When Ana Steele first encountered the driven, damaged entrepreneur Christian Grey, it sparked a sensual affair that changed both their lives irrevocably. Ana always knew that loving her Fifty Shades would not be easy, and being together poses challenges neither of them had anticipated.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 13.11.2012Eine literarische Magersuchttherapie
Die Trilogie der "Fifty Shades" rettet in diesem Jahr die Absatzzahlen des deutschen Buchhandels. Aber was begeistert Millionen Leserinnen jeden Alters an diesem sexuellen Machtspiel?
Jetzt, da der Siegeszug von E. L. James' "Fifty Shades of Grey" mit dem abschließenden dritten Band in die Endrunde gegangen ist, sind alle kritischen Reflexe erlahmt. Gegen einen Verkaufserfolg von mehr als dreißig Millionen Exemplaren weltweit scheinen auch politisch wie ästhetisch argumentierende Kommentatorinnen nicht mehr antreten zu wollen. Die Frage, ob der Erfolg der Trilogie wirklich nur auf der latenten Unterwerfungslust scheinbar emanzipierter Frauen beruht und ihre Bereitschaft demonstriert, literarische Qualitätskriterien über Bord zu werfen, bleibt weiterhin ungeklärt.
Um von der These abzurücken, dass die Geschichte von Anastasia Steele und Christian Grey vor allem durch transgressiven Sex fasziniert, muss man ihre Wirrungen und Irrungen nicht bis ans Ende eines Plots verfolgen, in dem sich kosmische Orgasmen mit jener beruhigenden Regelmäßigkeit ereignen, mit der Commissario Brunettis Ehefrau in Donna Leons Venedig-Krimis ihren ermittelnden Gatten kulinarisch bei Laune hält. Massenwirksam wird die Trilogie vielmehr dadurch, dass sie auf geschickte Weise an jene Sphäre geschlechtertypischer gesellschaftlicher Kommunikation anschließt, in der kosmetische und therapeutische Angebote so zugeschnitten werden, dass das Ideal der Selbstoptimierung ein unabschließbares und daher dauerhaft lukratives Projekt bleibt. "Fifty Shades of Grey" macht Leserinnen, die ihre Leben erfolgreich mit den Endlosschleifen von Diät-, Beziehungs- und Karriereberatung synchronisiert haben, ein dramaturgisch geschickt aufbereitetes Angebot.
Der Held ist auf ansehnliche Weise nachhaltig beschädigt.
Im Zentrum dieses Angebots steht ein Held, der nicht allein nach frisch gebügelter Wäsche und teurem Duschgel duftet, sondern auch doppelt traumatisiert ist: Christian Grey verkörpert eine populäre Frauenphantasie, weil er auf ansehnliche Weise nachhaltig beschädigt ist. Die Mission seiner Rettung ist das heroische Erzählziel der Trilogie; es gilt, den kontrollsüchtigen Unternehmer in postkoitalen talking cures mit jenem empfindsamen Jungen zu versöhnen, der einst von seiner cracksüchtigen Mutter aufgegeben und von einer mittelalten Nachbarin verführt wurde. Damit dieses Ziel erreicht werden kann, lässt die Autorin beide Hauptfiguren populärtherapeutisch so versiert zu Werke gehen, als hätten sie die Probleme von Christians "Prägephase" bereits auf Oprah Winfreys Studiocouch erörtert.
Anastasia betreibt als Ich-Erzählerin ein Selbstgespräch, in dem sie an Freuds Instanzen erinnernde Autoritäten wie ihr "Unterbewusstsein" und ihre "innere Göttin" zu einer munteren Beziehungskommunikation versammelt, an der bei Bedarf auch ihre beste Freundin beteiligt werden kann. Christian qualifiziert sich ebenfalls durch seine Kommunikationswilligkeit. Er rüstet Anastasia mit Laptop, Blackberry und iPod aus und schreibt stilbewusste and anspielungsreiche E-Mails - nur folgerichtig also, dass seine erste elektronische Nachricht eine nahezu orgiastische Wirkung auf die junge Novizin der digitalen Kommunikation ausübt.
Während Anastasias Selbstgespräche und der Nachrichtenverkehr zwischen Held und Heldin ein medientechnisch aktualisiertes Echo auf Samuel Richardsons Brief- und Tagebuchromane darstellen, bietet der Vertrag, den die Liebenden im ersten Band abschließen, eine modernisierte Variante des Beziehungskontrakts. Die Soziologin Eva Illouz hat bereits in einer frühen Reaktion auf "Fifty Shades of Grey" darauf hingewiesen, dass im Vertrag der scheinbar so ungleichen Liebespartner nicht allein Dominanz und Unterwerfung festgeschrieben werden, sondern auch ein Modell zur Reduktion der Komplexität zeitgenössischer Beziehungen angeboten wird: Wo Männer wie Frauen mit der anstrengenden Freiheit vieler Optionen umgehen müssen, kann ein das Intimleben organisierendes Regelwerk durchaus Entlastung versprechen.
Der Vertrag, den E. L. James zwischen ihren Hauptfiguren stiftet, setzt in die Tat um, was sich in der Beziehungsberatung längst an kontraktförmigen Lösungsangeboten etabliert hat: Wenn ein Paar dem verbreiteten Ideal huldigt, einander immer wieder erotisch neu zu erfinden, empfiehlt es sich, neben Haushaltspflichten auch sexuelle Vorlieben kommunikativ auszuhandeln. Anastasia und Christian erweitern dieses Mantra auf aufschlussreiche Weise: Liest man das im ersten Teil der Trilogie gleich zweimal verhandelte Regelwerk, so scheint der dominante Mr Grey jene Rolle zu übernehmen, die im Genre der Model-Show der überwachenden und strafenden Heidi Klum zugedacht ist: Er bestimmt nicht allein, wie Anastasia ihm Lust verschaffen darf, sondern kontrolliert auch ihre Körperpflege, Kleiderwahl, Leibesertüchtigung und Ernährungspraxis.
Die Vereinbarung legt zudem die Grundlage für ein Heilungsversprechen auf Gegenseitigkeit. Die mehrfachen Nachverhandlungen lassen nämlich nicht allein Anastasias wachsende Macht erkennen, den traumatisierten Tyrannen zu reformieren. Sie offenbaren auch den Punkt, an dem sie selbst auf Hilfe angewiesen ist: Als Christian darauf beharrt, einen Diätplan zu vereinbaren, benennt Anastasia diesen Punkt als Vertragsverstoß und setzt sich mit ihrer Forderung durch, auch weiterhin nur zu essen, wie sie will. Dass sich dahinter vor allem das Recht verbirgt, möglichst wenig zu essen, zeigt sich bei all jenen Treffen, bei denen ihr schwindendes Körpergewicht thematisiert und der Wunsch nach Sex erst nach einer anständigen Mahlzeit erfüllt wird.
Vorbild ist Mister Darcy im nassen T-Shirt als ikonischer Pin-up.
Christian Grey lehrt Anastasia somit nicht nur einen luxuriösen Lebensstil, sondern kuriert sie auch - wenn er nicht gerade damit beschäftigt ist, Hungerkatastrophen in den Entwicklungsländern zu bekämpfen - von einer Essstörung, die in den ersten beiden Teilen der Trilogie keineswegs nur latent präsent ist. Diese Entwicklung erweitert die Identifikationsangebote der Trilogie um eine Form der Wunscherfüllung, die ein weiteres therapeutisches Erzählziel gerade auch für junge Leserinnen erkennen lässt, die aus Scheidungsfamilien stammen, ihre sexuelle Identität noch suchen und mit Essstörungen kämpfen: Anastasias Aufstieg vom tollpatschigen weiblichen nerd zur strahlend gepflegten Cheflektorin, Ehefrau und Mutter mit eigener funktionierender Kernfamilie wird nicht nur von zwei glücklichen Patchwork-Familien unterstützt, sondern gelingt ohne ständig kontrollierte Nahrungsaufnahme.
"Fifty Shades of Grey" fasziniert aber offenkundig nicht allein junge, sondern auch ältere Leserinnen, und dies auch, weil es E. L. James gelingt, verschiedene populäre Erzähl-Universen miteinander zu verknüpfen. Es war viel die Rede davon, wie die Trilogie, entstanden aus der fan fiction zu zeitgenössischen Vampirserien, das in diesen spannungsförderlich aufgeschobene sexuelle Versprechen einlöst und zugleich auf Dauer stellt, indem die Autorin mit pornographischen Elementen ausgiebig kokettiert, ohne je den entscheidenden Schritt über die Grenze zu wagen. Weniger wurde diskutiert, dass die Trilogie auch Elemente aus dem Kosmos der populären Rezeption Jane Austens aufgreift und fortschreibt.
Klar erkennbar ist, wie die Figur des Christian Grey aus einer langen Ahnenreihe von "brooding heroes" entwickelt wurde, wie sie auch schon Romane wie "Stolz und Vorurteil" bevölkern. Noch näher steht Grey der durch Colin Firth in der beliebten BBC-Verfilmung verkörperten Figur des Mister Darcy, der durch sein im Originaltext keineswegs erzähltes Bad im Teich zum ikonischen Pin-up der zeitgenössischen Austen-Konsumentin avancieren konnte. Über Firths Darcy ergibt sich wiederum eine Verbindung zu den "Bridget Jones"-Romanen und -Filmen, in denen die vergeblich hungernde Heldin ebenfalls auf die Spur Jane Austens gesetzt wird, um den attraktiv verstockten und ebenfalls von Colin Firth gespielten Helden aus der Reserve zu locken.
Anastasias Liebe zur englischen Literatur des achtzehnten und neunzehnten Jahrhunderts verleiht der amerikanischen Heldin zwar einen Hang zu britischen Manierismen, die manche Leserin als unrealistisch empfunden hat. Sowohl Mr Grey als auch die Autorin haben aber gute Gründe, Anastasias literarische Vorlieben zum Beispiel durch eine App für die British Library zu unterstützen, denn im transatlantischen Kräftefeld, das auch die Fan-Imperien von Vampirgeschichten und Austen-Anhängerinnen durchzieht, lassen sich mit "Englishness" weiterhin Lust- und Distinktionsgewinne erzielen.
Es überrascht daher auch nicht, dass E. L. James in "Fifty Shades of Grey" noch eine weitere Spur in den englischen Kanon legt, um ihr Erzählprojekt in einem literarischen Traditionszusammenhang zu verankern. Kurz bevor das happy ending zuschlägt, bereitet der geläuterte Mr Grey ein Picknick für seine junge Frau, die einst zu viel las und zu wenig aß. Hatte er ihr zu Beginn ihrer Affäre eine Originalausgabe von Thomas Hardys "Tess of the D'Urbervilles" geschenkt, so schiebt er ihr nun jene Erdbeeren in ihren bereitwillig geöffneten Mund, die Hardys junge Heldin in einer Schlüsselszene des älteren Romans nur widerstrebend geschluckt hatte. Mit diesem intertextuell nobilitierten Therapieerfolg gelangt allerdings auch die Trilogie an einen Punkt, an dem vor lauter Glück nichts mehr zu erzählen ist.
E.L. James hat aber selbst für dieses Dilemma eine ökonomisch vielversprechende Lösung gefunden: Sie beendet die Trilogie, indem sie den Anfang aus der Perspektive des Helden erzählen lässt. Auch die von Amazon-Rezensentinnen begeistert geforderte Fortsetzung wird wohl nur wenig männliche Leser finden. Aber sie wird Frauen wieder die Macht zuschreiben, Männer dazu verführen zu können, endlich reden zu wollen.
JULIKA GRIEM.
Die Verfasserin lehrt englische Literaturwissenschaft in Frankfurt am Main.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Die Trilogie der "Fifty Shades" rettet in diesem Jahr die Absatzzahlen des deutschen Buchhandels. Aber was begeistert Millionen Leserinnen jeden Alters an diesem sexuellen Machtspiel?
Jetzt, da der Siegeszug von E. L. James' "Fifty Shades of Grey" mit dem abschließenden dritten Band in die Endrunde gegangen ist, sind alle kritischen Reflexe erlahmt. Gegen einen Verkaufserfolg von mehr als dreißig Millionen Exemplaren weltweit scheinen auch politisch wie ästhetisch argumentierende Kommentatorinnen nicht mehr antreten zu wollen. Die Frage, ob der Erfolg der Trilogie wirklich nur auf der latenten Unterwerfungslust scheinbar emanzipierter Frauen beruht und ihre Bereitschaft demonstriert, literarische Qualitätskriterien über Bord zu werfen, bleibt weiterhin ungeklärt.
Um von der These abzurücken, dass die Geschichte von Anastasia Steele und Christian Grey vor allem durch transgressiven Sex fasziniert, muss man ihre Wirrungen und Irrungen nicht bis ans Ende eines Plots verfolgen, in dem sich kosmische Orgasmen mit jener beruhigenden Regelmäßigkeit ereignen, mit der Commissario Brunettis Ehefrau in Donna Leons Venedig-Krimis ihren ermittelnden Gatten kulinarisch bei Laune hält. Massenwirksam wird die Trilogie vielmehr dadurch, dass sie auf geschickte Weise an jene Sphäre geschlechtertypischer gesellschaftlicher Kommunikation anschließt, in der kosmetische und therapeutische Angebote so zugeschnitten werden, dass das Ideal der Selbstoptimierung ein unabschließbares und daher dauerhaft lukratives Projekt bleibt. "Fifty Shades of Grey" macht Leserinnen, die ihre Leben erfolgreich mit den Endlosschleifen von Diät-, Beziehungs- und Karriereberatung synchronisiert haben, ein dramaturgisch geschickt aufbereitetes Angebot.
Der Held ist auf ansehnliche Weise nachhaltig beschädigt.
Im Zentrum dieses Angebots steht ein Held, der nicht allein nach frisch gebügelter Wäsche und teurem Duschgel duftet, sondern auch doppelt traumatisiert ist: Christian Grey verkörpert eine populäre Frauenphantasie, weil er auf ansehnliche Weise nachhaltig beschädigt ist. Die Mission seiner Rettung ist das heroische Erzählziel der Trilogie; es gilt, den kontrollsüchtigen Unternehmer in postkoitalen talking cures mit jenem empfindsamen Jungen zu versöhnen, der einst von seiner cracksüchtigen Mutter aufgegeben und von einer mittelalten Nachbarin verführt wurde. Damit dieses Ziel erreicht werden kann, lässt die Autorin beide Hauptfiguren populärtherapeutisch so versiert zu Werke gehen, als hätten sie die Probleme von Christians "Prägephase" bereits auf Oprah Winfreys Studiocouch erörtert.
Anastasia betreibt als Ich-Erzählerin ein Selbstgespräch, in dem sie an Freuds Instanzen erinnernde Autoritäten wie ihr "Unterbewusstsein" und ihre "innere Göttin" zu einer munteren Beziehungskommunikation versammelt, an der bei Bedarf auch ihre beste Freundin beteiligt werden kann. Christian qualifiziert sich ebenfalls durch seine Kommunikationswilligkeit. Er rüstet Anastasia mit Laptop, Blackberry und iPod aus und schreibt stilbewusste and anspielungsreiche E-Mails - nur folgerichtig also, dass seine erste elektronische Nachricht eine nahezu orgiastische Wirkung auf die junge Novizin der digitalen Kommunikation ausübt.
Während Anastasias Selbstgespräche und der Nachrichtenverkehr zwischen Held und Heldin ein medientechnisch aktualisiertes Echo auf Samuel Richardsons Brief- und Tagebuchromane darstellen, bietet der Vertrag, den die Liebenden im ersten Band abschließen, eine modernisierte Variante des Beziehungskontrakts. Die Soziologin Eva Illouz hat bereits in einer frühen Reaktion auf "Fifty Shades of Grey" darauf hingewiesen, dass im Vertrag der scheinbar so ungleichen Liebespartner nicht allein Dominanz und Unterwerfung festgeschrieben werden, sondern auch ein Modell zur Reduktion der Komplexität zeitgenössischer Beziehungen angeboten wird: Wo Männer wie Frauen mit der anstrengenden Freiheit vieler Optionen umgehen müssen, kann ein das Intimleben organisierendes Regelwerk durchaus Entlastung versprechen.
Der Vertrag, den E. L. James zwischen ihren Hauptfiguren stiftet, setzt in die Tat um, was sich in der Beziehungsberatung längst an kontraktförmigen Lösungsangeboten etabliert hat: Wenn ein Paar dem verbreiteten Ideal huldigt, einander immer wieder erotisch neu zu erfinden, empfiehlt es sich, neben Haushaltspflichten auch sexuelle Vorlieben kommunikativ auszuhandeln. Anastasia und Christian erweitern dieses Mantra auf aufschlussreiche Weise: Liest man das im ersten Teil der Trilogie gleich zweimal verhandelte Regelwerk, so scheint der dominante Mr Grey jene Rolle zu übernehmen, die im Genre der Model-Show der überwachenden und strafenden Heidi Klum zugedacht ist: Er bestimmt nicht allein, wie Anastasia ihm Lust verschaffen darf, sondern kontrolliert auch ihre Körperpflege, Kleiderwahl, Leibesertüchtigung und Ernährungspraxis.
Die Vereinbarung legt zudem die Grundlage für ein Heilungsversprechen auf Gegenseitigkeit. Die mehrfachen Nachverhandlungen lassen nämlich nicht allein Anastasias wachsende Macht erkennen, den traumatisierten Tyrannen zu reformieren. Sie offenbaren auch den Punkt, an dem sie selbst auf Hilfe angewiesen ist: Als Christian darauf beharrt, einen Diätplan zu vereinbaren, benennt Anastasia diesen Punkt als Vertragsverstoß und setzt sich mit ihrer Forderung durch, auch weiterhin nur zu essen, wie sie will. Dass sich dahinter vor allem das Recht verbirgt, möglichst wenig zu essen, zeigt sich bei all jenen Treffen, bei denen ihr schwindendes Körpergewicht thematisiert und der Wunsch nach Sex erst nach einer anständigen Mahlzeit erfüllt wird.
Vorbild ist Mister Darcy im nassen T-Shirt als ikonischer Pin-up.
Christian Grey lehrt Anastasia somit nicht nur einen luxuriösen Lebensstil, sondern kuriert sie auch - wenn er nicht gerade damit beschäftigt ist, Hungerkatastrophen in den Entwicklungsländern zu bekämpfen - von einer Essstörung, die in den ersten beiden Teilen der Trilogie keineswegs nur latent präsent ist. Diese Entwicklung erweitert die Identifikationsangebote der Trilogie um eine Form der Wunscherfüllung, die ein weiteres therapeutisches Erzählziel gerade auch für junge Leserinnen erkennen lässt, die aus Scheidungsfamilien stammen, ihre sexuelle Identität noch suchen und mit Essstörungen kämpfen: Anastasias Aufstieg vom tollpatschigen weiblichen nerd zur strahlend gepflegten Cheflektorin, Ehefrau und Mutter mit eigener funktionierender Kernfamilie wird nicht nur von zwei glücklichen Patchwork-Familien unterstützt, sondern gelingt ohne ständig kontrollierte Nahrungsaufnahme.
"Fifty Shades of Grey" fasziniert aber offenkundig nicht allein junge, sondern auch ältere Leserinnen, und dies auch, weil es E. L. James gelingt, verschiedene populäre Erzähl-Universen miteinander zu verknüpfen. Es war viel die Rede davon, wie die Trilogie, entstanden aus der fan fiction zu zeitgenössischen Vampirserien, das in diesen spannungsförderlich aufgeschobene sexuelle Versprechen einlöst und zugleich auf Dauer stellt, indem die Autorin mit pornographischen Elementen ausgiebig kokettiert, ohne je den entscheidenden Schritt über die Grenze zu wagen. Weniger wurde diskutiert, dass die Trilogie auch Elemente aus dem Kosmos der populären Rezeption Jane Austens aufgreift und fortschreibt.
Klar erkennbar ist, wie die Figur des Christian Grey aus einer langen Ahnenreihe von "brooding heroes" entwickelt wurde, wie sie auch schon Romane wie "Stolz und Vorurteil" bevölkern. Noch näher steht Grey der durch Colin Firth in der beliebten BBC-Verfilmung verkörperten Figur des Mister Darcy, der durch sein im Originaltext keineswegs erzähltes Bad im Teich zum ikonischen Pin-up der zeitgenössischen Austen-Konsumentin avancieren konnte. Über Firths Darcy ergibt sich wiederum eine Verbindung zu den "Bridget Jones"-Romanen und -Filmen, in denen die vergeblich hungernde Heldin ebenfalls auf die Spur Jane Austens gesetzt wird, um den attraktiv verstockten und ebenfalls von Colin Firth gespielten Helden aus der Reserve zu locken.
Anastasias Liebe zur englischen Literatur des achtzehnten und neunzehnten Jahrhunderts verleiht der amerikanischen Heldin zwar einen Hang zu britischen Manierismen, die manche Leserin als unrealistisch empfunden hat. Sowohl Mr Grey als auch die Autorin haben aber gute Gründe, Anastasias literarische Vorlieben zum Beispiel durch eine App für die British Library zu unterstützen, denn im transatlantischen Kräftefeld, das auch die Fan-Imperien von Vampirgeschichten und Austen-Anhängerinnen durchzieht, lassen sich mit "Englishness" weiterhin Lust- und Distinktionsgewinne erzielen.
Es überrascht daher auch nicht, dass E. L. James in "Fifty Shades of Grey" noch eine weitere Spur in den englischen Kanon legt, um ihr Erzählprojekt in einem literarischen Traditionszusammenhang zu verankern. Kurz bevor das happy ending zuschlägt, bereitet der geläuterte Mr Grey ein Picknick für seine junge Frau, die einst zu viel las und zu wenig aß. Hatte er ihr zu Beginn ihrer Affäre eine Originalausgabe von Thomas Hardys "Tess of the D'Urbervilles" geschenkt, so schiebt er ihr nun jene Erdbeeren in ihren bereitwillig geöffneten Mund, die Hardys junge Heldin in einer Schlüsselszene des älteren Romans nur widerstrebend geschluckt hatte. Mit diesem intertextuell nobilitierten Therapieerfolg gelangt allerdings auch die Trilogie an einen Punkt, an dem vor lauter Glück nichts mehr zu erzählen ist.
E.L. James hat aber selbst für dieses Dilemma eine ökonomisch vielversprechende Lösung gefunden: Sie beendet die Trilogie, indem sie den Anfang aus der Perspektive des Helden erzählen lässt. Auch die von Amazon-Rezensentinnen begeistert geforderte Fortsetzung wird wohl nur wenig männliche Leser finden. Aber sie wird Frauen wieder die Macht zuschreiben, Männer dazu verführen zu können, endlich reden zu wollen.
JULIKA GRIEM.
Die Verfasserin lehrt englische Literaturwissenschaft in Frankfurt am Main.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 07.07.2012Mit Duschgel gefesselt
Den sadomasochistischen Bestseller „Shades of Grey“ gibt es jetzt auch auf Deutsch – ein Deutungsversuch
Anastasia Steel und Christian Grey sind ein erotisches Traumpaar. Es funkt sofort. Dabei ist Anastasia, genannt Ana, Studentin der Englischen Literatur im kanadischen Vancouver, nur eingesprungen für ihre erkältete Freundin Kate, mit der sie eine WG teilt. Kate sollte für die Studentenzeitung ein Interview mit dem steinreichen Unterstützer der Uni machen, dem Boss eines weltweit operierenden IT-Unternehmens. Der residiert im amerikanischen Seattle, sodass Ana 250 Kilometer zum Interview mit Mister Grey fahren muss. „Zum Glück“, denkt Ana mit dem ihr eigenen praktischen Sinn, „hat Kate mir ihren spritzigen Mercedes CLK geliehen. Ob ich es mit Wanda, meinem alten VW-Käfer, pünktlich schaffen würde, ist fraglich. Doch mit dem Mercedes macht die Sache Spaß, und ich trete das Gaspedal durch.“
Die Autorin dieser entwaffnend simplen Prosa heißt E. L. James, eigentlich Erika Leonard, Jahrgang 1963, wohnhaft in London, verheiratet, zwei Kinder. Seit sie mit ihrer Romantrilogie „Shades of Grey“ binnen eines Jahres ungefähr so reich geworden sein dürfte wie ihre Romanfigur Mister Grey, schleppt sie sich nicht mehr ins Büro des Fernsehsenders, bei dem sie angestellt war. Ihren märchenhaften Erfolg packt sie in britisches Understatement: Sie habe ihre Midlifecrisis mit eigenen Phantasien bearbeitet, „das ist alles“. Der Ehe hat’s offenbar nicht geschadet, ihrem Mann („Für Niall, den Herrn und Meister meines Universums“) ist der Schinken gewidmet.
Nun ist der erste Band von „Shades of Grey“ auf Deutsch unter dem Titel „Geheimes Verlangen“ erschienen. Auf den ersten Blick handelt es sich um einen genretypischen erotischen Roman mit pornografischen Anteilen. Im Zentrum stehen das einundzwanzigjährige Unschuldslamm Ana, dessen sinnliches Potenzial als „Sub“ noch zu entdecken ist, und der gewiefte Habitué Grey, der für seine sadomasochistischen Arrangements keine Mittel scheut. Ana wird seine ideale, wenngleich widerspenstige Geliebte, die er in seine Künste (und Abgründe) mit der Höchstgeschwindigkeit eines Mercedes CLK einführt. Nachdem er sie entjungfert hat, korrekt mit Kondom (bald folgt die Pille), ruft sie uns zu: „Wahnsinn! Jetzt weiß ich, wovon alle schwärmen.“
Das klassische Modell also, vergleichbar der „Histoire d’O“ (1954) von Pauline Réage, nur dass die Geschichte von Ana und Mister Grey nicht mehr auf einem abgelegenen Schloss angesiedelt ist; auch sind die Libertins längst keine Aristokraten mehr. Das „Spielzimmer“, in dem Mister Grey sein Werkzeug (Ketten, Peitschen etc.) bereithält, ist in das Anwesen eines heutigen Superreichen, inklusive Chauffeur und Haushälterin, verlegt. Man sollte präzisieren: Es ist das Klischee-Anwesen eines Klischee-Amerikaners. Die britische Autorin hätte ihre Phantasie auch auf heimischem Terrain austoben können. Hat sie aber nicht.
Das peinliche Selbstbewusstsein dieses siebenundzwanzigjährigen Beau namens Grey kann man nur als Parodie des naivsten Kapitalismus amerikanischer Machart begreifen. Auf Anas Interviewfrage, wie er so jung reich und erfolgreich sein könne, antwortet ihr zukünftiger Liebhaber und „Dom“ im Duktus einer Werbebroschüre: „Im Geschäftsleben geht es um Menschen, Miss Steele, und ich bin ein guter Menschenkenner. Ich weiß, wie sie ticken, was ihren Erfolg oder Misserfolg ausmacht, was sie antreibt und wie man sie motiviert. Ich beschäftige ein außergewöhnliches Team, das ich großzügig entlohne.“
Es ist schon fast schmerzhaft angeberisch, wie Grey das Mittelstandsgirl Ana im Hubschrauber von einer Stadt zur anderen fliegt, wie er ihr einen brandneuen Audi aufdrängt und einen Blackberry, mit dem dann ein Großteil der erotischen Kommunikation abgewickelt wird. Oder, besonders krass, wie er seinen Privatjet stundenlang „auf Standby“ hält, während er Ana und ihrer Mutter in einer Hotelbar hinterherspioniert.
Das Buch steckt überhaupt voller Schleichwerbung. Den Auto- und Mobiltelefonmarken gesellen sich Macs, iPads, iPhones und Klamotten von Ralph Lauren hinzu sowie die Monsterfirmen Amazon (wo man Bücher bestellt, wo sonst) und Google, vom obligatorischen Moët nicht zu reden. Zwei interessante Phänomene kommen hier zusammen: eine absolut standardisierte Warenwelt und ein kindliches Verhältnis zum Konsum. Dem passt sich die pornografische Sprache an, der es an jeglicher Originalität und Poesie gebricht. Nach obszönen Ausdrücken sucht man vergeblich.
Mit klinischer Akkuratesse werden die Körperteile bezeichnet, die da zu- und ineinander finden. Der Geruch von Duschgel verschwindet nie. Und wenn „seine Erektion zum Vorschein kommt“, meint man, Streber über Sex sprechen zu hören: Pornostreber. Denkt man dagegen an Nicholson Bakers Roman „Haus der Löcher“, diese köstlich schmuddelige Satire auf ein pornografisches Wunderland im US-amerikanischen Nirgendwo, wird der Unterschied schreiend deutlich.
Doch bleiben wir nüchtern und halten die literaturkritischen Reflexe niedrig. Schließlich will E. L. James gar keine Literatur schreiben, wenngleich Literatur – englische, keine amerikanische! – sehr wohl Erwähnung findet. Einmal gesteht Ana, die den nordamerikanischen Kontinent nie verlassen hat, sie würde gern das Land kennenlernen, in dem Shakespeare und Jane Austen ihre Inspiration fanden. Der aufmerksame Grey lässt es sich nicht nehmen, Ana mit der Erstausgabe von Thomas Hardys „Tess of d’Ubervilles“ (1891) zu verblüffen, einem Klassiker der sexuellen Unterwerfung. Anas Freundin Kate taxiert per Google das Geschenk gleich auf vierzehntausend Dollar. Alles soll vom Teuersten sein bei diesem Märchenprinzen aus dem Manager-Modellbaukasten, der jedoch, wie Ana schnell herausfindet, eine traurige, unheimliche Seite hat.
Und darauf kommt es an. Denn die dunkle Seite des talentierten Mister Grey – er spielt nebenbei „umwerfend“ Klavier – wirkt auf Ana anziehend. Als er in dem Baumarkt, wo Ana jobbt, nach Kreppklebeband und Schnüren verlangt, ahnt sie noch nichts Böses. Bald aber führt er sie in sein Reich: in das „Spielzimmer“, eine Variante des de Sade’schen Boudoirs für das 21. Jahrhundert. Ana fühlt sich dennoch an die „Inquisition“ erinnert. Ist sie erschrocken? Ja und nein. E. L. James hat sich für Anas Ambivalenz – sie ist ja auf der Suche nach einer noch unbekannten Lust – eine geschickte Instanzenlehre ausgedacht, die da lautet: „innere Göttin“ versus „mein Unterbewusstsein“. (Letzteres muss man sich als Vulgärfassung des Freud’schen Unbewussten vorstellen.) Wenn Anas „innere Göttin“ jubiliert, schlägt ihr „Unterbewusstsein“ schon mal Alarm. Eigentlich ist dieses „Unterbewusstsein“ eher eine Art Über-Ich, ein moralischer Aufpasser, während die „innere Göttin“ Anas tiefe Wünsche repräsentiert. Man könnte sagen: Juliette und Justine in Personalunion.
Anastasia Steel ist ein Geschöpf ihrer Zeit, Psychobabble gehört genauso dazu wie das permanente Checken von Mails. Zwei unvorhergesehene Dinge geschehen: a) Christian, der abgebrühte „Dom“, der sich nicht anfassen lassen will (was Ana stört), verliebt sich. Ana in ihrem Misstrauen merkt es nicht gleich, aber glücklicherweise helfen Kate und ihre Mom ihr auf die Sprünge. b) Ana verliebt sich ebenfalls, widersetzt sich aber ein Stück weit den von Grey gesetzten „Regeln“, ist somit keine hundertprozentige „Sub“. Im Land der Schmerzensgeldklagen verwundert es kaum, dass sich ein reicher Mann, der ein Mädchen fesseln und ihr Schmerzen zufügen möchte, sich mit einem Vertragswerk absichert. Das seitenlange Vertragswerk enthält „hard limits“ und „soft limits“. Ana soll festlegen, wo ihre Grenzen sind. Das kann sie aber nicht, und will es auch nicht. Stattdessen will sie wissen: „Warum bist du so geworden?“ Auf das Arrangement lässt sie sich trotzdem ein, und siehe, es gefällt ihr. Die Ideologie der Unterwerfung aus Lust kommt voll und ganz und ohne jede Kritik zu ihrem Recht. Nach der ersten Session im Spielzimmer spricht Ana von einem „süßen Schmerz, an der Grenze des Erträglichen“ und stellt fest: „Er zieht mich in jenen tief verborgenen Teil meines Selbst, der sich dieser höchst erotischen Empfindung ergibt. Ja – jetzt verstehe ich endlich.“
So entpuppt sich „Shades of Grey“ als Psychothriller für Damen, die den harten Kerl knacken wollen. Langsam, aber sicher zieht Ana den Vorhang seines Theaters der Kontrollsucht zur Seite. Herauskommt, dass Grey als Fünfzehnjähriger von einer älteren Lady zum „Sklaven“ gemacht wurde. Ein Türchen öffnet sich dem Mitleid: Ach so, der Arme verbirgt in seinem Dominanzwunsch also seine Verletzlichkeit? Das ist keineswegs genrekonform, und vermutlich findet der Dreiteiler mit seiner Heiß-kalt-Mischung aus gefühlsseligem Groschenroman und Sadomaso-Porno gerade deshalb reißenden Absatz.
INA HARTWIG
E. L. JAMES: Shades of Grey. Geheimes Verlangen. Band 1. Roman. Aus dem Englischen von Sonja Hauser und Andrea Brandl. Goldmann Verlag, München 2012. 608 Seiten, 12,99 Euro.
Mit klinischer Akkuratesse
werden die beteiligten
Körperteile bezeichnet
Anastasia Steel ist ein Geschöpf
ihrer Zeit, samt Psychobabble und
permanentem Checken von Mails
Die englische Autorin E. L. James im Mai 2012 in der Buchhandlung Barnes & Nobles in New York Foto: Polaris/laif
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Den sadomasochistischen Bestseller „Shades of Grey“ gibt es jetzt auch auf Deutsch – ein Deutungsversuch
Anastasia Steel und Christian Grey sind ein erotisches Traumpaar. Es funkt sofort. Dabei ist Anastasia, genannt Ana, Studentin der Englischen Literatur im kanadischen Vancouver, nur eingesprungen für ihre erkältete Freundin Kate, mit der sie eine WG teilt. Kate sollte für die Studentenzeitung ein Interview mit dem steinreichen Unterstützer der Uni machen, dem Boss eines weltweit operierenden IT-Unternehmens. Der residiert im amerikanischen Seattle, sodass Ana 250 Kilometer zum Interview mit Mister Grey fahren muss. „Zum Glück“, denkt Ana mit dem ihr eigenen praktischen Sinn, „hat Kate mir ihren spritzigen Mercedes CLK geliehen. Ob ich es mit Wanda, meinem alten VW-Käfer, pünktlich schaffen würde, ist fraglich. Doch mit dem Mercedes macht die Sache Spaß, und ich trete das Gaspedal durch.“
Die Autorin dieser entwaffnend simplen Prosa heißt E. L. James, eigentlich Erika Leonard, Jahrgang 1963, wohnhaft in London, verheiratet, zwei Kinder. Seit sie mit ihrer Romantrilogie „Shades of Grey“ binnen eines Jahres ungefähr so reich geworden sein dürfte wie ihre Romanfigur Mister Grey, schleppt sie sich nicht mehr ins Büro des Fernsehsenders, bei dem sie angestellt war. Ihren märchenhaften Erfolg packt sie in britisches Understatement: Sie habe ihre Midlifecrisis mit eigenen Phantasien bearbeitet, „das ist alles“. Der Ehe hat’s offenbar nicht geschadet, ihrem Mann („Für Niall, den Herrn und Meister meines Universums“) ist der Schinken gewidmet.
Nun ist der erste Band von „Shades of Grey“ auf Deutsch unter dem Titel „Geheimes Verlangen“ erschienen. Auf den ersten Blick handelt es sich um einen genretypischen erotischen Roman mit pornografischen Anteilen. Im Zentrum stehen das einundzwanzigjährige Unschuldslamm Ana, dessen sinnliches Potenzial als „Sub“ noch zu entdecken ist, und der gewiefte Habitué Grey, der für seine sadomasochistischen Arrangements keine Mittel scheut. Ana wird seine ideale, wenngleich widerspenstige Geliebte, die er in seine Künste (und Abgründe) mit der Höchstgeschwindigkeit eines Mercedes CLK einführt. Nachdem er sie entjungfert hat, korrekt mit Kondom (bald folgt die Pille), ruft sie uns zu: „Wahnsinn! Jetzt weiß ich, wovon alle schwärmen.“
Das klassische Modell also, vergleichbar der „Histoire d’O“ (1954) von Pauline Réage, nur dass die Geschichte von Ana und Mister Grey nicht mehr auf einem abgelegenen Schloss angesiedelt ist; auch sind die Libertins längst keine Aristokraten mehr. Das „Spielzimmer“, in dem Mister Grey sein Werkzeug (Ketten, Peitschen etc.) bereithält, ist in das Anwesen eines heutigen Superreichen, inklusive Chauffeur und Haushälterin, verlegt. Man sollte präzisieren: Es ist das Klischee-Anwesen eines Klischee-Amerikaners. Die britische Autorin hätte ihre Phantasie auch auf heimischem Terrain austoben können. Hat sie aber nicht.
Das peinliche Selbstbewusstsein dieses siebenundzwanzigjährigen Beau namens Grey kann man nur als Parodie des naivsten Kapitalismus amerikanischer Machart begreifen. Auf Anas Interviewfrage, wie er so jung reich und erfolgreich sein könne, antwortet ihr zukünftiger Liebhaber und „Dom“ im Duktus einer Werbebroschüre: „Im Geschäftsleben geht es um Menschen, Miss Steele, und ich bin ein guter Menschenkenner. Ich weiß, wie sie ticken, was ihren Erfolg oder Misserfolg ausmacht, was sie antreibt und wie man sie motiviert. Ich beschäftige ein außergewöhnliches Team, das ich großzügig entlohne.“
Es ist schon fast schmerzhaft angeberisch, wie Grey das Mittelstandsgirl Ana im Hubschrauber von einer Stadt zur anderen fliegt, wie er ihr einen brandneuen Audi aufdrängt und einen Blackberry, mit dem dann ein Großteil der erotischen Kommunikation abgewickelt wird. Oder, besonders krass, wie er seinen Privatjet stundenlang „auf Standby“ hält, während er Ana und ihrer Mutter in einer Hotelbar hinterherspioniert.
Das Buch steckt überhaupt voller Schleichwerbung. Den Auto- und Mobiltelefonmarken gesellen sich Macs, iPads, iPhones und Klamotten von Ralph Lauren hinzu sowie die Monsterfirmen Amazon (wo man Bücher bestellt, wo sonst) und Google, vom obligatorischen Moët nicht zu reden. Zwei interessante Phänomene kommen hier zusammen: eine absolut standardisierte Warenwelt und ein kindliches Verhältnis zum Konsum. Dem passt sich die pornografische Sprache an, der es an jeglicher Originalität und Poesie gebricht. Nach obszönen Ausdrücken sucht man vergeblich.
Mit klinischer Akkuratesse werden die Körperteile bezeichnet, die da zu- und ineinander finden. Der Geruch von Duschgel verschwindet nie. Und wenn „seine Erektion zum Vorschein kommt“, meint man, Streber über Sex sprechen zu hören: Pornostreber. Denkt man dagegen an Nicholson Bakers Roman „Haus der Löcher“, diese köstlich schmuddelige Satire auf ein pornografisches Wunderland im US-amerikanischen Nirgendwo, wird der Unterschied schreiend deutlich.
Doch bleiben wir nüchtern und halten die literaturkritischen Reflexe niedrig. Schließlich will E. L. James gar keine Literatur schreiben, wenngleich Literatur – englische, keine amerikanische! – sehr wohl Erwähnung findet. Einmal gesteht Ana, die den nordamerikanischen Kontinent nie verlassen hat, sie würde gern das Land kennenlernen, in dem Shakespeare und Jane Austen ihre Inspiration fanden. Der aufmerksame Grey lässt es sich nicht nehmen, Ana mit der Erstausgabe von Thomas Hardys „Tess of d’Ubervilles“ (1891) zu verblüffen, einem Klassiker der sexuellen Unterwerfung. Anas Freundin Kate taxiert per Google das Geschenk gleich auf vierzehntausend Dollar. Alles soll vom Teuersten sein bei diesem Märchenprinzen aus dem Manager-Modellbaukasten, der jedoch, wie Ana schnell herausfindet, eine traurige, unheimliche Seite hat.
Und darauf kommt es an. Denn die dunkle Seite des talentierten Mister Grey – er spielt nebenbei „umwerfend“ Klavier – wirkt auf Ana anziehend. Als er in dem Baumarkt, wo Ana jobbt, nach Kreppklebeband und Schnüren verlangt, ahnt sie noch nichts Böses. Bald aber führt er sie in sein Reich: in das „Spielzimmer“, eine Variante des de Sade’schen Boudoirs für das 21. Jahrhundert. Ana fühlt sich dennoch an die „Inquisition“ erinnert. Ist sie erschrocken? Ja und nein. E. L. James hat sich für Anas Ambivalenz – sie ist ja auf der Suche nach einer noch unbekannten Lust – eine geschickte Instanzenlehre ausgedacht, die da lautet: „innere Göttin“ versus „mein Unterbewusstsein“. (Letzteres muss man sich als Vulgärfassung des Freud’schen Unbewussten vorstellen.) Wenn Anas „innere Göttin“ jubiliert, schlägt ihr „Unterbewusstsein“ schon mal Alarm. Eigentlich ist dieses „Unterbewusstsein“ eher eine Art Über-Ich, ein moralischer Aufpasser, während die „innere Göttin“ Anas tiefe Wünsche repräsentiert. Man könnte sagen: Juliette und Justine in Personalunion.
Anastasia Steel ist ein Geschöpf ihrer Zeit, Psychobabble gehört genauso dazu wie das permanente Checken von Mails. Zwei unvorhergesehene Dinge geschehen: a) Christian, der abgebrühte „Dom“, der sich nicht anfassen lassen will (was Ana stört), verliebt sich. Ana in ihrem Misstrauen merkt es nicht gleich, aber glücklicherweise helfen Kate und ihre Mom ihr auf die Sprünge. b) Ana verliebt sich ebenfalls, widersetzt sich aber ein Stück weit den von Grey gesetzten „Regeln“, ist somit keine hundertprozentige „Sub“. Im Land der Schmerzensgeldklagen verwundert es kaum, dass sich ein reicher Mann, der ein Mädchen fesseln und ihr Schmerzen zufügen möchte, sich mit einem Vertragswerk absichert. Das seitenlange Vertragswerk enthält „hard limits“ und „soft limits“. Ana soll festlegen, wo ihre Grenzen sind. Das kann sie aber nicht, und will es auch nicht. Stattdessen will sie wissen: „Warum bist du so geworden?“ Auf das Arrangement lässt sie sich trotzdem ein, und siehe, es gefällt ihr. Die Ideologie der Unterwerfung aus Lust kommt voll und ganz und ohne jede Kritik zu ihrem Recht. Nach der ersten Session im Spielzimmer spricht Ana von einem „süßen Schmerz, an der Grenze des Erträglichen“ und stellt fest: „Er zieht mich in jenen tief verborgenen Teil meines Selbst, der sich dieser höchst erotischen Empfindung ergibt. Ja – jetzt verstehe ich endlich.“
So entpuppt sich „Shades of Grey“ als Psychothriller für Damen, die den harten Kerl knacken wollen. Langsam, aber sicher zieht Ana den Vorhang seines Theaters der Kontrollsucht zur Seite. Herauskommt, dass Grey als Fünfzehnjähriger von einer älteren Lady zum „Sklaven“ gemacht wurde. Ein Türchen öffnet sich dem Mitleid: Ach so, der Arme verbirgt in seinem Dominanzwunsch also seine Verletzlichkeit? Das ist keineswegs genrekonform, und vermutlich findet der Dreiteiler mit seiner Heiß-kalt-Mischung aus gefühlsseligem Groschenroman und Sadomaso-Porno gerade deshalb reißenden Absatz.
INA HARTWIG
E. L. JAMES: Shades of Grey. Geheimes Verlangen. Band 1. Roman. Aus dem Englischen von Sonja Hauser und Andrea Brandl. Goldmann Verlag, München 2012. 608 Seiten, 12,99 Euro.
Mit klinischer Akkuratesse
werden die beteiligten
Körperteile bezeichnet
Anastasia Steel ist ein Geschöpf
ihrer Zeit, samt Psychobabble und
permanentem Checken von Mails
Die englische Autorin E. L. James im Mai 2012 in der Buchhandlung Barnes & Nobles in New York Foto: Polaris/laif
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