Entwicklung und Zerrüttung des Verhältnisses Sowjetunion-DDR.
König war Botschafter in Moskau von 1987 bis 1990. Er war an den meisten Gesprächen und Begegnungen zwischen den Spitzenpolitikern Moskaus und Berlins beteiligt und erlebte das spannungsreiche Verhältnis von innen. Seine ehemaligen Kollegen Fehlberg und Schünemann, die das nachgelassene 800-Seiten-Manuskript des 2009 verstorbenen Autors redigierten, meinen, dass Königs Erinnerungen "zur Aufklärung von bis heute mitunter umstrittenen Fragen, z.B. der sowjetischen Haltung zum Restitutionsverbot", beitragen.
König war Botschafter in Moskau von 1987 bis 1990. Er war an den meisten Gesprächen und Begegnungen zwischen den Spitzenpolitikern Moskaus und Berlins beteiligt und erlebte das spannungsreiche Verhältnis von innen. Seine ehemaligen Kollegen Fehlberg und Schünemann, die das nachgelassene 800-Seiten-Manuskript des 2009 verstorbenen Autors redigierten, meinen, dass Königs Erinnerungen "zur Aufklärung von bis heute mitunter umstrittenen Fragen, z.B. der sowjetischen Haltung zum Restitutionsverbot", beitragen.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 30.12.2011Maßlos enttäuscht, ideologisch verblendet
Posthume Erinnerungen von Gerd König, dem letzten Botschafter der DDR in Moskau
Gerd König gehörte zu einer Gruppe von zwölf jungen Leuten aus der DDR, die 1953 als Erste zum Studium an das Moskauer Staatliche Institut für Internationale Beziehungen, die noch heute bestehende Kaderschmiede für Diplomaten, geschickt wurden. Sechs Jahre blieb der Sohn eines Bergmanns aus der Niederlausitz dort zur Ausbildung. Es wird niemanden überraschen, dass ihn diese Zeit besonders geprägt hat. Die Sowjetunion, bekennt König in seinen postum erschienenen Erinnerungen, sei für ihn immer ein Vorbild gewesen: "An dieses Land hatte ich stets geglaubt, der Politik seiner Führung vertraut, sie zum größten Teil verteidigt und aktiv daran mitgewirkt, die freundschaftlichen Beziehungen zwischen den Völkern unserer beiden Staaten zu erhalten und zu vertiefen. Und plötzlich brach alles zusammen."
Der Zusammenbruch - das war (nicht nur für ihn) der sich schon abzeichnende Untergang der Sowjetunion, der "Zerfall des sozialistischen Systems", das Verschwinden der DDR von der Landkarte Europas. Die Ironie des Schicksals wollte es, dass er all dies am Ende einer stetigen Karriere im Außenministerium und in der Abteilung Internationale Verbindungen beim ZK der SED aus nächster Nähe miterlebte: Er war vom Januar 1987 bis zum September 1990 der letzte Botschafter der DDR in Moskau. König kannte sich aus in der sozialistischen Welt. Doch in den Erinnerungen, die er bis zu seinem Tod im Herbst 2009 nicht mehr fertigstellen konnte, kommen die dramatischen Ereignisse während seiner zweiten Moskauer Jahre nur am Rande vor. Über Gorbatschows großes Experiment mit der "Perestrojka", den verzweifelten Versuch, das kommunistische System zu modernisieren und zu demokratisieren, um es ins nächste Jahrhundert hinüberzuretten, erfährt der Leser nur wenig. Außer dem Wort "Scheitern" fällt dem Autor dazu kaum etwas ein.
Warum er nicht einfach unbefangen schildert, was er damals erlebt hat, ist offenkundig: Auch nach zwei Jahrzehnten kann sich König mit dem Gang der Geschichte nicht abfinden. Deshalb verengt er den Blick auf den Aspekt, wie durch Gorbatschows Reformen das Verhältnis der Sowjetunion zur DDR, ihrem "engsten Verbündeten und treuesten Freund", getrübt und schließlich untergraben worden sei. Auf mehr als vierhundert Seiten kreisen diese rückwärtsgewandten Betrachtungen, die von den Herausgebern gekürzt und bearbeitet wurden, um die Frage nach "Schuld und Verantwortung für das Ende der DDR".
Man muss dem ehemaligen Diplomaten, der als ZK-Mitglied zugleich Parteifunktionär war, zugestehen, dass er sich die Sache nicht leichtmacht. Er ist um ehrliche Antworten bemüht, und seine sachliche, viele Fakten ausbreitende Darstellung enthält auch eine kleine Dosis Selbstkritik. König hat nach der Vereinigung der beiden deutschen Staaten - "für mich zeitlebens ein verhängnisvoller Tag" - in Moskau Nachforschungen angestellt, alte Kontakte gepflegt, sich Zugang zu Dokumenten verschafft. Mit beträchtlichem Aufwand legt er dar, wann und warum die sowjetische Führung ihre Haltung in der deutschen Frage änderte.
Im November 1989 - gut eine Woche nach dem Fall der Berliner Mauer - fanden in der von Valentin Falin geleiteten Internationalen Abteilung des ZK der KPdSU erste interne Beratungen über die neue Lage statt. Ein Ergebnis dieser Überlegungen sei gewesen, schreibt König, dass die Sowjetunion nationale Interessen in und gegenüber Deutschland zu vertreten habe und diese "nicht zu eng mit dem Sozialismus auf deutschem Boden, also mit der DDR, verbunden werden" dürften.
Am 26. Januar 1990 habe Gorbatschow dann nach einem Gespräch im engsten Kreis das weitere Vorgehen festgelegt. König rekonstruiert dieses Treffen aus Aufzeichnungen von Beteiligten. Gorbatschow wird mit den Worten zitiert: "Nunmehr ist klar, dass die Vereinigung unausweichlich ist, und wir haben nicht das moralische Recht, uns ihr zu widersetzen." Also komme es darauf an, den Prozess möglichst lange hinzuziehen und die eigenen Interessen zu wahren. Dann präzisiert Gorbatschow: "Es gibt keine realen Kräfte in der DDR. Folglich können wir auf den Prozess nur über die BRD Einfluss nehmen."
Dass dann alles doch sehr schnell ging und die Sowjetunion wichtige Forderungen, wie etwa die Neutralität des vereinigten Deutschlands, nicht durchsetzen konnte, führt der Verfasser vor allem auf die "Inkonsequenz und Inkompetenz" Gorbatschows und seines Außenministers Schewardnadse zurück. Sie hätten für die Vereinigung keine klaren Bedingungen gestellt, nicht einmal über eine Verhandlungsstrategie verfügt und die DDR, die in den Beziehungen Moskaus zu den westlichen Staaten nur noch als "Belastung" empfunden wurde, mehr als einmal im Stich gelassen. Darüber ist König "maßlos enttäuscht".
Ausführlich und mit einem gewissen Verständnis schildert er in der ersten Hälfte seines Buches, wie Erich Honecker, der als Generalsekretär "allein zuständig" gewesen sei für die Beziehungen zur KPdSU, die DDR gegen ein Überschwappen der Perestrojka abzuschotten versuchte. Die SED-Führung habe zwar nicht wissen können, "dass die Politik Gorbatschows den Sozialismus und die DDR zerstören würde", schreibt König. Doch zumindest die "älteren Genossen" hätten geahnt, welche Gefahren von Reformen ausgingen. Andererseits hält er Gorbatschow und dessen Mitstreitern in Partei und Regierung vor, manches wäre vielleicht anders gekommen, wenn sie stärkeren Druck auf Honecker ausgeübt hätten. In den Gesprächen, an denen er teilgenommen habe, sei das aber nie der Fall gewesen. Der Autor geht nicht so weit, Honecker und das SED-Politbüro von einer Mitverantwortung für das Verschwinden der DDR freizusprechen. Aber entscheidend sei gewesen, dass ihr durch Gorbatschows Reformen - die "Abwertung des bisherigen Sozialismusbildes" und die Aufforderung, "im Interesse eigener Systemverbesserung vom Klassengegner zu lernen" - die angeblich auf der Überlegenheit des sozialistischen Gesellschaftssystems beruhende Legitimationsgrundlage entzogen worden sei, "auf der sie über Jahrzehnte ihre Existenz neben der kapitalistischen BRD behauptet hatte".
So nähert sich König etwas zögernd der Einsicht, dass seine große Enttäuschung über das "Ende der DDR" mit ideologischer Blindheit zu tun haben könnte: "Erneuerungen oder Korrekturen am Sozialismus hielt ich für möglich, Reformen für dringend erforderlich, aber eine Beseitigung des Sozialismus, noch dazu auf einem friedlichen und gewaltfreien Weg, für absolut unmöglich. Letztlich war es der ,unerschütterliche Glaube an die Unbesiegbarkeit des Sozialismus', der unseren Blick trübte und uns in diese historische Niederlage schlittern ließ."
HORST BACIA
Gerd König: Fiasko eines Bruderbundes. Erinnerungen des letzten DDR-Botschafters in Moskau. Herausgegeben von Karl-Heinz Fehlberg und Manfred Schünemann. Edition Ost im Verlag Das Neue Berlin, Berlin 2011. 464 S., 16,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Posthume Erinnerungen von Gerd König, dem letzten Botschafter der DDR in Moskau
Gerd König gehörte zu einer Gruppe von zwölf jungen Leuten aus der DDR, die 1953 als Erste zum Studium an das Moskauer Staatliche Institut für Internationale Beziehungen, die noch heute bestehende Kaderschmiede für Diplomaten, geschickt wurden. Sechs Jahre blieb der Sohn eines Bergmanns aus der Niederlausitz dort zur Ausbildung. Es wird niemanden überraschen, dass ihn diese Zeit besonders geprägt hat. Die Sowjetunion, bekennt König in seinen postum erschienenen Erinnerungen, sei für ihn immer ein Vorbild gewesen: "An dieses Land hatte ich stets geglaubt, der Politik seiner Führung vertraut, sie zum größten Teil verteidigt und aktiv daran mitgewirkt, die freundschaftlichen Beziehungen zwischen den Völkern unserer beiden Staaten zu erhalten und zu vertiefen. Und plötzlich brach alles zusammen."
Der Zusammenbruch - das war (nicht nur für ihn) der sich schon abzeichnende Untergang der Sowjetunion, der "Zerfall des sozialistischen Systems", das Verschwinden der DDR von der Landkarte Europas. Die Ironie des Schicksals wollte es, dass er all dies am Ende einer stetigen Karriere im Außenministerium und in der Abteilung Internationale Verbindungen beim ZK der SED aus nächster Nähe miterlebte: Er war vom Januar 1987 bis zum September 1990 der letzte Botschafter der DDR in Moskau. König kannte sich aus in der sozialistischen Welt. Doch in den Erinnerungen, die er bis zu seinem Tod im Herbst 2009 nicht mehr fertigstellen konnte, kommen die dramatischen Ereignisse während seiner zweiten Moskauer Jahre nur am Rande vor. Über Gorbatschows großes Experiment mit der "Perestrojka", den verzweifelten Versuch, das kommunistische System zu modernisieren und zu demokratisieren, um es ins nächste Jahrhundert hinüberzuretten, erfährt der Leser nur wenig. Außer dem Wort "Scheitern" fällt dem Autor dazu kaum etwas ein.
Warum er nicht einfach unbefangen schildert, was er damals erlebt hat, ist offenkundig: Auch nach zwei Jahrzehnten kann sich König mit dem Gang der Geschichte nicht abfinden. Deshalb verengt er den Blick auf den Aspekt, wie durch Gorbatschows Reformen das Verhältnis der Sowjetunion zur DDR, ihrem "engsten Verbündeten und treuesten Freund", getrübt und schließlich untergraben worden sei. Auf mehr als vierhundert Seiten kreisen diese rückwärtsgewandten Betrachtungen, die von den Herausgebern gekürzt und bearbeitet wurden, um die Frage nach "Schuld und Verantwortung für das Ende der DDR".
Man muss dem ehemaligen Diplomaten, der als ZK-Mitglied zugleich Parteifunktionär war, zugestehen, dass er sich die Sache nicht leichtmacht. Er ist um ehrliche Antworten bemüht, und seine sachliche, viele Fakten ausbreitende Darstellung enthält auch eine kleine Dosis Selbstkritik. König hat nach der Vereinigung der beiden deutschen Staaten - "für mich zeitlebens ein verhängnisvoller Tag" - in Moskau Nachforschungen angestellt, alte Kontakte gepflegt, sich Zugang zu Dokumenten verschafft. Mit beträchtlichem Aufwand legt er dar, wann und warum die sowjetische Führung ihre Haltung in der deutschen Frage änderte.
Im November 1989 - gut eine Woche nach dem Fall der Berliner Mauer - fanden in der von Valentin Falin geleiteten Internationalen Abteilung des ZK der KPdSU erste interne Beratungen über die neue Lage statt. Ein Ergebnis dieser Überlegungen sei gewesen, schreibt König, dass die Sowjetunion nationale Interessen in und gegenüber Deutschland zu vertreten habe und diese "nicht zu eng mit dem Sozialismus auf deutschem Boden, also mit der DDR, verbunden werden" dürften.
Am 26. Januar 1990 habe Gorbatschow dann nach einem Gespräch im engsten Kreis das weitere Vorgehen festgelegt. König rekonstruiert dieses Treffen aus Aufzeichnungen von Beteiligten. Gorbatschow wird mit den Worten zitiert: "Nunmehr ist klar, dass die Vereinigung unausweichlich ist, und wir haben nicht das moralische Recht, uns ihr zu widersetzen." Also komme es darauf an, den Prozess möglichst lange hinzuziehen und die eigenen Interessen zu wahren. Dann präzisiert Gorbatschow: "Es gibt keine realen Kräfte in der DDR. Folglich können wir auf den Prozess nur über die BRD Einfluss nehmen."
Dass dann alles doch sehr schnell ging und die Sowjetunion wichtige Forderungen, wie etwa die Neutralität des vereinigten Deutschlands, nicht durchsetzen konnte, führt der Verfasser vor allem auf die "Inkonsequenz und Inkompetenz" Gorbatschows und seines Außenministers Schewardnadse zurück. Sie hätten für die Vereinigung keine klaren Bedingungen gestellt, nicht einmal über eine Verhandlungsstrategie verfügt und die DDR, die in den Beziehungen Moskaus zu den westlichen Staaten nur noch als "Belastung" empfunden wurde, mehr als einmal im Stich gelassen. Darüber ist König "maßlos enttäuscht".
Ausführlich und mit einem gewissen Verständnis schildert er in der ersten Hälfte seines Buches, wie Erich Honecker, der als Generalsekretär "allein zuständig" gewesen sei für die Beziehungen zur KPdSU, die DDR gegen ein Überschwappen der Perestrojka abzuschotten versuchte. Die SED-Führung habe zwar nicht wissen können, "dass die Politik Gorbatschows den Sozialismus und die DDR zerstören würde", schreibt König. Doch zumindest die "älteren Genossen" hätten geahnt, welche Gefahren von Reformen ausgingen. Andererseits hält er Gorbatschow und dessen Mitstreitern in Partei und Regierung vor, manches wäre vielleicht anders gekommen, wenn sie stärkeren Druck auf Honecker ausgeübt hätten. In den Gesprächen, an denen er teilgenommen habe, sei das aber nie der Fall gewesen. Der Autor geht nicht so weit, Honecker und das SED-Politbüro von einer Mitverantwortung für das Verschwinden der DDR freizusprechen. Aber entscheidend sei gewesen, dass ihr durch Gorbatschows Reformen - die "Abwertung des bisherigen Sozialismusbildes" und die Aufforderung, "im Interesse eigener Systemverbesserung vom Klassengegner zu lernen" - die angeblich auf der Überlegenheit des sozialistischen Gesellschaftssystems beruhende Legitimationsgrundlage entzogen worden sei, "auf der sie über Jahrzehnte ihre Existenz neben der kapitalistischen BRD behauptet hatte".
So nähert sich König etwas zögernd der Einsicht, dass seine große Enttäuschung über das "Ende der DDR" mit ideologischer Blindheit zu tun haben könnte: "Erneuerungen oder Korrekturen am Sozialismus hielt ich für möglich, Reformen für dringend erforderlich, aber eine Beseitigung des Sozialismus, noch dazu auf einem friedlichen und gewaltfreien Weg, für absolut unmöglich. Letztlich war es der ,unerschütterliche Glaube an die Unbesiegbarkeit des Sozialismus', der unseren Blick trübte und uns in diese historische Niederlage schlittern ließ."
HORST BACIA
Gerd König: Fiasko eines Bruderbundes. Erinnerungen des letzten DDR-Botschafters in Moskau. Herausgegeben von Karl-Heinz Fehlberg und Manfred Schünemann. Edition Ost im Verlag Das Neue Berlin, Berlin 2011. 464 S., 16,95 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Gerd König war der letzte Botschafter der DDR, in seinem Buch "Fiasko eines Bruderbundes" untersucht er lang und breit, wer am Ende der DDR die Schuld trägt und wie Gorbatschows Reformen zum Zusammenbruch des kommunistischen Systems führten. Rezensent Horst Bacia zeigt sich tatsächlich enttäuscht, dass er hier keinen spannenden Bericht über die letzten Tage der Sowjetunion gelesen hat, sondern die rückwärtsgewandte Klage eines Apparatschiks, der die Inkompetenz eines Gorbatschows geißelt. Besonders übel nimmt König ihm offenbar, dass er die DDR-Führung für total unwichtig gehalten und sie deshalb auch sehr schnell fallen gelassen hat.
© Perlentaucher Medien GmbH
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