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Der vierzehnjährige Burl flüchtet aus Angst vor seinem Vater in die Einsamkeit der kanadischen Wälder. Dort begegnet er einem berühmten Pianisten, der in Ruhe ein Oratorium komponieren möchte und sich dazu in ein Holzhaus zurückgezogen hat. Die beiden freunden sich an und für kurze Zeit fühlt Burl sich frei und unbeschwert. Doch dann taucht plötzlich Burls Vater auf ...

Produktbeschreibung
Der vierzehnjährige Burl flüchtet aus Angst vor seinem Vater in die Einsamkeit der kanadischen Wälder. Dort begegnet er einem berühmten Pianisten, der in Ruhe ein Oratorium komponieren möchte und sich dazu in ein Holzhaus zurückgezogen hat. Die beiden freunden sich an und für kurze Zeit fühlt Burl sich frei und unbeschwert. Doch dann taucht plötzlich Burls Vater auf ...
Autorenporträt
Tim Wynne-Jones, geb. 1948 in England, aufgewachsen in Kanada, gilt als einer der besten kanadischen Kinder-und Jugendbuchautoren. Er lehrt am Vermont College of Fine Arts und lebt in Perth, Ontario.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 30.11.1999

Als der Konzertflügel über die kanadischen Wälder flog
Mit einem Keks in der Hand die Wellen dirigieren: Tim Wynne-Jones lässt Glenn Gould noch einmal auferstehen

Jugendbücher handeln von der Befreiung. Doch wie und wodurch? Darauf kommt es an. Dem kanadischen Autor Tim Wynne-Jones ist die Idee gekommen, es mit Glenn Gould zu versuchen. Die Wiederauferstehung Goulds dauert vierundzwanzig Stunden; genug für den 14-jährigen Burl, um aus dieser Begegnung neuen Lebensmut zu schöpfen. Dabei ist der Pianistengott nach herkömmlichen Maßstäben ein Kinderschreck: durchgeknallt, zwanghaft und valiumsüchtig wie einst.

Zunächst aber schildert der Autor die schrecklichen Lebensverhältnisse von Burl. Die Familie bewohnt eine schäbige Hütte abseits eines Dorfes. Die Mutter nimmt Medikamente, sitzt einfach nur da. Burls ältere Schwester ist tot, keiner will über die näheren Umstände sprechen. Der Vater ist ein brutaler Widerling. Burl bräuchte viel Schutz. Aber niemand ist da. Er muss sich selbst schützen, wird zu einem verschlossenen Jungen, lügt auch. Ein einziges Mal kam Hilfe. Kurz bevor die Faust des Vaters auf ihn niedersauste, Burl hatte schon den Arm vors Gesicht gehoben, da tauchte am Himmel etwas Riesiges, Schwarzes auf. Ein Konzertflügel flog über die kanadischen Wälder, transportiert von einem Hubschrauber an einem langen Seil. Verblüfft ließ der Vater die Hand sinken.

Doch schon bald passiert das Unvermeidliche. Burl rastet aus und stürmt mit einem Messer auf den Vater zu. Im letzten Augenblick dreht er ab, rennt zwei Tage lang durch den großen Wald, bis er zu einem See kommt. Am Ufer steht ein seltsames Haus, eine Art Pyramide mit einem Fenster so groß wie ein Segel. Und hier wohnt ER. Der Meister in seinem letzten, dem fünfzigsten Lebensjahr: gebeugt, fast kahl, in Socken, umhüllt von einem verschmutzten Mantel, der berühmte Dauerschal gegen die gefürchtete Halsentzündung. Er steht am äußersten Rand eines Stegs und dirigiert, in der Hand einen Keks, das Orchester der Lüfte und der kleinen Wellen.

Tim Wynne-Jones gibt Gould einen anderen Namen. Das passt zu Gould, der ebenfalls die Verstellung liebte. Auf jeden Fall ist er es, nicht nur nachempfunden, sondern unverwechselbar. Diese Mischung aus Humor und grässlicher Angst erkennt man wieder. Etliche Details aus Goulds Leben werden eingestreut, vom der Offenbarung Johannes bis zum Rührei. Natürlich klingen die Goldberg-Variationen an. So ist dieser Roman auch eine Liebeserklärung. Vielleicht ist das für heutige Jugendliche auf den ersten Blick wenig interessant. Aber wie der Junge Burl mit diesem Kauz fertig wird, und umgekehrt, wie dieser alternde Egozentriker sich Burl gegenüber öffnet und ihm ein paar platonische Flausen in den Kopf setzt, das ist witzig, überraschend, präzise und melancholisch. Und wenn Burl in dem Mann einen Ersatz- und Idealvater sieht und sich selbst eine zweite Chance als Sohn gibt, dann ist das ist eine passende Parallele zum schönsten Einfall des Buches: Der Idee mit den "zweiten Takes".

Ursprünglich waren sie eine Besonderheit aus Goulds Tonstudio-Praxis, die dann zum Einsatz kam, wenn etwas seinen Perfektionsansprüchen nicht genügte. Hier werden sie als korrigierender Eingriff in die ständigen Kommunikationsstörungen zwischen den beiden Verstörten benutzt. Wir müssen uns mehrere Chancen geben, lautet die entspannte Botschaft. Freilich, im Tonstudio von Toronto soll dieses Verfahren der reinste Irrsinn gewesen sein.

Leider verschwindet Gould zu früh. Burl hat die Tabletten des Meisters in den See geworfen. Ohne die hält er es auf dieser Welt nicht aus. Wenige Tage später stirbt er. Burl möchte in dem Haus bleiben. Hier hat etwas stattgefunden. Er weiß noch nicht, was. Nichts Erhabenes. Eigentlich nur, dass ihm, Burl, Aufmerksamkeit geschenkt worden ist.

Der zweite Teil des Buches ist ganz anders. Burl hat eine unvollendete Komposition des Meisters gefunden, ein Oratorium, ähnlich wie die Matthäuspassion. Der echte Gould hatte am Schluss tatsächlich so etwas vor. Burl bietet den Erben ein Geschäft an: Partitur gegen Haus. Eine wilde Abenteuergeschichte folgt, und ein Shodown mit dem Vater muss auch noch sein. Auf erwartbare Weise gerät das Ende etwas mystisch, und die obligatorische Vater-Sohn-Auseinandersetzung folgt dem gängigen Schema der amerikanischen Konfliktbearbeitung im Jugendbuch. Trotzdem bleibt es spannend. Und vorher ist es ein ungewöhnlich vielfältiger und origineller Roman.

JÜRGEN STAHLBERG

Tim Wynne-Jones: "Flucht in die Wälder". Aus dem Amerikanischen von Cornelia Krutz-Arnold. Hanser Verlag, München 1999. 288 S., geb., 29,80 DM. Ab 13 J.

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"Diese wundervoll lakonisch geschriebene Geschichte ist nicht nur höchst spannend, sie zeigt auch Charaktere, in denen Jugendliche sich leicht wieder erkennen können. Ein Highlight des Herbstes!" Brigitte

"Dies alles kommt in einem traumsicheren Ton, den die Übersetzung bis an Ende trägt. Ein Ende übrigens, wie man es sich für einen dynamischen, dramatischen und sinnlichen Entwicklungsroman wie diesen schöner nicht wünschen kann." DIE ZEIT

"Voller Poesie beschriebt Wynne-Jones die Gefühle des Jungen. 'Flucht in die Wälder' ist eine leise und doch spannende Geschichte." Der Tagesspiegel