Warum bewegen sich die Planeten in Ellipsen um die Sonne und nicht in Kreisen? Was Kepler postuliert und Newton bewiesen hatte, das bewies der geniale Physiker und Lehrer Richard Feynman 1964 in einer Anfänger-Vorlesung nochmals mit den einfachen Mitteln der Geometrie. Der Wortlaut dieser legendären Vorlesung war lange Jahre verschollen, bis Judith Goodstein ihn fand und zusammen mit ihrem Mann David rekonstruierte. Feynmans Text und die seinen Beweis illustrierenden Abbildungen stehen im Zentrum dieses Buches, das außerdem einen Beitrag zur Wissenschaftsgeschichte, einen Kommentar zu Feynmans Beweisführung und eine einfühlsame Kurzbiographie des Nobelpreisträgers enthält.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 05.08.1998Kepler mit Newton erklären
Richard Feynman konnte die moderne Mathematik nichts anhaben
Der amerikanische Nobelpreisträger Richard Feynman gehört zu den phantasievollsten und genialsten Physikern des zwanzigsten Jahrhunderts. Als Forscher war er außerordentlich erfolgreich, als Dozent wegen seiner anregenden und fesselnden Vorlesungen bei den Studenten beliebt. Seine in einem dreibändigen Werk veröffentlichten "Vorlesungen über Physik", die er in den akademischen Jahren 1961/62 und 1962/63 am California Institute of Technology gehalten hat, gelten noch heute als Pflichtlektüre für angehende Physiker. Die Edition war seinerzeit von Robert Leighton betreut worden, der von 1970 bis 1975 auch im Vorstand der Fakultät für Physik an diesem kalifornischen Institut gewesen ist. In dessen Unterlagen hat Judith R. Goodstein im Jahr 1992 die unvollständige Mitschrift einer Gastvorlesung über die Bewegung der Planeten um die Sonne gefunden, die Feynman am 13. März 1964 an der Hochschule gehalten hat, außerdem einige wenige Notizen zu dieser Vorlesung in Feynmans Handschrift. Ein Jahr später stieß die Archivarin auf eine Tonbandaufnahme des Vortrags, die der Universität überlassen worden war. Zusammen mit ihrem Ehemann, dem Physiker David L. Goodstein, hat sie daraufhin den Text rekonstruiert.
Die Rekonstruktion erwies sich als außergewöhnlich schwierig, weil Feynman den Studenten in der Gastvorlesung geometrisch beweisen wollte, daß sich die Planeten in Ellipsenbahnen um die Sonne bewegen. Er versuchte damit, Newtons ebenfalls mit den Mitteln der ebenen Geometrie geführten Beweis für die Keplerschen Gesetze in den "Principia" nachzuvollziehen. Dies war für ihn aber nur bis zu einer bestimmten Grenze möglich; denn Newton hatte Eigenschaften von Kegelschnitten benutzt, die Feynman unbekannt waren. Einer einfachen Rekonstruktion der Vorlesung stand entgegen, daß der Physiker einen großen Teil seines Gedankenganges an der Tafel entwickelte. Wenn es in der Tonbandaufzeichnung zum Beispiel hieß: "Nun ziehen wir eine Gerade durch diese beiden Punkte", mußte dies erst einmal in Zeichnungen umgesetzt werden, die nicht mehr existierten.
Herausgekommen ist ein Text, der für die heutige Zeit ungewöhnlich ist. Normalerweise werden die Keplerschen Gesetze nämlich mathematisch bewiesen, was viel einfacher ist. Doch Feynman wollte bei der Herleitung der Planetenbahnen bewußt mit den Newton zur Verfügung stehenden Hilfsmitteln arbeiten. Seinen Studenten erklärte er: "Man überläßt den Beweis, daß es eine Ellipse ist, gewöhnlich dem Mathematikdepartment, damit sie dort etwas haben, was sie mit ihren Differentialgleichungen anfangen können." Da den Studenten heutzutage die Art der Beweisführung Newtons nicht mehr geläufig ist, hat Feynman seinen Zuhörern einige Konzentration abverlangt. Die Autoren haben der zum Verständnis notwendigen Einführung in diesen Beweis deshalb mehr als doppelt soviel Platz reserviert als der Gastvorlesung selbst.
Die Eleganz, mit der Feynman ans Werk gegangen ist, erschließt sich dem Leser erst, wenn er die geometrischen Darstellungen vollkommen verinnerlicht hat. Für den an Wissenschaftsgeschichte Interessierten ist das Buch ein großer Gewinn. Der Text wird im übrigen nur an wenigen Stellen durch die für Feynman typischen Scherze aufgelockert. Zur historischen Einordnung haben die Autoren dem Text einen kurzen Abriß der astronomischen Geschichte bezüglich der Planetenbahnen von Kopernikus bis Newton und eine Biographie Feynmans vorangestellt. GÜNTER PAUL
David L. Goodstein, Judith R. Goodstein: "Feynmans verschollene Vorlesung". Die Bewegung der Planeten um die Sonne. Aus dem Amerikanischen von Anita Ehlers. Piper Verlag, München 1998. 234 S., geb., 39,80 DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Richard Feynman konnte die moderne Mathematik nichts anhaben
Der amerikanische Nobelpreisträger Richard Feynman gehört zu den phantasievollsten und genialsten Physikern des zwanzigsten Jahrhunderts. Als Forscher war er außerordentlich erfolgreich, als Dozent wegen seiner anregenden und fesselnden Vorlesungen bei den Studenten beliebt. Seine in einem dreibändigen Werk veröffentlichten "Vorlesungen über Physik", die er in den akademischen Jahren 1961/62 und 1962/63 am California Institute of Technology gehalten hat, gelten noch heute als Pflichtlektüre für angehende Physiker. Die Edition war seinerzeit von Robert Leighton betreut worden, der von 1970 bis 1975 auch im Vorstand der Fakultät für Physik an diesem kalifornischen Institut gewesen ist. In dessen Unterlagen hat Judith R. Goodstein im Jahr 1992 die unvollständige Mitschrift einer Gastvorlesung über die Bewegung der Planeten um die Sonne gefunden, die Feynman am 13. März 1964 an der Hochschule gehalten hat, außerdem einige wenige Notizen zu dieser Vorlesung in Feynmans Handschrift. Ein Jahr später stieß die Archivarin auf eine Tonbandaufnahme des Vortrags, die der Universität überlassen worden war. Zusammen mit ihrem Ehemann, dem Physiker David L. Goodstein, hat sie daraufhin den Text rekonstruiert.
Die Rekonstruktion erwies sich als außergewöhnlich schwierig, weil Feynman den Studenten in der Gastvorlesung geometrisch beweisen wollte, daß sich die Planeten in Ellipsenbahnen um die Sonne bewegen. Er versuchte damit, Newtons ebenfalls mit den Mitteln der ebenen Geometrie geführten Beweis für die Keplerschen Gesetze in den "Principia" nachzuvollziehen. Dies war für ihn aber nur bis zu einer bestimmten Grenze möglich; denn Newton hatte Eigenschaften von Kegelschnitten benutzt, die Feynman unbekannt waren. Einer einfachen Rekonstruktion der Vorlesung stand entgegen, daß der Physiker einen großen Teil seines Gedankenganges an der Tafel entwickelte. Wenn es in der Tonbandaufzeichnung zum Beispiel hieß: "Nun ziehen wir eine Gerade durch diese beiden Punkte", mußte dies erst einmal in Zeichnungen umgesetzt werden, die nicht mehr existierten.
Herausgekommen ist ein Text, der für die heutige Zeit ungewöhnlich ist. Normalerweise werden die Keplerschen Gesetze nämlich mathematisch bewiesen, was viel einfacher ist. Doch Feynman wollte bei der Herleitung der Planetenbahnen bewußt mit den Newton zur Verfügung stehenden Hilfsmitteln arbeiten. Seinen Studenten erklärte er: "Man überläßt den Beweis, daß es eine Ellipse ist, gewöhnlich dem Mathematikdepartment, damit sie dort etwas haben, was sie mit ihren Differentialgleichungen anfangen können." Da den Studenten heutzutage die Art der Beweisführung Newtons nicht mehr geläufig ist, hat Feynman seinen Zuhörern einige Konzentration abverlangt. Die Autoren haben der zum Verständnis notwendigen Einführung in diesen Beweis deshalb mehr als doppelt soviel Platz reserviert als der Gastvorlesung selbst.
Die Eleganz, mit der Feynman ans Werk gegangen ist, erschließt sich dem Leser erst, wenn er die geometrischen Darstellungen vollkommen verinnerlicht hat. Für den an Wissenschaftsgeschichte Interessierten ist das Buch ein großer Gewinn. Der Text wird im übrigen nur an wenigen Stellen durch die für Feynman typischen Scherze aufgelockert. Zur historischen Einordnung haben die Autoren dem Text einen kurzen Abriß der astronomischen Geschichte bezüglich der Planetenbahnen von Kopernikus bis Newton und eine Biographie Feynmans vorangestellt. GÜNTER PAUL
David L. Goodstein, Judith R. Goodstein: "Feynmans verschollene Vorlesung". Die Bewegung der Planeten um die Sonne. Aus dem Amerikanischen von Anita Ehlers. Piper Verlag, München 1998. 234 S., geb., 39,80 DM.
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