In Zärtlich ist die Nacht sieht Fitzgerald sein Schicksal voraus. Er schildert den Zerfall des Psychiaters Dick Diver. Es ist ein Dasein zwischen Cote d'Azur, Rom und Zürich, in Hotels, Bars, inmitten von Filmstars, Adligen und Millionären. Diver handelt als Arzt, wo er als Mensch handeln sollte, und als Wissenschaftler, wo er als Gatte empfinden sollte. Es ist die Seelenforschung eines Isolierten.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 28.05.2006Tour de France
Endlich auf deutsch: Die erste Version des rastlosen Lebensromans "Zärtlich ist die Nacht"
Wohin jetzt? Unter den vielen herzzerreißenden Sätzen des Buchs ist diese simple Frage die Antwort auf alles, darauf, was "Zärtlich ist die Nacht" im Innersten umtreibt. "Wohin jetzt?" fragt sich Dick Diver, der Nervenarzt, Ehebrecher und Trinker, und es ist ganz egal, ob er sich das nun in seinem Haus an der französischen Riviera fragt, in einem Pariser Hotel, am Genfer See, in Innsbruck, Bozen, New York oder sonstwo. Wohin jetzt? Zu Rosemary, die er nicht liebt, von der er aber auch nicht lassen kann? Oder zu Nicole, seiner Ehefrau, die er nicht liebt, aber auch nicht hassen kann? Oder doch erst mal an die Bar?
"Stillstand war hier gefährlich", das redet sich Dick schon früh ein, da ist er sogar noch treu, "es durfte nur ein Vor oder Zurück geben." Also verfällt er ins Rastlose. Weil die Figuren dieses autobiographischen Romans entwurzelt sind, haltlos und driftend, wechseln sie ewig die Orte, auf Fahrrädern, mit Seilbahnen, in Taxis, Zügen und Flugzeugen. "Zärtlich ist die Nacht" war damit sicher Vorbild für spätere Hochgeschwindigkeitsromane von der Riviera wie "Bonjour Tristesse". Nur hat F. Scott Fitzgerald hier nicht einfach malerische Kulissen verschoben, was den nostalgischen Schmelz des Buchs bis heute ausmacht - seine Figuren fliehen ja selbst den kleinsten Raum, tigern umher, hinter tausend Türen keine Welt. Auch wenn der Roman am Ende zum Ort seines Anfangs zurückkehrt, an den Strand zwischen Marseille und der italienischen Grenze, wo die kleine Meerjungfrau Rosemary aus den Wellen stieg, um Dick und Nicole für immer zu ruinieren: Das markiert keinen Haltepunkt. Es gibt keinen Ruhepunkt, außer der Nacht. Niemand hält es in diesem Buch lang am gleichen Fleck aus. Weil man eben nicht vor der eigenen Gesellschaft flüchten kann.
Endlich erscheint jetzt die erste, eigentlich immer maßgebliche Version von "Zärtlich ist die Nacht" aus dem Jahr 1934 auf deutsch. Jahrelang hatte es hier nur die umgeschriebene, gestraffte, stromlinienförmigere Ausgabe gegeben, die Fitzgerald nach harscher Kritik angefertigt hatte. Das Buch wiederzulesen, macht trauriger als beim ersten Mal. Sicher, da sind noch die angestrichenen Zaubersätze: Dick "dachte an ihre Lippen, die sich so unwahrscheinlich jung anfühlten, dachte an die Regentropfen, die auf den matt glänzenden, porzellanweißen Wangen gelegen hatten wie um ihn vergossene Tränen", und was er da über Nicole sagt, klingt auf englisch natürlich so viel wahrer und schöner und weniger nach Spaziergängern in Sanssouci. Doch jetzt fällt auch auf, wie Fitzgerald aus seinem Roman mit jeder Seite die Farben herauszieht. Wie er die Regentropfen aus Porzellan vertrocknen läßt und die Spiegelbilder nasser Augen erblinden und der Ton immer unerbittlicher wird. Die Verzweiflung über sein zerrüttetes Trinkerleben mit der nervenkranken Zelda scheint Besitz von Fitzgerald zu ergreifen - und von seinem Roman. Einem Alkoholroman, der immer nüchterner wird.
Als Dick und Nicole endgültig auseinanderbrechen, weil der Fremdenlegionär Tommy Barban zwischen sie tritt, fährt gerade die Tour de France an den dreien vorbei: die hohe Kunst sinnloser Bewegung also. "Zärtlich ist die Nacht" handelt von freien Radikalen, überlasteten Körpern, Zerstörern, von der Raserei der Zwischenkriegszeit. Es ist das Buch zum Freud-Jahr.
TOBIAS RÜTHER
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Endlich auf deutsch: Die erste Version des rastlosen Lebensromans "Zärtlich ist die Nacht"
Wohin jetzt? Unter den vielen herzzerreißenden Sätzen des Buchs ist diese simple Frage die Antwort auf alles, darauf, was "Zärtlich ist die Nacht" im Innersten umtreibt. "Wohin jetzt?" fragt sich Dick Diver, der Nervenarzt, Ehebrecher und Trinker, und es ist ganz egal, ob er sich das nun in seinem Haus an der französischen Riviera fragt, in einem Pariser Hotel, am Genfer See, in Innsbruck, Bozen, New York oder sonstwo. Wohin jetzt? Zu Rosemary, die er nicht liebt, von der er aber auch nicht lassen kann? Oder zu Nicole, seiner Ehefrau, die er nicht liebt, aber auch nicht hassen kann? Oder doch erst mal an die Bar?
"Stillstand war hier gefährlich", das redet sich Dick schon früh ein, da ist er sogar noch treu, "es durfte nur ein Vor oder Zurück geben." Also verfällt er ins Rastlose. Weil die Figuren dieses autobiographischen Romans entwurzelt sind, haltlos und driftend, wechseln sie ewig die Orte, auf Fahrrädern, mit Seilbahnen, in Taxis, Zügen und Flugzeugen. "Zärtlich ist die Nacht" war damit sicher Vorbild für spätere Hochgeschwindigkeitsromane von der Riviera wie "Bonjour Tristesse". Nur hat F. Scott Fitzgerald hier nicht einfach malerische Kulissen verschoben, was den nostalgischen Schmelz des Buchs bis heute ausmacht - seine Figuren fliehen ja selbst den kleinsten Raum, tigern umher, hinter tausend Türen keine Welt. Auch wenn der Roman am Ende zum Ort seines Anfangs zurückkehrt, an den Strand zwischen Marseille und der italienischen Grenze, wo die kleine Meerjungfrau Rosemary aus den Wellen stieg, um Dick und Nicole für immer zu ruinieren: Das markiert keinen Haltepunkt. Es gibt keinen Ruhepunkt, außer der Nacht. Niemand hält es in diesem Buch lang am gleichen Fleck aus. Weil man eben nicht vor der eigenen Gesellschaft flüchten kann.
Endlich erscheint jetzt die erste, eigentlich immer maßgebliche Version von "Zärtlich ist die Nacht" aus dem Jahr 1934 auf deutsch. Jahrelang hatte es hier nur die umgeschriebene, gestraffte, stromlinienförmigere Ausgabe gegeben, die Fitzgerald nach harscher Kritik angefertigt hatte. Das Buch wiederzulesen, macht trauriger als beim ersten Mal. Sicher, da sind noch die angestrichenen Zaubersätze: Dick "dachte an ihre Lippen, die sich so unwahrscheinlich jung anfühlten, dachte an die Regentropfen, die auf den matt glänzenden, porzellanweißen Wangen gelegen hatten wie um ihn vergossene Tränen", und was er da über Nicole sagt, klingt auf englisch natürlich so viel wahrer und schöner und weniger nach Spaziergängern in Sanssouci. Doch jetzt fällt auch auf, wie Fitzgerald aus seinem Roman mit jeder Seite die Farben herauszieht. Wie er die Regentropfen aus Porzellan vertrocknen läßt und die Spiegelbilder nasser Augen erblinden und der Ton immer unerbittlicher wird. Die Verzweiflung über sein zerrüttetes Trinkerleben mit der nervenkranken Zelda scheint Besitz von Fitzgerald zu ergreifen - und von seinem Roman. Einem Alkoholroman, der immer nüchterner wird.
Als Dick und Nicole endgültig auseinanderbrechen, weil der Fremdenlegionär Tommy Barban zwischen sie tritt, fährt gerade die Tour de France an den dreien vorbei: die hohe Kunst sinnloser Bewegung also. "Zärtlich ist die Nacht" handelt von freien Radikalen, überlasteten Körpern, Zerstörern, von der Raserei der Zwischenkriegszeit. Es ist das Buch zum Freud-Jahr.
TOBIAS RÜTHER
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