Dieser Roman ist eine schreckliche Vision: Nach der Nuklearkatastrophe ist auf Key West nichts mehr wie es vorher war. Die Menschen einer verlorenen Zivilisation leben in einer Welt der zerstückelten Erinnerungen.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 20.12.2003Nach dem Untergang
Denis Johnson erzählt von Fischmenschen und Klarinetten
Die Welt ist ein seltsamer Ort. Am wenigsten seltsam ist sie dort, wo sie vollkommen unbewohnbar geworden ist, nicht mehr als eine verseuchte Oberfläche, meterhoch bedeckt mit Asche, Leichen und zermalmten Bergen, strahlend, tot. Das ist keine erhebende Vorstellung, aber doch eine, die in zahlreichen nachapokalyptischen Phantasien eine alte Bekannte geworden ist. Anders sieht es mit dem Rest der Welt aus, den Denis Johnson in seinem frühen Roman "Fiskadoro" die Quarantänezone nennt und die sich dort erstreckt, wo früher, vor der großen Katastrophe, die Florida Keys lagen. In ihrer Umgebung wohnen Sumpfmenschen, die alle Weißen gefressen und ihr Blut getrunken haben, Frauen, denen Flossen aus den Achseln wachsen, Männer, die rosafarbenen Nebel ausatmen, und Israeliten, die jahrelang an einem kleinen weißen Schiff bauen. Einer trägt einen Namen, der ohne Ton aus seinem Mund kommt und sich "--" schreibt, ein anderer ist in der Lage, "seine trüben Pupillen zeitweise auf die Schärfe eines Zielfernrohrs" einzustellen. Irgendwann einmal, soviel verrät Johnson bereits auf der ersten Seite, wird die Zeit der Quarantäne vorbei sein und wieder Zuckerrohr hier wachsen. Die Zeit aber, in der "Fiskadoro" spielt, ist die Zeit des Reises.
Das heißt nicht, daß es keinen Kartoffelwein gäbe, ein süßliches widerliches Zeug, das unter der Erde gärt, oder keine Melonen, die hundert Dollar oder auch einen Penny pro Scheibe kosten. Und auch Zuckerrohr gibt es, allerdings nur im Garten von Herrn Cheung, der mit Frau und Tochter und seiner hundertjährigen Mutter im Zentrum des Buchs steht, obwohl es den Namen einer anderen Figur im Titel trägt. Dieser Fiskadoro, was Fischmann oder Harpunenwerfer heißen kann, hat einen Koffer mit einer Klarinette darin und kommt zu Herrn Cheung, um darauf spielen zu lernen. Immerhin leitet Herr Cheung das Miami-Sinfonie-Orchester, auch wenn keiner der anderen Musiker in dem Roman auftaucht. Denn es geht um etwas ganz anderes als um Musik - um die Erinnerung zum Beispiel und darum, ob die Seele stirbt, wenn die Erinnerung verloschen ist. Es geht um Religion und darum, ob es einen Unterschied macht, wie der Gott heißt, der Erlösung bringen könnte, Bob Marley etwa oder Gott oder Atombomberpilot Overdoze oder Allah. Denn in der Welt von "Fiskadoro", in der der Nebel sich "wie ein Gebetsteppich" ausbreitet und blanke Hände aufgehalten werden "wie die Seiten des Korans", ist Erlösung, woher auch immer sie zu kommen verspricht, unbedingt zu wünschen.
Daß sie am Ende gewährt wird, ist die größte Schwäche dieses Buchs, das in den Vereinigten Staaten bereits im Jahr 1985 herauskam, zu einer Zeit, in der die Atomkatastrophe noch bedrohlicher war als alles, wovon wir heute den Untergang erwarten. 1990 gab es bereits einmal eine deutsche Ausgabe im Limes Verlag, doch die ist lange schon vergriffen und wohl von kaum jemandem wirklich wahrgenommen worden. Die Übersetzung von Ute Spengler ist für die neue Ausgabe von Bettina Abarbanell überarbeitet worden, ohne daß es gelungen wäre, das reduzierte englisch-spanische Sprachgemisch, in dem die Figuren sich, oft erfolglos, zu verständigen suchen, wirklich überzeugend ins Deutsche zu transportieren.
Doch selbst wenn das anders wäre, bliebe "Fiskadoro" ein gemischtes Leseerlebnis: großartig, wenn Johnson etwa die Geschichte der Hundertjährigen erzählt, die am Ende des Vietnamkriegs mit dem Fall von Saigon beginnt und auf einem roten kunstledernen Schaukelstuhl nicht endet, sondern pausiert; ermüdend, wenn es um Initiationsriten, Voodoo und allen möglichen spirituellen Schabernack geht, von dem nicht klar wird, ob der Autor das alles wirklich ernst nimmt; ein wenig enttäuschend immer wieder, wenn Johnson auf seinen bereits auf der ersten Romanseite plazierten Hinweis auf eine Zeit nach der Quarantäne zurückkommt. Denn mit dieser über die Erzählepoche hinausweisenden Aussicht gibt Johnson seinem Roman eine teleologische Perspektive, bevor er überhaupt von der Endzeit zu erzählen beginnt, die damit keine Endzeit mehr sein kann. Wer den Autor für Bücher wie "Jesus' Son" oder "Schon tot" schätzengelernt hat, sollte daher, solange Johnson ihm die Chance gibt, einfach vergessen, daß da diese relativierenden Wörter standen, "Heutzutage wird ... " und "Damals aber ... ". Es ist der Stillstand, um dessentwillen sich "Fiskadoro" zu lesen lohnt, nicht die Entwicklung.
"Fiskadoro" ist ein seltsames Buch. Manchmal scheint die Erzählung den Atem bis kurz vor dem vollständigen Halt zu verlangsamen wie ein müder alter Mensch, dem der Kopf auf die Brust sinkt, bevor er im Sessel einnickt. Dann wieder hetzt der Autor durch Augenblicke höchster Not, als seien ihm alle Mißgebildeten seiner verdammten Welt auf den Fersen. Am wenigsten seltsam aber ist "Fiskadoro", wenn Denis Johnson von Gefühlen erzählt, von der Trauer über den Tod des Vaters etwa, in der Fiskadoro "all die Dinge, die sein Vater nicht mehr sehen würde", die Sicht nehmen, von den Beklemmungen des Älterwerdens, von Schmerzen, von Liebe und auch davon, welche Empfindungen sich streiten, wenn ein Mensch dem Tod durch Ertrinken entgegentreibt. Dann ist er groß, größer fast als in seinen gelungeneren Büchern.
Denis Johnson: "Fiskadoro". Roman. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Ute Spengler, durchgesehen von Bettina Abarbanell. Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 2003. 255 S., geb., 19,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Denis Johnson erzählt von Fischmenschen und Klarinetten
Die Welt ist ein seltsamer Ort. Am wenigsten seltsam ist sie dort, wo sie vollkommen unbewohnbar geworden ist, nicht mehr als eine verseuchte Oberfläche, meterhoch bedeckt mit Asche, Leichen und zermalmten Bergen, strahlend, tot. Das ist keine erhebende Vorstellung, aber doch eine, die in zahlreichen nachapokalyptischen Phantasien eine alte Bekannte geworden ist. Anders sieht es mit dem Rest der Welt aus, den Denis Johnson in seinem frühen Roman "Fiskadoro" die Quarantänezone nennt und die sich dort erstreckt, wo früher, vor der großen Katastrophe, die Florida Keys lagen. In ihrer Umgebung wohnen Sumpfmenschen, die alle Weißen gefressen und ihr Blut getrunken haben, Frauen, denen Flossen aus den Achseln wachsen, Männer, die rosafarbenen Nebel ausatmen, und Israeliten, die jahrelang an einem kleinen weißen Schiff bauen. Einer trägt einen Namen, der ohne Ton aus seinem Mund kommt und sich "--" schreibt, ein anderer ist in der Lage, "seine trüben Pupillen zeitweise auf die Schärfe eines Zielfernrohrs" einzustellen. Irgendwann einmal, soviel verrät Johnson bereits auf der ersten Seite, wird die Zeit der Quarantäne vorbei sein und wieder Zuckerrohr hier wachsen. Die Zeit aber, in der "Fiskadoro" spielt, ist die Zeit des Reises.
Das heißt nicht, daß es keinen Kartoffelwein gäbe, ein süßliches widerliches Zeug, das unter der Erde gärt, oder keine Melonen, die hundert Dollar oder auch einen Penny pro Scheibe kosten. Und auch Zuckerrohr gibt es, allerdings nur im Garten von Herrn Cheung, der mit Frau und Tochter und seiner hundertjährigen Mutter im Zentrum des Buchs steht, obwohl es den Namen einer anderen Figur im Titel trägt. Dieser Fiskadoro, was Fischmann oder Harpunenwerfer heißen kann, hat einen Koffer mit einer Klarinette darin und kommt zu Herrn Cheung, um darauf spielen zu lernen. Immerhin leitet Herr Cheung das Miami-Sinfonie-Orchester, auch wenn keiner der anderen Musiker in dem Roman auftaucht. Denn es geht um etwas ganz anderes als um Musik - um die Erinnerung zum Beispiel und darum, ob die Seele stirbt, wenn die Erinnerung verloschen ist. Es geht um Religion und darum, ob es einen Unterschied macht, wie der Gott heißt, der Erlösung bringen könnte, Bob Marley etwa oder Gott oder Atombomberpilot Overdoze oder Allah. Denn in der Welt von "Fiskadoro", in der der Nebel sich "wie ein Gebetsteppich" ausbreitet und blanke Hände aufgehalten werden "wie die Seiten des Korans", ist Erlösung, woher auch immer sie zu kommen verspricht, unbedingt zu wünschen.
Daß sie am Ende gewährt wird, ist die größte Schwäche dieses Buchs, das in den Vereinigten Staaten bereits im Jahr 1985 herauskam, zu einer Zeit, in der die Atomkatastrophe noch bedrohlicher war als alles, wovon wir heute den Untergang erwarten. 1990 gab es bereits einmal eine deutsche Ausgabe im Limes Verlag, doch die ist lange schon vergriffen und wohl von kaum jemandem wirklich wahrgenommen worden. Die Übersetzung von Ute Spengler ist für die neue Ausgabe von Bettina Abarbanell überarbeitet worden, ohne daß es gelungen wäre, das reduzierte englisch-spanische Sprachgemisch, in dem die Figuren sich, oft erfolglos, zu verständigen suchen, wirklich überzeugend ins Deutsche zu transportieren.
Doch selbst wenn das anders wäre, bliebe "Fiskadoro" ein gemischtes Leseerlebnis: großartig, wenn Johnson etwa die Geschichte der Hundertjährigen erzählt, die am Ende des Vietnamkriegs mit dem Fall von Saigon beginnt und auf einem roten kunstledernen Schaukelstuhl nicht endet, sondern pausiert; ermüdend, wenn es um Initiationsriten, Voodoo und allen möglichen spirituellen Schabernack geht, von dem nicht klar wird, ob der Autor das alles wirklich ernst nimmt; ein wenig enttäuschend immer wieder, wenn Johnson auf seinen bereits auf der ersten Romanseite plazierten Hinweis auf eine Zeit nach der Quarantäne zurückkommt. Denn mit dieser über die Erzählepoche hinausweisenden Aussicht gibt Johnson seinem Roman eine teleologische Perspektive, bevor er überhaupt von der Endzeit zu erzählen beginnt, die damit keine Endzeit mehr sein kann. Wer den Autor für Bücher wie "Jesus' Son" oder "Schon tot" schätzengelernt hat, sollte daher, solange Johnson ihm die Chance gibt, einfach vergessen, daß da diese relativierenden Wörter standen, "Heutzutage wird ... " und "Damals aber ... ". Es ist der Stillstand, um dessentwillen sich "Fiskadoro" zu lesen lohnt, nicht die Entwicklung.
"Fiskadoro" ist ein seltsames Buch. Manchmal scheint die Erzählung den Atem bis kurz vor dem vollständigen Halt zu verlangsamen wie ein müder alter Mensch, dem der Kopf auf die Brust sinkt, bevor er im Sessel einnickt. Dann wieder hetzt der Autor durch Augenblicke höchster Not, als seien ihm alle Mißgebildeten seiner verdammten Welt auf den Fersen. Am wenigsten seltsam aber ist "Fiskadoro", wenn Denis Johnson von Gefühlen erzählt, von der Trauer über den Tod des Vaters etwa, in der Fiskadoro "all die Dinge, die sein Vater nicht mehr sehen würde", die Sicht nehmen, von den Beklemmungen des Älterwerdens, von Schmerzen, von Liebe und auch davon, welche Empfindungen sich streiten, wenn ein Mensch dem Tod durch Ertrinken entgegentreibt. Dann ist er groß, größer fast als in seinen gelungeneren Büchern.
Denis Johnson: "Fiskadoro". Roman. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Ute Spengler, durchgesehen von Bettina Abarbanell. Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 2003. 255 S., geb., 19,90 [Euro].
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