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Produktdetails
  • rororo Taschenbücher
  • Verlag: Rowohlt TB.
  • Gewicht: 169g
  • ISBN-13: 9783499139703
  • ISBN-10: 3499139707
  • Artikelnr.: 24206298
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 29.02.1996

Bohrtürme und Gasfeuer
Ken Saro-Wiwa beschreibt die Ausbeutung des Ogoni-Volkes

Im Delta des Niger-Flusses gibt es keine Robben. Scharen von Reportern wären wohl aus aller Welt eingeflogen, wenn es Robben gewesen wären, die von nigerianischen Soldaten in Stücke gehackt wurden. Aber im Niger-Delta leben Schwarzafrikaner. Seitdem die Ogoni - eines der mehr als zweihundert nigerianischen Völker - sich gegen die Obrigkeit auflehnten und von dieser Schulen, Krankenhäuser, Elektrizität und Wasserleitungen forderten, wurden Tausende von ihnen gefoltert, erschossen oder gar in Stücke gehackt.

Achtzig Prozent aller Staatseinnahmen erwirtschaftet die nigerianische Regierung mit der Ölförderung im Niger-Delta. Öl im Wert von rund hundert Milliarden Dollar wurde dort bislang gefördert. Eigentlich könnten die Ogoni so reich sein wie kuweitische Scheichs. Doch die Ölgewinne fließen an ihnen vorbei. Für die Ogoni gibt es weder Schulen noch Krankenhäuser, während die mächtigsten nigerianischen Völker, die Ibo, Yoruba und Haussa-Fulani, mit dem aus dem Ölverkauf erzielten Devisen ihre Frauen zum Shopping nach London schicken.

Mit dem Schicksal von afrikanischen Völkern kann man die Weltgemeinschaft schon lange nicht mehr mobilisieren. So fand der Überlebenskampf der Ogoni um ihre mehr und mehr von Ölverschmutzung und Umweltzerstörung bedrohten Lebensgrundlagen im verborgenen statt, bis Ken Saro-Wiwa auf das Schicksal seines Volkes aufmerksam machte. Dafür wurde der Schriftsteller, Menschenrechtler und Umweltschützer Ken Saro-Wiwa im November des vergangenen Jahres zusammen mit acht weiteren Mitstreitern - trotz internationaler Proteste - nach einem zweifelhaften Verfahren von der nigerianischen Militärjunta hingerichtet. In seinem letzten Buch "Flammen der Hölle" beschreibt der Träger des Alternativen Nobelpreises, der auch für den Friedensnobelpreis 1996 nominiert wurde, seine Haftbedingungen, die Willkür und Korruption der Militärdiktatur. Einen kleineren Teil hat er auch der Zerstörung der Lebensgrundlagen des Ogoni-Volkes durch die internationalen Ölkonzerne gewidmet.

Einst gab es im Niger-Delta großen Fischreichtum. Der größte Mangrovensumpf Afrikas war für die Einheimischen ein unerschöpflich scheinendes Jagdrevier. Doch diese Idylle ist zerstört: Bevölkerungswachstum, planlose Entwaldung, unkontrollierte landwirtschaftliche Nutzung und Überfischung sind nur einige der selbstverschuldeten, in ganz Afrika wirkenden Ursachen, die Ken Saro-Wiwa in seinem Buch aber verschweigt. Sein Feindbild ist klar: die in Lagos und Abuja residierende nigerianische Elite und die internationalen Ölkonzerne - allen voran die britisch-niederländische Shell.

Seit 1958 prägen Bohrtürme und Gasfeuer die Landschaft des Ogoni-Volkes. Und Öl ist in Nigeria seither ein hervorragendes Schmiermittel: Eine kleine Fettschicht nigerianischer Militärs, Politiker und Geschäftsleute haust in prachtvollen Villen und fährt Luxuskarossen. Ken Saro-Wiwa forderte - gewaltlos - die gerechte Verteilung der Ölgewinne und Schadensersatz von den Ölkonzernen. Im August 1990 gründete er die "Bewegung für das Überleben der Ogoni" (Mosop). Im Gründungsdokument heißt es, die Ogoni seien zu Sklaven der anderen Völker Nigerias geworden; Nigeria unterscheide sich nicht von Südafrika in den Zeiten der Apartheid. Die Antwort der Regierung war brutal: Sie schickte Soldaten und ließ Tausende Ogoni ermorden.

1993 zog sich Shell nach Unruhen aus dem Ogoni-Land zurück. Bei Shell weiß man durchaus, daß die meisten Anlagen im Ogoni-Gebiet nicht internationalem Standard entsprechen. Richtig ist aber auch, daß die Ogoni selbst viele Anlagen zerstört haben, aus denen dann Öl austrat. Umweltbewußtsein entwickelt sich - unter dem Einfluß von Ken Saro-Wiwa - im Ogoni-Land erst langsam. In der englischen Originalausgabe tauchte - wohl bewußt - der Name Shell auf dem Titel nicht auf, während der Rowohlt Verlag in Deutschland die nach den Protesten gegen die Versenkung der Ölplattform Brent Spar verstärkten Vorbehalte gegen den Konzern mit einem reißerischen Titel offenkundig auszunutzen gedenkt.

Ken Saro-Wiwa war ein politisch engagierter Geschäftsmann, Schriftsteller und zudem auch im Fernsehen als Unterhalter mit der in ganz Afrika bekannten Serienkomödie "Basi und Company" erfolgreich. Sein Wort hatte im Volk mehr Gewicht als das der Politiker. Das hätte den nigerianischen Diktatoren gefährlich werden können. Der Militärherrscher General Abacha gilt nicht nur im Ausland als unbedarfter Tölpel, der seine Kultur verleugnet und die Stammesnarben hinter einer dicken Sonnenbrille zu verbergen sucht. Vielleicht ist es übertrieben, wenn Abachas Gegner behaupten, dieser werde "erst zufrieden sein, wenn er alles zerstört hat, was er nicht versteht". Doch Abacha unternimmt viel, um nicht nur seinem, sondern auch dem Ruf seines Landes zu schaden. Das Vorgehen gegen Ken Saro-Wiwa ist nur ein Beispiel für das brutale und instinktlose Verhalten eines Mannes, dem nach Auffassung selbst seiner Anhänger einzig seine Bankkonten wichtig sind.

"Das Unrecht geht im Land um wie ein Tiger auf Beutejagd. Hampelmännern auf Gnade und Ungnade ausgeliefert zu sein ist die schlimmste Beleidigung", schreibt Ken Saro-Wiwa. Das von Schwarzen an Schwarzen begangene Unrecht - und nicht die vom Verlag in den Vordergrund gestellte Ölförderung von Shell in Nigeria - ist denn auch das eigentliche Hauptthema des Buches. "Ich lasse eine Philippika los gegen die Unmenschlichkeit des schwarzen Mannes gegenüber seiner eigenen Gattung, jenen Charakterzug, der für die Zurückgebliebenheit aller Schwarzen verantwortlich ist", schreibt Ken Saro-Wiwa. An anderer Stelle fährt er fort: "Die Unterdrückung der Schwarzen durch Weiße in Südafrika erfährt eine unmittelbare Verurteilung, weil man sie als rassistisch begreift. Die Unterdrückung Schwarzer durch Schwarze läßt die Leute jedoch lediglich achselzuckend sagen: Na ja, das ist ihre Angelegenheit, oder?"

Ken Saro-Wiwa tritt nicht als Vorstreiter der Demokratie in Afrika auf. Vielmehr steht er Zivilregierungen durchaus skeptisch gegenüber: "Jeder, der das Töten, Plündern und Brandschatzen während der Zivilregierung 1964 und 1965 miterlebt hat, jeder, der den massiven Wahlbetrug und die Plünderung der Staatskasse 1979 bis 1983 durch Zivilisten erlebt hat, . . . muß bei dem Gedanken zittern, daß dieses Land im Begriff steht, zu einer Zivilregierung zurückzukehren." Er sieht die Ogoni, durch die "politische Sklaverei der neuen schwarzen Kolonialherren unter der Maske des nigerianischen Patriotismus" unterdrückt und ausgebeutet. Unklar ist, welches Ziel er letztlich für sein Volk anstrebt. Einmal ist es die Autonomie, dann die Selbstbestimmung bis in die letzten Konsequenzen und am Ende dann doch wieder die Ablehnung sezessionistischer Bestrebungen, weil es der Aufhebung aller von den Kolonialmächten in Afrika gezogenen Grenzen und der Ausbreitung neuer chaotischer Zustände gleichkäme.

Ken Saro-Wiwa hatte sein Lebenswerk noch nicht beendet, als er hingerichtet wurde. Trotz seines Engagements war auch er noch ein Suchender. Dennoch hat er über seinen Tod und über die Grenzen seines Landes hinaus mit seinem Vermächtnis Aufmerksamkeit erzielt: "Irgendwo tief im Inneren hoffte ich, daß ich eine Bewegung in Gang gesetzt hatte, die Afrika umzugestalten vermochte. Würde die Revolution der Ogoni als Vorbild für kleine, unterprivilegierte, enteignete und untergehende Völker dienen! Wenn wir das schaffen würden!" UDO ULFKOTTE

Ken Saro-Wiwa: "Flammen der Hölle". Nigeria und Shell: Der schmutzige Krieg gegen die Ogoni. Aus dem Englischen übersetzt von Ulrike Bischoff und Udo Rennert.Rowohlt Verlag, Reinbek 1996. 256 S., br., 18,90 DM.

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