Daunted by the dark secrets of the tormented young entrepreneur Christian Grey, Ana Steele has broken off their relationship to start a new career with a US publishing house. But desire for Grey still dominates her every waking thought, and when he proposes a new arrangement, she cannot resist.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 13.11.2012Eine literarische Magersuchttherapie
Die Trilogie der "Fifty Shades" rettet in diesem Jahr die Absatzzahlen des deutschen Buchhandels. Aber was begeistert Millionen Leserinnen jeden Alters an diesem sexuellen Machtspiel?
Jetzt, da der Siegeszug von E. L. James' "Fifty Shades of Grey" mit dem abschließenden dritten Band in die Endrunde gegangen ist, sind alle kritischen Reflexe erlahmt. Gegen einen Verkaufserfolg von mehr als dreißig Millionen Exemplaren weltweit scheinen auch politisch wie ästhetisch argumentierende Kommentatorinnen nicht mehr antreten zu wollen. Die Frage, ob der Erfolg der Trilogie wirklich nur auf der latenten Unterwerfungslust scheinbar emanzipierter Frauen beruht und ihre Bereitschaft demonstriert, literarische Qualitätskriterien über Bord zu werfen, bleibt weiterhin ungeklärt.
Um von der These abzurücken, dass die Geschichte von Anastasia Steele und Christian Grey vor allem durch transgressiven Sex fasziniert, muss man ihre Wirrungen und Irrungen nicht bis ans Ende eines Plots verfolgen, in dem sich kosmische Orgasmen mit jener beruhigenden Regelmäßigkeit ereignen, mit der Commissario Brunettis Ehefrau in Donna Leons Venedig-Krimis ihren ermittelnden Gatten kulinarisch bei Laune hält. Massenwirksam wird die Trilogie vielmehr dadurch, dass sie auf geschickte Weise an jene Sphäre geschlechtertypischer gesellschaftlicher Kommunikation anschließt, in der kosmetische und therapeutische Angebote so zugeschnitten werden, dass das Ideal der Selbstoptimierung ein unabschließbares und daher dauerhaft lukratives Projekt bleibt. "Fifty Shades of Grey" macht Leserinnen, die ihre Leben erfolgreich mit den Endlosschleifen von Diät-, Beziehungs- und Karriereberatung synchronisiert haben, ein dramaturgisch geschickt aufbereitetes Angebot.
Der Held ist auf ansehnliche Weise nachhaltig beschädigt.
Im Zentrum dieses Angebots steht ein Held, der nicht allein nach frisch gebügelter Wäsche und teurem Duschgel duftet, sondern auch doppelt traumatisiert ist: Christian Grey verkörpert eine populäre Frauenphantasie, weil er auf ansehnliche Weise nachhaltig beschädigt ist. Die Mission seiner Rettung ist das heroische Erzählziel der Trilogie; es gilt, den kontrollsüchtigen Unternehmer in postkoitalen talking cures mit jenem empfindsamen Jungen zu versöhnen, der einst von seiner cracksüchtigen Mutter aufgegeben und von einer mittelalten Nachbarin verführt wurde. Damit dieses Ziel erreicht werden kann, lässt die Autorin beide Hauptfiguren populärtherapeutisch so versiert zu Werke gehen, als hätten sie die Probleme von Christians "Prägephase" bereits auf Oprah Winfreys Studiocouch erörtert.
Anastasia betreibt als Ich-Erzählerin ein Selbstgespräch, in dem sie an Freuds Instanzen erinnernde Autoritäten wie ihr "Unterbewusstsein" und ihre "innere Göttin" zu einer munteren Beziehungskommunikation versammelt, an der bei Bedarf auch ihre beste Freundin beteiligt werden kann. Christian qualifiziert sich ebenfalls durch seine Kommunikationswilligkeit. Er rüstet Anastasia mit Laptop, Blackberry und iPod aus und schreibt stilbewusste and anspielungsreiche E-Mails - nur folgerichtig also, dass seine erste elektronische Nachricht eine nahezu orgiastische Wirkung auf die junge Novizin der digitalen Kommunikation ausübt.
Während Anastasias Selbstgespräche und der Nachrichtenverkehr zwischen Held und Heldin ein medientechnisch aktualisiertes Echo auf Samuel Richardsons Brief- und Tagebuchromane darstellen, bietet der Vertrag, den die Liebenden im ersten Band abschließen, eine modernisierte Variante des Beziehungskontrakts. Die Soziologin Eva Illouz hat bereits in einer frühen Reaktion auf "Fifty Shades of Grey" darauf hingewiesen, dass im Vertrag der scheinbar so ungleichen Liebespartner nicht allein Dominanz und Unterwerfung festgeschrieben werden, sondern auch ein Modell zur Reduktion der Komplexität zeitgenössischer Beziehungen angeboten wird: Wo Männer wie Frauen mit der anstrengenden Freiheit vieler Optionen umgehen müssen, kann ein das Intimleben organisierendes Regelwerk durchaus Entlastung versprechen.
Der Vertrag, den E. L. James zwischen ihren Hauptfiguren stiftet, setzt in die Tat um, was sich in der Beziehungsberatung längst an kontraktförmigen Lösungsangeboten etabliert hat: Wenn ein Paar dem verbreiteten Ideal huldigt, einander immer wieder erotisch neu zu erfinden, empfiehlt es sich, neben Haushaltspflichten auch sexuelle Vorlieben kommunikativ auszuhandeln. Anastasia und Christian erweitern dieses Mantra auf aufschlussreiche Weise: Liest man das im ersten Teil der Trilogie gleich zweimal verhandelte Regelwerk, so scheint der dominante Mr Grey jene Rolle zu übernehmen, die im Genre der Model-Show der überwachenden und strafenden Heidi Klum zugedacht ist: Er bestimmt nicht allein, wie Anastasia ihm Lust verschaffen darf, sondern kontrolliert auch ihre Körperpflege, Kleiderwahl, Leibesertüchtigung und Ernährungspraxis.
Die Vereinbarung legt zudem die Grundlage für ein Heilungsversprechen auf Gegenseitigkeit. Die mehrfachen Nachverhandlungen lassen nämlich nicht allein Anastasias wachsende Macht erkennen, den traumatisierten Tyrannen zu reformieren. Sie offenbaren auch den Punkt, an dem sie selbst auf Hilfe angewiesen ist: Als Christian darauf beharrt, einen Diätplan zu vereinbaren, benennt Anastasia diesen Punkt als Vertragsverstoß und setzt sich mit ihrer Forderung durch, auch weiterhin nur zu essen, wie sie will. Dass sich dahinter vor allem das Recht verbirgt, möglichst wenig zu essen, zeigt sich bei all jenen Treffen, bei denen ihr schwindendes Körpergewicht thematisiert und der Wunsch nach Sex erst nach einer anständigen Mahlzeit erfüllt wird.
Vorbild ist Mister Darcy im nassen T-Shirt als ikonischer Pin-up.
Christian Grey lehrt Anastasia somit nicht nur einen luxuriösen Lebensstil, sondern kuriert sie auch - wenn er nicht gerade damit beschäftigt ist, Hungerkatastrophen in den Entwicklungsländern zu bekämpfen - von einer Essstörung, die in den ersten beiden Teilen der Trilogie keineswegs nur latent präsent ist. Diese Entwicklung erweitert die Identifikationsangebote der Trilogie um eine Form der Wunscherfüllung, die ein weiteres therapeutisches Erzählziel gerade auch für junge Leserinnen erkennen lässt, die aus Scheidungsfamilien stammen, ihre sexuelle Identität noch suchen und mit Essstörungen kämpfen: Anastasias Aufstieg vom tollpatschigen weiblichen nerd zur strahlend gepflegten Cheflektorin, Ehefrau und Mutter mit eigener funktionierender Kernfamilie wird nicht nur von zwei glücklichen Patchwork-Familien unterstützt, sondern gelingt ohne ständig kontrollierte Nahrungsaufnahme.
"Fifty Shades of Grey" fasziniert aber offenkundig nicht allein junge, sondern auch ältere Leserinnen, und dies auch, weil es E. L. James gelingt, verschiedene populäre Erzähl-Universen miteinander zu verknüpfen. Es war viel die Rede davon, wie die Trilogie, entstanden aus der fan fiction zu zeitgenössischen Vampirserien, das in diesen spannungsförderlich aufgeschobene sexuelle Versprechen einlöst und zugleich auf Dauer stellt, indem die Autorin mit pornographischen Elementen ausgiebig kokettiert, ohne je den entscheidenden Schritt über die Grenze zu wagen. Weniger wurde diskutiert, dass die Trilogie auch Elemente aus dem Kosmos der populären Rezeption Jane Austens aufgreift und fortschreibt.
Klar erkennbar ist, wie die Figur des Christian Grey aus einer langen Ahnenreihe von "brooding heroes" entwickelt wurde, wie sie auch schon Romane wie "Stolz und Vorurteil" bevölkern. Noch näher steht Grey der durch Colin Firth in der beliebten BBC-Verfilmung verkörperten Figur des Mister Darcy, der durch sein im Originaltext keineswegs erzähltes Bad im Teich zum ikonischen Pin-up der zeitgenössischen Austen-Konsumentin avancieren konnte. Über Firths Darcy ergibt sich wiederum eine Verbindung zu den "Bridget Jones"-Romanen und -Filmen, in denen die vergeblich hungernde Heldin ebenfalls auf die Spur Jane Austens gesetzt wird, um den attraktiv verstockten und ebenfalls von Colin Firth gespielten Helden aus der Reserve zu locken.
Anastasias Liebe zur englischen Literatur des achtzehnten und neunzehnten Jahrhunderts verleiht der amerikanischen Heldin zwar einen Hang zu britischen Manierismen, die manche Leserin als unrealistisch empfunden hat. Sowohl Mr Grey als auch die Autorin haben aber gute Gründe, Anastasias literarische Vorlieben zum Beispiel durch eine App für die British Library zu unterstützen, denn im transatlantischen Kräftefeld, das auch die Fan-Imperien von Vampirgeschichten und Austen-Anhängerinnen durchzieht, lassen sich mit "Englishness" weiterhin Lust- und Distinktionsgewinne erzielen.
Es überrascht daher auch nicht, dass E. L. James in "Fifty Shades of Grey" noch eine weitere Spur in den englischen Kanon legt, um ihr Erzählprojekt in einem literarischen Traditionszusammenhang zu verankern. Kurz bevor das happy ending zuschlägt, bereitet der geläuterte Mr Grey ein Picknick für seine junge Frau, die einst zu viel las und zu wenig aß. Hatte er ihr zu Beginn ihrer Affäre eine Originalausgabe von Thomas Hardys "Tess of the D'Urbervilles" geschenkt, so schiebt er ihr nun jene Erdbeeren in ihren bereitwillig geöffneten Mund, die Hardys junge Heldin in einer Schlüsselszene des älteren Romans nur widerstrebend geschluckt hatte. Mit diesem intertextuell nobilitierten Therapieerfolg gelangt allerdings auch die Trilogie an einen Punkt, an dem vor lauter Glück nichts mehr zu erzählen ist.
E.L. James hat aber selbst für dieses Dilemma eine ökonomisch vielversprechende Lösung gefunden: Sie beendet die Trilogie, indem sie den Anfang aus der Perspektive des Helden erzählen lässt. Auch die von Amazon-Rezensentinnen begeistert geforderte Fortsetzung wird wohl nur wenig männliche Leser finden. Aber sie wird Frauen wieder die Macht zuschreiben, Männer dazu verführen zu können, endlich reden zu wollen.
JULIKA GRIEM.
Die Verfasserin lehrt englische Literaturwissenschaft in Frankfurt am Main.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Die Trilogie der "Fifty Shades" rettet in diesem Jahr die Absatzzahlen des deutschen Buchhandels. Aber was begeistert Millionen Leserinnen jeden Alters an diesem sexuellen Machtspiel?
Jetzt, da der Siegeszug von E. L. James' "Fifty Shades of Grey" mit dem abschließenden dritten Band in die Endrunde gegangen ist, sind alle kritischen Reflexe erlahmt. Gegen einen Verkaufserfolg von mehr als dreißig Millionen Exemplaren weltweit scheinen auch politisch wie ästhetisch argumentierende Kommentatorinnen nicht mehr antreten zu wollen. Die Frage, ob der Erfolg der Trilogie wirklich nur auf der latenten Unterwerfungslust scheinbar emanzipierter Frauen beruht und ihre Bereitschaft demonstriert, literarische Qualitätskriterien über Bord zu werfen, bleibt weiterhin ungeklärt.
Um von der These abzurücken, dass die Geschichte von Anastasia Steele und Christian Grey vor allem durch transgressiven Sex fasziniert, muss man ihre Wirrungen und Irrungen nicht bis ans Ende eines Plots verfolgen, in dem sich kosmische Orgasmen mit jener beruhigenden Regelmäßigkeit ereignen, mit der Commissario Brunettis Ehefrau in Donna Leons Venedig-Krimis ihren ermittelnden Gatten kulinarisch bei Laune hält. Massenwirksam wird die Trilogie vielmehr dadurch, dass sie auf geschickte Weise an jene Sphäre geschlechtertypischer gesellschaftlicher Kommunikation anschließt, in der kosmetische und therapeutische Angebote so zugeschnitten werden, dass das Ideal der Selbstoptimierung ein unabschließbares und daher dauerhaft lukratives Projekt bleibt. "Fifty Shades of Grey" macht Leserinnen, die ihre Leben erfolgreich mit den Endlosschleifen von Diät-, Beziehungs- und Karriereberatung synchronisiert haben, ein dramaturgisch geschickt aufbereitetes Angebot.
Der Held ist auf ansehnliche Weise nachhaltig beschädigt.
Im Zentrum dieses Angebots steht ein Held, der nicht allein nach frisch gebügelter Wäsche und teurem Duschgel duftet, sondern auch doppelt traumatisiert ist: Christian Grey verkörpert eine populäre Frauenphantasie, weil er auf ansehnliche Weise nachhaltig beschädigt ist. Die Mission seiner Rettung ist das heroische Erzählziel der Trilogie; es gilt, den kontrollsüchtigen Unternehmer in postkoitalen talking cures mit jenem empfindsamen Jungen zu versöhnen, der einst von seiner cracksüchtigen Mutter aufgegeben und von einer mittelalten Nachbarin verführt wurde. Damit dieses Ziel erreicht werden kann, lässt die Autorin beide Hauptfiguren populärtherapeutisch so versiert zu Werke gehen, als hätten sie die Probleme von Christians "Prägephase" bereits auf Oprah Winfreys Studiocouch erörtert.
Anastasia betreibt als Ich-Erzählerin ein Selbstgespräch, in dem sie an Freuds Instanzen erinnernde Autoritäten wie ihr "Unterbewusstsein" und ihre "innere Göttin" zu einer munteren Beziehungskommunikation versammelt, an der bei Bedarf auch ihre beste Freundin beteiligt werden kann. Christian qualifiziert sich ebenfalls durch seine Kommunikationswilligkeit. Er rüstet Anastasia mit Laptop, Blackberry und iPod aus und schreibt stilbewusste and anspielungsreiche E-Mails - nur folgerichtig also, dass seine erste elektronische Nachricht eine nahezu orgiastische Wirkung auf die junge Novizin der digitalen Kommunikation ausübt.
Während Anastasias Selbstgespräche und der Nachrichtenverkehr zwischen Held und Heldin ein medientechnisch aktualisiertes Echo auf Samuel Richardsons Brief- und Tagebuchromane darstellen, bietet der Vertrag, den die Liebenden im ersten Band abschließen, eine modernisierte Variante des Beziehungskontrakts. Die Soziologin Eva Illouz hat bereits in einer frühen Reaktion auf "Fifty Shades of Grey" darauf hingewiesen, dass im Vertrag der scheinbar so ungleichen Liebespartner nicht allein Dominanz und Unterwerfung festgeschrieben werden, sondern auch ein Modell zur Reduktion der Komplexität zeitgenössischer Beziehungen angeboten wird: Wo Männer wie Frauen mit der anstrengenden Freiheit vieler Optionen umgehen müssen, kann ein das Intimleben organisierendes Regelwerk durchaus Entlastung versprechen.
Der Vertrag, den E. L. James zwischen ihren Hauptfiguren stiftet, setzt in die Tat um, was sich in der Beziehungsberatung längst an kontraktförmigen Lösungsangeboten etabliert hat: Wenn ein Paar dem verbreiteten Ideal huldigt, einander immer wieder erotisch neu zu erfinden, empfiehlt es sich, neben Haushaltspflichten auch sexuelle Vorlieben kommunikativ auszuhandeln. Anastasia und Christian erweitern dieses Mantra auf aufschlussreiche Weise: Liest man das im ersten Teil der Trilogie gleich zweimal verhandelte Regelwerk, so scheint der dominante Mr Grey jene Rolle zu übernehmen, die im Genre der Model-Show der überwachenden und strafenden Heidi Klum zugedacht ist: Er bestimmt nicht allein, wie Anastasia ihm Lust verschaffen darf, sondern kontrolliert auch ihre Körperpflege, Kleiderwahl, Leibesertüchtigung und Ernährungspraxis.
Die Vereinbarung legt zudem die Grundlage für ein Heilungsversprechen auf Gegenseitigkeit. Die mehrfachen Nachverhandlungen lassen nämlich nicht allein Anastasias wachsende Macht erkennen, den traumatisierten Tyrannen zu reformieren. Sie offenbaren auch den Punkt, an dem sie selbst auf Hilfe angewiesen ist: Als Christian darauf beharrt, einen Diätplan zu vereinbaren, benennt Anastasia diesen Punkt als Vertragsverstoß und setzt sich mit ihrer Forderung durch, auch weiterhin nur zu essen, wie sie will. Dass sich dahinter vor allem das Recht verbirgt, möglichst wenig zu essen, zeigt sich bei all jenen Treffen, bei denen ihr schwindendes Körpergewicht thematisiert und der Wunsch nach Sex erst nach einer anständigen Mahlzeit erfüllt wird.
Vorbild ist Mister Darcy im nassen T-Shirt als ikonischer Pin-up.
Christian Grey lehrt Anastasia somit nicht nur einen luxuriösen Lebensstil, sondern kuriert sie auch - wenn er nicht gerade damit beschäftigt ist, Hungerkatastrophen in den Entwicklungsländern zu bekämpfen - von einer Essstörung, die in den ersten beiden Teilen der Trilogie keineswegs nur latent präsent ist. Diese Entwicklung erweitert die Identifikationsangebote der Trilogie um eine Form der Wunscherfüllung, die ein weiteres therapeutisches Erzählziel gerade auch für junge Leserinnen erkennen lässt, die aus Scheidungsfamilien stammen, ihre sexuelle Identität noch suchen und mit Essstörungen kämpfen: Anastasias Aufstieg vom tollpatschigen weiblichen nerd zur strahlend gepflegten Cheflektorin, Ehefrau und Mutter mit eigener funktionierender Kernfamilie wird nicht nur von zwei glücklichen Patchwork-Familien unterstützt, sondern gelingt ohne ständig kontrollierte Nahrungsaufnahme.
"Fifty Shades of Grey" fasziniert aber offenkundig nicht allein junge, sondern auch ältere Leserinnen, und dies auch, weil es E. L. James gelingt, verschiedene populäre Erzähl-Universen miteinander zu verknüpfen. Es war viel die Rede davon, wie die Trilogie, entstanden aus der fan fiction zu zeitgenössischen Vampirserien, das in diesen spannungsförderlich aufgeschobene sexuelle Versprechen einlöst und zugleich auf Dauer stellt, indem die Autorin mit pornographischen Elementen ausgiebig kokettiert, ohne je den entscheidenden Schritt über die Grenze zu wagen. Weniger wurde diskutiert, dass die Trilogie auch Elemente aus dem Kosmos der populären Rezeption Jane Austens aufgreift und fortschreibt.
Klar erkennbar ist, wie die Figur des Christian Grey aus einer langen Ahnenreihe von "brooding heroes" entwickelt wurde, wie sie auch schon Romane wie "Stolz und Vorurteil" bevölkern. Noch näher steht Grey der durch Colin Firth in der beliebten BBC-Verfilmung verkörperten Figur des Mister Darcy, der durch sein im Originaltext keineswegs erzähltes Bad im Teich zum ikonischen Pin-up der zeitgenössischen Austen-Konsumentin avancieren konnte. Über Firths Darcy ergibt sich wiederum eine Verbindung zu den "Bridget Jones"-Romanen und -Filmen, in denen die vergeblich hungernde Heldin ebenfalls auf die Spur Jane Austens gesetzt wird, um den attraktiv verstockten und ebenfalls von Colin Firth gespielten Helden aus der Reserve zu locken.
Anastasias Liebe zur englischen Literatur des achtzehnten und neunzehnten Jahrhunderts verleiht der amerikanischen Heldin zwar einen Hang zu britischen Manierismen, die manche Leserin als unrealistisch empfunden hat. Sowohl Mr Grey als auch die Autorin haben aber gute Gründe, Anastasias literarische Vorlieben zum Beispiel durch eine App für die British Library zu unterstützen, denn im transatlantischen Kräftefeld, das auch die Fan-Imperien von Vampirgeschichten und Austen-Anhängerinnen durchzieht, lassen sich mit "Englishness" weiterhin Lust- und Distinktionsgewinne erzielen.
Es überrascht daher auch nicht, dass E. L. James in "Fifty Shades of Grey" noch eine weitere Spur in den englischen Kanon legt, um ihr Erzählprojekt in einem literarischen Traditionszusammenhang zu verankern. Kurz bevor das happy ending zuschlägt, bereitet der geläuterte Mr Grey ein Picknick für seine junge Frau, die einst zu viel las und zu wenig aß. Hatte er ihr zu Beginn ihrer Affäre eine Originalausgabe von Thomas Hardys "Tess of the D'Urbervilles" geschenkt, so schiebt er ihr nun jene Erdbeeren in ihren bereitwillig geöffneten Mund, die Hardys junge Heldin in einer Schlüsselszene des älteren Romans nur widerstrebend geschluckt hatte. Mit diesem intertextuell nobilitierten Therapieerfolg gelangt allerdings auch die Trilogie an einen Punkt, an dem vor lauter Glück nichts mehr zu erzählen ist.
E.L. James hat aber selbst für dieses Dilemma eine ökonomisch vielversprechende Lösung gefunden: Sie beendet die Trilogie, indem sie den Anfang aus der Perspektive des Helden erzählen lässt. Auch die von Amazon-Rezensentinnen begeistert geforderte Fortsetzung wird wohl nur wenig männliche Leser finden. Aber sie wird Frauen wieder die Macht zuschreiben, Männer dazu verführen zu können, endlich reden zu wollen.
JULIKA GRIEM.
Die Verfasserin lehrt englische Literaturwissenschaft in Frankfurt am Main.
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