Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.11.2011Wer zählt die Katzen
Schöne Natur: Zu Christine Langers Gedichten
Seit Gottfried Benn die "Bewisperer von Gräsern und Nüssen" gnadenlos verspottete und Peter Rühmkorf ihm nachpolemisierte: "Kraut und Rüben gleich Gedicht", sind die Naturlyriker unter Rechtfertigungsdruck geraten; und das umso mehr, als uns die Natur seither zunehmend als vergiftete, umgekippte, genmanipulierte, verstrahlte Natur alles andere als herrlich entgegenleuchtet. Und die alternativen lyrischen Bioprodukte ("Ökolyrik") wollten uns auch nicht so recht munden.
In dieser Situation erneut die Pflaumen und Birnen, die Tulpen und Gladiolen, die Weidenkätzchen, die Steine und Amseln, zahllose Katzen, das Wetter, die Tag- und Jahreszeiten zu bedichten, dazu gehört heutzutage schon Mut. Oder ist es Ignoranz? Christine Langer scheint unbekümmert zu sein um solche Bedenken. Sie erlaubt sich und ihren Gedichten, die Natur nach wie vor und immer noch schön vorzufinden und schön darzustellen: "Ein Schwalbenauge im Schwalbennest am schönsten / Ist die Stille wenn sie darüber liegt", heißt es in "Neun Arten Grün".
Dieser "Lust am Schauen" entspricht in den Gedichten eine aufwendige Beschreibungslust: Was die Sinne in der Natur lustvoll wahrnehmen, sollen die Gedichte kunstvoll wiedergeben. Zu den Mitteln dieser Kunst gehört deshalb vor allem eine präzise Deskription, oft verbunden mit dem Gestus der bloßen Feststellung: "Hingewehtes hingefegtes Laub / Liegt verlassen am Straßenrand / An blassen blattlosen Armen / Geknickten Halmen die braun / Durchblicken weich sickern ins fahle / Milchige Licht." Aber darüber hinaus lassen auch die formalen Mittel des Binnen- und Stabreims, der Assonanz, der rhythmisch-musikalischen Elemente den ausgeprägten Willen zur Kunst beobachten. Im besten Fall bleibt die Natur nicht nur betrachtetes Objekt, sondern wird gleichsam selbst poetisch tätig: "Die Rabenkrähe setzt einen Punkt / Ins Gedächtnis ins Gedicht." Ironischerweise verzichtet Christine Langer allerdings völlig auf jede Interpunktion, also auch auf den Punkt, so, als wären die Satzzeichen allzu antiquierte Störenfriede einer unverstellten Reproduktion der schönen Natur.
Gewiss: Um eine ganz und gar "heile" Welt handelt es sich nicht, der man hier begegnet. Das "Industriegebiet" findet ebenso ins Gedicht wie die "Strommasten", wie "Reklame für Coca-Cola & McDonald's" und das Kaufhaus Ikea. Doch nach wie vor brennt der Hufschmied das Eisen ins Horn der Hufe der Pferde, die der Bauer zwar nicht mehr im Märzen einspannt - er "Hat sein Feld vergessen", heißt es einmal -, doch im Übrigen geht er seiner Arbeit nach wie eh und je. Kurz: Es regiert das melancholische, nostalgische Lob des nur leicht getrübten Herkömmlichen, nicht die unerhörte Provokation des irritierend Neuen.
Neben den Naturgedichten, die durchaus im Zentrum stehen, enthält der Band eine Reihe thematisch anders orientierter Gedichte: Da wird etwa über Bandscheibenprobleme, über Franz Marcs rote Pferde oder über den tropfenden Hahn im Badezimmer eines alten Hauses gesprochen. Sogar ein Fußballgedicht ("Rasenkultur") findet sich. Aber mit den ,klassischen' Mustern dieses Genres, beispielsweise von Ror Wolf, Ludwig Harig und Albert Ostermaier, kann es dieser Text nicht aufnehmen.
WULF SEGEBRECHT.
Christine Langer: "Findelgesichter". Gedichte.
Verlag Klöpfer & Meyer, Tübingen 2010. 112 S., geb., 16,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Schöne Natur: Zu Christine Langers Gedichten
Seit Gottfried Benn die "Bewisperer von Gräsern und Nüssen" gnadenlos verspottete und Peter Rühmkorf ihm nachpolemisierte: "Kraut und Rüben gleich Gedicht", sind die Naturlyriker unter Rechtfertigungsdruck geraten; und das umso mehr, als uns die Natur seither zunehmend als vergiftete, umgekippte, genmanipulierte, verstrahlte Natur alles andere als herrlich entgegenleuchtet. Und die alternativen lyrischen Bioprodukte ("Ökolyrik") wollten uns auch nicht so recht munden.
In dieser Situation erneut die Pflaumen und Birnen, die Tulpen und Gladiolen, die Weidenkätzchen, die Steine und Amseln, zahllose Katzen, das Wetter, die Tag- und Jahreszeiten zu bedichten, dazu gehört heutzutage schon Mut. Oder ist es Ignoranz? Christine Langer scheint unbekümmert zu sein um solche Bedenken. Sie erlaubt sich und ihren Gedichten, die Natur nach wie vor und immer noch schön vorzufinden und schön darzustellen: "Ein Schwalbenauge im Schwalbennest am schönsten / Ist die Stille wenn sie darüber liegt", heißt es in "Neun Arten Grün".
Dieser "Lust am Schauen" entspricht in den Gedichten eine aufwendige Beschreibungslust: Was die Sinne in der Natur lustvoll wahrnehmen, sollen die Gedichte kunstvoll wiedergeben. Zu den Mitteln dieser Kunst gehört deshalb vor allem eine präzise Deskription, oft verbunden mit dem Gestus der bloßen Feststellung: "Hingewehtes hingefegtes Laub / Liegt verlassen am Straßenrand / An blassen blattlosen Armen / Geknickten Halmen die braun / Durchblicken weich sickern ins fahle / Milchige Licht." Aber darüber hinaus lassen auch die formalen Mittel des Binnen- und Stabreims, der Assonanz, der rhythmisch-musikalischen Elemente den ausgeprägten Willen zur Kunst beobachten. Im besten Fall bleibt die Natur nicht nur betrachtetes Objekt, sondern wird gleichsam selbst poetisch tätig: "Die Rabenkrähe setzt einen Punkt / Ins Gedächtnis ins Gedicht." Ironischerweise verzichtet Christine Langer allerdings völlig auf jede Interpunktion, also auch auf den Punkt, so, als wären die Satzzeichen allzu antiquierte Störenfriede einer unverstellten Reproduktion der schönen Natur.
Gewiss: Um eine ganz und gar "heile" Welt handelt es sich nicht, der man hier begegnet. Das "Industriegebiet" findet ebenso ins Gedicht wie die "Strommasten", wie "Reklame für Coca-Cola & McDonald's" und das Kaufhaus Ikea. Doch nach wie vor brennt der Hufschmied das Eisen ins Horn der Hufe der Pferde, die der Bauer zwar nicht mehr im Märzen einspannt - er "Hat sein Feld vergessen", heißt es einmal -, doch im Übrigen geht er seiner Arbeit nach wie eh und je. Kurz: Es regiert das melancholische, nostalgische Lob des nur leicht getrübten Herkömmlichen, nicht die unerhörte Provokation des irritierend Neuen.
Neben den Naturgedichten, die durchaus im Zentrum stehen, enthält der Band eine Reihe thematisch anders orientierter Gedichte: Da wird etwa über Bandscheibenprobleme, über Franz Marcs rote Pferde oder über den tropfenden Hahn im Badezimmer eines alten Hauses gesprochen. Sogar ein Fußballgedicht ("Rasenkultur") findet sich. Aber mit den ,klassischen' Mustern dieses Genres, beispielsweise von Ror Wolf, Ludwig Harig und Albert Ostermaier, kann es dieser Text nicht aufnehmen.
WULF SEGEBRECHT.
Christine Langer: "Findelgesichter". Gedichte.
Verlag Klöpfer & Meyer, Tübingen 2010. 112 S., geb., 16,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Nicht ganz geheuer scheinen die Gedichte von Christine Langer dem Rezensenten. Kein Wunder, schnallt sich Langer doch den lyrischen Rucksack auf, drin sind Stab- und Binnenreim, eine Portion Assonanzen und eine Tüte voll weiterer rhythmisch-musikalischer Elemente, um Naturlyrik zu schreiben! Weidenkatzen, Amseln und Birnen zu bedichten! Beschreibend, lustvoll! Wulf Segebrecht zieht den Hut, obwohl, möglicherweise ist es gar nicht Mut, sondern Ignoranz, was die Autorin über verlassen am Straßenrand liegendes Laub trauern lässt? Eine durchaus ins Bild ragende McDonald's-Filiale nimmt Segebrecht bei soviel Nostalgie jedenfalls geradezu erleichtert zur Kenntnis, auch den Ikea-Markt.
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH
"Wer für heute genug hat von der lautstarken Zeitgenossenschaft der neuesten neuen Berlin-Mitte-Dichter oder dem versifizierten Schulfunk derer, die glauben, dass "Lyrik heute" das Genom zum Inhalt haben müsse und nicht auch Kraniche in den Blick nehmen dürfe - der kann und soll sich an den Gedichten Christine Langers erfrischen: Sprachmelos, nachfühlende Naturbeobachtung und etwas so Rares wie robuste Sensibilität finden da zueinander."
Steffen Jacobs
"Prekäre Balancen: aus Nichts, Kleinstem, einem Stück Natur alles machen, voller Luft und Zeit, mit seinen lebendigen Wesen am Rand. Mitten drin mindestens ein überraschender Vers, der hervorwächst aus dem von Wirklichkeit und Laut und alles lohnt. Langsam im Auftritt, stark im Nachklang - Gedichte als belebte Stilleben: beginnen zu glänzen und 'geben in jeder Richtung Wünsche frei'."
Ulrike Draesner
"Naturgedicht ist zu wenig gesagt, und nicht der romantische Blick ist bei ihr am Werk. Unbeirrt, unbestechlich forscht Christine Langer nach Rückzugsorten des Gefühls, nicht gefühlig, nicht vernagelt, vielmehr verblüfft, erfüllt von Pracht. Ihre Gedichte beharren auf dem 'noch immer': Erinnerungsmuster, Klangstruktur und graphisches Raffinement vereinen sich bei ihr zu einer Folie des Staunens."
Mirko Bonné
"Was mir an ihrer Lyrik so besonders gefällt, kommt aus der Unangestrengtheit, die auch Halbtöne entstehen lässt und den Gedichten ihre ganz unverkennbare Eigenart (Handschrift) einräumt ..."
Oskar Pastior
"Ihre Gedichte sind einfach sehr schön."
Friederike Mayröcker
"Wenn die Dichterin ihre Eindrücke in der Natur in Worte fasst, dann hat sie keine Botschaft im Sinn. Schon gar keine politische. Von persönlich dominierten Gedichterergüssen hält sie überhaupt nichts. Vielmehr arbeitet Christine Langer daran, die Natur, deren Oberflächen und die dahinter zum Vorschein kommenenden Geheimnisse zu ergründen. Da wird selbst ein Misthaufen zum Weltwunder und das Licht in den Pfützen ist ihr wichtiger als jeder romantische Sonnenuntergang. Mit einem fulminanten Sprachschatz ausgestattet, ist sie so etwas wie eine lyrische Berichterstatterin der Natur in deren stetiger Verwandlung."
Augsburger Allgemeine
"Christine Langer bringt, was in ihr Gesichtsfeld gerät, zur Sprache, und tut das nicht zuallererst deutend, sondern beeindruckt. Sie lässt dem Vor-Gefundenen das eigene Gesicht. Darum haben diese Gedichte etwas Hymnisches, sie besingen mehr, als dass sie zu beschreiben versuchen."
allmende
"Diese Gedichte kommen nicht laut, sondern leise daher, vermeiden die großen Gesten und sind gerade darum so nah am Leser. Christine Langer schreibt von einer Wirklichkeit, die jeder kennt, aber noch lange nicht wahrnimmt. Es gibt keine künstlichen Wortschöpfungen, keine laute Zeitgenossenschaft, sondern nur raffinierte Schlichtheit darin."
Widmar Puhl, SWR2
"Voyeuristische Leidenschaft wohnt dem ungemein sensiblen Blick von Christine Langer inne. Mal munter, dann wieder melancholisch führt uns ihr neuer Gedichtband auf poetische Entdeckungsreise durch die verwinkelte Wunderkammer der Natur, in deren Untergehölz sich 'das Innerste entlarvt'. Mit artistischem Feingefühl entwirft Langer malerisch zweckfreie Bilder, die entrücken und verzücken, ohne dabei ihre Geheimnisse preiszugeben."
Stuttgarter Zeitung
"Es gibt wohl nur wenige Lyrikerinnen und Lyriker im deutschsprachigen Raum, die sich so intensiv und gekonnt wie Christine Langer der Naturlyrik verschrieben haben. Nachdem vor drei Jahren ihr Gedichtband "Lichtrisse" erschien, legt sie nun mit "Findel gesichter" nach. Und es ist offen sicht lich, dass die neuen Natur gedichte zu einem großen Teil noch dichter, noch einfühl samer sind, dabei von einer Leichtig keit und formalen Unange strengtheit, die dem Leser ein poeti sches Natur erlebnis erster Güte ermög lichen."
Peter Kapp, Poetenladen
"Langweilig ist es hier nirgends. Das tummelt und tollt durchs Gras wie be
Steffen Jacobs
"Prekäre Balancen: aus Nichts, Kleinstem, einem Stück Natur alles machen, voller Luft und Zeit, mit seinen lebendigen Wesen am Rand. Mitten drin mindestens ein überraschender Vers, der hervorwächst aus dem von Wirklichkeit und Laut und alles lohnt. Langsam im Auftritt, stark im Nachklang - Gedichte als belebte Stilleben: beginnen zu glänzen und 'geben in jeder Richtung Wünsche frei'."
Ulrike Draesner
"Naturgedicht ist zu wenig gesagt, und nicht der romantische Blick ist bei ihr am Werk. Unbeirrt, unbestechlich forscht Christine Langer nach Rückzugsorten des Gefühls, nicht gefühlig, nicht vernagelt, vielmehr verblüfft, erfüllt von Pracht. Ihre Gedichte beharren auf dem 'noch immer': Erinnerungsmuster, Klangstruktur und graphisches Raffinement vereinen sich bei ihr zu einer Folie des Staunens."
Mirko Bonné
"Was mir an ihrer Lyrik so besonders gefällt, kommt aus der Unangestrengtheit, die auch Halbtöne entstehen lässt und den Gedichten ihre ganz unverkennbare Eigenart (Handschrift) einräumt ..."
Oskar Pastior
"Ihre Gedichte sind einfach sehr schön."
Friederike Mayröcker
"Wenn die Dichterin ihre Eindrücke in der Natur in Worte fasst, dann hat sie keine Botschaft im Sinn. Schon gar keine politische. Von persönlich dominierten Gedichterergüssen hält sie überhaupt nichts. Vielmehr arbeitet Christine Langer daran, die Natur, deren Oberflächen und die dahinter zum Vorschein kommenenden Geheimnisse zu ergründen. Da wird selbst ein Misthaufen zum Weltwunder und das Licht in den Pfützen ist ihr wichtiger als jeder romantische Sonnenuntergang. Mit einem fulminanten Sprachschatz ausgestattet, ist sie so etwas wie eine lyrische Berichterstatterin der Natur in deren stetiger Verwandlung."
Augsburger Allgemeine
"Christine Langer bringt, was in ihr Gesichtsfeld gerät, zur Sprache, und tut das nicht zuallererst deutend, sondern beeindruckt. Sie lässt dem Vor-Gefundenen das eigene Gesicht. Darum haben diese Gedichte etwas Hymnisches, sie besingen mehr, als dass sie zu beschreiben versuchen."
allmende
"Diese Gedichte kommen nicht laut, sondern leise daher, vermeiden die großen Gesten und sind gerade darum so nah am Leser. Christine Langer schreibt von einer Wirklichkeit, die jeder kennt, aber noch lange nicht wahrnimmt. Es gibt keine künstlichen Wortschöpfungen, keine laute Zeitgenossenschaft, sondern nur raffinierte Schlichtheit darin."
Widmar Puhl, SWR2
"Voyeuristische Leidenschaft wohnt dem ungemein sensiblen Blick von Christine Langer inne. Mal munter, dann wieder melancholisch führt uns ihr neuer Gedichtband auf poetische Entdeckungsreise durch die verwinkelte Wunderkammer der Natur, in deren Untergehölz sich 'das Innerste entlarvt'. Mit artistischem Feingefühl entwirft Langer malerisch zweckfreie Bilder, die entrücken und verzücken, ohne dabei ihre Geheimnisse preiszugeben."
Stuttgarter Zeitung
"Es gibt wohl nur wenige Lyrikerinnen und Lyriker im deutschsprachigen Raum, die sich so intensiv und gekonnt wie Christine Langer der Naturlyrik verschrieben haben. Nachdem vor drei Jahren ihr Gedichtband "Lichtrisse" erschien, legt sie nun mit "Findel gesichter" nach. Und es ist offen sicht lich, dass die neuen Natur gedichte zu einem großen Teil noch dichter, noch einfühl samer sind, dabei von einer Leichtig keit und formalen Unange strengtheit, die dem Leser ein poeti sches Natur erlebnis erster Güte ermög lichen."
Peter Kapp, Poetenladen
"Langweilig ist es hier nirgends. Das tummelt und tollt durchs Gras wie be