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Das Buch bietet einen systematischen Überblick über die Entwicklung der Reliefkunst, der technische Aspekte und Werkstattzusammenhänge ebenso berücksichtigt wie formale Entwicklungen, die sich vor allem in den erzählerischen Reliefs vollziehen.

Produktbeschreibung
Das Buch bietet einen systematischen Überblick über die Entwicklung der Reliefkunst, der technische Aspekte und Werkstattzusammenhänge ebenso berücksichtigt wie formale Entwicklungen, die sich vor allem in den erzählerischen Reliefs vollziehen.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 09.02.1999

Zum Raum wird hier die Zeit
Das Florentiner Relief gewinnt bei Andrea Niehaus kaum Profil

Die ambivalente Position der Reliefkunst zwischen den Gattungen Skulptur und Malerei gab schon den Kunsttheoretikern der Renaissance zu denken. Leon Battista Alberti rechnete das Relief 1435 in seinem bahnbrechenden Traktat "De pictura" der Malerei zu: unterlag es doch nicht, wie die Statue, dem Zwang der figürlichen Vereinzelung, sondern zeigte sich wie ein Gemälde in der Lage, Handlungen und zeitliche Abläufe darzustellen, also moderne Kriterien des Historienbildes zu erfüllen. Zugleich versprach es eine Lebensdauer, wie sie gemalten Darstellungen erfahrungsgemäß abging und nur Bildwerken aus Stein oder Bronze zuzutrauen war. In der Renaissance, die den historischen Zeugniswert der Kunst neu entdeckte und zugleich den Status der Bildkünste dadurch aufwertete, daß sie ihre Vergleichbarkeit mit der Dichtkunst forderte - Horaz' Diktum "ut pictura poesis" wurde seit dem fünfzehnten Jahrhundert zum Gemeinplatz -, mußte diese Kombination von Eigenschaften fast zwangsläufig zur Nobilitierung einer bis dahin weniger geschätzten Gattung führen. Hinzu kam die große Zahl vorbildhafter antiker Reliefs, die sich zum Beispiel auf Sarkophagen erhalten hatten.

Andrea Niehaus widmet ihre Studie dem Florentiner Relief des fünfzehnten Jahrhunderts: einer durch einzigartige Experimentierfreudigkeit gekennzeichneten Werkfolge, die ihre wesentlichen Impulse Donatello und Lorenzo Ghiberti verdankte und der neuen Bildauffassung der Renaissance beispielhaft zur Durchsetzung verhalf. Leider enthält der lieblos aufgemachte, broschierte Band gerade einmal 33 Abbildungen, alle schwarzweiß und von ungleichmäßiger Qualität. Sollte die alte Weisheit noch gelten, daß karg bebilderte Texte in der akademischen Kunstgeschichte den Ruf der Seriosität nähren?

Wer sich ans Lesen begibt, setzt sich widersprüchlichen Empfindungen aus. Skeptisch stimmt der kleingedruckte Hinweis im Vorwort, Literatur sei nur bis 1994 berücksichtigt - das Jahr, in dem das Buch als Dissertation eingereicht wurde. Offenbar darf man nicht erwarten, aus einer Doktorarbeit auch dann noch über den aktuellen Stand der Forschung unterrichtet zu werden, wenn sie gedruckt vorliegt. Andererseits: was Andrea Niehaus zu Beginn des Buches über die Begriffsentwicklung und damit die Wahrnehmungsgeschichte des Phänomens "rilievo" sagt, ist so nützlich wie klug. Von der Kunstliteratur des vierzehnten Jahrhunderts bis zu Giorgio Vasari - und in den Nachwirkungen weit darüber hinaus - wird dargelegt, wie sich ein Begriff, der zunächst reale Plastizität, dann die fiktive Darstellung plastischer Werte in der Malerei meinte, zum Terminus technicus der Bildhauerkunst gewandelt hat.

Wo es um die Auseinandersetzung mit den Werken selbst geht, ertappt man sich erneut beim Kopfschütteln. Über lange Strecken wird immanente Bildbeschreibung geboten. Dabei wartet Andrea Niehaus mit mancher neuen Beobachtung auf, zeigt sich aber auf ein merkwürdig verstaubtes Vokabular fixiert und spitzt ihre Betrachtungen zu selten auf zwingende, innovative Fragestellungen zu. Das methodische Instrumentarium scheint aus den fünfziger Jahren zu stammen, sogar deren Problemhorizont im nachhinein zu verengen.

In ihrer epochalen Ghiberti-Monographie von 1956 hatten Richard und Trude Krautheimer die bis dahin fast ausnahmslos formgeschichtlich orientierte Forschung zur Renaissanceskulptur exemplarisch bereichert, indem sie Fragen nach den Intentionen der Auftraggeber, der Übersetzung humanistischer Interessen und Erkenntnisse ins Bild, aber auch nach der technischen Beschaffenheit der Werke stellten. So gelang es ihnen, plausibel zu machen, daß die Juroren des legendären Wettbewerbs, der 1402 um den Auftrag für die Bronzetüren des Florentiner Baptisteriums ausgelobt wurde, nicht allein an gestalterischen Aspekten interessiert waren. Vielmehr entschied sich der von der Wollweberzunft gewählte Ausschuß aller Wahrscheinlichkeit nach auch deshalb gegen Filippo Brunelleschi und für Lorenzo Ghiberti, weil dessen Vorschlag einen erheblich geringeren Materialverbrauch und eine handwerklich souveräne Herstellung der Reliefs versprach. Andrea Niehaus bemüht sich in einem zentralen Kapitel ihres Buches nach Kräften, solche Argumentationsmuster zu nivellieren und den Vergleich der erhaltenen Konkurrenzstücke auf formale Kriterien zurückzustutzen. Folgt man ihrem Gedankengang, hätte ohnehin Brunelleschi die Palme verdient - ihm schreibt Niehaus die Erfindung einer Tiefenstaffelung des Bildfeldes zu, für die sie den Begriff "Reliefperspektive" vorschlägt. Man mag dem zustimmen, aber die bündige Feststellung "Ghiberti bringt für die Reliefkunst nichts entscheidend Neues" verschlägt dem Leser und Kunstfreund denn doch den Atem. Pech für die alten Florentiner, möchte man hinzufügen, daß sie von all dem nichts verstanden haben und sich statt dessen um die Folgekosten sorgten.

Daß Fragen wie die nach dem praktischen Funktionszusammenhang der Werke, der Arbeitsteilung in der Bildhauerwerkstatt, der technischen Faktur der Reliefs oder ihrer thematischen Aussage in diesem Problemhaushalt keinen Platz finden und allenfalls am Rande zur Sprache kommen, überrascht kaum. Trotz der gelungenen Einleitung kann man nicht umhin, das Buch von Andrea Niehaus als Plädoyer für eine selbstgenügsame Kunstgeschichte zu lesen: eine disziplinäre Wissenschaft, die sich nicht nur vor neuen Grenzüberschreitungen hütet, sondern längst gewonnenes Terrain freiwillig preisgibt. ANDREAS TÖNNESMANN

Andrea Niehaus: "Florentiner Reliefkunst von Brunelleschi bis Michelangelo". Deutscher Kunstverlag, München 1998. 320 S., 33 S/W-Abb., br., 78 Mark.

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