Der neue Roman von Heinz Strunk führt in bewährter Weise in die Welt des Aberwitzes und der Skurrilität.
Deep in my heart, I do believe, we shall overcome some day.
Ich atme tief ein. Meer, Holz, Salz, Mücken, verbranntes Stockbrot. Mein Arsch brennt wie das Osterfeuer, aber plötzlich laufen mir Tränen über das Gesicht: Ich spüre, dass ich so etwas wahrscheinlich nie wieder erleben werde. Wenn ich irgendwann einmal erwachsen bin, wird sich mein Herz verschließen und ich werde mich mit der Erinnerung an die paar glücklichen Momente von Kindheit und Jugend begnügen müssen.
Deep in my heart, I do believe, we shall overcome some day.
Ich atme tief ein. Meer, Holz, Salz, Mücken, verbranntes Stockbrot. Mein Arsch brennt wie das Osterfeuer, aber plötzlich laufen mir Tränen über das Gesicht: Ich spüre, dass ich so etwas wahrscheinlich nie wieder erleben werde. Wenn ich irgendwann einmal erwachsen bin, wird sich mein Herz verschließen und ich werde mich mit der Erinnerung an die paar glücklichen Momente von Kindheit und Jugend begnügen müssen.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 04.02.2009In Löffelchenstellung
Heinz Strunks Roman „Fleckenteufel” will in den Feuchtgebieten mitschwimmen
Schlüpfrig an dem neuen Roman von Heinz Strunk, seinem dritten, ist nicht sein Inhalt, sondern die feuchte Art und Weise, wie er aufgemacht ist und beworben wird. Und das liegt nicht nur am gefühlsecht flutschigen Umschlag, der das Buch als Trittbrettsatire auf Charlotte Roches Skandalerfolg „Feuchtgebiete” ausweist. Aus dessen Purpur ist nun Türkis geworden, und statt eines Heftpflasters schwebt ein verfleckter Waschlappen leicht erhaben auf dem Cover, der den satten Glanz einer Eiweißglasur aufweist. Darunter der Titel: „Fleckenteufel”, ein Wort, das wie „Feuchtgebiete” mit einem F beginnt und dreizehn Buchstaben umfasst, gesetzt in der bestsellerbekannten Fraktur, deren Anlehnung an den Bibeldruck lästerlich-lüstern mit dem sündigen Inhalt kontrastiert, den es verspricht.
Als sei das noch nicht Mimikry genug, wirbt der Verlag für seinen Titel mit einem Video-Clip, der spritzig erklärt, was der Waschlappen soll und was geschah, bevor er zum Frontispiz, sagen wir ruhig: gerann. Die weißen Kleckse werden vom wie ein Tafelschwamm quietschenden Waschlappen weggewischt. Dann erscheint der Lehrer im Bild. Telekolleg Sexualkunde, Kapitel abseitige Gelüste. Mit aspirierten Verschlusslauten trägt Heinz Strunk die schärfsten Stellen aus dem Roman vor, berichtet von der Rosettenpflege seines jugendlichen Romanhelden mit der Wundercreme Nivea und seinen Heißhungerattacken, die sich zwischen den „Glocken” von Susanne Bohne und dem „Pumpenschwengel” seines Kumpels Andreas noch nicht entscheiden können. Gegenschnitt zum Autorengespräch, dem die feuilletonistische Überhöhung vorbehalten ist. Eben die Rampensau Strunk, jetzt der Feingeist, der seinen Roman als „universellen Jugendroman” verstanden wissen will.
Man muss das so ausführlich erzählen, weil die Vermarktungsstrategie des „Kulturschaffenden mit Schwerpunkt Humor” (Strunk über Strunk) darin besteht, genau diesen Widerspruch zu bewirtschaften. Einerseits soll sich der Roman auf den Büchertischen in Löffelchenstellung an die „Feuchtgebiete” schmiegen, andererseits die voyeuristischen Erwartungen umlenken. Tatsächlich ist die Verbindung zwischen beiden Büchern nur ein herbeiinszenierter PR-Gag, suggestiv gemacht durch Strunks gemeinsame Zeit mit der Autorin Roche beim Musiksender Viva sowie ihre zweistimmigen öffentlichen Lesungen aus der urologischen Promotionsschrift „Penisverletzungen bei Masturbation mit Staubsaugern”. Dabei eignet sich „Fleckenteufel” ebenso wenig zu schocklüsterner manueller Selbstfindung wie zu Spekulation über das emanzipatorische Potential sexueller Extremerfahrung.
Bei Heinz Strunk ist der Körper seines Helden Thorsten Bruhn vielmehr das ganz normale Krisengebiet der Pubertät, permanent erschüttert von den Explosionen fauliger Körpergase. Der Roman beginnt mit der konkreten Poesie von Thorstens Flatulenz. Zwischen Ppppffff und Pfffkkrr entfaltet sich eine Typologie der Darmwinde von „schleichenden Entlastungspupsen” zum „stillen Kriecher, mit dumpf-erdiger Blume”. Die hartnäckige Verstopfung, unter der Thorsten leidet, erklärt aber nur zum Teil seine anale Fixierung. Thorsten ist vielmehr ein Spätentwickler. Nicht nur der Körper des 16-Jährigen ist kleiner als der seiner Altersgenossen, auch geistig und emotional steckt er immer noch tief in der
Kindheit.
Kathartische Entleerung
Strunk schildert die Pubertät als einen Schwellenmoment, in dem alles zugleich hochnotpeinlich und „auch schon wieder geil” ist, das Schuldgefühl flottiert genauso frei wie die Lust, die Unschuld zu verlieren. Thorsten mag sich zwar fühlen wie ein „dirty old man” und daherreden wie ein Müllkutscher auf der Reeperbahn, aber in Wahrheit hat er die fromme Seele eines Kindes, das jedes Wort glaubt, das der Pastor spricht. Im evangelischen Zeltlager an der Ostsee verlebt Thorsten ein paar verregnete Sommerwochen. Natürlich wird er, wie sich das für einen Initiationsroman gehört, nicht aus den Ferien zurückkehren, ohne wenigstens ein bisschen zum Manne gereift zu sein. Er wächst über Enid Blytons Fünf Freunde hinaus und über ein paar falsche Idole. Und natürlich kündigt sich der plötzliche Wachstumsschub an als gewaltige Entleerung. Endlich kommt alles heraus, womit er vollgestopft wurde, und zwar nicht nur „Schwarzbrot, Graubrot, schlimme Augenwurst”, sondern auch die ganze bigotte Moral. So nimmt nicht nur Thorstens Hartleibigkeit ein glückliches Ende, sondern auch Heinz Strunks spekulative Motivwelt eine letztlich kathartische Wendung.
Mit ätzendem Witz versteht er es, das Zeitkolorit des Jahres 1977 zu beschwören, die Spießigkeit einer kleinbürgerlichen Jugend in der Nachkriegs-BRD, überschattet von RAF-Terror und dem Tod von Elvis Presley. Das Problem des Buches ist nicht Strunks Vorliebe für die intimsten Körperöffnungen, es ist vielmehr Dieter Bohlen, der in jeder Zeile sein Gebisslächeln bleckt. So amüsant diese Kiez-Eloquenz auch ist, so sehr nervt sie auf Dauer, weil sie dem Helden mit dem Jugendslang des Endvierziger Strunk zugleich eine falsche Bewusstseinslage unterschiebt. Zunächst denkt man, diese Zungenfertigkeit sei die späte Rache für eine verklemmte Jugend. Doch es zeigt sich, dass Strunk keine andere Stillage zu Gebote steht. Er ist immer gut, wenn er ablästern kann, für die authentischeren Momente findet er keinen Ton, seine Stimme wird dann piepsig und dünn. Und darum gibt es so wenig authentische Momente im Roman.
Strunks Routine als Bühnenperformer schlägt auf sein Schreiben durch und lässt den Roman in Nummern zerfallen. Das Wissen um diese Schwäche könnte erklären, warum er die PR-Maschine so fleißig füttert. Er braucht Leser, die mehr Appetit mitbringen, als der Autor zu stillen vermag. Von Kapitel zu Kapitel verliert man das Interesse an seiner Figur, weil diese immer nur zu Pointen kommt, aber kaum je zu Erfahrungen. Und darum ist die Aufmachung des Romans vielleicht doch passend. Thorsten Bruhn ist wirklich ein Zwangsonanist – nicht als Romanfigur, sondern als Erzähler. CHRISTOPHER SCHMIDT
HEINZ STRUNK: Fleckenteufel. Roman. Rowohlt Taschenbuch Verlag, Reinbek 2009. 220 Seiten, 12 Euro.
Trittbrettsatiriker der tiefergelegten Volksaufklärung: Heinz Strunk Foto: Philipp Rathmer/Rowohlt
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Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de
Heinz Strunks Roman „Fleckenteufel” will in den Feuchtgebieten mitschwimmen
Schlüpfrig an dem neuen Roman von Heinz Strunk, seinem dritten, ist nicht sein Inhalt, sondern die feuchte Art und Weise, wie er aufgemacht ist und beworben wird. Und das liegt nicht nur am gefühlsecht flutschigen Umschlag, der das Buch als Trittbrettsatire auf Charlotte Roches Skandalerfolg „Feuchtgebiete” ausweist. Aus dessen Purpur ist nun Türkis geworden, und statt eines Heftpflasters schwebt ein verfleckter Waschlappen leicht erhaben auf dem Cover, der den satten Glanz einer Eiweißglasur aufweist. Darunter der Titel: „Fleckenteufel”, ein Wort, das wie „Feuchtgebiete” mit einem F beginnt und dreizehn Buchstaben umfasst, gesetzt in der bestsellerbekannten Fraktur, deren Anlehnung an den Bibeldruck lästerlich-lüstern mit dem sündigen Inhalt kontrastiert, den es verspricht.
Als sei das noch nicht Mimikry genug, wirbt der Verlag für seinen Titel mit einem Video-Clip, der spritzig erklärt, was der Waschlappen soll und was geschah, bevor er zum Frontispiz, sagen wir ruhig: gerann. Die weißen Kleckse werden vom wie ein Tafelschwamm quietschenden Waschlappen weggewischt. Dann erscheint der Lehrer im Bild. Telekolleg Sexualkunde, Kapitel abseitige Gelüste. Mit aspirierten Verschlusslauten trägt Heinz Strunk die schärfsten Stellen aus dem Roman vor, berichtet von der Rosettenpflege seines jugendlichen Romanhelden mit der Wundercreme Nivea und seinen Heißhungerattacken, die sich zwischen den „Glocken” von Susanne Bohne und dem „Pumpenschwengel” seines Kumpels Andreas noch nicht entscheiden können. Gegenschnitt zum Autorengespräch, dem die feuilletonistische Überhöhung vorbehalten ist. Eben die Rampensau Strunk, jetzt der Feingeist, der seinen Roman als „universellen Jugendroman” verstanden wissen will.
Man muss das so ausführlich erzählen, weil die Vermarktungsstrategie des „Kulturschaffenden mit Schwerpunkt Humor” (Strunk über Strunk) darin besteht, genau diesen Widerspruch zu bewirtschaften. Einerseits soll sich der Roman auf den Büchertischen in Löffelchenstellung an die „Feuchtgebiete” schmiegen, andererseits die voyeuristischen Erwartungen umlenken. Tatsächlich ist die Verbindung zwischen beiden Büchern nur ein herbeiinszenierter PR-Gag, suggestiv gemacht durch Strunks gemeinsame Zeit mit der Autorin Roche beim Musiksender Viva sowie ihre zweistimmigen öffentlichen Lesungen aus der urologischen Promotionsschrift „Penisverletzungen bei Masturbation mit Staubsaugern”. Dabei eignet sich „Fleckenteufel” ebenso wenig zu schocklüsterner manueller Selbstfindung wie zu Spekulation über das emanzipatorische Potential sexueller Extremerfahrung.
Bei Heinz Strunk ist der Körper seines Helden Thorsten Bruhn vielmehr das ganz normale Krisengebiet der Pubertät, permanent erschüttert von den Explosionen fauliger Körpergase. Der Roman beginnt mit der konkreten Poesie von Thorstens Flatulenz. Zwischen Ppppffff und Pfffkkrr entfaltet sich eine Typologie der Darmwinde von „schleichenden Entlastungspupsen” zum „stillen Kriecher, mit dumpf-erdiger Blume”. Die hartnäckige Verstopfung, unter der Thorsten leidet, erklärt aber nur zum Teil seine anale Fixierung. Thorsten ist vielmehr ein Spätentwickler. Nicht nur der Körper des 16-Jährigen ist kleiner als der seiner Altersgenossen, auch geistig und emotional steckt er immer noch tief in der
Kindheit.
Kathartische Entleerung
Strunk schildert die Pubertät als einen Schwellenmoment, in dem alles zugleich hochnotpeinlich und „auch schon wieder geil” ist, das Schuldgefühl flottiert genauso frei wie die Lust, die Unschuld zu verlieren. Thorsten mag sich zwar fühlen wie ein „dirty old man” und daherreden wie ein Müllkutscher auf der Reeperbahn, aber in Wahrheit hat er die fromme Seele eines Kindes, das jedes Wort glaubt, das der Pastor spricht. Im evangelischen Zeltlager an der Ostsee verlebt Thorsten ein paar verregnete Sommerwochen. Natürlich wird er, wie sich das für einen Initiationsroman gehört, nicht aus den Ferien zurückkehren, ohne wenigstens ein bisschen zum Manne gereift zu sein. Er wächst über Enid Blytons Fünf Freunde hinaus und über ein paar falsche Idole. Und natürlich kündigt sich der plötzliche Wachstumsschub an als gewaltige Entleerung. Endlich kommt alles heraus, womit er vollgestopft wurde, und zwar nicht nur „Schwarzbrot, Graubrot, schlimme Augenwurst”, sondern auch die ganze bigotte Moral. So nimmt nicht nur Thorstens Hartleibigkeit ein glückliches Ende, sondern auch Heinz Strunks spekulative Motivwelt eine letztlich kathartische Wendung.
Mit ätzendem Witz versteht er es, das Zeitkolorit des Jahres 1977 zu beschwören, die Spießigkeit einer kleinbürgerlichen Jugend in der Nachkriegs-BRD, überschattet von RAF-Terror und dem Tod von Elvis Presley. Das Problem des Buches ist nicht Strunks Vorliebe für die intimsten Körperöffnungen, es ist vielmehr Dieter Bohlen, der in jeder Zeile sein Gebisslächeln bleckt. So amüsant diese Kiez-Eloquenz auch ist, so sehr nervt sie auf Dauer, weil sie dem Helden mit dem Jugendslang des Endvierziger Strunk zugleich eine falsche Bewusstseinslage unterschiebt. Zunächst denkt man, diese Zungenfertigkeit sei die späte Rache für eine verklemmte Jugend. Doch es zeigt sich, dass Strunk keine andere Stillage zu Gebote steht. Er ist immer gut, wenn er ablästern kann, für die authentischeren Momente findet er keinen Ton, seine Stimme wird dann piepsig und dünn. Und darum gibt es so wenig authentische Momente im Roman.
Strunks Routine als Bühnenperformer schlägt auf sein Schreiben durch und lässt den Roman in Nummern zerfallen. Das Wissen um diese Schwäche könnte erklären, warum er die PR-Maschine so fleißig füttert. Er braucht Leser, die mehr Appetit mitbringen, als der Autor zu stillen vermag. Von Kapitel zu Kapitel verliert man das Interesse an seiner Figur, weil diese immer nur zu Pointen kommt, aber kaum je zu Erfahrungen. Und darum ist die Aufmachung des Romans vielleicht doch passend. Thorsten Bruhn ist wirklich ein Zwangsonanist – nicht als Romanfigur, sondern als Erzähler. CHRISTOPHER SCHMIDT
HEINZ STRUNK: Fleckenteufel. Roman. Rowohlt Taschenbuch Verlag, Reinbek 2009. 220 Seiten, 12 Euro.
Trittbrettsatiriker der tiefergelegten Volksaufklärung: Heinz Strunk Foto: Philipp Rathmer/Rowohlt
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Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension
Julian Weber ist begeistert. Die subkulturferne Tristesse einer Jugend, die der Autor möglicherweise selbst durchlebt hat, findet er im neuen Buch von Heinz Strunk aufs Schönste dokumentiert. Doch das ist nicht alles. Strunk habe mit seiner Ferienlagergeschichte um den furzenden, pubertätsgeplagten Protagonisten die Flatulenz dem "kindischen Humor alter Säcke" entrissen und der Jugend zurückgegeben, meint Weber. Was sich für den Rezensenten mitunter wie ein Lautgedicht liest, entpuppt sich als den bildungsbürgerlichen Sprachkanon unterlaufendes Schwelgen in analfixierter Generalopposition anno 1977. Übrigens: Ähnlichkeiten des Buches mit Charlotte Roches "Feuchtgebiete" sind für Weber rein äußerlicher Natur. Weder als Feuilletonskandal noch als Bestseller kann er es sich vorstellen. Strunk, findet er, eignet sich nun mal besser als Spaßvogel denn als Feministin.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 23.01.2009Thorstens Beschwerden
Heinz Strunk hat einen neuen Roman geschrieben. "Fleckenteufel" will eine männliche Antwort auf Charlotte Roches "Feuchtgebiete" sein. Aber kann so etwas überhaupt gelingen?
Vor einem Jahr erschien der Roman "Feuchtgebiete". Charlotte Roche erzählt von der achtzehnjährigen Helen, die mit einer Analverletzung im Krankenhaus liegt und von intimsten Dinge spricht: Sex, Masturbation, gebrauchten Tampons. Das Buch hat eine Debatte über den Stand des Postfeminismus, über weibliche Selbstbilder und Hygiene ausgelöst. Junge Mädchen kamen in Scharen zu den Lesungen, aber man darf sich nichts vormachen: "Feuchtgebiete" hätte sich wohl nicht anderthalb Millionen Mal verkauft, wenn nicht auch ältere Männer begierig gewesen wären zu lesen, wie eine junge Frau von ihren geheimsten Gerüchen erzählt.
Jetzt schreibt der Hamburger Autor Heinz Strunk die Gegengeschichte. Er gibt das offen zu. Seine Antwort auf "Feuchtgebiete" heißt "Fleckenteufel": Thorsten ist sechzehn und auf dem Weg in die Sommerfreizeit an der Ostsee. Aber wo die zwei Jahre ältere Helen ihren Körper erkundet und ausprobiert, leidet Thorsten an ihm. Und an seiner Verdauung: "Die Wolke kann sich gar nicht so schnell verflüchtigen, wie ich nachlege. Bestimmt ist schon das Gemeindehaus plus Grundstück eingenebelt, aber was soll ich machen. Ist das alles peinlich. Das ganze Leben ist peinlich." Ob dieselben Männer, die eben noch so gierig auf Helens Körpererkundungen waren, weiterlesen, wenn es um einen Männerkörper geht? Und Männergerüche?
Man könnte es sich leicht machen und sagen: Heinz Strunk erzählt im neuen Roman nur eine kleine, traurige Geschichte. "Fleckenteufel" spielt im August 1977, als Elvis Presley stirbt. Thorsten fährt in die evangelische Sommerfreizeit an die Ostsee und leidet: an sich, an den Mädchen und den anderen Jungen, aber auch an den Erwachsenen, die mitgefahren sind. Er leidet an den sanftmütigen Predigten des Pastors und an der Ungerechtigkeit, klein und traurig zu sein und nicht groß und schön wie der blonde Heiko oder die unerreichbare Susanne Bohn. "Eine leichte Sommerarbeit", so nennt Heinz Strunk dieses neue Buch im Gespräch, und vielleicht wäre es das auch geworden: der nächste, inzwischen dritte Roman eines Schriftstellers, der mit "Fleisch ist mein Gemüse" bekannt und erfolgreich wurde und mit der "Zunge Europas" im Herbst gerade erst das zweite Buch nachgelegt hat.
Aber so leicht ist es eben nicht, geht es auch nicht, weil "Fleckenteufel" eben vom Titel angefangen über den Umschlag bis hin zur leitmotivartig ausgelebten Darstellung privatester Körperfunktionen eine Spiegelung der "Feuchtgebiete" von Charlotte Roche ist. "Eine satirische Replik" sei sein Buch, sagt der Autor selbst. Und klingt dabei, als habe Charlotte Roche ihm sein Thema weggenommen. Einen "Trittbrettfahrer" hat ihn deswegen vor kurzem Marcel Hartges genannt. Hartges, künftig bei Piper, war früher bei Rowohlt für das Taschenbuchprogramm zuständig, als dort Strunks Bestseller "Fleisch ist mein Gemüse" herauskam, danach wurde er Verlagsleiter von DuMont, wo "Feuchtgebiete" erschienen ist.
Strunk und Roche waren befreundet. Sie sind früher gemeinsam aufgetreten, um aus der Promotionsschrift "Penisverletzungen bei Masturbation mit Staubsaugern" eines Münchner Urologen aus dem Jahr 1978 vorzutragen. Das ist drei Jahre her. Jetzt aber antwortet der eine dem anderen auf ein Buch mit einem Buch. So etwas geschieht ständig in der Literatur, aber selten wird es so offen angekündigt. Die beiden Autoren allerdings haben schon immer eine Obsession für ganz nahe Körperbeschreibungen geteilt, es gibt Menschen, die sagen, dass Strunk geradezu besessen davon sei.
Strunk war bestürzt über manche Feuilletonisierungen der "Feuchtgebiete", sagt er heute. Er selbst hatte sich in diesem "Segment" mit seinen Humorhörspielen wie "Trittschall im Kriechkeller" über Jahre hinweg abgearbeitet, war aber damit eben bei weitem nicht so erfolgreich wie Charlotte Roche gewesen, wenn auch oft viel lustiger. "Ich kann nicht allen Ernstes den Vorwurf der Trittbrettfahrerei von der Hand weisen", sagt er. "Ich wollte das ganze Thema noch einmal literarisch aufbereiten, um damit dann abzuschließen." Also begann Strunk im Mai, als "Feuchtgebiete" die Bestsellerlisten anführte und sogar französische Zeitungen über den nouveau féminisme der Charlotte Roche berichtete, an "Fleckenteufel" zu schreiben.
Wie schon bei den "Feuchtgebieten" tritt jetzt eines der interessantesten Phänomene auf, die Literatur bewirken kann: Kaum, dass ein Roman erschienen ist, hat schon jeder eine Meinung dazu. "Fleckenteufel", das ist doch diese Flatulenzorgie! Muss das denn sein? Bei Strunks Buch fällt es obendrein gar nicht schwer, eine Meinung zu haben. Man muss den Roman dazu nicht einmal aufschlagen. Es reicht schon der Blick auf den Umschlag: Wo bei Charlotte Roche ein Heftpflaster auf pinkem Grund klebt, ist es bei Heinz Strunk ein Waschlappen auf Himmelblau. Die Titelei ist ebenfalls identisch. So liegen sie jetzt im Buchhandel nebeneinander, stapelweise. Feuchtgebiete. Fleckenteufel. Für Mädchen. Für Jungs.
Thorsten Bruhns Innereien tun nicht das, was Thorsten will: Davon handelt Strunks Roman, von Geräuschen und Gerüchen und Gedärm, am Anfang störend oft, dann seltener, aber immer noch irritierend. Gehört das in Worte gefasst und ausgesprochen, mit künstlerischem Anspruch? Die Literatur ist immer eine Intimsphäre gewesen. Viel interessanter ist die Frage, warum Thorsten Bruhns Konstipationen, wie sie Heinz Strunk erzählt, jetzt als eine Art Mario Barthscher Männerhumor abgetan werden können, während die Hämorrhoiden von Charlottes Roches Erzählerin aber bisweilen emanzipatorisch verstanden wurden, weil sie gegen weibliche Schönheitsideale verstoßen.
Entspricht öffentlicher Durchfall etwa dem männlichen Schönheitsideal? Verlaufen die Schamgrenzen anders? Sie verlaufen vielleicht anders als erwartet, denn die Leserinnen, die "Feuchtgebiete" so oft gekauft haben, weil sie darin eine ganz neue Art der Identifikation fanden, werden so etwas naturgemäß in "Fleckenteufel" nicht finden. Die männlichen Leser dagegen finden bei Strunk eine pubertierende Hauptfigur, die überhaupt nicht maskulin ist, im Gegenteil. Thorsten weiß gar nicht genau, ob er Männer oder Frauen begehrt. Und auch deshalb wird er von etwas geplagt und gepeinigt, das Roches Helen längst überwunden hat: Scham.
Was nämlich nach zweihundertzwanzig Seiten von "Fleckenteufel" bleibt, ist weniger ein Schund- als ein Schuldroman. Und hat daher auch mehr mit Philip Roth und seinem Masturbationsbuch "Portnoys Beschwerden" zu tun als mit Mario Barth. Portnoy hatte seine experimentierfreudige Geliebte "Äffchen" genannt, Thorsten dagegen ängstigt sich davor, ein "Äffche" zu werden, mitgeschleift und ausgebeutet. Und beide, Portnoy wie Thorsten, haben keine Lust, ihre Mütter anzurufen, und genau deshalb kommen sie auch nicht von ihnen los. Von wegen Emanzipation! "Ich schäme mich zu Tode, seit ich denken kann, und weiß nicht wofür, wird schon stimmen", sagt Thorsten ganz am Anfang seiner Geschichte, als der Bus ins Zeltlager noch nicht einmal abgefahren ist, Thorsten aber schon mit den Nerven herunter auf dem Parkplatz sitzt und das Personal seiner ganz persönlichen Hölle betrachtet.
Dieser Satz trennt Charlotte Roches Buch und das von Heinz Strunk drastisch voneinander, so nah sie sich auch rein äußerlich, nach Marketing-Gesichtspunkten sind. Helen ließ ihre Feuchtgebiete genauestens fotografieren, Thorsten schämt sich wegen seiner Konstipationen "zu Tode" - ein Lieblingsausdruck des Autors. Er fürchtet, ertappt zu werden, zieht sich tief in seinen Schlafsack zurück und sehnt sich nach Erlösung. Wenn man so will, ist dieser explizite Roman also keine Eskalation, sondern das genaue Gegenteil. "Die Unmöglichkeit, jemals mit reinem Gewissen durchs Leben zu gehen, ist eines der Probleme meines Lebens und meiner Kunst", sagt Heinz Strunk. Merkwürdig, wie "Fleckenteufel", als satirische Replik angelegt, mit jeder Seite schamhafter wird. Die Freiheit des Erzählens kennt dieser Roman, nicht aber die Freiheit von Schuld.
TOBIAS RÜTHER
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Heinz Strunk hat einen neuen Roman geschrieben. "Fleckenteufel" will eine männliche Antwort auf Charlotte Roches "Feuchtgebiete" sein. Aber kann so etwas überhaupt gelingen?
Vor einem Jahr erschien der Roman "Feuchtgebiete". Charlotte Roche erzählt von der achtzehnjährigen Helen, die mit einer Analverletzung im Krankenhaus liegt und von intimsten Dinge spricht: Sex, Masturbation, gebrauchten Tampons. Das Buch hat eine Debatte über den Stand des Postfeminismus, über weibliche Selbstbilder und Hygiene ausgelöst. Junge Mädchen kamen in Scharen zu den Lesungen, aber man darf sich nichts vormachen: "Feuchtgebiete" hätte sich wohl nicht anderthalb Millionen Mal verkauft, wenn nicht auch ältere Männer begierig gewesen wären zu lesen, wie eine junge Frau von ihren geheimsten Gerüchen erzählt.
Jetzt schreibt der Hamburger Autor Heinz Strunk die Gegengeschichte. Er gibt das offen zu. Seine Antwort auf "Feuchtgebiete" heißt "Fleckenteufel": Thorsten ist sechzehn und auf dem Weg in die Sommerfreizeit an der Ostsee. Aber wo die zwei Jahre ältere Helen ihren Körper erkundet und ausprobiert, leidet Thorsten an ihm. Und an seiner Verdauung: "Die Wolke kann sich gar nicht so schnell verflüchtigen, wie ich nachlege. Bestimmt ist schon das Gemeindehaus plus Grundstück eingenebelt, aber was soll ich machen. Ist das alles peinlich. Das ganze Leben ist peinlich." Ob dieselben Männer, die eben noch so gierig auf Helens Körpererkundungen waren, weiterlesen, wenn es um einen Männerkörper geht? Und Männergerüche?
Man könnte es sich leicht machen und sagen: Heinz Strunk erzählt im neuen Roman nur eine kleine, traurige Geschichte. "Fleckenteufel" spielt im August 1977, als Elvis Presley stirbt. Thorsten fährt in die evangelische Sommerfreizeit an die Ostsee und leidet: an sich, an den Mädchen und den anderen Jungen, aber auch an den Erwachsenen, die mitgefahren sind. Er leidet an den sanftmütigen Predigten des Pastors und an der Ungerechtigkeit, klein und traurig zu sein und nicht groß und schön wie der blonde Heiko oder die unerreichbare Susanne Bohn. "Eine leichte Sommerarbeit", so nennt Heinz Strunk dieses neue Buch im Gespräch, und vielleicht wäre es das auch geworden: der nächste, inzwischen dritte Roman eines Schriftstellers, der mit "Fleisch ist mein Gemüse" bekannt und erfolgreich wurde und mit der "Zunge Europas" im Herbst gerade erst das zweite Buch nachgelegt hat.
Aber so leicht ist es eben nicht, geht es auch nicht, weil "Fleckenteufel" eben vom Titel angefangen über den Umschlag bis hin zur leitmotivartig ausgelebten Darstellung privatester Körperfunktionen eine Spiegelung der "Feuchtgebiete" von Charlotte Roche ist. "Eine satirische Replik" sei sein Buch, sagt der Autor selbst. Und klingt dabei, als habe Charlotte Roche ihm sein Thema weggenommen. Einen "Trittbrettfahrer" hat ihn deswegen vor kurzem Marcel Hartges genannt. Hartges, künftig bei Piper, war früher bei Rowohlt für das Taschenbuchprogramm zuständig, als dort Strunks Bestseller "Fleisch ist mein Gemüse" herauskam, danach wurde er Verlagsleiter von DuMont, wo "Feuchtgebiete" erschienen ist.
Strunk und Roche waren befreundet. Sie sind früher gemeinsam aufgetreten, um aus der Promotionsschrift "Penisverletzungen bei Masturbation mit Staubsaugern" eines Münchner Urologen aus dem Jahr 1978 vorzutragen. Das ist drei Jahre her. Jetzt aber antwortet der eine dem anderen auf ein Buch mit einem Buch. So etwas geschieht ständig in der Literatur, aber selten wird es so offen angekündigt. Die beiden Autoren allerdings haben schon immer eine Obsession für ganz nahe Körperbeschreibungen geteilt, es gibt Menschen, die sagen, dass Strunk geradezu besessen davon sei.
Strunk war bestürzt über manche Feuilletonisierungen der "Feuchtgebiete", sagt er heute. Er selbst hatte sich in diesem "Segment" mit seinen Humorhörspielen wie "Trittschall im Kriechkeller" über Jahre hinweg abgearbeitet, war aber damit eben bei weitem nicht so erfolgreich wie Charlotte Roche gewesen, wenn auch oft viel lustiger. "Ich kann nicht allen Ernstes den Vorwurf der Trittbrettfahrerei von der Hand weisen", sagt er. "Ich wollte das ganze Thema noch einmal literarisch aufbereiten, um damit dann abzuschließen." Also begann Strunk im Mai, als "Feuchtgebiete" die Bestsellerlisten anführte und sogar französische Zeitungen über den nouveau féminisme der Charlotte Roche berichtete, an "Fleckenteufel" zu schreiben.
Wie schon bei den "Feuchtgebieten" tritt jetzt eines der interessantesten Phänomene auf, die Literatur bewirken kann: Kaum, dass ein Roman erschienen ist, hat schon jeder eine Meinung dazu. "Fleckenteufel", das ist doch diese Flatulenzorgie! Muss das denn sein? Bei Strunks Buch fällt es obendrein gar nicht schwer, eine Meinung zu haben. Man muss den Roman dazu nicht einmal aufschlagen. Es reicht schon der Blick auf den Umschlag: Wo bei Charlotte Roche ein Heftpflaster auf pinkem Grund klebt, ist es bei Heinz Strunk ein Waschlappen auf Himmelblau. Die Titelei ist ebenfalls identisch. So liegen sie jetzt im Buchhandel nebeneinander, stapelweise. Feuchtgebiete. Fleckenteufel. Für Mädchen. Für Jungs.
Thorsten Bruhns Innereien tun nicht das, was Thorsten will: Davon handelt Strunks Roman, von Geräuschen und Gerüchen und Gedärm, am Anfang störend oft, dann seltener, aber immer noch irritierend. Gehört das in Worte gefasst und ausgesprochen, mit künstlerischem Anspruch? Die Literatur ist immer eine Intimsphäre gewesen. Viel interessanter ist die Frage, warum Thorsten Bruhns Konstipationen, wie sie Heinz Strunk erzählt, jetzt als eine Art Mario Barthscher Männerhumor abgetan werden können, während die Hämorrhoiden von Charlottes Roches Erzählerin aber bisweilen emanzipatorisch verstanden wurden, weil sie gegen weibliche Schönheitsideale verstoßen.
Entspricht öffentlicher Durchfall etwa dem männlichen Schönheitsideal? Verlaufen die Schamgrenzen anders? Sie verlaufen vielleicht anders als erwartet, denn die Leserinnen, die "Feuchtgebiete" so oft gekauft haben, weil sie darin eine ganz neue Art der Identifikation fanden, werden so etwas naturgemäß in "Fleckenteufel" nicht finden. Die männlichen Leser dagegen finden bei Strunk eine pubertierende Hauptfigur, die überhaupt nicht maskulin ist, im Gegenteil. Thorsten weiß gar nicht genau, ob er Männer oder Frauen begehrt. Und auch deshalb wird er von etwas geplagt und gepeinigt, das Roches Helen längst überwunden hat: Scham.
Was nämlich nach zweihundertzwanzig Seiten von "Fleckenteufel" bleibt, ist weniger ein Schund- als ein Schuldroman. Und hat daher auch mehr mit Philip Roth und seinem Masturbationsbuch "Portnoys Beschwerden" zu tun als mit Mario Barth. Portnoy hatte seine experimentierfreudige Geliebte "Äffchen" genannt, Thorsten dagegen ängstigt sich davor, ein "Äffche" zu werden, mitgeschleift und ausgebeutet. Und beide, Portnoy wie Thorsten, haben keine Lust, ihre Mütter anzurufen, und genau deshalb kommen sie auch nicht von ihnen los. Von wegen Emanzipation! "Ich schäme mich zu Tode, seit ich denken kann, und weiß nicht wofür, wird schon stimmen", sagt Thorsten ganz am Anfang seiner Geschichte, als der Bus ins Zeltlager noch nicht einmal abgefahren ist, Thorsten aber schon mit den Nerven herunter auf dem Parkplatz sitzt und das Personal seiner ganz persönlichen Hölle betrachtet.
Dieser Satz trennt Charlotte Roches Buch und das von Heinz Strunk drastisch voneinander, so nah sie sich auch rein äußerlich, nach Marketing-Gesichtspunkten sind. Helen ließ ihre Feuchtgebiete genauestens fotografieren, Thorsten schämt sich wegen seiner Konstipationen "zu Tode" - ein Lieblingsausdruck des Autors. Er fürchtet, ertappt zu werden, zieht sich tief in seinen Schlafsack zurück und sehnt sich nach Erlösung. Wenn man so will, ist dieser explizite Roman also keine Eskalation, sondern das genaue Gegenteil. "Die Unmöglichkeit, jemals mit reinem Gewissen durchs Leben zu gehen, ist eines der Probleme meines Lebens und meiner Kunst", sagt Heinz Strunk. Merkwürdig, wie "Fleckenteufel", als satirische Replik angelegt, mit jeder Seite schamhafter wird. Die Freiheit des Erzählens kennt dieser Roman, nicht aber die Freiheit von Schuld.
TOBIAS RÜTHER
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