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Flieh, mein Freund! ist ein Roman über die Jugend und den Versuch einer Liebe in Berlin: Der knapp zwanzigjährige Louis Blaul, den alle Lolly nennen, läßt das Abitur sausen, will den gutdotierten Job in der Werbeagentur seines Vaters nicht und verliebt sich in die kleine Vanina. Das Leben könnte also schön sein. Wenn Vanina nur nicht einen so großen Hintern hätte.

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Produktbeschreibung
Flieh, mein Freund! ist ein Roman über die Jugend und den Versuch einer Liebe in Berlin: Der knapp zwanzigjährige Louis Blaul, den alle Lolly nennen, läßt das Abitur sausen, will den gutdotierten Job in der Werbeagentur seines Vaters nicht und verliebt sich in die kleine Vanina. Das Leben könnte also schön sein. Wenn Vanina nur nicht einen so großen Hintern hätte.
Autorenporträt
Ralf Rothmann wurde am 10. Mai 1953 in Schleswig geboren und wuchs im Ruhrgebiet auf. Nach der Volksschule (und einem kurzen Besuch der Handelsschule) machte er eine Maurerlehre, arbeitete mehrere Jahre auf dem Bau und danach in verschiedenen Berufen (unter anderem als Drucker, Krankenpfleger und Koch). Sein Werk wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet. Er lebt seit 1976 in Berlin.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 03.11.1998

Hart wie Watte
Ralf Rothmann als Fluchthelfer / Von Hubert Spiegel

Was für ein Würstchen. Eine Stimme, die kaum ausreicht, einen Schuhkarton zu füllen, geschweige denn einen Saal, eine Handschrift, die "so schnell und häufig Grad und Größe wechselt", daß sie ihrem Besitzer selbst fremd wird, kaum hat dieser den Stift beiseite gelegt. Besondere Kennzeichen: schielt, ist schüchtern, hat Schuppen. So sieht er aus, der typische Sproß einer Generation, die nach der festen Überzeugung ihres Abkömmlings "einfach nicht dazu gemacht" sei, Nachwuchs zu haben: "Kinder sind nämlich verdammt konservativ, die wollen klare Verhältnisse, eindeutige Zustände, einen richtig intakten Familienstaat, den sie immer mal wieder aufmischen können. Und keinen, der schon ein Trümmerfeld ist."

Ralf Rothmanns jüngster Held heißt nicht Racko oder Ecki wie seine Vorgänger aus den Romanen "Wäldernacht" und "Stier". Sein Schlachtfeld ist nicht mehr das Ruhrgebiet mit seinen Schrebergärten und Industriebrachen, sondern Berlin, und hier vor allem die Eigentumswohnung seines Vaters: Altbau, Stuckdecke, Parkett. Nichts an diesem Jüngling ist eckig, rockig oder zackig. Sein Name ist Lolly, und sein Lebensmotto, das dem Roman den Titel gab, lautet mit dem Hohenlied Salomonis: "Flieh, mein Freund."

Louis Blaul, genannt Lolly, verhinderter Frauenheld und ein ewiger Flüchtling von zwanzig Jahren, ist vollauf damit beschäftigt, sich möglichst unauffällig zu verhalten - eine Kunst, mit der sich gerade bei wahrer Meisterschaft nur schwer Furore machen läßt. Ohne ein bißchen Furore ist aber bei den meisten Frauen nicht viel zu reißen, um es einmal im Jargon des jugendlichen Helden zu sagen. Also leidet Lolly, und es gibt Tage in seinem Leben, da ist ihm "Watte zu hart". Er leidet an den Frauen, die ihn nicht erhören, und an der einen, die ihn erhört, aber ein unförmiges Hinterteil hat. Er leidet an sich und an den Freunden, die ihm fehlen, an der Welt und an seinen Eltern, die ihn gezeugt haben. Aber haben sie ihn wirklich gezeugt? Die Frage der Vaterschaft ist in diesem Fall nicht so einfach zu beantworten.

Zwar hat auch Ralf Rothmanns jüngster Held leibliche Eltern. Mary, eigentlich Marianne, und Martin haben sich bei einer Anti-Atomkraft-Demo in Brokdorf kennengelernt, als sie zufällig gemeinsam von der Polizei abtransportiert wurden, mit Handschellen aneinander gekettet. Aber wie zum Beweis, daß nicht von Dauer sein kann, was dieser Staat zusammengefügt hat, leben sie längst getrennt. Hätte dieses Paar ihn großgezogen, so Lollys Überzeugung, wäre ein "Alkoholiker oder Junkie oder Skinhead" aus ihm geworden - "aus Trotz". Aber weil seine Eltern sich um ihren Abkömmling kaum gekümmert und ihn bei Martins Großeltern abgeliefert haben, fühlt Lolly sich nicht als Sohn eines Elternpaares, sondern als Stammhalter einer ganzen Generation: Er ist der verlorene Sohn der sogenannten "Achtundsiebziger", die den gängigen Generationstheorien zufolge nie etwas anderes gelernt haben, als sich mit sich selbst zu beschäftigen. Rothmann zeichnet das Porträt dieser Generation ebenso bissig wie sentimental und, bei aller Wahrhaftigkeit im Detail, leider oft auch recht klischeehaft.

Aber auch das sind noch nicht alle Ahnen. Dieses Waisenkind hat viele Väter. Unverkennbar ist Lolly der jüngste Sproß der Rothmann-Sippe, der kleine Bruder von Jan Marrée, dem Ich-Erzähler von "Wäldernacht" und einem jener pubertierender Jünglinge aus dem Ruhrgebiet, an deren Schicksalen Rothmann der schönen Krankheit Jugend die literarische Diagnose stellt. Die Romane "Stier" (1991) und "Wäldernacht" (1994) haben dem heute fünfundvierzigjährigen Schriftsteller Ruhm eingetragen. Rothmann wird zu den begabtesten Autoren seiner Generation gezählt, und auch "Flieh, mein Freund" zeigt seine Stärken: die witzig-scharfe, sentimental-ironische Milieustudie. Er vermag nicht nur Milieus präzise zu beschreiben, er beherrscht auch die Nachahmung von Tonfällen.

Rothmann ist ein Meister der Binnenerzählung, und in jedem seiner Romane gibt es glänzende Kapitel. Aber nicht immer wollen sie sich zu einem Ganzen fügen. Rothmann bürdet seinen Konstruktionen mehr auf, als sie zu tragen vermögen. Darunter leidet nicht nur der Leser von "Flieh, mein Freund", sondern auch die Hauptfigur des Romans, die ihre Existenz einem gewagten Experiment verdankt. Rothmann kreuzt den klassischen Entwicklungsroman mit der Teenagerkomödie der achtziger Jahre, und er versucht sich auch noch an einem Generationenporträt, das im Tonfall an Matthias Polityckis "Weiberroman" erinnert. All das ließe sich noch miteinander verbinden.

Aber der vierte Bestandteil dieser Mixtur ist ein Fremdkörper im Roman, der das gesamte Gefüge in eine Schräglage bringt: ein achtzig Seiten langer, von Lolly erzählter Exkurs über die Vergangenheit seiner Mutter Mary, einer gereiften Szene-Schönheit, die in ihrer Jugend als Drogenkurier geschnappt wurde, mehrere Jahre im Gefängnis und in der Psychiatrie verbrachte und ihren Lebensunterhalt noch immer aus trüben Quellen bestreitet. Sie ist Mutter, Muse, Gangsterbraut und das Gegenbild zum bürgerlich gewordenen Vater, dessen Karriere in der Werbebranche den Verrat an den Idealen von früher bezeugt: Allenfalls Banker und Makler sind tiefer noch gesunken als derjenige, der gegen Bezahlung versucht, "wildfremden Menschen irgendwelchen Dreck unterzujubeln".

Schon Martins äußerliche Erscheinung zeigt, daß der Kompromiß mit den bestehenden Verhältnissen zum Verlust jeglicher Kontur führt: Als Streßfresser, der unablässig Kekse in sich hineinstopft, ist er ein unförmiger Fettwanst. Mary hingegen, die auch mit Mitte vierzig noch fröhlich kifft und des nachts "breit wie eine Flunder" in üblen Spelunken herumhängt, hat nichts von ihrem mädchenhaften Charme verloren. Zumindest nicht in den Augen ihres Sohnes, für den das Rascheln des Goldkettchens am mütterlichen Fußgelenk das erotischste Geräusch ist, das er sich vorstellen kann.

Weder Gefängnis oder Drogen noch die Psychiatrie haben Mary, dieser Hohenpriesterin der Spontaneität, etwas anhaben können. Rein und unschuldig wie die Jungfrau Maria, die ihr den Namen gab, ist sie aus aller Unbill dieser Welt hervorgegangen, geschützt von ihren beiden Hausheiligen, den guten Mächten Eros und Eigensinn. Dieser stets bekifften und penetrant weltweisen Erlöserin hat Rothmann mit seinem Roman ein Denkmal gesetzt, an dessen Sockel der Autor und sein Held gemeinsam knien. Besonderes Kennzeichen: der schielende Blick, der sich bei jedem einstellt, der versucht, einer Frau auf den Heiligenschein und das Fußkettchen zugleich zu starren.

Ralf Rothmann: "Flieh, mein Freund". Roman. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1998. 278 S., geb., 39,80 DM.

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