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Flitzer im Sport lassen sich schlecht ignorieren. Sie stürmen nackt, spärlich bekleidet oder kostümiert in Stadien und Arenen hinein und bringen Wettkämpfe durch ihre Grenzüberschreitung abrupt zum Stillstand. Indem sie parasitär ein Geschehen unterbrechen, das im Ringen um Sieg oder Niederlage ohnehin schon auf wechselseitige Störung der Kontrahenten ausgerichtet ist, werden Flitzer zu Störenfrieden zweiter Ordnung. Karl-Heinrich Bette und Felix Kühnle analysieren mit soziologischen Mitteln das Flitzen im Sport und geben dadurch profunde, innovative Einblicke in eine Körperpraxis, die bislang…mehr

Produktbeschreibung
Flitzer im Sport lassen sich schlecht ignorieren. Sie stürmen nackt, spärlich bekleidet oder kostümiert in Stadien und Arenen hinein und bringen Wettkämpfe durch ihre Grenzüberschreitung abrupt zum Stillstand. Indem sie parasitär ein Geschehen unterbrechen, das im Ringen um Sieg oder Niederlage ohnehin schon auf wechselseitige Störung der Kontrahenten ausgerichtet ist, werden Flitzer zu Störenfrieden zweiter Ordnung. Karl-Heinrich Bette und Felix Kühnle analysieren mit soziologischen Mitteln das Flitzen im Sport und geben dadurch profunde, innovative Einblicke in eine Körperpraxis, die bislang keine größere Resonanz in der Wissenschaft hervorrufen konnte.
Autorenporträt
Karl-Heinrich Bette (Prof. Dr.), geb. 1952, war von 1992 bis 2002 Professor für Sportwissenschaft an der Universität Heidelberg. Er folgte anschließend einem Ruf auf den Lehrstuhl für Sportsoziologie an der TU Darmstadt, den er bis 2021 innehatte. Seine Forschungs- und Publikationsschwerpunkte liegen in der Soziologie des Körpers, der Sportsoziologie sowie der neueren soziologischen Systemtheorie.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Rezensent Milos Vec sucht vergeblich nach Fotos in dem Sportflitzer-Buch der Sportwissenschaftler Karl-Heinrich Bette und Felix Kühnle. Auch sonst wahren die Autoren die wissenschaftliche Contenance und bleiben beim Fachvokabular, fällt Vec auf. Das gefällt dem Rezensenten, dass hier über Entgrenzung und Spaß geschrieben wird, aber ohne dergleichen auch in der Form zu zelebrieren. Streng akademisch also schreiben die Autoren über ihr Thema, erkunden mit soziologischem Sachverstand Chaos und Freiheit im sonst so regulierten Sport, denken nach über Klettverschlüsse für schnelle abzulegende Klamotten, Virtuosität, Cleverness und Logistik des Flitzertums, Normbruch und mediales Nachleben der nackerten "Störenfriede". Alles andere als eine Wissenschaftsparodie, verspricht Vec.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.04.2023

Virtuosen des verlängerten Augenblicks

Karl-Heinrich Bette und Felix Kühnle widmen sich soziologisch gründlich Sportflitzern in Stadien.

Seit einigen Jahren kann man sie nicht mehr sehen. Jedenfalls wenn man kommerzielle Sportübertragungen im Fernsehen verfolgt. Denn die Regieanweisung lautet, die Sichtbarkeit der Störung durch Sportflitzer unsichtbar zu machen. Allerdings können Medien nicht nicht hinsehen: Das erheiterte Raunen des Publikums und das Nichtzeigen eines Geschehens lassen den Rückschluss zu, den der Moderator gleich verbal bestätigen wird: Es ist schon wieder jemand über das Feld gelaufen, vielleicht auch, wie oft, spärlich bekleidet oder nackt. Die soziologische Studie von Karl-Heinrich Bette und Felix Kühnle schaut umso genauer hin und widmet sich dem Sportflitzer als Störenfried.

Die beiden Darmstädter Sportwissenschaftler haben erkennbar Spaß beim Formulieren dieses Büchleins gehabt. Sie enthüllen Sportflitzer in allen Dimensionen ihrer Regelverstöße: Den Athleten ist die Kleidung exakt vorgeschrieben, und sogar beim Jubeln darf das Trikot nicht ausgezogen werden? Der seine Kleidung abwerfende Sportflitzer antwortet mit kruder Nacktheit und Selbstentblößung vor Zehntausenden. Das Stadion unterscheidet streng zwischen Zuschauerrängen und einem geschützten Innenraum für Athleten? Der Sportflitzer überwindet alle Hürden mit Täuschung und List, dringt auf den Platz vor und wird vom Zuschauer zum Akteur. Das Spiel duldet keine unsportlichen Verzögerungen und hat ein strenges Zeitregime? Der Sportflitzer unterbricht die Aufführung minutenlang und demonstriert Schiedsrichtern und Funktionären ihre Machtlosigkeit. Er (oder sie) ist die unlizenzierte theatralische Präsenz in einer durchkomponierten und total vermarkteten Sphäre.

Der Sportflitzer, ein Virtuose des Augenblicks, ist auf das Setting des Großsportereignisses angewiesen. Er nutzt die vorbereitete Aufmerksamkeit und lenkt sie auf sich um. Er ist in einem soziologischen Sinne ein Parasit, der mit Witz, Clownerie und Klamauk in der kommerziellen Öffentlichkeit der Sportkultur Chaos und Unordnung inszeniert. Für ihn ist die demonstrative Unzivilisiertheit ein Moment ultimativer Freiheit, und mit etwas Glück und Geschick amüsiert er die Massen. Auch für seine regelbrechende Intervention gibt es Regeln: niemand verletzen, keine Mannschaft durch die Unterbrechung bevorzugen und sich der finalen Festnahme nicht widersetzen.

Denn im Stadion ist man auf den Uneingeladenen vorbereitet. Sobald der Flitzer sich enttarnt, beginnt die Hetzjagd. Wenn Männer einem nackten Mann vergeblich hinterherrennen, verstärkt die "homoerotische Fangsituation" den Lachimpuls bei den Zuschauern. Frauen haben ohnehin die Sympathie auf ihrer Seite, laufen aber Gefahr, sexualisiert zu werden. Die Kunst des Weglaufens bekommt umso mehr Beifall, als ihr Ende absehbar ist. In der abgeschlossenen räumlichen Situation ist Flitzen "eine sisyphosartige Revolte gegen das unabwendbare Schicksal", schreibt das Autorentandem, und am Ende wird noch jeder und jede erwischt.

Manchmal finden die Ordnungskräfte den Tabubruch nicht so lustig, dass sie sich Autogramme geben lassen. Ein berühmter Flitzer berichtet von erzwungener Nacktheit auf einem Polizeirevier in Madrid: Nicht nur in der Zelle, sondern auch bei seiner Entlassung gab man ihm weder Kleidung noch Ausweispapiere zurück. Solche Repression erinnert an viel schlimmere Demütigungen, in denen politische Machtapparate Beschämung ihrer Opfer durch Nacktheit erzwingen möchten.

Viele Sportflitzer drehen den Spieß um. Gelingt es, wird daraus semiprofessionelle mediale Berühmtheit. Manche von ihnen geben an, schon mehr als fünfhundertmal geflitzt zu sein; Videos besonders gelungener Interventionen wurden bis zu 70 Millionen Mal aufgerufen. Man muss nicht etwas leisten, um soziale Berühmtheit zu erlangen, schlussfolgert die Flitzer-Forschung - und relativiert es sogleich. Denn von der leicht abzulegenden Kleidung (Klettverschlüsse) über Mummenschanz als Innenraum-Berechtigter bis zur Bestechung von Ordnern: Wie viel Cleverness, Planung und Logistik ist nötig, um so eine Laufeinlage erfolgreich hinzubekommen! Mit anderen Worten: Sportflitzer imitieren auf ihre Weise die kompetitive Konstellation des Leistungssports. Ihr Überwinden der Sicherungsmaßnahmen führt wiederum zu deren Qualitätssteigerung und trägt paradoxerweise zur Abschottung von Sportereignissen bei.

Die beiden Autoren, die sich so scharfsinnig mit dem absichtlichen Normbruch beschäftigen, bleiben in ihrem Buch streng im Rahmen der akademischen Manieren. Nicht ein einziges Mal kommt der Verdacht auf, es könne sich um eine Wissenschaftsparodie handeln. Von der Forschungsmethode über das soziologische Fachvokabular bis zur Darstellungsform ist die seriöse Einkleidung penibel gewahrt (auch dort, wo es um primäre Geschlechtsmerkmale geht). Bette und Kühnle wollen so wenig Störenfriede des Wissenschaftsbetriebs sein, dass nicht eine einzige Abbildung eines Flitzers Eingang in eine soziologische Studie finden durfte, die Freiheit und Spaß thematisiert, aber nicht visualisiert. MILOS VEC

Karl-Heinrich Bette, Felix Kühnle: "Flitzer im Sport". Zur Sozialfigur des Störenfrieds.

Transcript Verlag, Bielefeld 2023. 202 S., br., 29,50 Euro.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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O-Ton: »Die 'Sozialfigur des Störenfrieds' ist um einiges vielschichtiger als es auf den ersten Blick erscheint« - Felix Kühnle bei WDR 5 am 17.06.204 »Bette und Kühnle befassen sich mit einem Außenseiterthema des Sports, das aber stellvertretend dazu dienen kann, generell über Abläufe und Regeln im Sport nachzudenken.« Bernd Wedemeyer-Kolwe, NISH-Jahrbuch, (2023/24) O-Ton: »Catch me if you can« - Felix Kühnle bei der NZZ am 20.04.2024. »Den Autoren [ist es] gelungen, einem bislang weißen Fleck der Forschungslandschaft nunmehr Konturen und Farbe zu geben. Dabei ist, vor allem aus Sicht der Soziologie, positiv zu vermerken, dass sie auf eine Psychologisierung des Phänomens verzichten und das Frieden störende Verhalten Einzelner nicht aus deren abnormer oder defizitärer Psyche zu erklären versuchen. Es gelingt ihnen anschaulich, gemäß des Leitsatzes 'Soziales aus Sozialem zu erklären', die Sozialfigur des Flitzers im Kontext der sie erzeugenden sozialen Strukturen zu analysieren.« Lars Riedl, Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, 75 (2023) »Mit ihrer soziologischen Betrachtung gelingt es den Autoren, einer plausiblen Argumentationslogik folgend, dem interessierten Leser bzw. der interessierten Leserin das Phänomen, Folgen und Folgesfolgen des Flitzens im Sport auf eine humorvolle, aber zu keiner Zeit alberne Art und Weise näherzubringen.« Lisa Sennefelder, Sport und Gesellschaft, 3 (2023) O-Ton: »Metamorphose von einer Publikumsrolle in eine Akteurrolle« - Karl-Heinrich Bette und Felix Kühnle im Interview bei L.I.S.A. Wissenschaftsportal Gerda Henkel Stiftung am 22.08.2023. O-Ton: »Helden des Absurden« - Felix Kühnle im Interview bei der ZEIT am 24.05.2023. »Wer [...] bereit ist, Bette und Kühnle bis auf die letzte Seite zu folgen, wird mit Erkenntnisgewinn und Amüsement belohnt. Die Sportsoziologen haben erkennbar Spaß am Studienobjekt und geistvollen Formulierungen.« Michael Marti, Tages-Anzeiger/SonntagsZeitung, 22./23.03.2023 »Die beiden Autoren, die sich so scharfsinnig mit dem absichtlichen Normbruch beschäftigen, bleiben in ihrem Buch streng im Rahmen der akademischen Manieren. Nicht ein einziges Mal kommt der Verdacht auf, es könne sich um eine Wissenschaftsparodie handeln.« Milos Vec, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 14.04.2023 Besprochen in: www.archyworldys.com, 16.04.2023 https://pledgetimes.com, 15.04.2023 https://buchmarkt.de, 14.04.2023 Berner Zeitung, 23.04.2023 Zürichsee Zeitung, 23.04.2023 Thuner Tagblatt, 23.04.2023 DOSB-Presse, 29 (2023) https://germanroadraces.de, Lesetipps, 27.07.2023 Deutschlandfunk Kultur, 17.03.2024, Florian Felix Weyh: https://bit.ly/3PqK9Kz…mehr
»Mit ihrer soziologischen Betrachtung gelingt es den Autoren, einer plausiblen Argumentationslogik folgend, dem interessierten Leser bzw. der interessierten Leserin das Phänomen, Folgen und Folgesfolgen des Flitzens im Sport auf eine humorvolle, aber zu keiner Zeit alberne Art und Weise näherzubringen.«

Lisa Sennefelder, Sport und Gesellschaft, 3 (2023) 20231215