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"Am Anfang war das Wort - und das Wort tötete": Ein literarisches Epos über eine Welt, in der die Sprache der Kinder ihre Eltern umbringt. Zuerst sind es nur die Juden, bald schon trifft es jeden: Die Sprache der Kinder wird für Erwachsene unerträglich, sie macht krank und tötet. Claire, Sams Frau, ist bereits schwer erkrankt und erträgt die Nähe ihrer Tochter Esther nicht mehr, die sie über alles liebt. Unaufhaltsam breitet sich die Epidemie aus, Panik greift um sich, und die letzten Radiosendungen verkünden, dass die Menschen ihre Kinder und Häuser verlassen, um in die Wildnis zu fliehen.…mehr

Produktbeschreibung
"Am Anfang war das Wort - und das Wort tötete": Ein literarisches Epos über eine Welt, in der die Sprache der Kinder ihre Eltern umbringt.
Zuerst sind es nur die Juden, bald schon trifft es jeden: Die Sprache der Kinder wird für Erwachsene unerträglich, sie macht krank und tötet. Claire, Sams Frau, ist bereits schwer erkrankt und erträgt die Nähe ihrer Tochter Esther nicht mehr, die sie über alles liebt. Unaufhaltsam breitet sich die Epidemie aus, Panik greift um sich, und die letzten Radiosendungen verkünden, dass die Menschen ihre Kinder und Häuser verlassen, um in die Wildnis zu fliehen. Als Claire kurz vor dem Zusammenbruch steht, scheint auch ihnen kein anderer Ausweg zu bleiben, aber am Vorabend ihres Aufbruchs verschwindet Claire, und Sam macht sich auf den Weg, um ein Heilmittel zu finden. Dabei gerät er in eine gefährliche Schattenwelt.
Ben Marcus erzählt ebenso brillant wie literarisch funkelnd von der Macht der Familie, zu lieben und zu
zerstören.

"Ben Marcus hat ungeheures Talent, dies ist ein traumwandlerischer, eindrucksvoller Roman."
New York Times

"Ben Marcus gehört zu der außergewöhnlichsten Art von Schriftstellern: Nämlich ein absolut notwendiger. Es ist nicht mehr möglich, sich die literarische Welt und damit die Welt selbst ohne seine mutigen Bücher vorzustellen."
Jonathan Safran Foer
Autorenporträt
Marcus, BenBen Marcus, geboren 1967, unterrichtet Creative Writing an der Columbia University in New York. Er hat zahlreiche Kurzgeschichten und Essays u. a. im New Yorker sowie drei Romane veröffentlicht. Auf Deutsch erschien von ihm 2012 der Roman Flammenalphabet..

Melle, ThomasThomas Melle, geboren 1975, ist Autor und Übersetzer - u. a. von William T. Vollman und Ben Marcus - und lebt in Berlin. 2011 erschien sein Roman Sickster. Im September 2014 erscheint sein neuer Roman 3000 Euro bei Rowohlt Berlin.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.08.2012

Worte aus Feuer
Ben Marcus hat lange mit der Sprache herumexperimentiert. Jetzt ist ein grandioser Thriller dabei herausgekommen

Etwas stimmt nicht mit der Sprache.

Sie hat sehr viele Menschen schon sehr krank gemacht, von innen zersetzt, von außen aufgefressen, die Körper aufgelöst, den Geist verwirrt. Mit leichten Kopfschmerzen hatte es angefangen, später ließ sich das Gefühl am besten als "Zerschmetterung" beschreiben; aber wer hätte das noch tun wollen: etwas beschreiben? Nicht nur die Sprache war unerträglich geworden, auch die Schrift, am Ende vermied man sogar den Anblick stummer Mundbewegungen. Irgendwann gab es eine letzte Warnung im Radio, dann herrschte Stille. Nur die Kinder spürten nichts.

Also macht Sam sich an die Arbeit: Er setzt die Buchstaben neu zusammen, er mischt die Sprachen, erfindet neue Alphabete. Er weiß nicht, was es ist, das krank macht. Ist die Sprache zu komplex geworden, zu laut, zu voll? Ist sie erschöpft oder degeneriert, verseucht durch Ironie oder Direktheit? Ist ihre Darstellung das Problem, ihre Materialität? Sam experimentiert wild herum: Er brennt Rongorongo-Buchstaben in Holz, er tropft zarte Wasserzeichen auf Papier, probiert die verschiedensten Rhythmen und Stile aus, aber nichts hilft, weder die Liebesbriefe noch Sätze, die er mit Absicht voller Fehler hinschreibt, "Sätze von schlechtem Geschmack, gutem Geschmack, von überhaupt keinem ersichtlichen Geschmack. Grammatische Regeln, Regeln des Sprachgebrauchs, Regeln, die Rhythmus und Schweigen steuerten, ich brach sie alle unerbittlich."

Sprache als Material zu nutzen: Das ist die originäre Aufgabe des Dichters. Und so ist dieser Sam, die Hauptfigur in Ben Marcus' Roman "Flammenalphabet", nichts anderes als ein Handlanger seines Schöpfers. Seit Jahren schon gilt Marcus in Amerika als großer Alchemist der Sprache, als Autor, der eher an ihren Möglichkeiten interessiert ist als daran, sie mit einer vermeintlichen Wirklichkeit zur Deckung zu bringen. Und auch wenn solche literarischen Kategorien nicht besonders viel taugen, weil sie sich ihrerseits nur einer semantischen Ordnung verdanken, hat Marcus seinen Ruf als leidenschaftlicher Vertreter der experimentellen Literatur sicher verdient.

Erarbeitet hat er sich diesen Ruf schon vor siebzehn Jahren mit seinem Buch "The Age of Wire and String", einer Art Bedienungsanleitung für das vernetzte Zeitalter, das selbst nur von unentwirrbar verknäulten Fäden zusammengehalten wird. Im Vergleich dazu war "Notable American Women", sein erster Roman, fast schon konventionell, immerhin erzählte er eine Geschichte, nämlich jene von einem Jungen namens Ben Marcus, der von einer okkulten Feministengruppe namens "Silentists" gefangen gehalten wird, die eine emotionslose Gesellschaft anstreben und zu diesem Zweck allerlei bizarre wissenschaftliche Tests an ihm vornehmen. Vor allem von Schriftstellerkollegen wurde Marcus für beide Bücher als Genie gefeiert. Wer aber nicht viel übrig dafür hat, wenn es sich bei den Protagonisten eines Buches vor allem um Sätze handelt, wenn sich seine Spannung aus der Ordnung der Wörter ergibt und sein Plot aus der Entwicklung der Gedanken, der konnte das leicht unverständlich finden, unzugänglich, unlesbar.

Dass sich Marcus im "Flammenalphabet" scheinbar komplett von dieser stilistischen Radikalität verabschiedet, das konnten, als das Buch im Januar in Amerika erschien, die meisten Kritiker dann trotzdem kaum glauben. Die meisten hatten noch den Text im Kopf, der Marcus endgültig zum offiziellen Anwalt avantgardistischer Erzähltechniken gemacht hatte. In einem Essay in "Harper's Magazine" antwortete er auf einen zuvor im "New Yorker" erschienenen Angriff auf jene Art von Literatur, die es ihren Lesern nicht ganz so einfach macht. Es war eine Attacke von ganz oben, Jonathan Franzen hatte sie geschrieben, vor allem gegen William Gaddis, dessen Werk Franzen als "schwierig" und elitär kritisierte. Es war ein unangenehm besserwisserischer Text, dessen Kraft vor allem aus dem Recht des Stärkeren resultierte, als sei Franzens kommerzieller Erfolg ein Indiz für die literarische Überlegenheit einfach gestrickter Texte. Was er "schwierig" finde, entgegnete Marcus, das sei der abgestandene Atem literarischer Traditionen, Charaktere, die durch ihre Kindheit erklärt werden, oder ermüdende Landschaftsbeschreibungen. "Ich finde Literatur schwierig, die jeder schreiben hätte können."

Insofern ist die Frage, ob Marcus in seinem neuen Buch (dem ersten, das auf Deutsch erscheint) auf Konventionen der realistischen Schule zurückgreift, vor allem eine Frage der Perspektive. Aus seiner Sicht nämlich konnte es kaum ein größeres Experiment geben, als sich auf erprobte Erzähltechniken einzulassen, eine chronologische Handlung zum Beispiel, ein nachvollziehbares Setting und einen halbwegs verlässlichen Erzähler. "Ich hatte keine Ahnung, wie ich das machen soll", sagt er im Gespräch. "Für mich bestand das größere Risiko darin, es war für mich Neuland. Und ich glaube nicht, dass diese Techniken Eigentum des Realismus sind."

Der Verzicht auf stilistische Abenteuer aber heißt nicht, dass sich Marcus für all die Schwingungen der Sprache plötzlich nicht mehr interessiert, für ihre Macht und ihre Fähigkeiten. Der Trick, wenn man das so nennen kann, besteht darin, dass er sie in "Flammenalphabet" ganz einfach zum zentralen Motiv macht, und zwar nicht als Gegenstand einer durch eine Rahmenhandlung notdürftig vorangetriebenen Debatte, sondern als Naturgewalt. Schon immer lebten seine Texte davon, dass er Metaphern sozusagen wörtlich nahm, die Wörter als Materie behandelte, damit sie ordentlich Kraft ausüben können, sei es in Form von Stoff, Metall oder Flüssigkeit. Und diesmal eben tun sie richtig weh.

Es ist eine Epidemie, die da durchs Land weht. Anfangs sind es die Kinder, deren Worte die Menschen nicht mehr ertragen können, die Zungen werden lahm, die Haut bekommt Ausschlag, die Augen fallen ein, die Köpfe schrumpfen. Als es zu schlimm wird, müssen auch die beiden Eltern Sam und Claire ihre Tochter zurücklassen. Das Gift der Sprache ist nicht mehr zu ertragen, all die verzweifelten Versuche, die Symptome mit selbstgemischter Medizin in den Griff zu bekommen, versagen. Aber Sam gibt die Hoffnung nicht auf: Er erfindet "Verständnis-Blocker" und "phonische Salze", ein neues Medikament namens "Semantiril"; er versucht die toxische Wirkung mit Ohrenstöpseln einzudämmen oder mit Apparaten, die "Barrieren aus Zischlauten" über ihn ergießen.

Wie alle Menschen nach der Apokalypse der Kommunikation ist Sam ein Dilettant, und doch gibt es etwas, das ihn in dieser sprachlosen Welt von anderen unterscheidet: Seine Frau Claire und er gehören einer jüdischen Sekte an, den "Waldjuden", die ihre Gottesdienste in versteckten Hütten mit Erdlöchern abhielten. Die Löcher sind durch ein landesweites Tunnelsystem verbunden, die Predigten werden per Radioempfänger mit fleischiger Konsole übermittelt. Das Wichtigste dabei: Keiner der Gläubigen darf über ihren Inhalt sprechen. Für die Waldjuden nämlich ist nicht nur der Name Gottes unaussprechlich, sondern die gesamte Tora: Sie ist das Flammenalphabet, "das Wort Gottes, in Feuer geschrieben". Dieses vermeintliche Geheimwissen über die Kraft der Sprache macht Sam auch für den Schurken der Geschichte interessant, den undurchschaubaren Wissenschaftler LeBov, von dem man nie genau weiß, ob er schuld an der Seuche ist oder nur von ihr profitieren will. LeBov, von dem niemand genau weiß, wer er ist, Mann, Frau, zwei Menschen oder mehr - dieser LeBov ist ein Zyniker. Er weiß, dass nicht die Sprache das Problem ist, sondern der unbedingte Wille, sie verstehen zu wollen. Und trotzdem schreckt er vor nichts zurück, wenn es darum geht, sie wieder in Betrieb zu setzen. Wenn man so will, ist daher "Flammenalphabet" auch ein Thriller über die Möglichkeiten der Literatur (und Franzen wäre dann LeBov): die einen verzweifeln an der Sprache; die anderen tun so, als könne man sie meistern. "Der Plot verdichtet sich", sagt LeBov einmal, und Sam entgegnet ihm: "Der Plot ist scheiße."

Es ist ein ganzes Arsenal futuristischer Accessoires, die Marcus seinen Helden in die Hand gibt, biomechanische Adapter und elektrische Gels, organische Schnittstellen und Messgeräte für ungewöhnliche Kräfte. Aber trotz all dieser Anleihen bei Sciencefiction und Phantastik fällt Marcus nie den Gesetzen des Genres zum Opfer, jenen angeblich alternativen Realitäten, die am Ende doch nur ihren eigenen Gewissheiten gehorchen. Und so wenig Hoffnung es auch gibt in Marcus' gnadenloser Horrorstory (außer eben vielleicht der auf das Fehlen eines Happy Ends), so fremd ist ihm auch nur der leiseste Kulturpessimismus. Es ist ja nicht dystopisch, wenn man von einer sprachlich vergifteten Welt erzählt. Es ist der reine Realismus.

Für Marcus, für den die real existierende Ironie des Literaturmarkts eine Professorenstelle für "Creative Writing" an der Columbia University in New York vorgesehen hat, ist es nicht immer leicht, das seinen Studenten zu vermitteln: die Schönheit der Verwirrung, die Produktivität der Unsicherheit. Dass ihm jede Form von Autorität suspekt ist, könnten einfach nicht all seine Schüler akzeptieren: "Studenten investieren eine Menge in die Tatsache, dass ihr Lehrer weiß, wovon er spricht", sagt Marcus. "Aber ich mag es, nicht zu wissen, was ich denke oder fühle, auch öffentlich."

Womöglich ist es nämlich gar nicht die Sprache, mit der etwas nicht stimmt. Das Gift, das ist die Vorstellung, man könne eine Welt verstehen, die sich nicht in Worte fassen lässt.

HARALD STAUN

Ben Marcus: "Flammenalphabet". Übersetzt von Thomas Melle. Hoffmann & Campe, 288 Seiten, 22,99 Euro. Erscheint am 16. August.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension

Der neue Roman von Feridun Zaimoglu ist nicht nur "spannend", man kann sich auch schön darin verlieren, nur um sich später dann doch wieder zurecht zu finden, findet Detlef Kuhlbrodt. Ansonsten wägt der Rezensent beim Flanieren durch diesen Roman und dessen niederschlagend gezeichnetes Berlin deutlich ab: Manche Ecke in Berlin und dessen Bewohner erscheinen ihm durchaus etwas klischiert, auch stört es ihn ein wenig, wie häufig der Autor seine Figuren durch Berlin streifen lässt, als ginge es darum, einem touristischen Lesepublikum die Sehenswürdigkeiten Berlins zu präsentieren. Nicht zuletzt gibt es hier auch "viel Gewalt" und gelegentlich "wird es sexuell", allerdings nicht unbedingt zur Freude der Beteiligten, stellt Kuhlbrodt bei seinem losen Erkundungsgang durch diesen Roman fest.

© Perlentaucher Medien GmbH
»Ein grandioser Thriller.« Harald Staun FAS, 13.08.2012