Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 18.02.2010Die Beleuchtung der Bilder
Illusion, Überwältigung, Tatkraft: Richard Blank erzählt die Geschichte des Filmlichts
Wenn über Filme nachgedacht und geschrieben wird, ist vom Licht, das in ihnen herrscht, meistens kaum die Rede. Dafür gibt es einerseits einen guten Grund: Das Licht ist zunächst einfach da; auch der geübte Zuschauer nimmt es oft als selbstverständlich wahr, ohne weiter darauf zu achten. Andererseits führt diese Vernachlässigung dazu, dass wesentliche Aspekte der Filmästhetik außer Blick geraten. Wie ein Film ausgeleuchtet wird, das ist, betont Richard Blank zu Recht, mehr als eine technische Frage: „Das Licht in den Bildern sagt etwas darüber, in welchem Licht die Welt steht, wie sie gesehen und abgebildet wird.”
Die Regeln, nach denen Kameraleute sich am häufigsten orientieren, wenn es ums Licht geht, wurden ab ungefähr 1910 in Hollywood entwickelt. Zuvor gab es im amerikanischen Kino kein Bewusstsein für die dramaturgischen Möglichkeiten einer überlegten Lichtregie; man achtete nur darauf, ein möglichst helles und gleichmäßig ausgeleuchtetes Bild zu bekommen.
Eine völlig neue Bedeutung erhält das Licht dann in den Werken, die David W. Griffith mit seinem Kameramann Billy Bitzer drehte. In den Monumentalfilmen „The Birth of a Nation” (1915) und „Intolerance” (1916) lässt sich, wie Blank bemerkt, eine ausgefeilte „Hell-Dunkel-Dynamik” beobachten, die zur „Illusion eines dreidimensionalen Raums” führt und die Überwältigungskraft des Gezeigten erheblich steigert.
Ab der festen Etablierung des Studiosystems in den zwanziger Jahren schätzte man die expressiven Möglichkeiten von Licht und Schatten aber geringer als ein möglichst leicht lesbares filmisches Bild, das dem Ideal einer vollkommen artifiziellen Natürlichkeit verpflichtet ist. Nun wurde es wichtig, stets ein „Schlüssellicht” – in Interieurs ein Fenster oder eine Lampe – im Bild zu haben, das den Eindruck erwecken kann, als alleinige, natürliche Quelle von Helligkeit zu dienen, in Wahrheit aber massiv technisch unterstützt wird. Hinzu kommt ein „Füll-Licht”, das die Schatten aufhellt und starke Kontraste vermeidet; im Hintergrund sorgt das „Raumlicht” diskret dafür, dass die Dekoration nicht im Dunkeln versinkt.
Dass dieser spezifische „Hollywood-Realismus”, dem inhaltlich starke, zielorientiert handelnde Figuren entsprechen, sich weltweit durchgesetzt hat, führt mehrfach zu polemischen Attacken des Autors. Seine Liebe gilt den widerständigen europäischen Filmemachern, die sich entweder – wie die italienischen Neorealisten oder die Vertreter der Nouvelle Vague – um ein fast dokumentarisches Bild bemühen, oder die im Gegenteil mit Licht und Schatten gerade so umgehen, wie es ihnen passt.
Ungeschnitten, ungerecht
Die lange, ungeschnittene Einstellung etwa, mit der Max Ophüls seine Verfilmung von Schnitzlers „Reigen” (1951) eröffnet, bringt ob ihrer Kühnheit Blank ins Schwärmen: „Wer die Naturgesetze derart außer Kraft setzt, pfeift auf alle Regelwerke, die vorgeben wollen, was ,natürlich‘ und ,realistisch‘ ist. Er etabliert durch das Licht eine eigene Realität, die der Natur seines Kunstwerks entspricht.”
Der 70-jährige Blank ist kein Wissenschaftler, sondern selbst Kino- und Fernsehregisseur. Nicht mit allem, was er schreibt, muss man einverstanden sein: Sein Verdammungsurteil über Murnaus „Sunrise” (1927) ist höchst ungerecht, und dass die Hollywood-Ästhetik schon in den vierziger Jahren vom Film noir dauerhaft erschüttert wurde, geht ziemlich fehl. Insgesamt aber liegt hier zu einem selten behandelten Thema eine kompetente, temperamentvoll geschriebene Einführung vor. Filmbücher dieser Art gibt es bei uns viel zu selten. CHRISTOPH HAAS
RICHARD BLANK: Film & Licht. Die Geschichte des Filmlichts ist die Geschichte des Films. Alexander Verlag, Berlin 2009. 258 Seiten, DVD mit Auszügen der analysierten Filme, 39,90 Euro.
Mit „The Birth of a Nation” (1915) entwickelte David W. Griffith eine Dramaturgie der „Hell-Dunkel-Dynamik”. Foto: Hulton Archive/Getty Images
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Illusion, Überwältigung, Tatkraft: Richard Blank erzählt die Geschichte des Filmlichts
Wenn über Filme nachgedacht und geschrieben wird, ist vom Licht, das in ihnen herrscht, meistens kaum die Rede. Dafür gibt es einerseits einen guten Grund: Das Licht ist zunächst einfach da; auch der geübte Zuschauer nimmt es oft als selbstverständlich wahr, ohne weiter darauf zu achten. Andererseits führt diese Vernachlässigung dazu, dass wesentliche Aspekte der Filmästhetik außer Blick geraten. Wie ein Film ausgeleuchtet wird, das ist, betont Richard Blank zu Recht, mehr als eine technische Frage: „Das Licht in den Bildern sagt etwas darüber, in welchem Licht die Welt steht, wie sie gesehen und abgebildet wird.”
Die Regeln, nach denen Kameraleute sich am häufigsten orientieren, wenn es ums Licht geht, wurden ab ungefähr 1910 in Hollywood entwickelt. Zuvor gab es im amerikanischen Kino kein Bewusstsein für die dramaturgischen Möglichkeiten einer überlegten Lichtregie; man achtete nur darauf, ein möglichst helles und gleichmäßig ausgeleuchtetes Bild zu bekommen.
Eine völlig neue Bedeutung erhält das Licht dann in den Werken, die David W. Griffith mit seinem Kameramann Billy Bitzer drehte. In den Monumentalfilmen „The Birth of a Nation” (1915) und „Intolerance” (1916) lässt sich, wie Blank bemerkt, eine ausgefeilte „Hell-Dunkel-Dynamik” beobachten, die zur „Illusion eines dreidimensionalen Raums” führt und die Überwältigungskraft des Gezeigten erheblich steigert.
Ab der festen Etablierung des Studiosystems in den zwanziger Jahren schätzte man die expressiven Möglichkeiten von Licht und Schatten aber geringer als ein möglichst leicht lesbares filmisches Bild, das dem Ideal einer vollkommen artifiziellen Natürlichkeit verpflichtet ist. Nun wurde es wichtig, stets ein „Schlüssellicht” – in Interieurs ein Fenster oder eine Lampe – im Bild zu haben, das den Eindruck erwecken kann, als alleinige, natürliche Quelle von Helligkeit zu dienen, in Wahrheit aber massiv technisch unterstützt wird. Hinzu kommt ein „Füll-Licht”, das die Schatten aufhellt und starke Kontraste vermeidet; im Hintergrund sorgt das „Raumlicht” diskret dafür, dass die Dekoration nicht im Dunkeln versinkt.
Dass dieser spezifische „Hollywood-Realismus”, dem inhaltlich starke, zielorientiert handelnde Figuren entsprechen, sich weltweit durchgesetzt hat, führt mehrfach zu polemischen Attacken des Autors. Seine Liebe gilt den widerständigen europäischen Filmemachern, die sich entweder – wie die italienischen Neorealisten oder die Vertreter der Nouvelle Vague – um ein fast dokumentarisches Bild bemühen, oder die im Gegenteil mit Licht und Schatten gerade so umgehen, wie es ihnen passt.
Ungeschnitten, ungerecht
Die lange, ungeschnittene Einstellung etwa, mit der Max Ophüls seine Verfilmung von Schnitzlers „Reigen” (1951) eröffnet, bringt ob ihrer Kühnheit Blank ins Schwärmen: „Wer die Naturgesetze derart außer Kraft setzt, pfeift auf alle Regelwerke, die vorgeben wollen, was ,natürlich‘ und ,realistisch‘ ist. Er etabliert durch das Licht eine eigene Realität, die der Natur seines Kunstwerks entspricht.”
Der 70-jährige Blank ist kein Wissenschaftler, sondern selbst Kino- und Fernsehregisseur. Nicht mit allem, was er schreibt, muss man einverstanden sein: Sein Verdammungsurteil über Murnaus „Sunrise” (1927) ist höchst ungerecht, und dass die Hollywood-Ästhetik schon in den vierziger Jahren vom Film noir dauerhaft erschüttert wurde, geht ziemlich fehl. Insgesamt aber liegt hier zu einem selten behandelten Thema eine kompetente, temperamentvoll geschriebene Einführung vor. Filmbücher dieser Art gibt es bei uns viel zu selten. CHRISTOPH HAAS
RICHARD BLANK: Film & Licht. Die Geschichte des Filmlichts ist die Geschichte des Films. Alexander Verlag, Berlin 2009. 258 Seiten, DVD mit Auszügen der analysierten Filme, 39,90 Euro.
Mit „The Birth of a Nation” (1915) entwickelte David W. Griffith eine Dramaturgie der „Hell-Dunkel-Dynamik”. Foto: Hulton Archive/Getty Images
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