Fleisch, das ist das Obskure unseres Körpers: Dass wir selbst aus einem blutigen Stoff, aus einem sehnigen Material bestehen, gehört zu den großen Tabus unserer Existenz. Das Gewebe unter dem Körpermantel der Haut wird verdrängt, gleichzeitig geht von diesem Undenkbaren seit Anbeginn der Kulturgeschichte eine eigentümliche Faszination aus : Nicht nur gehört es zum Kern der Definition der christlichen Lehre, dass Gott in Jesus Fleisch geworden ist und dieses Fleisch sogar auferstanden sein soll, auch moderne kulturelle Inszenierungen wie Pornografie und Splattermovies üben einen unbedingten Reiz aus. In seiner Kulturgeschichte rückt Volker Demuth die immer anwesende, aber kaum bewusst gemachte Materialbasis menschlicher Existenz in den Fokus und beleuchtet damit unseren Umgang mit uns selbst. Es wird klar, dass die Menschen sich ihrem Fleisch nur nähern konnten, indem sie es von sich abspalteten, es objektivierten, um es tendenziell zu überwinden - angefangen bei der anatomischen Vermessung des Menschen in der Renaissance über die Schönheitsoperationen unserer Tage bis hin zum Transhumanismus, der den Körper durch technische Einbauten zu optimieren trachtet.
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Perlentaucher-Notiz zur WELT-Rezension
Eher kritisch beurteilt Rezensentin Cosima Lutz Volker Demuths "Versuch einer Carneologie". In dem Buch versucht sich Demuth daran, das Fleisch als "Schnittstelle nahezu aller Bereiche der Gesellschaft" in einen neuen wissenschaftlichen Kontext zu bringen. Die Zeit scheint mit unserem neuen Verhältnis zu Fleisch auch zu einem neuen Verständnis des Begriffes bereit zu sein. Für Demuth dabei von Priorität: Die Verwendung einer "neuen", besser angepassten Sprache im wissenschaftlichen Diskurs. Warum die "alte" Sprache allerdings unzureichend sein soll, versteht Lutz nicht, der im gesamten Essay klare Stellungnahmen fehlen. Demuth scheint ihr zu sehr im Lager von Lyrik und Prosa festzustecken: Er wartet mit eindrucksvollen Satzbauten auf, nicht aber mit überzeugenden Thesen.
© Perlentaucher Medien GmbH
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