Produktdetails
- Verlag: Beck
- Seitenzahl: 371
- Abmessung: 250mm
- Gewicht: 950g
- ISBN-13: 9783406451843
- ISBN-10: 3406451845
- Artikelnr.: 08205701
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Eine umfassende Geschichte des Finanzplatzes Frankfurt
Carl-Ludwig Holtfrerich: Finanzplatz Frankfurt. Von der mitteleuropäischen Messestadt zum europäischen Bankenzentrum. Verlag C.H. Beck, München 1999, 372 Seiten, 58 DM.
Am Anfang stand die Gunst der Natur und des Kaisers, und heute - nach über 1200 Jahren wechselvoller Geschichte - zählt Frankfurt zu den bedeutendsten Finanzplätzen Europas. Geprägt wurde die Geschichte der Stadt am Main vor allem durch äußere politische Ereignisse, den hohen Kenntnisstand seiner Bevölkerung, durch ein politisches und gesellschaftliches System, das für die Stabilität der Währung und der Rechtsordnung sorgte, sowie durch ein Klima der Offenheit und Toleranz, das den ansässigen Geschäftsleuten eine freie Entfaltung ihrer Tätigkeit ermöglichte.
Carl-Ludwig Holtfrerich zeichnet die Entwicklung Frankfurts von der ersten urkundlichen Erwähnung im Jahre 794 über das Zeitalter des Merkantilismus und den Beginn der Industrialisierung bis hin zum Vorabend des nächsten Jahrtausends nach und untersucht die jeweiligen politischen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, die Entwicklung des Handels und des Gewerbes, die Währungsverhältnisse sowie die Entwicklung des Finanzmarktes.
Am Ende des achten Jahrhunderts nutzte Karl der Große die Furt bei "francono furd" als Sammelpunkt seines Heeres für seine Feldzüge gegen die Sachsen. Das und die geographische Lage in der Mitte des Reiches machten Frankfurt zum Krönungsort der deutschen Könige und später der Kaiser; die Stadt wurde zum zentralen politischen Ort im Reich. Die häufige Präsenz des Königs, der Fürsten und der Lehensmänner versprach zusammen mit der verkehrstechnisch günstigen Lage der Stadt hohe Umsätze, und aus dem Handel und der Produktion für den Eigenbedarf entwickelte sich ein überregionaler Handel - die Frankfurter Messen etablierten sich, die eine wichtige Grundlage für die Entstehung des Finanzplatzes Frankfurt bildeten. Aus den Handelsgeschäften entwickelte sich rasch das Geschäft mit Krediten, und die damalige Währungsvielfalt beschleunigte die Entwicklung eines bargeldlosen Zahlungsverkehrs, bei dem die Kaufleute ihre Forderungen gegenseitig aufrechneten und saldierten. Um geographische Distanzen und Währungsverschiedenheiten zu überbrücken, wurde das Instrument des Wechsels geschaffen, das auch Kreditfunktionen besaß; das Indossament ermöglichte dann den Handel mit diesen Wechseln. Im vierzehnten Jahrhundert entwickelte sich Frankfurt zum wichtigsten Umschlagplatz für Wechsel im Reich, wobei auch Wechsel auf alle anderen großen Handelsplätze Europas gehandelt wurden. Im Kontext des Wechselhandels entstand 1585 die Frankfurter Börse, die regelmäßige Kaufmannsversammlungen institutionalisierte.
Im 16. und 17. Jahrhundert hatte sich Frankfurt als Messestadt etabliert, auch wenn Kriege und der Merkantilismus den Handel in dieser Zeit erschwerten. Der Speditions- und Kommissionshandel, aus dem seit Mitte des achtzehnten Jahrhunderts die großen Frankfurter Bankenhäuser hervorgingen, wurde zur Basis der weiteren wirtschaftlichen Entwicklung Frankfurts und zum Ausgangspunkt der Finanzgeschäfte des neunzehnten Jahrhunderts. Zugleich sicherte die Spezialisierung auf das Anleihengeschäft die Vormachtstellung Frankfurts als Finanzplatz bis zur Gründung des Deutschen Reiches 1871.
Den Übergang Frankfurts ins Industriezeitalter Anfang des neunzehnten Jahrhunderts nennt Holtfrerich "misslungen": Die Frankfurter Bankiers hätten bei der Einführung von Innovationen zu sehr gezögert. Der Finanzplatz Berlin, der dem Aktiengeschäft wesentlich aufgeschlossener gegenüberstand, löste - begünstigt auch von der politischen Entwicklung - Frankfurt als Finanzzentrum ab. Der industrielle Gründerboom nach der Reichsgründung 1871 und die damit einhergehende Expansion des Aktiengeschäfts zogen auch verstärkt den Handel mit Anleihen nach Berlin; Frankfurt mutierte zur Regionalbörse. Das Intermezzo Berlins als Finanzplatz dauerte aber nur bis zum Zusammenbruch des Dritten Reiches. Die Präsenz der Sowjetunion beraubte Berlin der Chancen, seine Rolle als führender Finanzplatz wieder einzunehmen. Das Rennen um die Vormachtstellung als Finanzzentrum Deutschlands war wieder offen.
Doch Frankfurt ging geschwächt aus dem Krieg hervor: Die internationale Abschottung Deutschlands durch Devisenbewirtschaftung und Autarkiepolitik sowie der Verlust an Humankapital durch die Abwanderung und Ausschaltung der jüdischen Bankiers, die durch die Jahrhunderte hinweg die Entwicklung Frankfurts als Finanzplatz entscheidend geprägt hatten, trafen Frankfurt härter als die meisten anderen Städte. Bis zur Währungsreform war Hamburg der bedeutendste deutsche Finanzplatz; hier hatte man den Handel an der Börse bereits unmittelbar nach Kriegsende wieder aufgenommen, und der starke Exporthandel und das dort ansässige Gewerbe schienen die Hansestadt geradezu für die Rolle als Finanzzentrum zu prädestinieren. Die Entscheidung der Militärregierung, gegen den Willen der meisten deutschen Vertreter und der Engländer Frankfurt zum Sitz der Bank der Deutschen Länder zu machen, entschied das Rennen um die Position als Finanzzentrum Deutschlands zugunsten Frankfurts. Die Politik der stabilen D-Mark sowie zahlreiche Deregulierungsmaßnahmen stärkten in den siebziger und achtziger Jahren die Position Frankfurts im internationalen Wettbewerb, und spätestens mit der Entscheidung, Frankfurt zum Sitz der Europäischen Zentralbank zu machen, hat sich die Stadt endgültig als internationales Finanzzentrum etabliert.
Den Abschluss des Buches bildet ein Ausblick auf die zukünftigen Herausforderungen für den Finanzplatz Frankfurt, der die Lehren aus der Betrachtung der wechselvollen Geschichte veranschaulicht: Eine führende Position im internationalen Wettbewerb muss ständig neu erobert werden. Dazu bedarf es eines hochwertigen Humankapitals, der Bereitschaft zu Innovationen, offener Märkte und einer Notenbank, die Liquidität sichert und die Währung stabil hält.
HANNO BECK
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Theo Waigel, Kohls Finanzminister höchstpersönlich, durfte die Kritik dieses Buchs schreiben und legt dabei ein charmantes Amtsdeutsch an den Tag. Auch in diesem Jargon kann man übrigens eitel sein - denn Waigel vergisst es nicht, mehrfach auf seine eigenen Verdienste um den "Finanzplatz Frankfurt" hinzuweisen. Ja, er war das mit der europäischen Zentralbank. Holtfrerichs Werk bespricht Waigel sehr positiv. Besonders interessieren Waigel seine Darlegungen über die "Standortfaktoren": Wie ist zu erklären, dass Frankfurt, und nicht irgendeine andere Stadt zum zentralen Finanzplatz Deutschlands wurde? Weil es eben zentral liegt, so referiert Waigel aus dem Buch, weil es eine relativ liberale "freie Reichsstadt" war, weil es von der Weltläufigkeit jüdischer und nicht-jüdischer Zuwanderer profitierte, und weil Berlin nach dem Krieg als Konkurrenz ausfiel.
© Perlentaucher Medien GmbH
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