Die Welt geht unter
Zwei Generationen nach dem atomaren Endschlag kümmern auf den Florida Keys die letzten Reste der Zivilisation dahin, am Leben erhalten durch Menschen wie Mr. Cheung. Daneben sind neue primitive Gesellschaften entstanden, etwa die der Sumpfleute, die der Israeliten oder die der Fischer. Zu diesen gehört auch der Junge Fiskadoro. Ein unerhörter Roman über den Zustand der Menschen nach dem Ende der Menschheit.
"Es ist ein fremder Abgrund, in den Johnson einen reißt. Sich ihm entziehen allerdings kann man kaum." (Welt)
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Zwei Generationen nach dem atomaren Endschlag kümmern auf den Florida Keys die letzten Reste der Zivilisation dahin, am Leben erhalten durch Menschen wie Mr. Cheung. Daneben sind neue primitive Gesellschaften entstanden, etwa die der Sumpfleute, die der Israeliten oder die der Fischer. Zu diesen gehört auch der Junge Fiskadoro. Ein unerhörter Roman über den Zustand der Menschen nach dem Ende der Menschheit.
"Es ist ein fremder Abgrund, in den Johnson einen reißt. Sich ihm entziehen allerdings kann man kaum." (Welt)
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 06.10.2003Des Fischers Los ist feucht
Fantasie aus dem Kalten Krieg: Denis Johnsons „Fiskadoro”
Denis Johnson ist jemand, der bei der Schilderung alter Frauen zur Höchstform aufläuft: Ob es sich um Mrs Houston in „Engel” oder um die hundertjährige Marie in „Fiskadoro” handelt, jedesmal spürt der Leser die Zuneigung des Autors zu Gestalten, die ein Leben voller Schicksalsschläge hinter sich haben. Eine angespannte Gelassenheit zeichnet sie aus, genau wie diesen Roman, der nun mit mehr als zwanzig Jahren Verspätung auf Deutsch erschienen ist.
Vordergründig ist „Fiskadoro” ein Katastrophenroman aus der Zeit des Kalten Krieges, in der man zuweilen nachts erwachte, geplagt von Alpträumen von Atompilzen. Im ersten Golfkrieg entluden sich solche Ängste in Form von weißen, aus Wohnzimmerfenstern wehenden Bettlaken. Insofern mag dieser Roman überholt wirken, doch Denis Johnson, 1985 noch ohne Ahnung vom Endsieg des Westens, bedient sich des Postatomschlag-Szenarios als Versuchsfeld für Menschheitsfragen. Genau wie „Engel” ist „Fiskadoro” ein Roman, der nicht vom Plot, sondern von der Atmosphäre lebt und von Bedeutungsebenen, die sich erst durch die Verknüpfung bestimmter Symbole und Motive erschließen.
Zuckerrohr und Harnröhre
Fiskadoro, der Fisch-Mann, von dem am Ende gesagt wird: „Du wirst ein großer Führer der Menschen sein”, und: „Du hast keine Erinnerungen, die dich wahnsinnig machen”, ist selbst ein solches Symbol. Als Sohn des Fischers Jimmy und seiner Frau Belinda lebt der Junge in Twicetown, dem ehemaligen und nach zwei blindgegangenen Atombomben benannten Key West. Die zerstörten USA sind ein Schattenreich, und nur Radio Cuba sendet Lebenszeichen in den Limbus der Welt. Doch obwohl der Roman in der Zukunft spielt, berichtet er, aus der Perspektive des Erzählers gesehen, von der Vergangenheit: Heutzutage, heißt es auf der ersten Seite, wird auf den Keys hauptsächlich Zuckerrohr angebaut. Zu Fiskadoros Zeiten jedoch, damals, während der Quarantäne, wurden ganze Inseln für Reiskulturen genutzt.
Unter Quarantäne steht Twicetown alias Key West wegen der Restverstrahlung, und am Schluss des Romans, als das weiße Schiff der Israeliten (oder ein Geisterschiff oder eine kubanische Flotte) am Horizont auftaucht, ahnt der Leser, dass diese Zeit nun ein Ende hat. Die Quarantäne erlaubt es Johnson, eine Welt zu erschaffen, in der die Kulturen der Menschheit gedeihen wie Pilzkulturen im Labor: die Fischer, die auf einem ehemaligen Kasernengelände namens Army leben, die im Sumpf hausenden Quraisch, die so genannten Israeliten und andere mehr, und während die meisten Protagonisten dort bleiben, wo sie hingehören, durchläuft Fiskadoro gleich mehrere Stationen: vom Profanen zum Archaischen zum Prophetischen.
Zuerst führt ihn sein Weg zu Mr. Cheung, Manager des Miami Sinfonieorchesters und Mitglied der „Gesellschaft”, die die Ära vor der Atomkatastrophe mit Hilfe der wenigen noch vorhandenen Bücher vergeblich zu rekonstruieren versucht. Fiskadoro hat eine Klarinette dabei und möchte von Herrn Cheung unterrichtet werden. Der Impuls, der den schlichten Jungen dazu veranlasst, ein Instrument lernen zu wollen, bleibt unklar und interessiert Johnson auch gar nicht. Fiskadoro hat im Grunde kein Talent zum Spielen, und nachdem sein Vater beim Fischen ertrunken ist, verschwindet er zu den Quraisch, den Sumpfleuten.
Dort, wo Traum und Wirklichkeit ineinander greifen, wird nach langer Initiationszeremonie eine Subinzision an ihm durchgeführt – das Aufschneiden der Harnröhre am unteren Teil des Gliedes, wie es bei den australischen Ureinwohnern üblich war –, damit er so werde wie die anderen Männer. Die Männer der Quraisch, heißt das, denn nach seiner Rückkehr unterscheidet sich Fiskadoro natürlich von allen anderen Männer, die keine Subinzision haben. Eine weitere Folge seines Aufenthaltes bei den Sumpfleuten ist der durch Drogen bewirkte Verlust seiner Erinnerung. Weder seine Geschwister noch seine Mutter kennt er mehr, und auch nicht Mr. Cheung, der sich seiner annimmt. Immerhin kann er plötzlich Klarinette spielen, besser als sein Lehrer sogar, und tritt mit diesem am Ende des Romans – und vermutlich auch am Ende der Ära der Quarantäne – vor den so genannten Israeliten auf, die mit der Begründung: „Jahwe! Nachricht is da!” nach einem Orchester verlangen.
Als „leer wie ein Baby” wird Fiskadoro einmal von seiner Mutter bezeichnet, und hier klingt das Wiedergeburt-Motiv an, das in diesem Roman von großer Bedeutung ist und auch am Beispiel Maries, der Großmutter von Mr. Cheung, durchgespielt wird. Die hundert Jahre alte Marie, der einzige Mensch in Twicetown, der sich noch an die Zeit vor dem Atomkrieg erinnert, diese Erinnerung aber nicht mehr in Worte fassen kann, ist die Tochter einer Vietnamesin und eines englischen Geschäftsmannes, die am Ende des Vietnamkrieges mit einem der letzten Hubschrauber aus Saigon entkommen ist. Der Hubschrauber stürzt über dem Chinesischen Meer ab, und Johnson gibt sich größte Mühe, diesen Unfall symbolisch aufzuladen: Marie treibt im Meer wie ein eben geborenes Baby, die Rede ist von einer riesigen, flüssigen Welt, von Geburt und Ursprung und dem Grund aller Dinge.
In dieser überdeutlichen Symbolsprache und in Johnsons Bemühen, dem Leser mit großen Worten klarzumachen, worum es geht, liegt eine Schwäche des Romans, der es ansonsten versteht, die Themen Traum und Wirklichkeit, Tod und Wiedergeburt in Variationen durchzuspielen: Die alte Marie träumt von der Wirklichkeit ihrer Vergangenheit und einer vergangenen Welt, Fiskadoro überschreitet bei den Quraisch die Grenze zwischen Traum und Realität, verliert die Erinnerung an seine Vergangenheit und gewinnt dafür die Gabe des Musizierens, und Twicetown insgesamt, durch die Quarantäne von der Welt abgeschnitten, dämmert – um im Bild zu bleiben – wie in einer Fruchtblase vor sich hin und wartet ebenfalls auf die Wiedergeburt.
Zerfall und Initiation
All das ist anregend, aber leider bleibt Fiskadoro selbst eine blasse Gestalt. Denis Johnson scheint ihn weniger als Menschen, sondern vielmehr als Bedeutungsträger zu sehen, und alles, was dem Jungen widerfährt, vom Tod des Vaters über die Initiation bis zum Tod der Mutter, wirkt seltsam distanziert.
Immerhin nimmt Johnson mit seinem Beharren auf dem Sieg des Lebens über den Tod dem postatomaren Katastrophenszenario die Spitze: Dies ist kein Roman, der im Zerfall schwelgt, sondern einer, der schildert, was zerfallen ist, und nach einer Möglichkeit des Neubeginns sucht. Dies tut er mit Ernsthaftigkeit und gelegentlichem Humor. Schön wäre es allerdings gewesen, wenn Denis Johnson seinen Roman mit Ironie unterlaufen hätte. Diese wäre einerseits ein Zeichen von Selbstreflexion gewesen und hätte „Fiskadoro” andererseits zu einer größeren Menschlichkeit verholfen.
HENNING AHRENS
DENIS JOHNSON: Fiskadoro. Aus dem Amerikanischen von Ute Spengler, durchgesehen von Bettina Arbanell. Rowohlt Verlag, Reinbek 2003. 255 Seiten, 19,90 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
Fantasie aus dem Kalten Krieg: Denis Johnsons „Fiskadoro”
Denis Johnson ist jemand, der bei der Schilderung alter Frauen zur Höchstform aufläuft: Ob es sich um Mrs Houston in „Engel” oder um die hundertjährige Marie in „Fiskadoro” handelt, jedesmal spürt der Leser die Zuneigung des Autors zu Gestalten, die ein Leben voller Schicksalsschläge hinter sich haben. Eine angespannte Gelassenheit zeichnet sie aus, genau wie diesen Roman, der nun mit mehr als zwanzig Jahren Verspätung auf Deutsch erschienen ist.
Vordergründig ist „Fiskadoro” ein Katastrophenroman aus der Zeit des Kalten Krieges, in der man zuweilen nachts erwachte, geplagt von Alpträumen von Atompilzen. Im ersten Golfkrieg entluden sich solche Ängste in Form von weißen, aus Wohnzimmerfenstern wehenden Bettlaken. Insofern mag dieser Roman überholt wirken, doch Denis Johnson, 1985 noch ohne Ahnung vom Endsieg des Westens, bedient sich des Postatomschlag-Szenarios als Versuchsfeld für Menschheitsfragen. Genau wie „Engel” ist „Fiskadoro” ein Roman, der nicht vom Plot, sondern von der Atmosphäre lebt und von Bedeutungsebenen, die sich erst durch die Verknüpfung bestimmter Symbole und Motive erschließen.
Zuckerrohr und Harnröhre
Fiskadoro, der Fisch-Mann, von dem am Ende gesagt wird: „Du wirst ein großer Führer der Menschen sein”, und: „Du hast keine Erinnerungen, die dich wahnsinnig machen”, ist selbst ein solches Symbol. Als Sohn des Fischers Jimmy und seiner Frau Belinda lebt der Junge in Twicetown, dem ehemaligen und nach zwei blindgegangenen Atombomben benannten Key West. Die zerstörten USA sind ein Schattenreich, und nur Radio Cuba sendet Lebenszeichen in den Limbus der Welt. Doch obwohl der Roman in der Zukunft spielt, berichtet er, aus der Perspektive des Erzählers gesehen, von der Vergangenheit: Heutzutage, heißt es auf der ersten Seite, wird auf den Keys hauptsächlich Zuckerrohr angebaut. Zu Fiskadoros Zeiten jedoch, damals, während der Quarantäne, wurden ganze Inseln für Reiskulturen genutzt.
Unter Quarantäne steht Twicetown alias Key West wegen der Restverstrahlung, und am Schluss des Romans, als das weiße Schiff der Israeliten (oder ein Geisterschiff oder eine kubanische Flotte) am Horizont auftaucht, ahnt der Leser, dass diese Zeit nun ein Ende hat. Die Quarantäne erlaubt es Johnson, eine Welt zu erschaffen, in der die Kulturen der Menschheit gedeihen wie Pilzkulturen im Labor: die Fischer, die auf einem ehemaligen Kasernengelände namens Army leben, die im Sumpf hausenden Quraisch, die so genannten Israeliten und andere mehr, und während die meisten Protagonisten dort bleiben, wo sie hingehören, durchläuft Fiskadoro gleich mehrere Stationen: vom Profanen zum Archaischen zum Prophetischen.
Zuerst führt ihn sein Weg zu Mr. Cheung, Manager des Miami Sinfonieorchesters und Mitglied der „Gesellschaft”, die die Ära vor der Atomkatastrophe mit Hilfe der wenigen noch vorhandenen Bücher vergeblich zu rekonstruieren versucht. Fiskadoro hat eine Klarinette dabei und möchte von Herrn Cheung unterrichtet werden. Der Impuls, der den schlichten Jungen dazu veranlasst, ein Instrument lernen zu wollen, bleibt unklar und interessiert Johnson auch gar nicht. Fiskadoro hat im Grunde kein Talent zum Spielen, und nachdem sein Vater beim Fischen ertrunken ist, verschwindet er zu den Quraisch, den Sumpfleuten.
Dort, wo Traum und Wirklichkeit ineinander greifen, wird nach langer Initiationszeremonie eine Subinzision an ihm durchgeführt – das Aufschneiden der Harnröhre am unteren Teil des Gliedes, wie es bei den australischen Ureinwohnern üblich war –, damit er so werde wie die anderen Männer. Die Männer der Quraisch, heißt das, denn nach seiner Rückkehr unterscheidet sich Fiskadoro natürlich von allen anderen Männer, die keine Subinzision haben. Eine weitere Folge seines Aufenthaltes bei den Sumpfleuten ist der durch Drogen bewirkte Verlust seiner Erinnerung. Weder seine Geschwister noch seine Mutter kennt er mehr, und auch nicht Mr. Cheung, der sich seiner annimmt. Immerhin kann er plötzlich Klarinette spielen, besser als sein Lehrer sogar, und tritt mit diesem am Ende des Romans – und vermutlich auch am Ende der Ära der Quarantäne – vor den so genannten Israeliten auf, die mit der Begründung: „Jahwe! Nachricht is da!” nach einem Orchester verlangen.
Als „leer wie ein Baby” wird Fiskadoro einmal von seiner Mutter bezeichnet, und hier klingt das Wiedergeburt-Motiv an, das in diesem Roman von großer Bedeutung ist und auch am Beispiel Maries, der Großmutter von Mr. Cheung, durchgespielt wird. Die hundert Jahre alte Marie, der einzige Mensch in Twicetown, der sich noch an die Zeit vor dem Atomkrieg erinnert, diese Erinnerung aber nicht mehr in Worte fassen kann, ist die Tochter einer Vietnamesin und eines englischen Geschäftsmannes, die am Ende des Vietnamkrieges mit einem der letzten Hubschrauber aus Saigon entkommen ist. Der Hubschrauber stürzt über dem Chinesischen Meer ab, und Johnson gibt sich größte Mühe, diesen Unfall symbolisch aufzuladen: Marie treibt im Meer wie ein eben geborenes Baby, die Rede ist von einer riesigen, flüssigen Welt, von Geburt und Ursprung und dem Grund aller Dinge.
In dieser überdeutlichen Symbolsprache und in Johnsons Bemühen, dem Leser mit großen Worten klarzumachen, worum es geht, liegt eine Schwäche des Romans, der es ansonsten versteht, die Themen Traum und Wirklichkeit, Tod und Wiedergeburt in Variationen durchzuspielen: Die alte Marie träumt von der Wirklichkeit ihrer Vergangenheit und einer vergangenen Welt, Fiskadoro überschreitet bei den Quraisch die Grenze zwischen Traum und Realität, verliert die Erinnerung an seine Vergangenheit und gewinnt dafür die Gabe des Musizierens, und Twicetown insgesamt, durch die Quarantäne von der Welt abgeschnitten, dämmert – um im Bild zu bleiben – wie in einer Fruchtblase vor sich hin und wartet ebenfalls auf die Wiedergeburt.
Zerfall und Initiation
All das ist anregend, aber leider bleibt Fiskadoro selbst eine blasse Gestalt. Denis Johnson scheint ihn weniger als Menschen, sondern vielmehr als Bedeutungsträger zu sehen, und alles, was dem Jungen widerfährt, vom Tod des Vaters über die Initiation bis zum Tod der Mutter, wirkt seltsam distanziert.
Immerhin nimmt Johnson mit seinem Beharren auf dem Sieg des Lebens über den Tod dem postatomaren Katastrophenszenario die Spitze: Dies ist kein Roman, der im Zerfall schwelgt, sondern einer, der schildert, was zerfallen ist, und nach einer Möglichkeit des Neubeginns sucht. Dies tut er mit Ernsthaftigkeit und gelegentlichem Humor. Schön wäre es allerdings gewesen, wenn Denis Johnson seinen Roman mit Ironie unterlaufen hätte. Diese wäre einerseits ein Zeichen von Selbstreflexion gewesen und hätte „Fiskadoro” andererseits zu einer größeren Menschlichkeit verholfen.
HENNING AHRENS
DENIS JOHNSON: Fiskadoro. Aus dem Amerikanischen von Ute Spengler, durchgesehen von Bettina Arbanell. Rowohlt Verlag, Reinbek 2003. 255 Seiten, 19,90 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 20.12.2003Nach dem Untergang
Denis Johnson erzählt von Fischmenschen und Klarinetten
Die Welt ist ein seltsamer Ort. Am wenigsten seltsam ist sie dort, wo sie vollkommen unbewohnbar geworden ist, nicht mehr als eine verseuchte Oberfläche, meterhoch bedeckt mit Asche, Leichen und zermalmten Bergen, strahlend, tot. Das ist keine erhebende Vorstellung, aber doch eine, die in zahlreichen nachapokalyptischen Phantasien eine alte Bekannte geworden ist. Anders sieht es mit dem Rest der Welt aus, den Denis Johnson in seinem frühen Roman "Fiskadoro" die Quarantänezone nennt und die sich dort erstreckt, wo früher, vor der großen Katastrophe, die Florida Keys lagen. In ihrer Umgebung wohnen Sumpfmenschen, die alle Weißen gefressen und ihr Blut getrunken haben, Frauen, denen Flossen aus den Achseln wachsen, Männer, die rosafarbenen Nebel ausatmen, und Israeliten, die jahrelang an einem kleinen weißen Schiff bauen. Einer trägt einen Namen, der ohne Ton aus seinem Mund kommt und sich "--" schreibt, ein anderer ist in der Lage, "seine trüben Pupillen zeitweise auf die Schärfe eines Zielfernrohrs" einzustellen. Irgendwann einmal, soviel verrät Johnson bereits auf der ersten Seite, wird die Zeit der Quarantäne vorbei sein und wieder Zuckerrohr hier wachsen. Die Zeit aber, in der "Fiskadoro" spielt, ist die Zeit des Reises.
Das heißt nicht, daß es keinen Kartoffelwein gäbe, ein süßliches widerliches Zeug, das unter der Erde gärt, oder keine Melonen, die hundert Dollar oder auch einen Penny pro Scheibe kosten. Und auch Zuckerrohr gibt es, allerdings nur im Garten von Herrn Cheung, der mit Frau und Tochter und seiner hundertjährigen Mutter im Zentrum des Buchs steht, obwohl es den Namen einer anderen Figur im Titel trägt. Dieser Fiskadoro, was Fischmann oder Harpunenwerfer heißen kann, hat einen Koffer mit einer Klarinette darin und kommt zu Herrn Cheung, um darauf spielen zu lernen. Immerhin leitet Herr Cheung das Miami-Sinfonie-Orchester, auch wenn keiner der anderen Musiker in dem Roman auftaucht. Denn es geht um etwas ganz anderes als um Musik - um die Erinnerung zum Beispiel und darum, ob die Seele stirbt, wenn die Erinnerung verloschen ist. Es geht um Religion und darum, ob es einen Unterschied macht, wie der Gott heißt, der Erlösung bringen könnte, Bob Marley etwa oder Gott oder Atombomberpilot Overdoze oder Allah. Denn in der Welt von "Fiskadoro", in der der Nebel sich "wie ein Gebetsteppich" ausbreitet und blanke Hände aufgehalten werden "wie die Seiten des Korans", ist Erlösung, woher auch immer sie zu kommen verspricht, unbedingt zu wünschen.
Daß sie am Ende gewährt wird, ist die größte Schwäche dieses Buchs, das in den Vereinigten Staaten bereits im Jahr 1985 herauskam, zu einer Zeit, in der die Atomkatastrophe noch bedrohlicher war als alles, wovon wir heute den Untergang erwarten. 1990 gab es bereits einmal eine deutsche Ausgabe im Limes Verlag, doch die ist lange schon vergriffen und wohl von kaum jemandem wirklich wahrgenommen worden. Die Übersetzung von Ute Spengler ist für die neue Ausgabe von Bettina Abarbanell überarbeitet worden, ohne daß es gelungen wäre, das reduzierte englisch-spanische Sprachgemisch, in dem die Figuren sich, oft erfolglos, zu verständigen suchen, wirklich überzeugend ins Deutsche zu transportieren.
Doch selbst wenn das anders wäre, bliebe "Fiskadoro" ein gemischtes Leseerlebnis: großartig, wenn Johnson etwa die Geschichte der Hundertjährigen erzählt, die am Ende des Vietnamkriegs mit dem Fall von Saigon beginnt und auf einem roten kunstledernen Schaukelstuhl nicht endet, sondern pausiert; ermüdend, wenn es um Initiationsriten, Voodoo und allen möglichen spirituellen Schabernack geht, von dem nicht klar wird, ob der Autor das alles wirklich ernst nimmt; ein wenig enttäuschend immer wieder, wenn Johnson auf seinen bereits auf der ersten Romanseite plazierten Hinweis auf eine Zeit nach der Quarantäne zurückkommt. Denn mit dieser über die Erzählepoche hinausweisenden Aussicht gibt Johnson seinem Roman eine teleologische Perspektive, bevor er überhaupt von der Endzeit zu erzählen beginnt, die damit keine Endzeit mehr sein kann. Wer den Autor für Bücher wie "Jesus' Son" oder "Schon tot" schätzengelernt hat, sollte daher, solange Johnson ihm die Chance gibt, einfach vergessen, daß da diese relativierenden Wörter standen, "Heutzutage wird ... " und "Damals aber ... ". Es ist der Stillstand, um dessentwillen sich "Fiskadoro" zu lesen lohnt, nicht die Entwicklung.
"Fiskadoro" ist ein seltsames Buch. Manchmal scheint die Erzählung den Atem bis kurz vor dem vollständigen Halt zu verlangsamen wie ein müder alter Mensch, dem der Kopf auf die Brust sinkt, bevor er im Sessel einnickt. Dann wieder hetzt der Autor durch Augenblicke höchster Not, als seien ihm alle Mißgebildeten seiner verdammten Welt auf den Fersen. Am wenigsten seltsam aber ist "Fiskadoro", wenn Denis Johnson von Gefühlen erzählt, von der Trauer über den Tod des Vaters etwa, in der Fiskadoro "all die Dinge, die sein Vater nicht mehr sehen würde", die Sicht nehmen, von den Beklemmungen des Älterwerdens, von Schmerzen, von Liebe und auch davon, welche Empfindungen sich streiten, wenn ein Mensch dem Tod durch Ertrinken entgegentreibt. Dann ist er groß, größer fast als in seinen gelungeneren Büchern.
Denis Johnson: "Fiskadoro". Roman. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Ute Spengler, durchgesehen von Bettina Abarbanell. Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 2003. 255 S., geb., 19,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Denis Johnson erzählt von Fischmenschen und Klarinetten
Die Welt ist ein seltsamer Ort. Am wenigsten seltsam ist sie dort, wo sie vollkommen unbewohnbar geworden ist, nicht mehr als eine verseuchte Oberfläche, meterhoch bedeckt mit Asche, Leichen und zermalmten Bergen, strahlend, tot. Das ist keine erhebende Vorstellung, aber doch eine, die in zahlreichen nachapokalyptischen Phantasien eine alte Bekannte geworden ist. Anders sieht es mit dem Rest der Welt aus, den Denis Johnson in seinem frühen Roman "Fiskadoro" die Quarantänezone nennt und die sich dort erstreckt, wo früher, vor der großen Katastrophe, die Florida Keys lagen. In ihrer Umgebung wohnen Sumpfmenschen, die alle Weißen gefressen und ihr Blut getrunken haben, Frauen, denen Flossen aus den Achseln wachsen, Männer, die rosafarbenen Nebel ausatmen, und Israeliten, die jahrelang an einem kleinen weißen Schiff bauen. Einer trägt einen Namen, der ohne Ton aus seinem Mund kommt und sich "--" schreibt, ein anderer ist in der Lage, "seine trüben Pupillen zeitweise auf die Schärfe eines Zielfernrohrs" einzustellen. Irgendwann einmal, soviel verrät Johnson bereits auf der ersten Seite, wird die Zeit der Quarantäne vorbei sein und wieder Zuckerrohr hier wachsen. Die Zeit aber, in der "Fiskadoro" spielt, ist die Zeit des Reises.
Das heißt nicht, daß es keinen Kartoffelwein gäbe, ein süßliches widerliches Zeug, das unter der Erde gärt, oder keine Melonen, die hundert Dollar oder auch einen Penny pro Scheibe kosten. Und auch Zuckerrohr gibt es, allerdings nur im Garten von Herrn Cheung, der mit Frau und Tochter und seiner hundertjährigen Mutter im Zentrum des Buchs steht, obwohl es den Namen einer anderen Figur im Titel trägt. Dieser Fiskadoro, was Fischmann oder Harpunenwerfer heißen kann, hat einen Koffer mit einer Klarinette darin und kommt zu Herrn Cheung, um darauf spielen zu lernen. Immerhin leitet Herr Cheung das Miami-Sinfonie-Orchester, auch wenn keiner der anderen Musiker in dem Roman auftaucht. Denn es geht um etwas ganz anderes als um Musik - um die Erinnerung zum Beispiel und darum, ob die Seele stirbt, wenn die Erinnerung verloschen ist. Es geht um Religion und darum, ob es einen Unterschied macht, wie der Gott heißt, der Erlösung bringen könnte, Bob Marley etwa oder Gott oder Atombomberpilot Overdoze oder Allah. Denn in der Welt von "Fiskadoro", in der der Nebel sich "wie ein Gebetsteppich" ausbreitet und blanke Hände aufgehalten werden "wie die Seiten des Korans", ist Erlösung, woher auch immer sie zu kommen verspricht, unbedingt zu wünschen.
Daß sie am Ende gewährt wird, ist die größte Schwäche dieses Buchs, das in den Vereinigten Staaten bereits im Jahr 1985 herauskam, zu einer Zeit, in der die Atomkatastrophe noch bedrohlicher war als alles, wovon wir heute den Untergang erwarten. 1990 gab es bereits einmal eine deutsche Ausgabe im Limes Verlag, doch die ist lange schon vergriffen und wohl von kaum jemandem wirklich wahrgenommen worden. Die Übersetzung von Ute Spengler ist für die neue Ausgabe von Bettina Abarbanell überarbeitet worden, ohne daß es gelungen wäre, das reduzierte englisch-spanische Sprachgemisch, in dem die Figuren sich, oft erfolglos, zu verständigen suchen, wirklich überzeugend ins Deutsche zu transportieren.
Doch selbst wenn das anders wäre, bliebe "Fiskadoro" ein gemischtes Leseerlebnis: großartig, wenn Johnson etwa die Geschichte der Hundertjährigen erzählt, die am Ende des Vietnamkriegs mit dem Fall von Saigon beginnt und auf einem roten kunstledernen Schaukelstuhl nicht endet, sondern pausiert; ermüdend, wenn es um Initiationsriten, Voodoo und allen möglichen spirituellen Schabernack geht, von dem nicht klar wird, ob der Autor das alles wirklich ernst nimmt; ein wenig enttäuschend immer wieder, wenn Johnson auf seinen bereits auf der ersten Romanseite plazierten Hinweis auf eine Zeit nach der Quarantäne zurückkommt. Denn mit dieser über die Erzählepoche hinausweisenden Aussicht gibt Johnson seinem Roman eine teleologische Perspektive, bevor er überhaupt von der Endzeit zu erzählen beginnt, die damit keine Endzeit mehr sein kann. Wer den Autor für Bücher wie "Jesus' Son" oder "Schon tot" schätzengelernt hat, sollte daher, solange Johnson ihm die Chance gibt, einfach vergessen, daß da diese relativierenden Wörter standen, "Heutzutage wird ... " und "Damals aber ... ". Es ist der Stillstand, um dessentwillen sich "Fiskadoro" zu lesen lohnt, nicht die Entwicklung.
"Fiskadoro" ist ein seltsames Buch. Manchmal scheint die Erzählung den Atem bis kurz vor dem vollständigen Halt zu verlangsamen wie ein müder alter Mensch, dem der Kopf auf die Brust sinkt, bevor er im Sessel einnickt. Dann wieder hetzt der Autor durch Augenblicke höchster Not, als seien ihm alle Mißgebildeten seiner verdammten Welt auf den Fersen. Am wenigsten seltsam aber ist "Fiskadoro", wenn Denis Johnson von Gefühlen erzählt, von der Trauer über den Tod des Vaters etwa, in der Fiskadoro "all die Dinge, die sein Vater nicht mehr sehen würde", die Sicht nehmen, von den Beklemmungen des Älterwerdens, von Schmerzen, von Liebe und auch davon, welche Empfindungen sich streiten, wenn ein Mensch dem Tod durch Ertrinken entgegentreibt. Dann ist er groß, größer fast als in seinen gelungeneren Büchern.
Denis Johnson: "Fiskadoro". Roman. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Ute Spengler, durchgesehen von Bettina Abarbanell. Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 2003. 255 S., geb., 19,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Es ist ein fremder Abgrund, in den Johnson einen reißt. Sich ihm entziehen allerdings kann man kaum. Die Welt