Enten haben im Krokodile-Land kein einfaches Leben: sie werden gemästet und von den Krokodilen zu Lieblingsgerichten verarbeitet. Eines Tages fällt in der Mega-Super-Enten-Fabrik ein Ei vom Fließband. Ein Krokodil-Fabrikarbeiter nimmt das geschlüpfte Entchen mit nach Hause und die beiden werden Freunde. Als die kleine Ente per Zufall vom Schicksal ihrer Artgenossen erfährt, ist sie entsetzt. Doch dann hat sie eine Idee, wie sie den anderen Enten helfen kann. Ein humorvolles Bilderbuch des Poster- und Postkartenkünstlers Michael Bedard über eine ungewöhnliche Freundschaft.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.10.1999Über den Wolken muss die Schwerkraft wohl ausgesetzt sein: Wie die Enten das Fliegen wieder lernten
Michael Bedards Enten haben nicht die Denkerstirn Donald Ducks, auch nicht die großen Augen, deren hin und her flitzende Pupillen den ruhelosen Geist verraten. Bedard malt seinen Enten nur zwei schwarze Punkte auf; sie bekommen nicht viel zu sehen und haben nicht viel zu tun, denn ihre Welt steht still. Bedard ist Plakatmaler; er steckt seine Vögel in goldene oder eher knallbunte Käfige, perfekt ausgeleuchtet und teuer eingerichtet, Musterwohnungen des schlichten Geschmacks. Da sitzen sie auf dem Sofa, fliegen können sie nicht mehr, und auch der lange Schnabel beweist, dass die Evolution mit ihnen nichts mehr vorhat. Nichts drücken die Gesichter aus außer dem Gefühl für das Nichts, der Melancholie. Sie blicken dem Schicksal ins Auge, dem unsichtbaren Betrachter, der seinen Spaß an ihnen hat.
Jetzt hat das Schicksal ein Gesicht bekommen. Es ist grün und verzieht sich gerne zu einem Grinsen, um die blitzsauberen Zahnreihen bloßzulegen. In Bedards erstem Bilderbuch lernen die Enten das Laufen. Nicht das Fortlaufen; damit blieben sie dem Boden der Verhältnisse zu nah, um dem Schicksal zu entkommen. Flieg, Vogel, oder stirb: Diese tragische Weisung steht plötzlich über ihrer Existenz, deren größter Schrecken die Aussicht war, ein Leben lang die Tapete nicht wechseln zu können. Dick und verweichlicht, hatten die Wirtschaftswunderkinder in Eisdielen die Zeit tot- und sich den Magen voll geschlagen. Unter Plakatwänden, auf denen füllige Fotomodelle an Lutschi-Lutschern leckten, kam es ihnen nie in den Sinn, dass sie der Marktlogik fette Beute waren. Sie brauchten Platz, um sich auszudehnen, aber größere Mägen warteten auf den wahren Festtagsbraten. Als sie herausfanden, dass die Restaurantführer das Café Lockvogel deshalb empfahlen, weil die Ente von Welt dort nicht nur Geld ließ, sondern auch Federn sowie Brust, Keule, Herz und Nieren, da machten sie Schmalhans zum Küchenmeister und zum Schönheitsidol. Nur die kleinen Drahtigen waren fähig, die Krise des Entenvolks auszuhalten: Kugelige Saftschlucker mussten windschnittige Kraftathleten werden.
Und dann, als der letzte Schwinger getroffen hat und die letzte Hantel zur Hochstrecke gebracht ist, heißt es up, up and away. Die Enten im weißen Federkleid, im Unschuldsgewand der Engel, füllen den Himmel. Eigentlich sieht es aus, als fielen sie vom Himmel. Denn wenn man sich auch jedenfalls Muskelschmalz antrainieren kann, wachsen doch niemandem Flügel, der mit Armen zur Welt gekommen ist. Aber die natürliche Auslese ist wunderbarerweise außer Kraft gesetzt, und die staunenden Krokodile auf der Erde lassen keinen Zweifel daran, dass die Enten wirklich fliegen. Die Züchter verstehen die Welt nicht mehr und vergessen sogar das Vergießen der ihrer Art gerechten Tränen. Nur ein Krokodil weint. Es denkt an seinen Freund, den es beinahe schon verspeist hätte. Bald fliegt es in den Süden, ganz einfach mit dem Flugzeug, ohne Umweg über den Fitnessclub. Am Ende sitzen die beiden Freunde am Pool: Das glückliche Ende der Geschichte ist wieder ein Plakat.
PATRICK BAHNERS.
Michael Bedard: "Flieg, Ente, flieg!" Aus dem Englischen von Mirjam Pressler. Ravensburger Buchverlag, Ravensburg 1999. 42 S., geb., 26,- DM. Ab 5 J.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Michael Bedards Enten haben nicht die Denkerstirn Donald Ducks, auch nicht die großen Augen, deren hin und her flitzende Pupillen den ruhelosen Geist verraten. Bedard malt seinen Enten nur zwei schwarze Punkte auf; sie bekommen nicht viel zu sehen und haben nicht viel zu tun, denn ihre Welt steht still. Bedard ist Plakatmaler; er steckt seine Vögel in goldene oder eher knallbunte Käfige, perfekt ausgeleuchtet und teuer eingerichtet, Musterwohnungen des schlichten Geschmacks. Da sitzen sie auf dem Sofa, fliegen können sie nicht mehr, und auch der lange Schnabel beweist, dass die Evolution mit ihnen nichts mehr vorhat. Nichts drücken die Gesichter aus außer dem Gefühl für das Nichts, der Melancholie. Sie blicken dem Schicksal ins Auge, dem unsichtbaren Betrachter, der seinen Spaß an ihnen hat.
Jetzt hat das Schicksal ein Gesicht bekommen. Es ist grün und verzieht sich gerne zu einem Grinsen, um die blitzsauberen Zahnreihen bloßzulegen. In Bedards erstem Bilderbuch lernen die Enten das Laufen. Nicht das Fortlaufen; damit blieben sie dem Boden der Verhältnisse zu nah, um dem Schicksal zu entkommen. Flieg, Vogel, oder stirb: Diese tragische Weisung steht plötzlich über ihrer Existenz, deren größter Schrecken die Aussicht war, ein Leben lang die Tapete nicht wechseln zu können. Dick und verweichlicht, hatten die Wirtschaftswunderkinder in Eisdielen die Zeit tot- und sich den Magen voll geschlagen. Unter Plakatwänden, auf denen füllige Fotomodelle an Lutschi-Lutschern leckten, kam es ihnen nie in den Sinn, dass sie der Marktlogik fette Beute waren. Sie brauchten Platz, um sich auszudehnen, aber größere Mägen warteten auf den wahren Festtagsbraten. Als sie herausfanden, dass die Restaurantführer das Café Lockvogel deshalb empfahlen, weil die Ente von Welt dort nicht nur Geld ließ, sondern auch Federn sowie Brust, Keule, Herz und Nieren, da machten sie Schmalhans zum Küchenmeister und zum Schönheitsidol. Nur die kleinen Drahtigen waren fähig, die Krise des Entenvolks auszuhalten: Kugelige Saftschlucker mussten windschnittige Kraftathleten werden.
Und dann, als der letzte Schwinger getroffen hat und die letzte Hantel zur Hochstrecke gebracht ist, heißt es up, up and away. Die Enten im weißen Federkleid, im Unschuldsgewand der Engel, füllen den Himmel. Eigentlich sieht es aus, als fielen sie vom Himmel. Denn wenn man sich auch jedenfalls Muskelschmalz antrainieren kann, wachsen doch niemandem Flügel, der mit Armen zur Welt gekommen ist. Aber die natürliche Auslese ist wunderbarerweise außer Kraft gesetzt, und die staunenden Krokodile auf der Erde lassen keinen Zweifel daran, dass die Enten wirklich fliegen. Die Züchter verstehen die Welt nicht mehr und vergessen sogar das Vergießen der ihrer Art gerechten Tränen. Nur ein Krokodil weint. Es denkt an seinen Freund, den es beinahe schon verspeist hätte. Bald fliegt es in den Süden, ganz einfach mit dem Flugzeug, ohne Umweg über den Fitnessclub. Am Ende sitzen die beiden Freunde am Pool: Das glückliche Ende der Geschichte ist wieder ein Plakat.
PATRICK BAHNERS.
Michael Bedard: "Flieg, Ente, flieg!" Aus dem Englischen von Mirjam Pressler. Ravensburger Buchverlag, Ravensburg 1999. 42 S., geb., 26,- DM. Ab 5 J.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main