Fledermäuse als Vampire und nächtliche Ungeheuer - dieses bereits im Mittelalter herrschende Vorurteil will der vorliegende Band widerlegen. Mit außergewöhnlichen Fotos und informationsreichen Texten stellt er faszinierende Lebewesen vor, virtuose Flieger, die mit den verblüffendsten Eigenschaften ausgestattet sind.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 18.12.1997Abendsegler im Heimathafen
Der Fledermausmann: Jürgen Gebhard berichtet über sein Refugium für Nachtschwärmer
Schwarze Knopfaugen in samtigem Fell, eine kleine Stupsnase und die Ohren ein paar Nummern zu groß - so drollig präsentieren sich viele Fledermäuse aus der Nähe. Gewöhnlich sieht man die flatterhaften Nachtschwärmer allerdings nur als flinke Schatten vorbeihuschen und rasch wieder in der Dunkelheit verschwinden. Wie es den Fledermäusen gelingt, sich im Stockdunkeln zurechtzufinden, war Anfang dieses Jahrhunderts noch völlig rätselhaft. Und obwohl die Grundlagen der Echoortung inzwischen eingehend erforscht wurden, zeigen sich selbst Fachleute immer wieder verblüfft von der Leistungsfähigkeit dieses Orientierungssystems.
Da Fledermäuse mit Ultraschall arbeiten, sind wir taub für das nächtliche Stakkato ihrer Stimmen. Deshalb bleiben sie oft auch dann unbemerkt, wenn sie in unserer Nachbarschaft leben. Die zierliche Zwergfledermaus zum Beispiel - sie wiegt kaum mehr als ein Bogen Briefpapier und fände mit zusammengefalteten Flügeln bequem in einer Nußschale Platz - ist eine typische Stadtbewohnerin. Tagsüber versteckt sie sich gerne in engen Spalten; sie schlüpft hinter einen Fensterladen, kriecht hinter Wandverkleidungen oder verbirgt sich in einer Mauerritze. Zuweilen führt diese Vorliebe für die urbane Infrastruktur zu überraschenden Begegnungen. Dann taucht so ein Kerlchen plötzlich hinter einem Bilderrahmen auf oder hängt kopfunter an einer Gardinenstange. Wenn das in Basel geschieht, klingelt oft kurz darauf das Telefon bei Jürgen Gebhard im Naturhistorischen Museum. Bei seiner Arbeit als Präparator hat er nur selten mit Fledermäusen zu tun, doch seit mehr als dreißig Jahren gehören Feierabend und Wochenenden den heimischen Flattertieren. Wie es dazu kam, kann er selbst nicht genau erklären. Einige eher zufällige Begegnungen mögen seine Neugier geweckt haben. Und je intensiver er nachzuforschen begann, desto mehr faszinierten ihn die Flugkünstler unter den Säugetieren.
Zu Fledermäusen den richtigen Zugang zu finden ist gar nicht so einfach. Auf ihren nächtlichen Ausflügen können sie sich neugierigen Blicken leicht entziehen. Und wenn sie sich in einen Unterschlupf verkrochen haben, wollen sie dort nicht von zudringlichen Besuchern gestört werden. Wer wie Jürgen Gebhard verunglückte Fledermäuse gesund gepflegt hat, kann freilich manches beobachten, was sich sonst im Verborgenen abspielt. Etliche Pfleglinge flatterten bald wieder munter davon. Doch wenn eine Katze allzu unsanft zugepackt hatte, war es aus mit dem Fliegen. Einige Fledermäuse blieben deshalb für den Rest ihres Lebens als rüstige Fußgänger in der Obhut des Autors. Zwei von ihnen brachten dort sogar Nachwuchs zur Welt.
Als diese jungen Abendsegler flügge waren, wurden sie in ein leerstehendes Trafohäuschen einquartiert. Erfreulich schnell gewöhnten sie sich an ihr neues Zuhause und lockten bald weitere Artgenossen an. Nach und nach entwickelte sich dieses Fledermaus-Quartier zu einer regelrechten Forschungsstation: Eine Infrarot-Lichtschranke überwacht nun den Eingang, hinter einer Glasscheibe steht eine Infrarot-Kamera bereit, und Ultraschall-Mikrophone belauschen die Bewohner, ohne daß die sich im geringsten gestört fühlen.
Da die Abendsegler das Trafohäuschen auch als Kinderstube benutzten, konnte der Autor dort vor einigen Jahren die Geburt von Zwillingen miterleben. Neugeborene Fledermäuse haben die Augen noch fest geschlossen, ihre rosig schimmernde Haut ist nackt und runzelig, und ihre Händchen müssen noch tüchtig wachsen, um als Flügel zu taugen. Obwohl sie so rührend hilflos wirken, sind sie schon recht stattliche Brocken: Einzelkinder erreichen ungefähr ein Fünftel des mütterlichen Körpergewichts. Zwillinge bleiben zierlicher, doch zusammen sind sie etwa ein Viertel so schwer wie die Mutter. Entsprechend mühsam ist die Geburt. Das Abendseglerweibchen "Dia" plagte sich eine Stunde und fünfunddreißig Minuten mit heftigen Wehen, ehe das erste Baby in die sorgsam aufgespannte Flughaut glitt. Immerhin schon neun Minuten später folgte das zweite.
Von der Mutter sanft unterstützt, suchten beide sofort nach der Milchquelle. Und sobald sie eine Zitze gefunden hatten, saugten sie sich eifrig daran fest. Daß die Zitzen auch als Haltegriff und Rettungsanker dienen, zeigte sich vier Stunden später, als "Dia" schon wieder startbereit war für einen nächtlichen Ausflug. Für die Kleinen hieß es nun Absteigen, denn mitreisender Nachwuchs würde eine erfolgreiche Jagd vereiteln. Eines der Fledermauskinder fand mit seinen Krallen jedoch keinen festen Halt. Es rutschte ab und stürzte einen halben Meter in die Tiefe. Mit kläglichem Piepsen rief es dort nach der Mutter, die sofort hinabflog und sich über ihr Kind beugte. Sobald sich das Kleine eine Zitze geschnappt hatte, wurde es flugs wieder an den Ruheplatz zurückgetragen. Wenn ein Umzug in ein anderes Quartier ansteht, halten sich die Fledermauskinder ebenfalls an den Zitzen fest und lassen sich hängend durch die Luft transportieren.
Bald jedoch werden die Jungen selbst mobil. Schon wenige Tage nach der Geburt beginnen sie, ihre Umgebung zu Fuß zu erkunden. Im Alter von knapp drei Wochen erproben sie erstmals ihre Flügel. Und etwa eine Woche später wagen sie sich bereits hinaus ins Freie. Bei ihren Flugübungen sind die jungen Fledermäuse ganz auf sich allein gestellt. Die Mutter ist viel zu sehr damit beschäftigt, Mücken, Käfern und Faltern nachzujagen. Um genug Milch produzieren zu können, braucht sie viele nahrhafte Bissen. Wieder daheim, findet sie unter Dutzenden oder Hunderten von Säuglingen zielsicher den eigenen Nachwuchs. Wahrscheinlich erkennt sie ihre Kinder an der Stimme und an der individuellen Duftnote. Die immer hungrigen Sprößlinge zeigen sich weniger wählerisch - bisweilen versuchen sie auch bei fremden Weibchen, einen Schluck Milch zu ergattern.
Kinderstube und Liebesnest, Wanderschaft und Winterschlaf - über sämtliche Aspekte eines Fledermauslebens hat Jürgen Gebhard viel Wissenswertes zusammengetragen. Wenn er in seinem Buch die eigenen Erlebnisse schildert, wird immer wieder seine Begeisterung für die nächtlichen Flattertiere spürbar. Muß er hingegen auf die Erkenntnisse anderer Forscher zurückgreifen, dann erwartet den Leser mitunter eine eher trockene Lektüre. Stets aber bieten eindrucksvolle Fotos, ebenso zahlreich wie informativ, einen faszinierenden Einblick in die Welt unserer heimischen Fledermäuse.
Nicht zuletzt liegt dem Autor die Zukunft der Abendsegler und Hufeisennasen, Langohren und Mopsfledermäuse am Herzen. In Deutschland sind, wie in der Schweiz, sämtliche Fledermäuse gesetzlich geschützt. Zugleich stehen alle - insgesamt sind es hierzulande einundzwanzig Arten - auf der Roten Liste der gefährdeten Tiere. Offenbar fehlt es vielerorts an geeignetem Wohnraum und ausreichender Verpflegung. Dennoch lohnt sich in der warmen Jahreszeit ein gelegentlicher Blick zum Abendhimmel: Zuweilen kann man auch mitten in der Stadt die Flugkünste von Fledermäusen beobachten. Der Große Abendsegler zum Beispiel, der sich tagsüber am liebsten in hohlen Bäumen verkriecht, streift nicht selten in Parkanlagen umher. Noch häufiger flattert die zierliche Zwergfledermaus durch Parks und Gärten. Manchmal kommt sie sogar schon vor dem Sonnenuntergang aus ihrem Versteck - dann freilich wird sie von Passanten oft für ein Vöglein gehalten, trotz ihres charakteristischen Fledermausflugs. DIEMUT KLÄRNER
Jürgen Gebhard: "Fledermäuse". Birkhäuser Verlag, Basel 1997. 381 S., Abb., geb., 58,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Der Fledermausmann: Jürgen Gebhard berichtet über sein Refugium für Nachtschwärmer
Schwarze Knopfaugen in samtigem Fell, eine kleine Stupsnase und die Ohren ein paar Nummern zu groß - so drollig präsentieren sich viele Fledermäuse aus der Nähe. Gewöhnlich sieht man die flatterhaften Nachtschwärmer allerdings nur als flinke Schatten vorbeihuschen und rasch wieder in der Dunkelheit verschwinden. Wie es den Fledermäusen gelingt, sich im Stockdunkeln zurechtzufinden, war Anfang dieses Jahrhunderts noch völlig rätselhaft. Und obwohl die Grundlagen der Echoortung inzwischen eingehend erforscht wurden, zeigen sich selbst Fachleute immer wieder verblüfft von der Leistungsfähigkeit dieses Orientierungssystems.
Da Fledermäuse mit Ultraschall arbeiten, sind wir taub für das nächtliche Stakkato ihrer Stimmen. Deshalb bleiben sie oft auch dann unbemerkt, wenn sie in unserer Nachbarschaft leben. Die zierliche Zwergfledermaus zum Beispiel - sie wiegt kaum mehr als ein Bogen Briefpapier und fände mit zusammengefalteten Flügeln bequem in einer Nußschale Platz - ist eine typische Stadtbewohnerin. Tagsüber versteckt sie sich gerne in engen Spalten; sie schlüpft hinter einen Fensterladen, kriecht hinter Wandverkleidungen oder verbirgt sich in einer Mauerritze. Zuweilen führt diese Vorliebe für die urbane Infrastruktur zu überraschenden Begegnungen. Dann taucht so ein Kerlchen plötzlich hinter einem Bilderrahmen auf oder hängt kopfunter an einer Gardinenstange. Wenn das in Basel geschieht, klingelt oft kurz darauf das Telefon bei Jürgen Gebhard im Naturhistorischen Museum. Bei seiner Arbeit als Präparator hat er nur selten mit Fledermäusen zu tun, doch seit mehr als dreißig Jahren gehören Feierabend und Wochenenden den heimischen Flattertieren. Wie es dazu kam, kann er selbst nicht genau erklären. Einige eher zufällige Begegnungen mögen seine Neugier geweckt haben. Und je intensiver er nachzuforschen begann, desto mehr faszinierten ihn die Flugkünstler unter den Säugetieren.
Zu Fledermäusen den richtigen Zugang zu finden ist gar nicht so einfach. Auf ihren nächtlichen Ausflügen können sie sich neugierigen Blicken leicht entziehen. Und wenn sie sich in einen Unterschlupf verkrochen haben, wollen sie dort nicht von zudringlichen Besuchern gestört werden. Wer wie Jürgen Gebhard verunglückte Fledermäuse gesund gepflegt hat, kann freilich manches beobachten, was sich sonst im Verborgenen abspielt. Etliche Pfleglinge flatterten bald wieder munter davon. Doch wenn eine Katze allzu unsanft zugepackt hatte, war es aus mit dem Fliegen. Einige Fledermäuse blieben deshalb für den Rest ihres Lebens als rüstige Fußgänger in der Obhut des Autors. Zwei von ihnen brachten dort sogar Nachwuchs zur Welt.
Als diese jungen Abendsegler flügge waren, wurden sie in ein leerstehendes Trafohäuschen einquartiert. Erfreulich schnell gewöhnten sie sich an ihr neues Zuhause und lockten bald weitere Artgenossen an. Nach und nach entwickelte sich dieses Fledermaus-Quartier zu einer regelrechten Forschungsstation: Eine Infrarot-Lichtschranke überwacht nun den Eingang, hinter einer Glasscheibe steht eine Infrarot-Kamera bereit, und Ultraschall-Mikrophone belauschen die Bewohner, ohne daß die sich im geringsten gestört fühlen.
Da die Abendsegler das Trafohäuschen auch als Kinderstube benutzten, konnte der Autor dort vor einigen Jahren die Geburt von Zwillingen miterleben. Neugeborene Fledermäuse haben die Augen noch fest geschlossen, ihre rosig schimmernde Haut ist nackt und runzelig, und ihre Händchen müssen noch tüchtig wachsen, um als Flügel zu taugen. Obwohl sie so rührend hilflos wirken, sind sie schon recht stattliche Brocken: Einzelkinder erreichen ungefähr ein Fünftel des mütterlichen Körpergewichts. Zwillinge bleiben zierlicher, doch zusammen sind sie etwa ein Viertel so schwer wie die Mutter. Entsprechend mühsam ist die Geburt. Das Abendseglerweibchen "Dia" plagte sich eine Stunde und fünfunddreißig Minuten mit heftigen Wehen, ehe das erste Baby in die sorgsam aufgespannte Flughaut glitt. Immerhin schon neun Minuten später folgte das zweite.
Von der Mutter sanft unterstützt, suchten beide sofort nach der Milchquelle. Und sobald sie eine Zitze gefunden hatten, saugten sie sich eifrig daran fest. Daß die Zitzen auch als Haltegriff und Rettungsanker dienen, zeigte sich vier Stunden später, als "Dia" schon wieder startbereit war für einen nächtlichen Ausflug. Für die Kleinen hieß es nun Absteigen, denn mitreisender Nachwuchs würde eine erfolgreiche Jagd vereiteln. Eines der Fledermauskinder fand mit seinen Krallen jedoch keinen festen Halt. Es rutschte ab und stürzte einen halben Meter in die Tiefe. Mit kläglichem Piepsen rief es dort nach der Mutter, die sofort hinabflog und sich über ihr Kind beugte. Sobald sich das Kleine eine Zitze geschnappt hatte, wurde es flugs wieder an den Ruheplatz zurückgetragen. Wenn ein Umzug in ein anderes Quartier ansteht, halten sich die Fledermauskinder ebenfalls an den Zitzen fest und lassen sich hängend durch die Luft transportieren.
Bald jedoch werden die Jungen selbst mobil. Schon wenige Tage nach der Geburt beginnen sie, ihre Umgebung zu Fuß zu erkunden. Im Alter von knapp drei Wochen erproben sie erstmals ihre Flügel. Und etwa eine Woche später wagen sie sich bereits hinaus ins Freie. Bei ihren Flugübungen sind die jungen Fledermäuse ganz auf sich allein gestellt. Die Mutter ist viel zu sehr damit beschäftigt, Mücken, Käfern und Faltern nachzujagen. Um genug Milch produzieren zu können, braucht sie viele nahrhafte Bissen. Wieder daheim, findet sie unter Dutzenden oder Hunderten von Säuglingen zielsicher den eigenen Nachwuchs. Wahrscheinlich erkennt sie ihre Kinder an der Stimme und an der individuellen Duftnote. Die immer hungrigen Sprößlinge zeigen sich weniger wählerisch - bisweilen versuchen sie auch bei fremden Weibchen, einen Schluck Milch zu ergattern.
Kinderstube und Liebesnest, Wanderschaft und Winterschlaf - über sämtliche Aspekte eines Fledermauslebens hat Jürgen Gebhard viel Wissenswertes zusammengetragen. Wenn er in seinem Buch die eigenen Erlebnisse schildert, wird immer wieder seine Begeisterung für die nächtlichen Flattertiere spürbar. Muß er hingegen auf die Erkenntnisse anderer Forscher zurückgreifen, dann erwartet den Leser mitunter eine eher trockene Lektüre. Stets aber bieten eindrucksvolle Fotos, ebenso zahlreich wie informativ, einen faszinierenden Einblick in die Welt unserer heimischen Fledermäuse.
Nicht zuletzt liegt dem Autor die Zukunft der Abendsegler und Hufeisennasen, Langohren und Mopsfledermäuse am Herzen. In Deutschland sind, wie in der Schweiz, sämtliche Fledermäuse gesetzlich geschützt. Zugleich stehen alle - insgesamt sind es hierzulande einundzwanzig Arten - auf der Roten Liste der gefährdeten Tiere. Offenbar fehlt es vielerorts an geeignetem Wohnraum und ausreichender Verpflegung. Dennoch lohnt sich in der warmen Jahreszeit ein gelegentlicher Blick zum Abendhimmel: Zuweilen kann man auch mitten in der Stadt die Flugkünste von Fledermäusen beobachten. Der Große Abendsegler zum Beispiel, der sich tagsüber am liebsten in hohlen Bäumen verkriecht, streift nicht selten in Parkanlagen umher. Noch häufiger flattert die zierliche Zwergfledermaus durch Parks und Gärten. Manchmal kommt sie sogar schon vor dem Sonnenuntergang aus ihrem Versteck - dann freilich wird sie von Passanten oft für ein Vöglein gehalten, trotz ihres charakteristischen Fledermausflugs. DIEMUT KLÄRNER
Jürgen Gebhard: "Fledermäuse". Birkhäuser Verlag, Basel 1997. 381 S., Abb., geb., 58,- DM.
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