Dem einen sein Tod ist dem andern sein Brot »Annegret Held schreibt wunderbare Geschichten über Verlierer, die in Wahrheit Gewinner sind. Ich bin ihr größter Fan ...« Doris Dörrie
Annette ist eine Frau in den Vierzigern, die ihr Geld auf ungewöhnliche Weise verdient. Sie arbeitet im Sicherheitsbereich eines großen Flughafens. Wechselnde Arbeitszeiten mit langen Nachtschichten dominieren ein Leben, das sich an der Nähe zu den Passagieren schadlos hält - Annette und ihre Kollegen erfahren die Welt durch das Abtasten von Körpern, den Blick in Koffer und die Augen der Reisenden. Und immer wieder weicht die spontane Vertrautheit mit den Passagieren einer Paranoia, die sich aus der Angst vor dem Terror und dem einen Koffer speist, den es zu finden gilt - Tag für Tag, Nacht für Nacht. In einer dieser Nächte begegnet Annette zu ihrem Schrecken auch Simon, ihrer ehemals großen Liebe, der jetzt in hoher Position bei der Bundespolizei ist und damit einer ihrer Vorgesetzten. Sie findet ihnmerkwürdig verändert, kalt, fast unnahbar und gleichzeitig zutiefst bedürftig und verloren ... Der »liebevolle Realismus«, den Robert Gernhardt an ihr lobte, zeichnet auch diesen Roman aus. Spannend, kraftvoll und anrührend schildert Annegret Held die Begegnung derer, die reisen, mit denen, die zurückbleiben.
Annette ist eine Frau in den Vierzigern, die ihr Geld auf ungewöhnliche Weise verdient. Sie arbeitet im Sicherheitsbereich eines großen Flughafens. Wechselnde Arbeitszeiten mit langen Nachtschichten dominieren ein Leben, das sich an der Nähe zu den Passagieren schadlos hält - Annette und ihre Kollegen erfahren die Welt durch das Abtasten von Körpern, den Blick in Koffer und die Augen der Reisenden. Und immer wieder weicht die spontane Vertrautheit mit den Passagieren einer Paranoia, die sich aus der Angst vor dem Terror und dem einen Koffer speist, den es zu finden gilt - Tag für Tag, Nacht für Nacht. In einer dieser Nächte begegnet Annette zu ihrem Schrecken auch Simon, ihrer ehemals großen Liebe, der jetzt in hoher Position bei der Bundespolizei ist und damit einer ihrer Vorgesetzten. Sie findet ihnmerkwürdig verändert, kalt, fast unnahbar und gleichzeitig zutiefst bedürftig und verloren ... Der »liebevolle Realismus«, den Robert Gernhardt an ihr lobte, zeichnet auch diesen Roman aus. Spannend, kraftvoll und anrührend schildert Annegret Held die Begegnung derer, die reisen, mit denen, die zurückbleiben.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 29.07.2009Keine Flüssigkeiten, bitte
Das Selbstmitleid passt ins Handgepäck: Annegret Held erzählt von der Liebe einer Sicherheitskontrolleurin am Flughafen und durchleuchtet ein Durchschnittsleben.
Annette Heinz hatte sich ihr Leben immer anders vorgestellt, jedenfalls nicht so: fünfundvierzig, ohne Beziehung, ohne Familie, mit einem anstrengenden und schlecht bezahlten Job am Flughafen, wo jeder arbeitet, der irgendwie überleben will, mit Betonung auf "irgendwie". Sie hat einen dieser Arbeitsplätze, die von Politikern gern als wirtschaftlicher Erfolg gewertet werden, bei einem Arbeitgeber, der gern als Jobmotor bezeichnet wird, aber was sie da eigentlich tut, ist schwer zu vermitteln und schwer durchzustehen.
"Ich führe täglich einen vielarmigen Tanz auf", so umschreibt es die Protagonistin, "in mehreren Schrittfolgen, zahlreichen Beugungen und wackligen Grätschen, ich tanze im Takt der polternden grauen Wannen in der blechernen Schiene der Gepäckprüfanlage. Ich lasse mir Koffer unterschieben, Koffer um Koffer kommen mir entgegen, ich reiße sie rhythmisch auf und lasse sie maulsperrig liegen."
Die Autorin Annegret Held ist eine Spezialistin für Arbeitswelten aller Art, die sie mit genauem Blick seziert und in präziser Sprache wiedergibt. In "Fliegende Koffer" hat sie sich der Sicherheitskontrolleure am Flughafen angenommen: Arbeiter an der Front der Terrorhysterie, die täglich über Risiken entscheiden müssen und dafür nicht selten den Zorn der Reisenden auf sich ziehen, die abwägen müssen zwischen sinnvoller Verordnung und Zumutung und die jedes Zugeständnis und jede Fehleinschätzung den Job kosten kann.
Die immergleichen Abfolgen, die nachlassende Konzentration, die über allem schwebende abstrakte Gefahr eines Anschlags, die Fluchten in den Pausen gemeinsam mit den Kollegen, die wie Annette hier gestrandet sind, bilden den Grundton des Romans. Es ist die große Kunst der Autorin, dass die Erzählung trotz der Monotonie des Geschilderten selbst nie monoton gerät. Immer weiß sie der Tätigkeit neue Aspekte abzugewinnen und eine weitere Dimension hinzuzufügen; in ihrem eigenwilligen, leicht schnoddrigen Ton beobachtet und kommentiert sie den nie abreißenden Strom der Fluggäste.
Annettes Leben, durchstrukturiert zwischen Abflug und Ankunft, kommt schließlich völlig aus dem Tritt, als sie Simon wiederbegegnet, ihrer einstmals großen Liebe. Simon ist Bundespolizist und damit Annettes Vorgesetzter, privat ist er jedoch gescheitert. Seine Familie ist aus dem gemeinsamen, noch unfertigen Haus ausgezogen, er ist geschieden, einsam und voller Selbstmitleid. Nun sucht er Anschluss und will Annette nicht mehr loslassen. Auch sie glaubt zunächst an eine Fügung des Schicksals: Simon ist eine Gestalt aus einer besseren Vergangenheit, aus einem Leben, als Annette sich noch nicht ihr berufliches Scheitern eingestehen musste.
Es ist geradezu zwingend, dass Annette und Simon da weitermachen, wo sie vor zehn Jahren aufgehört haben. Voller Hoffnung stürzen sich beide in diese Beziehung, und obwohl es nicht so glatt geht wie erhofft, geben sie um der alten Zeiten willen nicht auf. "Das muss erst wieder aufsteigen, sich erheben wie niedergetrampeltes Gras, es wird schon kommen, aber natürlich", denkt Annette, aber was, wenn "es" nicht kommt? Wenn das Gepäck, das beide mit sich herumschleppen, zu schwer geworden ist?
Bepackt sind die Figuren, zu tragen haben sie alle an etwas. Die provisorischen Lebensentwürfe auf halbem Weg in eine bessere Existenz, das Scheitern, die Ablenkungen, das Leben von Tag zu Tag und die Geldknappheit am Monatsende, all das kommt zur Sprache. Und was für eine Sprache: Genau und rhythmisiert wie die Gepäckprüfanlage durchleuchtet sie die Dinge, wie sie sich darstellen hinter den Kulissen des Flughafens, der sich selbst gern als mobility hub für die kreative Klasse bezeichnet, dessen Alltag hinter den Hochglanzvokabeln sich jedoch als schiere Zumutung erweist. Ein Alltag, den einige aushalten und andere nicht. Und darum geht es in diesem Buch: was das bedeutet, das Aushaltenmüssen und das Nichtaushaltenkönnen.
ANDREA DIENER
Annegret Held: "Fliegende Koffer". Roman. Eichborn Verlag, Frankfurt am Main 2009. 296 S., geb., 19,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Das Selbstmitleid passt ins Handgepäck: Annegret Held erzählt von der Liebe einer Sicherheitskontrolleurin am Flughafen und durchleuchtet ein Durchschnittsleben.
Annette Heinz hatte sich ihr Leben immer anders vorgestellt, jedenfalls nicht so: fünfundvierzig, ohne Beziehung, ohne Familie, mit einem anstrengenden und schlecht bezahlten Job am Flughafen, wo jeder arbeitet, der irgendwie überleben will, mit Betonung auf "irgendwie". Sie hat einen dieser Arbeitsplätze, die von Politikern gern als wirtschaftlicher Erfolg gewertet werden, bei einem Arbeitgeber, der gern als Jobmotor bezeichnet wird, aber was sie da eigentlich tut, ist schwer zu vermitteln und schwer durchzustehen.
"Ich führe täglich einen vielarmigen Tanz auf", so umschreibt es die Protagonistin, "in mehreren Schrittfolgen, zahlreichen Beugungen und wackligen Grätschen, ich tanze im Takt der polternden grauen Wannen in der blechernen Schiene der Gepäckprüfanlage. Ich lasse mir Koffer unterschieben, Koffer um Koffer kommen mir entgegen, ich reiße sie rhythmisch auf und lasse sie maulsperrig liegen."
Die Autorin Annegret Held ist eine Spezialistin für Arbeitswelten aller Art, die sie mit genauem Blick seziert und in präziser Sprache wiedergibt. In "Fliegende Koffer" hat sie sich der Sicherheitskontrolleure am Flughafen angenommen: Arbeiter an der Front der Terrorhysterie, die täglich über Risiken entscheiden müssen und dafür nicht selten den Zorn der Reisenden auf sich ziehen, die abwägen müssen zwischen sinnvoller Verordnung und Zumutung und die jedes Zugeständnis und jede Fehleinschätzung den Job kosten kann.
Die immergleichen Abfolgen, die nachlassende Konzentration, die über allem schwebende abstrakte Gefahr eines Anschlags, die Fluchten in den Pausen gemeinsam mit den Kollegen, die wie Annette hier gestrandet sind, bilden den Grundton des Romans. Es ist die große Kunst der Autorin, dass die Erzählung trotz der Monotonie des Geschilderten selbst nie monoton gerät. Immer weiß sie der Tätigkeit neue Aspekte abzugewinnen und eine weitere Dimension hinzuzufügen; in ihrem eigenwilligen, leicht schnoddrigen Ton beobachtet und kommentiert sie den nie abreißenden Strom der Fluggäste.
Annettes Leben, durchstrukturiert zwischen Abflug und Ankunft, kommt schließlich völlig aus dem Tritt, als sie Simon wiederbegegnet, ihrer einstmals großen Liebe. Simon ist Bundespolizist und damit Annettes Vorgesetzter, privat ist er jedoch gescheitert. Seine Familie ist aus dem gemeinsamen, noch unfertigen Haus ausgezogen, er ist geschieden, einsam und voller Selbstmitleid. Nun sucht er Anschluss und will Annette nicht mehr loslassen. Auch sie glaubt zunächst an eine Fügung des Schicksals: Simon ist eine Gestalt aus einer besseren Vergangenheit, aus einem Leben, als Annette sich noch nicht ihr berufliches Scheitern eingestehen musste.
Es ist geradezu zwingend, dass Annette und Simon da weitermachen, wo sie vor zehn Jahren aufgehört haben. Voller Hoffnung stürzen sich beide in diese Beziehung, und obwohl es nicht so glatt geht wie erhofft, geben sie um der alten Zeiten willen nicht auf. "Das muss erst wieder aufsteigen, sich erheben wie niedergetrampeltes Gras, es wird schon kommen, aber natürlich", denkt Annette, aber was, wenn "es" nicht kommt? Wenn das Gepäck, das beide mit sich herumschleppen, zu schwer geworden ist?
Bepackt sind die Figuren, zu tragen haben sie alle an etwas. Die provisorischen Lebensentwürfe auf halbem Weg in eine bessere Existenz, das Scheitern, die Ablenkungen, das Leben von Tag zu Tag und die Geldknappheit am Monatsende, all das kommt zur Sprache. Und was für eine Sprache: Genau und rhythmisiert wie die Gepäckprüfanlage durchleuchtet sie die Dinge, wie sie sich darstellen hinter den Kulissen des Flughafens, der sich selbst gern als mobility hub für die kreative Klasse bezeichnet, dessen Alltag hinter den Hochglanzvokabeln sich jedoch als schiere Zumutung erweist. Ein Alltag, den einige aushalten und andere nicht. Und darum geht es in diesem Buch: was das bedeutet, das Aushaltenmüssen und das Nichtaushaltenkönnen.
ANDREA DIENER
Annegret Held: "Fliegende Koffer". Roman. Eichborn Verlag, Frankfurt am Main 2009. 296 S., geb., 19,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Andrea Diener preist Annegret Held als Expertin für die Schilderung verschiedenster Arbeitswelten. In ihrem jüngsten Roman wirft die Autorin einen Blick hinter die glänzende Kulisse des Flughafens und schildert den zermürbenden Alltag der allein stehenden Sicherheitskontrolleurin Annette, die mit ihrer frisch geschiedenen Jugendliebe einen neuerlichen Beziehungsversuch unternimmt, lässt uns die Rezensentin wissen. Sie findet es besonders beeindruckend, dass sich der Roman bei aller Gleichförmigkeit, die den Arbeitsalltag Annettes und ihr kompliziertes Privatleben prägen, durchweg fesselnd liest und Held der grauen Arbeitswelt immer neue Seiten abzugewinnen vermag. In äußerst präziser und lebendiger Sprache vermittle die Autorin nicht zuletzt einen Eindruck vom "Aushaltenmüssen" und "Nichtaushaltenkönnen" so einer Existenz, lobt Diener.
© Perlentaucher Medien GmbH
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