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Kaum ein Lebewesen ist uns so lästig wie die Fliege; wo sie auftaucht, stört sie und legt dabei noch eine bemerkenswerte Penetranz an den Tag. Kein Wunder, dass sich seit der Antike gegen diese wehrlosen Insekten eine regelrechte Verdammungsliteratur etabliert hat, die am liebsten jeder Fliege etwas zuleide tun würde. In seiner Kulturgeschichte des scheinbar überflüssigen Insekts zeigt Peter Geimer seinen erstaunlichen Facettenreichtum, von der Faszination für seinen besonderen Sehapparat in Film-, Fernseh- und Fotografiegeschichte über seinen Auftritt in der Malerei bis hin zu seiner…mehr

Produktbeschreibung
Kaum ein Lebewesen ist uns so lästig wie die Fliege; wo sie auftaucht, stört sie und legt dabei noch eine bemerkenswerte Penetranz an den Tag. Kein Wunder, dass sich seit der Antike gegen diese wehrlosen Insekten eine regelrechte Verdammungsliteratur etabliert hat, die am liebsten jeder Fliege etwas zuleide tun würde. In seiner Kulturgeschichte des scheinbar überflüssigen Insekts zeigt Peter Geimer seinen erstaunlichen Facettenreichtum, von der Faszination für seinen besonderen Sehapparat in Film-, Fernseh- und Fotografiegeschichte über seinen Auftritt in der Malerei bis hin zu seiner zentralen Rolle für die Erforschung der Gene. Angesichts dessen stellt sich die Frage, warum wir die Fliege dennoch mit solch einem Furor ablehnen, umso dringlicher. Ein Verdacht drängt sich auf: Möglicherweise neiden wir ihr ihre stoische Unbekümmertheit und ahnen insgeheim, dass wir ihr wohl gleichgültiger sind als sie uns.
Autorenporträt
Peter Geimer, 1965 geboren, ist Kunsthistoriker und beschäftigt sich u. a. mit der Geschichte und der Theorie der Fotografie, mit Historienmalerei und Film. Nach akademischen Stationen in Zürich und Bielefeld ist er seit 2010 Professor für Neuere und Neueste Kunstgeschichte an der Freien Universität Berlin. Zuletzt erschienen Derrida ist nicht zu Hause. Begegnungen mit Abwesenden (Philo Fine Arts) und Bilder aus Versehen. Eine Geschichte fotografischer Erscheinungen (Philo Fine Arts).
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 22.02.2019

Sieben auf einen Streich: Peter Geimer würdigt die Fliege

Der Kunsthistoriker Julius Meier-Graefe ist für Texte bekannt, in denen er mit Begeisterung und Empathie impressionistische Gemälde analysiert. Dass er sich genauso hingebungsvoll, allerdings frei von jeder Einfühlung, zu selbsterprobten Jagdtechniken äußerte, wissen indes nur Spezialisten. Seine Opfer waren keine ernstzunehmenden Gegner, es handelte sich um Fliegen. Als taugliche Waffe hat sich ein nasses Handtuch erwiesen. "Bei glücklichen Doppelschlägen oder gar Terzetts", so Meier-Graefe 1910 in seinem Tagebuch, "fühlt man sich sehr erhoben." Manche Fliegen stupst man vorzugsweise ins Milchtöpfchen (Tod durch Ertrinken), andere begräbt man unter der Bettdecke (Tod durch Ersticken). "Oder man zerquetscht sie zwischen Fenster und Scheibengardine, bei weitem die beste Methode."

Nun stelle man sich vor, Meier-Graefe hätte sein Todesarten-Projekt an Hunden, Katzen oder Pferden durchexerziert. Der feinsinnige Kunstfreund wäre als irrsinniger Tierfeind in Erinnerung geblieben. Bei Fliegen jedoch verhält es sich anders. Wer zwei oder drei von ihnen tötet, erbringt eine Durchschnittsleistung, wer "sieben auf einen Streich" erwischt, wird zur unvergesslichen Märchenfigur. Anders gesagt: "Wer Fliegen am Leben lässt, fällt auf." So fasst Peter Geimer unser Verhältnis zu den Zweiflüglern in einer Monographie zusammen ("Fliegen". Matthes & Seitz Verlag, Berlin 2018. 140 S., Abb., geb., 18,- [Euro]). Und verweist darauf, dass es eine regelrechte Fliegenvernichtungsindustrie gibt. Klebestreifen, Fliegenklatschen und Sprays sollen den offensichtlich überflüssigen Insekten den Garaus machen. Dieser, mit Elias Canetti gesprochen, "Verachtung fürs völlig Wehrlose" spürt der Autor an Werken aus Kunst, Film, Literatur und Wissenschaft ebenso nach wie jenen seltenen Bemühungen, Mitgefühl für Fliegen aufzubringen. Für den Zoologen Alfred Brehm etwa, der Einzellern und Weichtieren durchaus gewogen begegnete, hörte der Spaß auf, sobald es um Fliegen ging: "Wir alle kennen ihre schlimmen Eigenschaften, die Zudringlichkeit, Naschhaftigkeit und die Sucht, alles und jedes zu besudeln." Mark Twain hätte keine Mühen gescheut, um eine Stubenfliege zu töten - "selbst wenn ich wüsste, dass es die allerletzte ist".

Die von einigen Naturforschern des achtzehnten Jahrhunderts postulierte Relativität von Lebenswelten dachte Jakob von Uexküll knapp zweihundert Jahre später weiter. Er ging davon aus, dass Menschen und Tiere ihre Umgebung vollkommen unterschiedlich registrieren, versuchte in einer paradoxen Volte dann aber, die Wahrnehmung einer Fliege mit Hilfe von Bildern und Begriffen zu veranschaulichen.

Von dort aus ist es nur noch ein kleiner Schritt zur Frage nach den biologischen Eigenheiten und dem moralischen Status von Fliegen. Dazu äußert sich der Kunsthistoriker Geimer wohlweislich nicht, denn eine tierethische Diskussion, welche sich ausgerechnet um Insekten dreht, überlässt man am besten den Philosophen. Dass jedoch die Fliege als stets ungebetener Gast für beachtliche Interventionen in der Wissenschafts- und Kulturgeschichte gesorgt hat, daran wird nach der Lektüre des instruktiven Bändchens niemand zweifeln. (span)

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