vorrat an Figuren und Schicksalen noch nicht erschöpft. Zuweilen überwältigen die vielen Details, aber das schadet weder dem Lesenden, noch tut es dem Buch Abbruch. Man muß nicht alle Einzelheiten immer säuberlich sortiert am Schnürchen haben. Man muß nur begreifen, für welchen Part der trüben Säkulumsgeschichte welche Person jeweils steht.
Welche Rolle aber spielt im Zeitgemälde der Versicherungsbetrug? Nur die eine, bestimmte Personen mit bestimmten Charakterzügen auszustatten. Der Roman ist keine Kriminalstory, der Betrug eine vergleichsweise lächerliche Verfehlung, rückt man ihn neben das, was die Romanfiguren in politischen Zusammenhängen verbrochen oder erduldet haben. Die Versicherung kommt denn auch gar nicht zum Zuge, und was bloß zu ihrer Ausplünderung inszeniert schien, gerät mit erschütternder Zwangsläufigkeit zur vernichtenden Katastrophe. Das idyllische Bad Kranach wird zur mörderischen Feuerhölle. Scheinbar hatten dort, wie überall auf der Welt, teils gute, teils böse Menschen an ihren jeweiligen privaten Zwecken gebastelt. In Wahrheit aber waltete auch in Bad Kranach das Gesetz, das die Erde verdirbt, seit der Mensch sie beherrscht. Der Mensch - als einziges von allen Geschöpfen hat er die Fähigkeit erworben, den Planeten zu vernichten, auf dem und von dem er lebt. Und offenbar begreift er nicht, daß er seine böse Intelligenz durch Moralgesetze zügeln muß, wenn er weiter existieren will.
Das ist die Botschaft, die von dem Roman ausgeht. Ein Verdammungsurteil? Eher wohl ein Aufschrei. Szczypiorski war nie ein Menschenfeind, er ist es auch in diesem letzten Werk nicht. Selbst die bösesten Schurken im Buch haben menschliche, wenn auch erschreckend aus den Fugen geratene Züge. Und wenn seine Leidenden und Verfolgten zu schwach sind, um gut zu sein, dann weint der Autor tränenlos um sie.
SABINE BRANDT
Andrzej Szczypiorski: "Feuerspiele". Roman. Aus dem Polnischen übersetzt von Barbara Schaefer. Diogenes Verlag, Zürich 2000. 363 S., geb., 39,90 DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
"Alles ist so wie immer, lesen wir bei Sabine Brandt, und trotzdem sei es Szcypiorskis letztem Buch anders. Vertraut ist ihr der Blick auf die "inhumanen Muster des Säkulums", also auf das, was Menschen einander und besonders "auf dem Boden des vergewaltigen Polens" antaten. Dies spiele auch in den "Feuerspielen" eine Rolle. Neu für die Rezensentin ist aber, dass sowohl Kommunismus als auch Nationalsozialismus nur noch einen prinzipiell schlechten Menschheitszustand beschrieben, aber nicht mehr als "Ding an sich" zum Thema würden. Neu ist wohl auch, dass das Buch "keine Fabel im klassischen Sinn" hat, sondern "verwirrend viele". Diese Fäden verfolgt die Rezensentin ein wenig. Auch, um zu den Figuren zu gelangen, die an diesen Fäden hängen. Ein Exilrusse ist darunter, ein amerikanischer Großindustrieller und ein ungarischer Doktor, die in einem deutschen Kurort aufeinander treffen. Aber irgendwie verschafft die Rezensentin keinen Überblick über das "fesselnde Vielerlei von Szenen", das "Kaleidoskop, das die handelnden Personen in mannigfachen Situationen zeigt". Weil sie ihn selbst nicht hat? Zuweilen "überwältigen die vielen Details" bekennt sie immerhin. Und fügt hinzu: "aber das schadet weder dem Lesenden, noch tut es dem Buch Abbruch". Man müsse bloß begreifen, für welchen Part der "trüben Säkulumsgeschichte" welche Person jeweils stehe. Aber auch hier bleiben die Erläuterungen der Rezensentin ausgesprochen nebulös.
© Perlentaucher Medien GmbH"
© Perlentaucher Medien GmbH"
"Szczypiorski läßt uns die Leselust, er zieht über das Grauen eine Glasur von Humor, er verfremdet die schonungslose historische Lektion mit Ironie, um uns noch einmal all das zu sagen, was wir nicht mehr lesen mögen. Mit seinen fulminanten literarischen Mitteln zwingt er uns zu ertragen, was doch als Roman ein Nichts gegen die Wahrheit ist. Die Stimme des Autors ist von einer Eindringlichkeit, als sei er sicher gewesen, daß er uns nach diesem letzten Buch nichts weiteres mitgeben könnte. Diese Feuerspiele werden noch lange sichtbar bleiben. Obwohl unsere Augen von der Blendung müde werden - wir dürfen sie noch nicht verschließen." (Frankfurter Neue Presse) "Ein Buch, das man lesen muß." (Die Zeit) "Eine verstörende literarische Auseinandersetzung mit dem Holocaust. Ein bestürzender Schwanengesang." (Welt am Sonntag) "Szczypiorski kämpft mit allen Mitteln gegen das Vergessen, das Verharmlosen, das Relativieren der Geschichte, als befürchtete er, die Menschen seien nun, am Ende des Jahrhunderts, endgültig bereit, sich selbst eine Absolution zu erteilen." (Süddeutsche Zeitung)