Marktplatzangebote
13 Angebote ab € 1,29 €
  • Gebundenes Buch

42 eher unsinnige als sinnige Fingerzeige auf die, die auf, vor und hinter der Bühne stehen. Doch auch außerhalb der Bühnenwelt gibt es seltsame Individualisten, Tiere und Gegenstände, die der weltbrühmte Pianist Alfred Brendel augenzwinkernd ins Visier nimmt. "...voll verschmitzter Anarchie, hintergründiger Intelligenz und sprachlicher Brillianz. Brendel lesen? Ein Vergnügen." FOCUS

Produktbeschreibung
42 eher unsinnige als sinnige Fingerzeige auf die, die auf, vor und hinter der Bühne stehen. Doch auch außerhalb der Bühnenwelt gibt es seltsame Individualisten, Tiere und Gegenstände, die der weltbrühmte Pianist Alfred Brendel augenzwinkernd ins Visier nimmt. "...voll verschmitzter Anarchie, hintergründiger Intelligenz und sprachlicher Brillianz. Brendel lesen? Ein Vergnügen." FOCUS
Autorenporträt
Alfred Brendel, 1931 in Wiesenberg/Nordmähren geboren, weltweit geschätzter Pianist, gilt als einer der bedeutendsten Interpreten klassisch-romantischer Musik des 20. Jahrhunderts. Als Schriftsteller ist er mit Essays und Gedichten hervorgetreten. Er ist u.a. Ehrendoktor der Universitäten von London, Oxford und Yale und lebt in London.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 01.10.1996

Das Knie singt
Typisch Emil: Alfred Brendels "Fingerzeig" / Von Hans Zender

Alfred Brendel ist nicht nur einer der scharfsinnigsten Musiker unserer Zeit, er verfügt auch über die seltene Gabe, seine interpretatorischen Erfahrungen und Strategien in einer makellosen Sprache formulieren zu können. Seine beiden seit längerer Zeit vorliegenden Aufsatzsammlungen haben die unschätzbare Eigenschaft, sich einer breiteren Leserschaft mitzuteilen, ohne durch unzulässige Vereinfachungen oder populistische Platitüden die angeschnittenen Probleme zu verfälschen. Vieles, was er geschrieben hat, ist überraschend neuartig in der Sichtweise und ergänzt glänzend seine Arbeit auf dem Podium: so vor allem seine Aufsätze über Liszt, aber auch die über Schubert und Beethoven.

Besonders originell wirken seine Gedanken über Haydn und den Humor in der Musik: ein zwar vergnügliches, gleichzeitig aber sehr heikles Thema. Denn wie ist es eigentlich möglich, daß eine ungegenständliche Kunst wie die Musik so etwas wie Witz oder gar Ironie entwickeln kann, ohne doch - wie die Wortsprache - über Begriffe als Instrumente der Reflexion zu verfügen? Am Beispiel Haydns zeigte Brendel, daß dies vor allem durch die Irreführung und abrupte Täuschung der - im Hörer zunächst erst zu erzeugenden - Erwartungshaltung möglich ist. Noch tiefer deutet seine Einsicht, daß das Komische (bei Haydn mit vollem Bewußtsein) ein mißglücktes oder verzerrtes "Erhabenes" ist; es entsteht "spontan" durch das Scheitern von Ordnung und Vernunft. In diesem Sinne wird im Komischen - und das haben die großen Humoristen der Literatur, an der Spitze Jean Paul und Joyce, oft bewiesen - der Kern der menschlichen Existenz sichtbar.

Nun legt Brendel, nach zwei hochvernünftigen Büchern, eine Sammlung von Texten vor, die sich selber in die (recht kleine) Gruppe der genuin komischen Literatur einreiht und ihren Autor vielleicht "unsterblich" macht. Man denkt zunächst an Morgenstern, an Hugo Ball und Hans Arp - aber wichtiger als diese Genealogie ist, daß man in jeder Zeile dieser fünfundvierzig kleinen "Gedichte" (die "eigentlich", aber dann doch wieder nicht, Prosastücke sind) die so originelle wie liebenswerte Figur Brendels selbst erkennt. Literatur hin oder her, es ist ihm gelungen, in diesen Gebilden so etwas wie ein "Selbstbild" zu erschaffen - und das ist der Ausweis wahrer Kunst, mag diese in Form und Inhalt noch so "oxymoron", also selbstwidersprüchlich, daherkommen. Nicht, indem er über sich und sein Leben "dichtet", gibt er dieses Selbstbild, sondern durch die nur ihm (und seinem Klavierspiel) eigene Art eines lässig-hintersinnigen, dabei äußerst feinfühligen Angehens der Sprache wie der Dinge durch die Sprache - die komischen Effekte nicht um ihrer selbst willen anpeilend, sondern sich selbst und die Welt als "umgekehrtes Erhabenes", als Unsinnig-Sinnhaftes anschauend: "Albernheit und Methode / Sinn im Unsinn / Grazie Anarchie / ein Stück Welt / Zugleich absolut gar nichts."

Die Themen Brendels sind vielfältig. Zunächst einmal ist es die Musik; und es ist klar, daß es die nervenaufreibende, überharte Arbeit auf dem Podium ist, die so manchen seiner Späße als Kompensation hervorgetrieben hat: absurde Phantasien, die auch vor Kalauern nicht zurückschrecken - man erinnert sich an die Mozart-Briefe, an Hindemiths Zeichnungen, an Regers überlieferte Spontanschöpfungen . . . Die Dame, welche ständig von verstorbenen Komponisten heimgesucht wird: "Es machte ihr nichts aus / daß Brahms / seinen Bart auf ihrer Schulter liegenließ / oder Chopin / sie mit Spiegeleiern fütterte." Der "Klavierpoet", welcher sich seine Übezeiten durch Honigbrote einteilt: "Fast siebzehnmal hintereinander / war das Nocturne erklungen / ein Pensum an Poesie / das den Künstler in die Lage versetzte / ruhigen Gewissens / ins nächste Honigbrot zu beißen." Oder der Dirigent, der sein Orchester entläßt, als es auf seinen Auftakt nicht einsetzt: ". . . wurde / um sich für diese Unbotmäßigkeit zu rächen / Staatsmann" - das sind Monumente des berühmt-berüchtigten Musikerhumors, allerdings oft auf einem doppelten Boden errichtet.

Fast genial geschieht das im Anfangstext, der dem Büchlein seinen Namen gegeben hat: Dem ausdeutenden Pianisten wächst immer wieder bei der Arbeit ein dritter Zeigefinger aus den verschiedensten Körperteilen, welcher auf bedeutende und problematische Details hinweist. Aber auch der introvertierteste Musiker kann nicht nur in seiner Innenwelt leben. So spielen eine Menge freundlicher oder sinistrer Gestalten in die Texte hinein: ein Sultan, der seine Nebenfrauen durch Vorsingenlassen auseinanderhält; der Straßenkehrer, der sich für eine Ehrung mit einer feierlichen Rede bedankt; der alpenländische Kropf, der "mit einer kleinen Briefbombe / die ihnen die Fingerlein verbrennen wird", für Ruhe und Ordnung sorgt. Aber auch der endlich erschienene Godot; das aus voller Kehle singende Knie; das mit dem Bade ausgeschüttete Kind, das seinen Eltern eine tiefenpsychologische Standpauke hält.

Und dann die Tiere, die Brendel liebt - vom Affen, der zu Weihnachten immer serviert, über Krokodile, Löwen, Oktopusse, Hunde, Schafe bis zu den Mäusen, die von den Katzen gern unter den Flügelpedalen deponiert werden: alle spielen mit in der Welt des Humoristen Brendel, der es ja gelegentlich sogar schafft, auch ein seriöses Konzertpublikum zum Lachen zu bringen (etwa bei Beethovens op. 14 Nr. 2), und der ganz offenbar jener Vereinigung angehört, die sein Lachforscher endlich entdeckt und sofort auf Video festgehalten hat: ". . . eine Kongregation / welche / von ihrem Prediger ermutigt / in Lachkrämpfe ausbrach / sich in Lachorgien auf den Kirchenfliesen wand / schönster Beweis dafür / daß Gott ein Humorist sei."

Alle diese Kostbarkeiten bringt Brendel in einer todernsten, überkorrekten Sprache vor - man denkt geradezu an Thomas Bernhard. In wohltuend abwechslungsreichem rhythmischen Faltenwurf fließen die Zeilen dahin (deren Aufteilung dem Leser sofort schlüssig erscheint). Dieses Büchlein wird ohne Zweifel ein Treffer werden, nicht nur bei der zahlreichen Brendel-Gemeinde, nicht nur bei musikalischen Menschen, sondern überhaupt; denn "Emil" hat geholfen, Emil, der Freund der Dichter, der sie "mit kühnen Metaphern versorgt / manchmal auch mit witzigen Aphorismen / in jener Mischung / typisch Emil / von Unsinn und Tiefsinn" - Emil, der das Geheimnis der complexio oppositorum kennt und für die "gegenstrebige Harmonie" sorgt, welche schon für Heraklit die Wirklichkeit hervorbringt: "lachend mit ernsten Augen / zierlich heulend / ob die Widersprüche verschwanden / wenn man lang genug in ihrer Mitte / auf einem Bein tanzend / ausharrte".

Alfred Brendel: "Fingerzeig". Hanser Verlag, München und Wien 1996. 88 S., geb., 20,- DM.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr
"... voll verschmitzter Anarchie, hintergründiger Intelligenz und sprachlicher Brillianz. Brendel lesen? Ein Vergnügen." (Focus)