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Spätherbst 1943. Nachdem Ännchens Vater Judensterne auf die jüdischen Bücher seiner Lüneburger Buchhandlung geklebt hat, wird er von der SS abgeholt. Eines Tages ist auch die Mutter verschwunden, und das vierzehnjährige Mädchen wird zu Bauern in die Lüneburger Heide gebracht. Dort lernt sie den russischen Zwangsarbeiter Sergej kennen. Als sie erfährt, dass die SS die Zwangsarbeiter des Dorfes abholen wird, beschließt sie, mit Sergej zu fliehen ...

Produktbeschreibung
Spätherbst 1943. Nachdem Ännchens Vater Judensterne auf die jüdischen Bücher seiner Lüneburger Buchhandlung geklebt hat, wird er von der SS abgeholt. Eines Tages ist auch die Mutter verschwunden, und das vierzehnjährige Mädchen wird zu Bauern in die Lüneburger Heide gebracht. Dort lernt sie den russischen Zwangsarbeiter Sergej kennen. Als sie erfährt, dass die SS die Zwangsarbeiter des Dorfes abholen wird, beschließt sie, mit Sergej zu fliehen ...
Autorenporträt
Hermann Schulz, geboren 1938 in Nkalinzi in Tansania als Sohn eines deutschen Missionars. Er lebt seit 1960 in Wuppertal und leitete von 1967 bis 2001 den Peter Hammer Verlag. Reisen führten ihn in mehr als sechzig Länder, vor allem in Afrika und Lateinamerika. Roman-Veröffentlichungen. Auszeichnung 2001 mit dem Kunst- und Kulturpreis für internationale Verständigung.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.10.2002

Zärtlichkeit in Zeiten des Krieges
Hermann Schulz erzählt von der "Flucht durch den Winter"

Als der Zweite Weltkrieg in Deutschland zu Ende ging, war es ähnlich zerstört wie dreihundert Jahre vorher nach dem Dreißigjährigen Krieg. Bombenangriffe hatten ganze Städte in Schutt und Asche gelegt. Soldaten der sich auflösenden Wehrmacht, Zwangsarbeiter aus vielen, vor allem östlichen Ländern und eine wachsende Zahl von Flüchtlingen durchstreiften das Land. Der totale Zusammenbruch der nationalsozialistischen Herrschaft hinterließ ein Macht- und Ordnungsvakuum. Zwei Dinge sind in diesem Zusammenhang überraschend. Erstens, wie rasch sich in den folgenden Monaten und Jahren eine neue Ordnung gegen alle materiellen und sonstigen Widrigkeiten etablieren konnte. Zweitens aber, und das sieht wie ein schreiender Widerspruch dazu aus, wie lange die alte Ordnung der Nazis sich halten konnte, obwohl schon im Winter 1944/45 alles in Scherben zu fallen begann, nämlich sozusagen punktgenau bis zur Kapitulation im Mai 1945.

Im kollektiven Gedächtnis der Deutschen sind die Monate und Wochen bis zum Kriegsende lange verdeckt gewesen. Nun scheint die Zeit herangereift zu sein, diese chaotische und überaus opferreiche Kurzära der deutschen Geschichte wieder genauer in den Blick zu nehmen. Ein gutes und gelungenes Beispiel dafür ist der Roman "Flucht durch den Winter". Seine Geschehnisse spielen sich in Norddeutschland ab. Er hat eine abenteuerliche Handlung, die gemeinsame Flucht einer fünfzehnjährigen Deutschen und eines jungen russischen Zwangsarbeiters vor den Schergen der SS. Die Umstände dieser Flucht im letzten Kriegswinter und ihre enormen Schwierigkeiten werden ohne Beschönigung und atmosphärisch dicht beschrieben. Für die Flüchtenden geht es wirklich um Leben und Tod. Ein paarmal gelingt es ihnen gerade noch so, ihren Verfolgern zu entkommen. Schließlich werden sie von britischen Truppen aufgegriffen und dadurch gerettet.

Hermann Schulz hat sich mit seinen Romanen für Jugendliche einen Namen gemacht, weil er seine Geschichten spannend zu erzählen weiß. Seine Stärke ist dabei die präzise Beschreibung des sozialen und kulturellen Milieus, in dem seine Romanfiguren leben und handeln. Genau dies kommt "Flucht durch den Winter" besonders zugute. Denn wenn auch die einzelnen Reflexionen der Heldin, die sie ihrem Tagebuch anvertraut, und die Vorbereitung ihres Entschlusses zur Flucht psychologisch nicht ganz glaubwürdig sind, so überzeugt die Schilderung der kurz vor dem Zerfall stehenden deutschen Kriegsende-Gesellschaft ganz und gar. Mißtrauen und Angst prägen sie. Daraus entstehen ganz unterschiedliche Verhaltensweisen: Mut und Hilfsbereitschaft bei den einen, Haß und Denunziantentum bei den anderen. Außerdem steigt die allgemeine Gewaltbereitschaft drastisch an. Die Flüchtenden treffen auf anständige und freundliche Menschen, die Barmherzigkeit üben, aber auch auf Schwächliche und Feige, die sie verraten. Die Angst ist allen gemeinsam, auch den beiden Flüchtenden.

Es sind die von Schulz sehr einfühlsam beschriebene Kameradschaft und eine weitgehend entsexualisierte Zärtlichkeit, welche ihnen hilft, dem immer stärker werdenden Verwahrlosungsdruck standzuhalten. Dieser Druck ist allerdings beträchtlich in einer Umwelt, in der alles und jeder zur tödlichen Bedrohung und die notwendige Nahrung oft nur gewaltsam beschafft werden kann. Das Kriegsende haben Ännchen Schwalbe und Sergej als Befreiung erlebt. Aber damit trennen sich auch ihre Lebenswege.

Ob der von Sergej glücklich verlaufen wäre, können wir nicht wissen. Im Anhang des Buches bedankt sich der Autor bei verschiedenen Personen, die ihm bei der Erforschung der Zeithintergründe geholfen haben. Darunter ist auch eine Russin, die 1942 als Zwangsarbeiterin nach Deutschland kam und deren damaliges Schicksal in die Geschichte eingebaut ist. Heute lebt sie mit ihren Kindern und Enkeln in Gomel in Weißrußland. Dieser kurze Hinweis gibt dem Buch unvermutet einen versöhnlichen und optimistischen Schluß.

WILFRIED VON BREDOW

Hermann Schulz: "Flucht durch den Winter". Carlsen Verlag, Hamburg 2002. 199 S., geb., 13,- [Euro]. Ab 12 J.

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"Hermann Schulz schreibt großartig nüchtern, knapp und so eindringlich, dass die Leerstellen zum Raum für Empathie werden." (Die Zeit)