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Social-Media-Filter beeinflussen seit einiger Zeit entscheidend die Ästhetik unserer Timelines. Bearbeitetes Bildmaterial ist allgegenwärtig, weit über einfache Farbkorrekturen hinaus. Wir alle benutzen Filter, verwandeln uns in ältere oder jüngere Versionen unseres Selbst, in Cartoonfiguren oder Trolle. Dabei werden die technischen Möglichkeiten immer komplexer: Alte Fotos beginnen zu tanzen, Schwarz-Weiß-Aufnahmen lassen sich mühelos kolorieren. Doch diese Entwicklung bleibt nicht ohne Auswirkungen auf unser Verhältnis zur Realität: von Körperpolitiken in Sozialen Medien bis hin zu Deep…mehr

Produktbeschreibung
Social-Media-Filter beeinflussen seit einiger Zeit entscheidend die Ästhetik unserer Timelines. Bearbeitetes Bildmaterial ist allgegenwärtig, weit über einfache Farbkorrekturen hinaus. Wir alle benutzen Filter, verwandeln uns in ältere oder jüngere Versionen unseres Selbst, in Cartoonfiguren oder Trolle. Dabei werden die technischen Möglichkeiten immer komplexer: Alte Fotos beginnen zu tanzen, Schwarz-Weiß-Aufnahmen lassen sich mühelos kolorieren. Doch diese Entwicklung bleibt nicht ohne Auswirkungen auf unser Verhältnis zur Realität: von Körperpolitiken in Sozialen Medien bis hin zu Deep Fakes. Berit Glanz zeigt, wie Filter das Internet verändert haben, und wagt einen Ausblick auf ihre Zukunft.
Autorenporträt
Berit Glanz ist Autorin und Essayistin. Ihr zweiter Roman »Automaton« erschien 2022 im Berlin Verlag und setzt sich mit Clickwork auseinander. Sie schreibt regelmäßig in der »Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung« über Technikfragen, ist Redaktionsmitglied des digitalen Feuilletons »54books« und verfasst den Internetkultur-Newsletter »Phoneurie«.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 21.03.2023

„Filter zeigen, was in der Gesellschaft schiefläuft“
Die Essayistin Berit Glanz hat ein Buch über Tiktok-Ästhetik
und Bildmanipulation geschrieben. Ein Interview
Die digitale Filtertechnologie macht rasante Fortschritte. Auf Tiktok gibt es seit Kurzem den erschreckend perfekten neuen Video-Filter „Bold Glamour“. Die Schriftstellerin und Literaturwissenschaftlerin Berit Glanz hat ein Buch über das Phänomen geschrieben: „Filter“. Ein Interview über schöne neue Bilderwelten, Gefahren und Alternativen.
SZ: Frau Glanz, Gerade sorgt ein Video-Filter namens „Bold Glamour“ auf Tiktok für Aufsehen, mit denen jeder perfekt geschminkt oder 20 Jahre jünger aussieht. Nutzerinnen und Nutzer staunen, fluchen, manche weinen. Und Sie?
Ich finde sie wahnsinnig interessant. Technisch sind sie kein Durchbruch, sie sind nur bessere Versionen ihrer Vorgänger. Aber jetzt können sie in Echtzeit unser Gesicht verändern, es schminken oder verjüngen. Selbst wenn wir uns bewegen, machen sie sehr wenige Fehler. Das ist vor allem auf sozialer Ebene faszinierend.
Wo genau verläuft eigentlich bei Bildern im Internet denn die Grenze zwischen „echt“ und „gefiltert“?
Ich glaube nicht, dass man das online noch wirklich trennen kann. Alle Realität, die virtuell abgebildet wird, ist in irgendeiner Form bearbeitet. Allein schon dadurch, dass unsere Handys Fotos automatisch filtern. Das wird online auch ständig reflektiert. Instagram zum Beispiel ist voll mit Gegenüberstellungen „Instagram vs. Real Life“, wo geschliffene und gefilterte Fotos mit einer meist weniger ästhetischen Realität verglichen werden.
Viele fürchten, dass das Selbstbild junger Menschen negativ beeinflusst wird, wenn sie noch mehr mit Insta-Gesichtern konfrontiert werden.
Ich würde junge Menschen nicht unterschätzen. Es sind besonders Mitglieder von Gen X, die derzeit so heftig reagieren, wenn die Filter ihnen ihr Teenager-Selbst zeigen. Jugendliche und junge Erwachsene sind im Internet aufgewachsen und besitzen eine ganz andere Form von Medienkompetenz. Ihnen ist bewusst, dass alle Fotos, denen sie online begegnen, gefiltert sind. Auf Tiktok wird für jedes Video angezeigt, welcher Filter genutzt wird – sie sind nicht zum „Betrügen“ gedacht. Junge Menschen nutzen die Filter stattdessen oft spielerisch. Sie verpassen sich zum Beispiel Bärte oder Hüte, um in unterschiedliche Rollen zu schlüpfen.
Kann die Medienkompetenz junger Menschen auf Dauer mit der Entwicklungsgeschwindigkeit der Software mithalten?
Das macht mir Sorgen. Wir durchleben eine beschleunigte Erkenntniskrise. Ist das, was echt wirkt, wirklich noch echt? Vor allem, wenn es virtuell vermittelt wird, kann man sich nicht mehr sicher sein. Bald können wir uns in Echtzeit als historische Figuren präsentieren, als andere Geschlechter oder als Fabelwesen. Die Frage wird ständig sein: Ist unser Gegenüber wirklich die Person, die wir sehen? Und alles entwickelt sich wahnsinnig schnell. Dieser Entwicklung müssen wir uns stellen. Das geht nur, indem wir die Filter nutzen, mit ihnen spielen und ein Gefühl für sie entwickeln. Kompetenz erhalten wir nur im Umgang mit ihnen, das wissen wir aus Erfahrung.
Welche Erfahrung meinen Sie?
Als in den Neunzigern Photoshop auf den Markt kam, behaupteten die Stars noch: „So sehe ich wirklich aus“ oder „Das war die Kosmetikerin“. Darüber wurde viel diskutiert und deswegen ist das heute nicht mehr möglich. Niemand guckt mehr ein Werbeplakat an und denkt sich, dass das Model wirklich so glatte Haut hat. Parallel zum Diskurs über Photoshop hat sich ein Bewusstsein für Fotobearbeitung entwickelt. Filter können jetzt nicht mehr auf dieselbe Weise für Verschleierung genutzt werden. Tiktok lässt das gar nicht erst zu. Hier müsste man ein Video aufnehmen, es runterladen und wieder hochladen, damit es nicht als gefiltert markiert ist. Das passiert sicher auch, ist aber eher selten.
Finden Sie Tiktok also unproblematisch?
Keineswegs, aber für mich sind nicht die Filter das Problem, sondern die Körperbilder. Ein populärer Zweig der Plattform ist zum Beispiel Sixpack-TikTok, wo jungen Männern eingehämmert wird, sie brauchen unbedingt extrem definierte Bauchmuskeln. Die Körperbilder, die dort reproduziert werden, sind toxisch. Filter spielen natürlich eine Rolle, aber sie sind nicht Ursprung, sondern Reaktion. Filter zeigen uns, was an unserer Gesellschaft schiefläuft. Vielleicht wird es bald realistische Sixpack-Filter geben – doch das verändert nichts an dem Druck, der aus den inszenierten Körperbildern entsteht. Es sind die Inszenierungen von Männlichkeit oder Weiblichkeit, die in unserer Gesellschaft kaputt sind und auf TikTok in Millionen Videos reproduziert und damit auch verstärkt werden.
Wie sieht die Zukunft der Filter aus?
Der nächste Schritt wird sein, dass wir generative künstliche Intelligenz in Filter integrieren. Diese neuen KI-Filter, bei denen Text-Bild-Generatoren wie „Midjourney“ oder „Stable Diffusion“ verwendet werden, können wir sprachlich steuern. Wir schreiben dann beispielsweise: „Ich möchte in dem nächsten Video vor der Skyline von New York stehen und ein weißes Kleid tragen“ und der KI-Filter macht das dann mehr oder weniger überzeugend möglich. Diese Filter reproduzieren aber alle Probleme ihres Lernmaterials.
Solche KIs werden mit Unmengen an Fotos und ihren Beschreibungen trainiert. Sie erschaffen neue Bilder, indem sie daraus statistisch errechnen, wie zum Beispiel die Skyline von New York aussieht.
Genau. Ich selbst habe die App „Lensa“ ausprobiert, die aus normalen Fotos futuristische Gemälde macht. In mehreren entstandenen Bildern war ich nackt, obwohl keines meiner Fotos Nacktheit enthielt. Die KI hinter „Lensa“ wurde mit pornografischem Material trainiert und hat so gelernt, Frauen mit Sex zu assoziieren. Das ist ein Schock, weil man das siehst und sofort ahnt: Das ist also, was die Gesellschaft über mich denkt.
Wie vermeidet man sowas?
Regulierung. Es muss transparent sein, womit solche KIs trainiert werden. Oder der Staat stellt Datensätze bereit, die kein diskriminierendes Material enthalten. Sonst geht es ganz schnell, und wir verlieren die Kontrolle über unsere Filter.
INTERVIEW: TITUS BLOME
Links ein simples Foto, rechts eine Aufnahme mit der Tiktok-Anwendung „Bold glamour“, die Nutzer derzeit auch zum Weinen bringt.
Foto: SZ
Berit Glanz: Filter – Digitale Bildkulturen. Wagenbach-Verlag, Berlin 2023. 80 Seiten, 12 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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