»Mörderisch witzig, fieberhaft klug, herzzerreißend und wahr.« Cynthia D'Aprix Sweeney, 'Das Nest'
Gerade entdeckt Toby Fleishman mit 40 Jahren ein aufregendes neues Leben als heiß begehrter Single, als seine Exfrau Rachel mitten in der Nacht die gemeinsamen Kinder bei ihm ablädt und verschwindet. Solly und Hannah haben Terminkalender wie Topmanager, im Job häufen sich die Probleme - und bei den Frauen, die er über Dating-Apps trifft, findet er statt Trost und Nähe nur unverbindlichen Sex. Und Rachel meldet sich einfach nicht. Weil sie die Karriere über ihre Kinder stellt. Weil ihr der Lebensstil an der Upper East Side immer schon wichtiger war als die Familie. Zumindest ist das die Geschichte, die Toby sich erzählt.
Nominiert für den National Book Award 2019Longlist Women's Prize for Fiction 2020
Gerade entdeckt Toby Fleishman mit 40 Jahren ein aufregendes neues Leben als heiß begehrter Single, als seine Exfrau Rachel mitten in der Nacht die gemeinsamen Kinder bei ihm ablädt und verschwindet. Solly und Hannah haben Terminkalender wie Topmanager, im Job häufen sich die Probleme - und bei den Frauen, die er über Dating-Apps trifft, findet er statt Trost und Nähe nur unverbindlichen Sex. Und Rachel meldet sich einfach nicht. Weil sie die Karriere über ihre Kinder stellt. Weil ihr der Lebensstil an der Upper East Side immer schon wichtiger war als die Familie. Zumindest ist das die Geschichte, die Toby sich erzählt.
Nominiert für den National Book Award 2019Longlist Women's Prize for Fiction 2020
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Rezensentin Laura Weißmüller amüsiert sich durchaus gern über New Yorks Upperclass, mit der Joan Didion oder Truman Capote so "kunstvoll abrechnen" konnten. Den Society-Roman der New-York-Times-Autorin Taffy Brodesser-Akner findet sie dagegen quälend langweilig. Endlos liste Brodesser-Akner die Attribute auf, mit denen sich der New Yorker Geldadel umgibt, ohne dass dabei mehr entstehe als ein Wimmelbild aus Luxusmöbeln und Tanktop-Sprüchen. Die flachen Witze und penetranten Sprüche gehen der Rezensentin bald ebenso auf die Nerven wie die feministische Attitüde der Autorin, deren weiblichen Figuren es eigentlich nur darum gehe, mit einem tollen Körper einen Mann zu ergattern. Das sei echte "Macho-Literatur", schimpft Weißmüller, die auch kein Mitleid mit einem bestens bezahlten New Yorker Arzt haben möchte, dessen größtes anzunehmendes Unglück in einer Scheidung besteht.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 09.09.2020Der härteste Brunch der Welt
Journalistische Romane über die New Yorker Society haben eine glänzende Tradition, und auch der von
Taffy Brodesser-Akner war rasend erfolgreich. Warum altert er bloß so schlecht?
VON LAURA WEISSMÜLLER
Das Leben ist ein Elend. Zumindest wenn man in Manhattan lebt, als Arzt 268 000 Dollar Jahresgehalt bekommt und zwei gesunde Kinder hat. Toby Fleishman empfindet das jedenfalls so. Der Leberspezialist findet sich nach der Rushhour des Lebens inmitten des Scherbenhaufens seiner gescheiterten Ehe. Bis er Dating-Apps für sich entdeckt, und ein Paradies aus Masturbationsvorlagen, Arschritzen und spitzenbesetzte Slips sich vor ihm ausbreitet, digital wie anal, pardon, analog. (Wem das hier schon zu deftig ist, für den ist das Buch nichts.) „Wer hätte geahnt, dass noch solch ein Leben in ihm steckte?“, fragt sich da der kleinwüchsige und deswegen von Minderwertigkeitskomplexen geplagte Mann.
Die hat, im Alter von 41 Jahren, vermutlich der ein oder die andere. Das ist eines der Probleme des gefeierten und weltweit in diversen Bestsellerlisten platzierten ersten Romans von Taffy Brodesser-Akner: Wie soll man eine Figur ernst nehmen, deren größtes anzunehmendes Unglück aus einer Scheidung besteht und deren Horizont bei den angeschnittenen Profilbildern einer Dating-App endet? Interessant kann so eine Geschichte nur noch werden, wenn ihr Setting über die banale Grundkonstruktion hinwegsehen lässt – oder wenn ihre Sprache einen beeindruckt.
Das Setting des Romans verspricht viel. New Yorks Upperclass hatte es schon immer drauf, zu amüsieren. Ob bei Joan Didion – wie Brodesser-Akner, die als Redakteurin des New York Times Magazine die A-Liga der Prominenz porträtiert, arbeitete die heute 85 Jahre alte, verehrungswürdige Schriftstellerin lange für die Vogue. Oder natürlich bei Truman Capote, der gnadenlos unterhaltsam und gleichzeitig literarisch kunstvoll mit dem Geldadel abrechnete. Unvergesslich, wie wenige Worte er brauchte, um die Codes der Champagner-Bläschen zu knacken – Bubbles gibt es eben nicht erst seit Facebook.
Taffy Brodesser-Akner braucht mehr Platz. Ein Großteil der über 500 Seiten ihres Romans geht dafür drauf, sämtliche Insignien der Upperclass aufzulisten – nicht zu verwechseln mit der gehobenen Mittelschicht eines Arztes – vom „sündhaft teuren Läufer mit traditionell türkischem Muster“ über das einzig mögliche Sommercamp für die Kinder bis zu den Tanktop-Sprüchen der High-Society-Ladies auf ihrem Weg zum täglichen Workout: „Yoga and Wodka“, „Brunch so hard“, „Ride or die“. Geholfen haben der Autorin bei dieser fleißigen Sammlung von Attributen des Milieus vermutlich die Porträts, die sie für Hochglanzmagazine über Stars wie Tom Cruise, Gwyneth Paltrow, Tom Ford und Britney Spears geschrieben hat. Das Sittengemälde der Upperclass gerät aber eher zum Wimmelbild statt zur Sozialstudie. Brodessner-Akner leitet aus ihrem Material nichts ab.
Das ist ermüdend, auch weil ihre Sprache eher auf Sprint als auf Marathonlänge ausgelegt ist. Pointen, die in einer wenige Seiten langen Reportage über Tom Cruise sicher zünden, wirken in einem 500-Seiten-Roman eher lahm: „Er wollte die Zeit anderer Leute nicht verschwenden, auch seine eigene nicht, und erst recht nicht das Geld für den Babysitter.“ Geradezu quälend, dass innere Dialoge, und seien sie noch so flach, in Form von äußeren Dialogen wiederholt werden. Diese Art Skriptvorlage dürfte es zumindest den Drehbuchautoren von Netflix und Co. später erleichtern, das Buch zur Serie umzuschreiben.
Ein anderes Problem des Romans kann man nicht der Autorin vorwerfen: Die Bedingungen der Pandemie haben ihn schlecht altern lassen. „In ihm steckte jemand, dem die Welt, so wie seine Dating-Apps sie ihm präsentierten, gefiel, jemand, dem es gefiel, in New York eine Stadt voller Menschen zu sehen, die immer und überall ständig Sex hatten. Menschen, die mit nur einem einzigen zwingenden Bedürfnis herumliefen: zu vögeln oder wenigstens irgendwie zu streicheln/zu lecken/zu saugen/zu penetrieren/zu blasen, und zwar den erstbesten warmen Körper, der einwilligte.“ Corona dürfte dieser Ungezwungenheit ein Ende gesetzt haben, die Geschichte liest sich jetzt schon wie aus einer vergangenen Zeit, und das, obwohl die Autorin offenbar unbedingt die Abgründe der Liebe in der Gegenwart abbilden wollte. Wobei der Kontrast auch an den Einbruch von HIV in das ausschweifende Sexleben der Achtzigerjahre denken lässt. Nicht wenige, die damals ihr Coming-out genossen hatten, bezahlten es mit ihrem Leben. Gerade in New York. Ein Trauma, das in Brodesser-Akners promiskuitiver Welt offenbar vergessen ist.
Ein anderes Problem des Romans, das sehr wohl der Autorin zuzuschreiben ist, besteht darin, wie feministisch er daherkommt – und es dann aber doch nicht ist. Toby Fleishmans Frau Rachel verdient das Geld, das ihnen den Eintritt in die Upperclass ermöglicht. Er steckt zurück, kümmert sich um die Kinder, kocht, besucht Elternabende. Allerdings entpuppt sich die Rollenverteilung schnell als patriarchal: Rachel hat Erfolg, aber nur, weil sie sich der Männerwelt anpasst. Sie vernachlässigt ihre Familie und stellt Geld und Macht über alles, bis sie daran zerbricht. Der Jammerlappen Toby darf dagegen in der „Zombie-Apokalypse der Mösen“ einem Kult um weibliche Körper frönen, den man wirklich langsam ad acta legen möchte. So etwas ist nicht weniger Macho-Literatur, weil es eine Frau geschrieben hat: „Unsere marineblauen Tankinis waren mit Metallstäben verstärkt, die unsere Körper zu optimal kurvigen Figuren zusammenquetschten, während unsere Arme und Beine die wahren Geschichten unserer Disziplin und der Grenzen unseres Stoffwechsels erzählten“, schreibt die allwissende Ich-Erzählerin Libby, eine Studienfreundin von Toby, die erstaunlich tief in ihn hineinblicken kann.
Die Besessenheit von Sex wird zur Besessenheit von perfekten Körpern, wobei Frauen klar in der Bringschuld sind. Das erinnert an den im Frühjahr erschienenen Bestseller „Drei Frauen“ einer anderen US-amerikanischen Journalistin, Lisa Taddeo, der im vergangenen Jahr als Revolution angekündigt wurde, weil er sich so explizit mit weiblicher Sexualität und dem Ausbrechen aus Rollenmustern auseinanderzusetzen schien. Allerdings ging es den von Taddeo porträtierten Frauen am Ende auch nur um zwei Dinge: dem Mann, den sie liebten, zu gefallen. Und selbst in den irrwitzigsten Sexposen gut auszusehen. Wenn das der Ausdruck feministischer Literatur sein soll, dann war die Literatur ohne diesen Feminismus schon mal weiter. Wobei es aktuell großartige Romane über die Rolle der Frau und ihre Sexualität in der Gegenwart gibt. In Sally Rooneys Romanen etwa werden über Sex in komplexen Beziehungsgeflechten immer auch Klassenunterschiede verhandelt. Bei Taffy Brodesser-Akner bleibt der kompliziert aufgebaute Unterschied zwischen der New Yorker Upperclass und der gehobenen Mittelschicht fruchtlos.
Vor allem erzählt in diesem Roman also eine Frau von einem Mann: „Denn wenn ich mir in einem Punkt vollkommen sicher war, dann darin, dass eine Frau nur auf eine Weise jemanden dazu bringen konnte, ihr zuzuhören“, argumentiert Libby, „indem sie ihre Geschichte durch einen Mann erzählt.“ Das ist das Dilemma von „Fleishman steckt in Schwierigkeiten“. Wenn Frauen darin sichtbar werden, statt nur Masturbationsvorlagen zu sein, dann nur, indem sie sich verhalten, wie man es gemäß der traditionellen Rollenverteilung von Männern erwartet. Das allein wäre schon deprimierend genug. Doch am Schluss brechen all diese Frauen auch noch unter dem Druck zusammen und kehren brav zu ihren Männern zurück. Echte feministische Literatur sieht anders aus.
Taffy Brodesser-Akner: Fleishman steckt in Schwierigkeiten. Aus dem Englischen von Britta Mümmler. dtv, München 2020. 509 Seiten, 24 Euro.
Am Schluss brechen diese Frauen
unter dem Druck zusammen und
kehren zu ihren Männern zurück
New York als Stadt der Menschen, „die immer und überall ständig Sex hatten“? Das muss vor Corona gewesen sein.
Foto: Spencer Jones / mauritius / Glasshouse
Taffy Brodesser-Akner, geboren 1975 in New York City, schreibt für die New York Times, besonders deren Magazin. Einen Artikel über scheiternde Ehen wollte ihre Chefin nicht drucken, also wurde ein Roman daraus. Foto: Erik Tanner
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Journalistische Romane über die New Yorker Society haben eine glänzende Tradition, und auch der von
Taffy Brodesser-Akner war rasend erfolgreich. Warum altert er bloß so schlecht?
VON LAURA WEISSMÜLLER
Das Leben ist ein Elend. Zumindest wenn man in Manhattan lebt, als Arzt 268 000 Dollar Jahresgehalt bekommt und zwei gesunde Kinder hat. Toby Fleishman empfindet das jedenfalls so. Der Leberspezialist findet sich nach der Rushhour des Lebens inmitten des Scherbenhaufens seiner gescheiterten Ehe. Bis er Dating-Apps für sich entdeckt, und ein Paradies aus Masturbationsvorlagen, Arschritzen und spitzenbesetzte Slips sich vor ihm ausbreitet, digital wie anal, pardon, analog. (Wem das hier schon zu deftig ist, für den ist das Buch nichts.) „Wer hätte geahnt, dass noch solch ein Leben in ihm steckte?“, fragt sich da der kleinwüchsige und deswegen von Minderwertigkeitskomplexen geplagte Mann.
Die hat, im Alter von 41 Jahren, vermutlich der ein oder die andere. Das ist eines der Probleme des gefeierten und weltweit in diversen Bestsellerlisten platzierten ersten Romans von Taffy Brodesser-Akner: Wie soll man eine Figur ernst nehmen, deren größtes anzunehmendes Unglück aus einer Scheidung besteht und deren Horizont bei den angeschnittenen Profilbildern einer Dating-App endet? Interessant kann so eine Geschichte nur noch werden, wenn ihr Setting über die banale Grundkonstruktion hinwegsehen lässt – oder wenn ihre Sprache einen beeindruckt.
Das Setting des Romans verspricht viel. New Yorks Upperclass hatte es schon immer drauf, zu amüsieren. Ob bei Joan Didion – wie Brodesser-Akner, die als Redakteurin des New York Times Magazine die A-Liga der Prominenz porträtiert, arbeitete die heute 85 Jahre alte, verehrungswürdige Schriftstellerin lange für die Vogue. Oder natürlich bei Truman Capote, der gnadenlos unterhaltsam und gleichzeitig literarisch kunstvoll mit dem Geldadel abrechnete. Unvergesslich, wie wenige Worte er brauchte, um die Codes der Champagner-Bläschen zu knacken – Bubbles gibt es eben nicht erst seit Facebook.
Taffy Brodesser-Akner braucht mehr Platz. Ein Großteil der über 500 Seiten ihres Romans geht dafür drauf, sämtliche Insignien der Upperclass aufzulisten – nicht zu verwechseln mit der gehobenen Mittelschicht eines Arztes – vom „sündhaft teuren Läufer mit traditionell türkischem Muster“ über das einzig mögliche Sommercamp für die Kinder bis zu den Tanktop-Sprüchen der High-Society-Ladies auf ihrem Weg zum täglichen Workout: „Yoga and Wodka“, „Brunch so hard“, „Ride or die“. Geholfen haben der Autorin bei dieser fleißigen Sammlung von Attributen des Milieus vermutlich die Porträts, die sie für Hochglanzmagazine über Stars wie Tom Cruise, Gwyneth Paltrow, Tom Ford und Britney Spears geschrieben hat. Das Sittengemälde der Upperclass gerät aber eher zum Wimmelbild statt zur Sozialstudie. Brodessner-Akner leitet aus ihrem Material nichts ab.
Das ist ermüdend, auch weil ihre Sprache eher auf Sprint als auf Marathonlänge ausgelegt ist. Pointen, die in einer wenige Seiten langen Reportage über Tom Cruise sicher zünden, wirken in einem 500-Seiten-Roman eher lahm: „Er wollte die Zeit anderer Leute nicht verschwenden, auch seine eigene nicht, und erst recht nicht das Geld für den Babysitter.“ Geradezu quälend, dass innere Dialoge, und seien sie noch so flach, in Form von äußeren Dialogen wiederholt werden. Diese Art Skriptvorlage dürfte es zumindest den Drehbuchautoren von Netflix und Co. später erleichtern, das Buch zur Serie umzuschreiben.
Ein anderes Problem des Romans kann man nicht der Autorin vorwerfen: Die Bedingungen der Pandemie haben ihn schlecht altern lassen. „In ihm steckte jemand, dem die Welt, so wie seine Dating-Apps sie ihm präsentierten, gefiel, jemand, dem es gefiel, in New York eine Stadt voller Menschen zu sehen, die immer und überall ständig Sex hatten. Menschen, die mit nur einem einzigen zwingenden Bedürfnis herumliefen: zu vögeln oder wenigstens irgendwie zu streicheln/zu lecken/zu saugen/zu penetrieren/zu blasen, und zwar den erstbesten warmen Körper, der einwilligte.“ Corona dürfte dieser Ungezwungenheit ein Ende gesetzt haben, die Geschichte liest sich jetzt schon wie aus einer vergangenen Zeit, und das, obwohl die Autorin offenbar unbedingt die Abgründe der Liebe in der Gegenwart abbilden wollte. Wobei der Kontrast auch an den Einbruch von HIV in das ausschweifende Sexleben der Achtzigerjahre denken lässt. Nicht wenige, die damals ihr Coming-out genossen hatten, bezahlten es mit ihrem Leben. Gerade in New York. Ein Trauma, das in Brodesser-Akners promiskuitiver Welt offenbar vergessen ist.
Ein anderes Problem des Romans, das sehr wohl der Autorin zuzuschreiben ist, besteht darin, wie feministisch er daherkommt – und es dann aber doch nicht ist. Toby Fleishmans Frau Rachel verdient das Geld, das ihnen den Eintritt in die Upperclass ermöglicht. Er steckt zurück, kümmert sich um die Kinder, kocht, besucht Elternabende. Allerdings entpuppt sich die Rollenverteilung schnell als patriarchal: Rachel hat Erfolg, aber nur, weil sie sich der Männerwelt anpasst. Sie vernachlässigt ihre Familie und stellt Geld und Macht über alles, bis sie daran zerbricht. Der Jammerlappen Toby darf dagegen in der „Zombie-Apokalypse der Mösen“ einem Kult um weibliche Körper frönen, den man wirklich langsam ad acta legen möchte. So etwas ist nicht weniger Macho-Literatur, weil es eine Frau geschrieben hat: „Unsere marineblauen Tankinis waren mit Metallstäben verstärkt, die unsere Körper zu optimal kurvigen Figuren zusammenquetschten, während unsere Arme und Beine die wahren Geschichten unserer Disziplin und der Grenzen unseres Stoffwechsels erzählten“, schreibt die allwissende Ich-Erzählerin Libby, eine Studienfreundin von Toby, die erstaunlich tief in ihn hineinblicken kann.
Die Besessenheit von Sex wird zur Besessenheit von perfekten Körpern, wobei Frauen klar in der Bringschuld sind. Das erinnert an den im Frühjahr erschienenen Bestseller „Drei Frauen“ einer anderen US-amerikanischen Journalistin, Lisa Taddeo, der im vergangenen Jahr als Revolution angekündigt wurde, weil er sich so explizit mit weiblicher Sexualität und dem Ausbrechen aus Rollenmustern auseinanderzusetzen schien. Allerdings ging es den von Taddeo porträtierten Frauen am Ende auch nur um zwei Dinge: dem Mann, den sie liebten, zu gefallen. Und selbst in den irrwitzigsten Sexposen gut auszusehen. Wenn das der Ausdruck feministischer Literatur sein soll, dann war die Literatur ohne diesen Feminismus schon mal weiter. Wobei es aktuell großartige Romane über die Rolle der Frau und ihre Sexualität in der Gegenwart gibt. In Sally Rooneys Romanen etwa werden über Sex in komplexen Beziehungsgeflechten immer auch Klassenunterschiede verhandelt. Bei Taffy Brodesser-Akner bleibt der kompliziert aufgebaute Unterschied zwischen der New Yorker Upperclass und der gehobenen Mittelschicht fruchtlos.
Vor allem erzählt in diesem Roman also eine Frau von einem Mann: „Denn wenn ich mir in einem Punkt vollkommen sicher war, dann darin, dass eine Frau nur auf eine Weise jemanden dazu bringen konnte, ihr zuzuhören“, argumentiert Libby, „indem sie ihre Geschichte durch einen Mann erzählt.“ Das ist das Dilemma von „Fleishman steckt in Schwierigkeiten“. Wenn Frauen darin sichtbar werden, statt nur Masturbationsvorlagen zu sein, dann nur, indem sie sich verhalten, wie man es gemäß der traditionellen Rollenverteilung von Männern erwartet. Das allein wäre schon deprimierend genug. Doch am Schluss brechen all diese Frauen auch noch unter dem Druck zusammen und kehren brav zu ihren Männern zurück. Echte feministische Literatur sieht anders aus.
Taffy Brodesser-Akner: Fleishman steckt in Schwierigkeiten. Aus dem Englischen von Britta Mümmler. dtv, München 2020. 509 Seiten, 24 Euro.
Am Schluss brechen diese Frauen
unter dem Druck zusammen und
kehren zu ihren Männern zurück
New York als Stadt der Menschen, „die immer und überall ständig Sex hatten“? Das muss vor Corona gewesen sein.
Foto: Spencer Jones / mauritius / Glasshouse
Taffy Brodesser-Akner, geboren 1975 in New York City, schreibt für die New York Times, besonders deren Magazin. Einen Artikel über scheiternde Ehen wollte ihre Chefin nicht drucken, also wurde ein Roman daraus. Foto: Erik Tanner
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Witzig, empathisch, wunderbar gemein. Stern 20200730