»Man erwartet von uns, dass wir selbstbewusst auftreten und sexuell allzeit verfügbar wirken, aber wir sollen uns schämen und werden geächtet, wenn wir Arroganz, Ehrgeiz oder erotisches Verlangen zeigen.« Laurie Penny legt den Finger in die Wunde. Der Spätkapitalismus brandmarkt den Körper von Frauen im Wortsinne - er brennt sein Markenzeichen ein. Fleischmarkt versucht, einige der Strategien aufzuzeigen, mit denen Frauenkörper entmachtet und kontrolliert werden. In Kapiteln zu Sexualität, Prostitution, Essstörungen, Konsum und Hausarbeit etwa werden Faktoren dargestellt, die für den Handel mit dem weiblichen Fleisch als sexuelles und soziales Kapital von Bedeutung sind. Laurie Penny kennt die Theorien ihrer Vorkämpferinnen, aber sie berichtet von der Front der heutigen Verwerfungslinien und Grabenkämpfe: Riot, don't diet!»Fleischmarkt« ist ein Stück feministischer Dialektik, das den Körper der Frau als sexuellen Stützpunkt des kapitalistischen Kannibalismus offenlegt.
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Laurie Penny wollte keine wissenschaftliche Abhandlung über die gesellschaftliche Ausbeutung des weiblichen Körpers schreiben, weiß Antonia Kurz, weswegen sie gar nicht erst überprüft, wie politisch korrekt "Fleischmarkt" ist. Denn dieses wütende Manifest soll unter Frauen ein Bewusstsein für die eigene Unterdrückung schaffen, um ihnen den Ausbruch daraus zu ermöglichen. Es richte sich gleichermaßen gegen simple Schönheitsideale wie komplexe gesellschaftliche Repression. Dass die spätkapitalistische Gesellschaft durch den Ausbruch der Frauen aus ihrer unterstellten Unmündigkeit gleich mit in die Brüche gehen werde, findet die Rezensentin zumindest eine steile These der Autorin.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 23.10.2012Schön und brav war gestern
In ihrem zornigen Manifest „Fleischmarkt“ fordert die 25-jährige britische Bloggerin Laurie Penny den weiblichen Widerstand
Was ist nur mit den jungen Frauen los? Wie die Allegorie der Freiheit von Eugène Delacroix gehen sie auf die Barrikaden. In Moskau stürmten Pussy Riot eine orthodoxe Kirche. In der Ukraine demonstrierte die Gruppe „Femen“ aggressiv, lautstark und barbusig. Von weiblicher Sanftmut keine Spur. Und nun begehrt eine „angry young woman“ aus England auf. Laurie Penny ist zornig. Sehr zornig. In ihrem Debüt „Fleischmarkt“ klagt die 25-jährige britische Journalistin und Bloggerin radikal an, wie die Gesellschaft mit dem weiblichen Körper umspringt. Uns Frauen werde in die Hirne gebrannt, dass wir Vieh seien, Besitztümer, empört sie sich. Das weibliche Fleisch sei eine ausgebeutete Ressource.
Da ist es also wieder: Das Wir als Stimme des Opferkollektivs Frauen. Laurie Penny selbst versteht sich als Anhängerin einer neuen feministischen Bewegung, die rhetorisch an die Siebzigerjahre anknüpft und jeglicher theoretischen Haarspalterei zuwiderläuft.
Ganz im Sinne Michel Foucaults ist für Penny der Körper der Ort, an dem die Schlacht um Repression und Freiheit stattfindet. Pointiert analysiert die Autorin in vier Kapiteln, wie von der Pornografie bis zum Schlankheitswahn Diskurse auf den Frauenkörper einwirken, ihn überhaupt erst hervorbringen. Die Autorin ist um so manche polemische These ist nicht verlegen. Das spätkapitalistische System und die Konsumgesellschaft könnten nur weiterexistieren, schreibt Penny, wenn die latente Macht der Frauen gezähmt sei. Würden sie sich ihrer Macht bewusst, bräche die Weltwirtschaft von einem Tag auf den anderen zusammen.
Es ist legitim zu fragen, ob das schmale Buch, das Frauen auf Neue den Opferstatus zuspricht, seine Berechtigung hat. Zu vertraut aber dürften Laurie Pennys Anklagepunkte jungen Feministinnen sein, um sie als verzopft und aufgewärmt zurückzuweisen. Das Weibliche wird ja immer noch als Projektionsfläche missbraucht. Frauen stecken sich in zahllosen Werbespots lustvoll einen Schokoriegel oder ein Stück Käse in den Mund, während geltende Ideal weiblicher Schönheit zum Hungern verdammt. Von Frauen wird erwartet, jederzeit begehrenswert zu sein, sich aber vor dem Ruf der Schlampe zu fürchten. Und ein ganzer Industriezweig lebt von dem Versprechen, dass diese eine letzte teure Bodylotion zur langersehnten Versöhnung mit dem eigenen Körper führe.
„Drecksarbeit“ hat Laurie Penny das vierte Kapitel lakonisch genannt. Frauen, die marginalisierten Körper, verrichteten immer noch den größten Anteil an der Hausarbeit und Kinderbetreuung, „ohne Anerkennung oder Bezahlung zu erwarten“. Männer und Jungen weigerten sich einfach, den Dreck zu sehen, schreibt Penny – in der Hoffnung, ein weibliches Wesen komme vorbei, um die Sauerei wegzuputzen.
Laurie Penny hat in Oxford studiert, sie zitiert Naomi Wolf, Betty Friedan und Jean Baudrillard. „Fleischmarkt“ aber ist keinesfalls eine wissenschaftliche Auseinandersetzung, sondern ein seitenweise subjektivistischer – die Autorin thematisiert ihre eigene Essstörung – und in seiner Wut auch kompromissloser Text.
Männerkörper unterliegen ebenso einem Ideal. Und auch sie leisten ihren Beitrag. Laurie Penny streift dieses Thema nur, es ging ihr nicht darum, ein ausgewogenes, politisch korrektes Buch zu schreiben. „Fleischmarkt“ ist als Manifest gedacht, das von Hand zu Hand wandern soll. Laurie Penny fordert nichts weniger als die Rebellion der Frauen ein, und zwar in der Form von kollektivem Widerstand, verdichtet im magisch-simplen Wort „Nein“. Schön und brav war gestern.
Kann das funktionieren? Man fühlt sich an ein Zitat von George Orwell aus „1984“ erinnert: Sie werden sich nie auflehnen, solange sie sich nicht ihrer Macht bewusst sind; und erst nachdem sie sich aufgelehnt haben, können sie sich ihrer Macht bewusst werden. Laurie Penny möchte mit ihrem wütenden Manifest dieses Orwellsche Dilemma durchbrechen, indem sie Strukturen offenlegt und die Frauen mit lauter Stimme an ihre Macht erinnert. Aufregend.
ANTONIA KURZ
Immer noch werden überall
lustvoll Schokoriegel in
weibliche Münder geschoben
Laurie Penny: Fleischmarkt. Weibliche Körper im Kapitalismus. Aus dem Englischen von Susanne von Somm. Edition Nautilus, Hamburg 2012.
125 Seiten, 9,90 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
In ihrem zornigen Manifest „Fleischmarkt“ fordert die 25-jährige britische Bloggerin Laurie Penny den weiblichen Widerstand
Was ist nur mit den jungen Frauen los? Wie die Allegorie der Freiheit von Eugène Delacroix gehen sie auf die Barrikaden. In Moskau stürmten Pussy Riot eine orthodoxe Kirche. In der Ukraine demonstrierte die Gruppe „Femen“ aggressiv, lautstark und barbusig. Von weiblicher Sanftmut keine Spur. Und nun begehrt eine „angry young woman“ aus England auf. Laurie Penny ist zornig. Sehr zornig. In ihrem Debüt „Fleischmarkt“ klagt die 25-jährige britische Journalistin und Bloggerin radikal an, wie die Gesellschaft mit dem weiblichen Körper umspringt. Uns Frauen werde in die Hirne gebrannt, dass wir Vieh seien, Besitztümer, empört sie sich. Das weibliche Fleisch sei eine ausgebeutete Ressource.
Da ist es also wieder: Das Wir als Stimme des Opferkollektivs Frauen. Laurie Penny selbst versteht sich als Anhängerin einer neuen feministischen Bewegung, die rhetorisch an die Siebzigerjahre anknüpft und jeglicher theoretischen Haarspalterei zuwiderläuft.
Ganz im Sinne Michel Foucaults ist für Penny der Körper der Ort, an dem die Schlacht um Repression und Freiheit stattfindet. Pointiert analysiert die Autorin in vier Kapiteln, wie von der Pornografie bis zum Schlankheitswahn Diskurse auf den Frauenkörper einwirken, ihn überhaupt erst hervorbringen. Die Autorin ist um so manche polemische These ist nicht verlegen. Das spätkapitalistische System und die Konsumgesellschaft könnten nur weiterexistieren, schreibt Penny, wenn die latente Macht der Frauen gezähmt sei. Würden sie sich ihrer Macht bewusst, bräche die Weltwirtschaft von einem Tag auf den anderen zusammen.
Es ist legitim zu fragen, ob das schmale Buch, das Frauen auf Neue den Opferstatus zuspricht, seine Berechtigung hat. Zu vertraut aber dürften Laurie Pennys Anklagepunkte jungen Feministinnen sein, um sie als verzopft und aufgewärmt zurückzuweisen. Das Weibliche wird ja immer noch als Projektionsfläche missbraucht. Frauen stecken sich in zahllosen Werbespots lustvoll einen Schokoriegel oder ein Stück Käse in den Mund, während geltende Ideal weiblicher Schönheit zum Hungern verdammt. Von Frauen wird erwartet, jederzeit begehrenswert zu sein, sich aber vor dem Ruf der Schlampe zu fürchten. Und ein ganzer Industriezweig lebt von dem Versprechen, dass diese eine letzte teure Bodylotion zur langersehnten Versöhnung mit dem eigenen Körper führe.
„Drecksarbeit“ hat Laurie Penny das vierte Kapitel lakonisch genannt. Frauen, die marginalisierten Körper, verrichteten immer noch den größten Anteil an der Hausarbeit und Kinderbetreuung, „ohne Anerkennung oder Bezahlung zu erwarten“. Männer und Jungen weigerten sich einfach, den Dreck zu sehen, schreibt Penny – in der Hoffnung, ein weibliches Wesen komme vorbei, um die Sauerei wegzuputzen.
Laurie Penny hat in Oxford studiert, sie zitiert Naomi Wolf, Betty Friedan und Jean Baudrillard. „Fleischmarkt“ aber ist keinesfalls eine wissenschaftliche Auseinandersetzung, sondern ein seitenweise subjektivistischer – die Autorin thematisiert ihre eigene Essstörung – und in seiner Wut auch kompromissloser Text.
Männerkörper unterliegen ebenso einem Ideal. Und auch sie leisten ihren Beitrag. Laurie Penny streift dieses Thema nur, es ging ihr nicht darum, ein ausgewogenes, politisch korrektes Buch zu schreiben. „Fleischmarkt“ ist als Manifest gedacht, das von Hand zu Hand wandern soll. Laurie Penny fordert nichts weniger als die Rebellion der Frauen ein, und zwar in der Form von kollektivem Widerstand, verdichtet im magisch-simplen Wort „Nein“. Schön und brav war gestern.
Kann das funktionieren? Man fühlt sich an ein Zitat von George Orwell aus „1984“ erinnert: Sie werden sich nie auflehnen, solange sie sich nicht ihrer Macht bewusst sind; und erst nachdem sie sich aufgelehnt haben, können sie sich ihrer Macht bewusst werden. Laurie Penny möchte mit ihrem wütenden Manifest dieses Orwellsche Dilemma durchbrechen, indem sie Strukturen offenlegt und die Frauen mit lauter Stimme an ihre Macht erinnert. Aufregend.
ANTONIA KURZ
Immer noch werden überall
lustvoll Schokoriegel in
weibliche Münder geschoben
Laurie Penny: Fleischmarkt. Weibliche Körper im Kapitalismus. Aus dem Englischen von Susanne von Somm. Edition Nautilus, Hamburg 2012.
125 Seiten, 9,90 Euro.
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»Laurie Pennys Sätze sind scharf wie Rasierklingen. Sie seziert eine verrückte Welt mit chirurgischer Präzision. ¿Fleischmarkt¿ ist ein Lehrstück, hier können Sie lernen, das Messer zu führen.« Warren Ellis