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Der Box-Champion, der in einem Waschsalon in New Orleans Frauenkleider stiehlt und sie heimlich in der Nachbarschaft verteilt; der Japaner, der an der irischen Westküste Häuser tapeziert und damit die Phantasie der Einheimischen inspiriert: in Colum McCanns Kurzgeschichten tummeln sich Grenzgänger des bürgerlichen Lebens und liebenswerte Sonderlinge.

Produktbeschreibung
Der Box-Champion, der in einem Waschsalon in New Orleans Frauenkleider stiehlt und sie heimlich in der Nachbarschaft verteilt; der Japaner, der an der irischen Westküste Häuser tapeziert und damit die Phantasie der Einheimischen inspiriert: in Colum McCanns Kurzgeschichten tummeln sich Grenzgänger des bürgerlichen Lebens und liebenswerte Sonderlinge.
Autorenporträt
Colum McCann wurde 1965 in Dublin geboren. Er arbeitete als Journalist, Farmarbeiter und Lehrer und unternahm lange Reisen durch Asien, Europa und Amerika. Für seine Romane und Erzählungen erhielt McCann zahlreiche Literaturpreise, unter anderem den Hennessy Award und den Rooney Prize for Irish Literature. Zum internationalen Bestsellerautor wurde er mit den Romanen Der Tänzer und Zoli. Für den Roman Die große Welt erhielt er 2009 den National Book Award. Er ist verheiratet, hat drei Kinder und lebt in New York.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 11.04.1998

Nachmittag eines Kükenprüfers
Das Muster in der Tapete: Colum McCanns Sammlung schräger Vögel · Von Thomas Wirtz

Colum McCanns Spurensuche vermißt ein imaginäres Irland: Sie kartographiert das Verlorene mit Buchstaben. Aus ihnen ersteht zum Beispiel in wenigen Zeilen die Gestalt des Japaners Osobe, dessen Lächeln so unergründlich wie seine Vergangenheit ist. Irgendwann nach dem Krieg kommt er auf die Insel, als wollte er die von den Ausgewanderten gerissene Lücke höflich füllen. Mitgebracht hat er nur seine Tapetenrollen, die er in allen Zimmern seines kleinen Hauses lagert. Als die Einwohner ihn lange genug übersehen und damit die Ernsthaftigkeit seines Bleibens geprüft haben, lassen sie sich endlich von ihm ihre Wände bekleben. Vor allem lieben sie die großen Blumenmuster, mit denen man die Luft aus den plötzlich viel zu eng gewordenen Räumen treibt. Auch nach Feierabend kann dieser wortlose Arbeiter von seinem Tun nicht lassen.

Versunken in stillstehender Zeit und glücklich einem unbekannten Vorstellungsbild zunickend, entsorgt Osobe alle Tapetenreste auf den Wänden seines eigenen Hauses. Vielleicht setzt das Patchwork der Muster sich für ihn zur Landkarte seiner eigenen Insel zusammen, so daß er auf verschlungenem Laubwerk um die halbe Welt zurückfindet. Vielleicht übt die gleichmäßige Handlung auch nur ins Nichts der reinen Gegenwart ein, das alle Erinnerung schmerzlos in den Kleister bannt.

Aus dem verdienstvollen Handwerk wird am Abend ein uneinsehbares Ritual, fremd gerade durch seine vertrauten Utensilien. Als man Osobe eines Tages tot auffindet, haben sich die Wände auf ihn zugeschoben. Gleich einwärts wachsenden Jahresringen halten ihn die Tapetenschichten umfangen, als wollten sie die vergangene Zeit mit dem Lineal meßbar machen. So fest sind sie ineinandergefügt, daß man das Haus mit ihnen abreißen muß.

Keine sechzehn Seiten braucht McCann für diese Geschichte, und schon im ersten Satz ist sie ganz da. "Einige behaupteten, in den vierziger Jahren sei er ein Kükenprüfer gewesen, ein blasser schmaler Mann, der eine Zeitlang in einem Lager für Japaner nahe den Bergen von Idaho gewesen sei." Es sind dies die Worte von Osobes Gehilfen Sean, an dem der Autor die Versuchung und Meisterschaft seines eigenen, irischen Erzählens aufdeckt. Denn der Japaner wehrt sich mit seinem unbesiegbaren Lächeln gegen die Zumutung, das eigene Leben fremden Ohren preiszugeben. Deshalb muß Sean das ersehnte Geständnis durch seine eigene Einbildungskraft ersetzen.

Immer neue Abenteuer dichtet er dem Schweigsamen an, die von verdampften Toten in Hiroshima oder Kamikaze-Einsätzen über dem Pazifik erzählen. Je dichter sich der Tapetenkokon um den fremden Gast zusammenzieht, desto reicher umschwirren die Worte den ihnen verschlossenen Raum. Sie wollen sich das unnahbar Fremde aneignen, dessen Wirklichkeit greifbar und doch so unverständlich vor ihnen steht. Weil Osobe letzte Auskunft über sich verweigert, will eine "makellose Balance der Phantasie" ihn zum stellvertretenden Sprechen bringen. Erst sein Schweigen wirft eine Erfindungsmaschine in Gang, die um so mehr Wirklichkeiten produziert, je weniger sie von der einen ersehnten haben kann. Ihre wunderbar sicheren Worten sind der Ersatz für die versagte Intimität.

McCanns Geschichten treiben das Surreale aus dem Wirklichen hervor. In ihnen wimmelt es von Figuren, deren Reich nicht von dieser Alltagswelt sein dürfte: ein irischer Boxer in New Orleans, der Gedichte rezitiert und im Waschsalon durchsichtige Damenblusen für jemanden stiehlt, der ihn schon lange verlassen hat; ein blindes Mädchen und seine Heirat mit einem Kriegsveteranen, der aus Vietnam gerade noch das Leben, nicht aber mehr seine Beine retten konnte; die magersüchtige Nonne, die aus ihrem Körper Fingernägel zieht und doch vom Leben und seinen bunten Socken nicht lassen kann. Was in der knappen Nacherzählung zu einem bizarren Panoptikum von Unwahrscheinlichkeiten verkommt, führt der ruhige Ton dieses Autors in die Selbstverständlichkeit zurück. Die schräge Welt seiner Verrückten und Verlorenen erblickt man durch das Taschenperspektiv eines Erzählens, das alles ins Lot der Normalität wieder hineintäuscht. Keine seiner Biographien arbeitet erwartbar, doch meint man nach der Lektüre, anders hätte es nicht laufen dürfen.

In der Titelgeschichte erreicht diese selbstsichere Lakonie ihren Höhepunkt. Kaum verhohlen genießt hier der Autor die angenehme Macht eines Erzählens, das überwältigt und dem man dennoch alles unbesehen glaubt. Perlenartig aufgereiht stehen zwölf Frauen am Flußufer und werfen vergeblich ihre Angeln nach Fischen und Söhnen aus. Auf nicht einmal fünf Seiten erfährt man ihre sämtlichen Familiennamen und hört von Ehemännern, die es sich und einem Fußball immer noch beweisen wollen. Von ihnen allen wird der Leser nachher sagen, sie schon lange Jahre zu kennen.

Der Erzähler Colum McCann braucht den Atem eines einzigen Satzes, um seinen Figuren die Präsenz eines sechzigjährigen Lebens einzuhauchen. Nach dem ersten Absatz sind ihre Marotten keine mehr, weil an ihrer Tatsächlichkeit kein Zweifel besteht. Mögen die Figuren dieses Schriftstellers auch melancholisch im tiefschwarzen Fluß fischen: McCanns eigenes Erzählen hält sich dem Trüben fern. In alle Welt zerstreut, ersteht sein Irland an jedem Alltag neu. Es ist das Land, wo die Marotten blühn.

Colum McCann: "Fischen im tiefschwarzen Fluß". Stories. Aus dem Englischen übersetzt von Matthias Müller. Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 1998. 219 S., geb., 34,- DM.

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Colum McCann schöpft seine Welt aus einer kraftvollen und magischen Prosa, so ungewöhnlich und so originär, so verführerisch und so einleuchtend, daß der Leser nach der Lektüre glaubt, alles in einem neuen Licht zu sehen, dankbar erhellt und bereit, das Mysterium des Lebens anzunehmen. Der Tagesspiegel