Marktplatzangebote
5 Angebote ab € 7,00 €
  • Buch

Das Buch zur neu entflammten Diskussion um die Rolle der Romantik im Prozeß der Moderne: Cornelia Klinger fragt nach den Einflüssen der Romantik als ästhetisch-politische Bewegung und stellt klar, daß diese keineswegs als Wirklichkeitsflucht denunziert werden darf. Vielmehr war die deutsche Romantik in ihrer Vernunfts- und Fortschrittskritik selbst Teil der aufgeklärten Moderne. Ihr Streben nach Ganzheit, Einheit und Sinn ist heute aktueller denn je.

Produktbeschreibung
Das Buch zur neu entflammten Diskussion um die Rolle der Romantik im Prozeß der Moderne: Cornelia Klinger fragt nach den Einflüssen der Romantik als ästhetisch-politische Bewegung und stellt klar, daß diese keineswegs als Wirklichkeitsflucht denunziert werden darf. Vielmehr war die deutsche Romantik in ihrer Vernunfts- und Fortschrittskritik selbst Teil der aufgeklärten Moderne. Ihr Streben nach Ganzheit, Einheit und Sinn ist heute aktueller denn je.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.09.1995

Einheit, Ganzheit, Unsinn
Belesen: Cornelia Klinger über ästhetische Gegenwelten

Die Literatur dieses Jahrhunderts wird immer autobiographischer. Darin folgt ihr die Philosophie, und das um so mehr, je unschärfer der Grenzverlauf zwischen den beiden wird. Philosophische Abhandlungen werden dann zu verkappten Tagebüchern, und weil die Philosophen einen großen Teil ihres Lebens mit Büchern verbringen, sind es Tagebücher von Lesern. Ehedem galt eine Philosophie, die als Zusammenhang von Lektüren daherkam, als Sonderfall akademischer Lehre. Heute läßt sich die Gesinnung eines Gelehrten an der Farbe der Bücher in seinem Handapparat erkennen. Immer seltener jedoch sind diese Bücher in den Bibliotheken der Philosophischen Seminare zu finden.

An Cornelia Klingers Buch über die ästhetischen Gegenwelten braucht man den Nachweis, was sie gelesen hat, nicht eigens zu führen. Zitatreich präsentiert sie die Kollektion ihrer zwischen 1973 und 1993 gesammelten Studienbibliothek. Man findet hier also keine Schultradition, ja nicht einmal die Prägung durch einen philosophischen Lehrer, und doch heißt das nicht, daß hier querfeldein und bloß privat gelesen wurde.

Die lesende Philosophin möchte nämlich immerzu erzählen, was mit ihr in den letzten zwanzig Jahren passiert ist: Von den diversen erotischen und ästhetischen Sezessionsbewegungen wurde sie, etwas ängstlich und doch sehr neugierig, aus den Hörsälen gezogen. Weiter lesend, suchte sie dann nach einem Leitfaden, der ihrer Wanderung durch die Konzepte der neuromantischen Selbstverwirklichung eine Richtung geben sollte. Cornelia Klingers Thema ist also die prekäre Spannung zwischen einer modernen Bildung, die sich von Pluralisierung und Temporalisierung umgeben weiß und alle Wahrheiten nur noch als relative kennenlernt, und den unverminderten, ja gesteigerten Ansprüchen des Individuums. Es möchte nur zu gern selbst Autorität besitzen, und es balanciert doch nur auf der Nadelspitze der persönlichen Erfahrung herum.

Die ersten Einträge dieser Tübinger Habilitationsschrift rufen ins Gedächtnis, was die akademische Philosophie von Hegel bis zu Jürgen Habermas und Dieter Henrich gegen den romantischen Absolutismus von Kunst und Liebe einzuwenden hatte - die letzteren im Gefolge von Max Weber. Dieser hatte drei Wertsphären unterschieden, die sich im Prozeß moderner Rationalisierung nach jeweils eigenen Gesetzen entwickeln: Wissenschaft und Technik ist die eine, Naturrecht und (protestantische) Ethik die zweite, und Kunst, Erotik sowie die Ethik charismatischer Eliten bilden die dritte Wertsphäre. Schon Habermas hatte darauf hingewiesen, daß zwischen diesen drei Sphären eine uneingestandene Hierarchie besteht. Mit Kunst hat Habermas nicht viel im Sinn, aber die praktische Vernunft möchte er gegenüber der instrumentellen aufgewertet sehen.

Dieter Henrich liebäugelt zwar mit der Kunst und beruft sich auf Friedrich Hölderlin, Thomas Mann und Piet Mondrian. Doch er schätzt sie nur, wenn sie ihre hohen Ansprüche, eine Welt ganz für sich zu sein, ein wenig reduziert. "Partial" sei die moderne Kunst, behauptet er, nur Teil eines Ganzen, das nach anderen Regeln funktioniert. Bleibt noch Odo Marquard. Aber auch dessen Neigung zum Erotischen und Ästhetischen will Cornelia Klinger nicht billigen. Kommt die Kunst hier doch nur unter der Bedingung ins Spiel, daß sie hoffnungslos unmodern ist, ein Fluchtort vor den Schrecken des Alltags.

Das Kompliment ist durchaus zweifelhaft, und es macht verschiedene Dinge gleich: den Gang vor die Stadt, den Besuch im Kunstmuseum und die Anekdote am philosophischen Stammtisch. Außerdem steht es historisch auf wackligem Grund. Denn die künstlerischen Avantgarden unseres Jahrhunderts haben oft und gern an den Fortschritten der Technik teilgenommen. Eros und Kunst, sagt dann auch Cornelia Klinger, sind Treibräder der Modernisierung, nicht Widerlager.

Mit den Herren vom Philosophischen Seminar ist also für den Umgang mit der Kunst nicht viel anzufangen, noch weniger für den Umgang mit der Liebe. Denn von der erotischen Gegenwelt, bemerkt Cornelia Klinger, ist bei ihnen nur summarisch die Rede. Und die Beispiele kommen fast immer aus der Kunst (bei ihr übrigens auch, bis in den Untertitel). Wo von Frauen die Rede ist, etwa bei Georg Simmel, gehören sie nicht zur Moderne, sondern sind Gegenbilder.

Leider muß das schwer zu verstehen sein: "Das Kompensations- bzw. Komplementaritätsprinzip kulminiert förmlich im Begriff der polarisierten Geschlechtscharaktere", schreibt Cornelia Klinger. Wo die Philosophin, wie hier, im Bann des akademischen Zulassungsdrucks formuliert, macht sie in jeden Satz einen Knoten. Freier klingt es, wo sie ins offene Terrain gelangt. Dann verzichtet sie auch auf Begleitschutz von Monstern wie der "ästhetisch-expressiven Rationalität" in "modernitätsaffirmierender und -stabilisierender Funktion". Dann sagt sie ganz einfach, wie es ist.

In den Kapiteln über "Romantik, Neoromantik und die Politik der Kultur", "die Wendung zum Subjekt als Individuum" und "das Subjekt als Künstler" schwimmt Cornelia Klinger noch auf den Wogen, die Schleiermacher, Novalis und Schlegel bewegt haben. Ihr weiteres Plätschern verfolgt die Autorin bis zu Marx und dessen Erben. Aber ebendiese Würdigung, die anfangs noch als Parole gegen die Verächter der Romantik ausgegeben wird, klingt mit jeder neuen Lektüre kleinlauter. In zunehmende Ratlosigkeit führen dann die Kapitel über "Die Wendung zu Gemeinschaft, Natur und Religion", über "Faschismus und gesellschaftliche Modernisierung" und die postmoderne Ästhetisierung des Politischen. Am Schluß bleibt wenig.

In der zunehmenden Ästhetisierung der Politik im zwanzigsten Jahrhundert sieht Cornelia Klinger Entgrenzungsphänomene: Eigentlich wollte der Mensch sich immer selbst verwirklichen, ebenso authentisch wie unverbrüchlich. Das endete indessen stets in den ebenso alten wie verhängnisvollen Ganzheitsversprechen. Was als romantische Künstlerästhetik begann, endet doch in der politischen Ideologie. Die Attraktivität der deutschen Faschisten, führt die Philosophin an, ist in einer Inszenierung - der Führer als Künstler - begründet, die Ganzheit und Sinn verspricht. Für den Stalinismus gilt das freilich genauso.

Gegen Hegel, Habermas und Henrich war Cornelia Klinger aufgebrochen, um eine Lanze für die Romantik zu brechen. Doch dann wird sie von aller Courage verlassen, wenn sie die Gegner im Staube wähnt: "Weder im Künstlersubjekt und der von ihm geschaffenen neuen Mythologie noch in Gestalt von Volk, Nation oder Staat wird ein archimedischer Punkt gefunden. Schlimmer als das bloße Scheitern der beiden Konzepte sind die Gefahren, die von ihnen ausgehen."

Den Schluß ihres als Verteidigung des romantischen Konzepts begonnenen und als Warnung vor seiner Tradierung in die Moderne schließenden Buches läßt die Autorin kurzerhand atmosphärisch verrauschen: "In vielen Hinsichten erfüllt die ästhetische Rationalität in der Moderne Statthalterfunktionen für eine andere Dimension, für im Kontext der Moderne illegitim gewordene, ungestellte oder unbeantwortete Fragen. Sie enthält den Hinweis auf ein Anderes, aber sie ist selbst kein Anderes."

Spätestens hier ist aber Anlaß zur Verwunderung gegeben. Könnte es nicht sein, daß die Philosophin über die Lektüre von so viel Theorie die Kunst aus den Augen verloren hat? Der politische, juristische und ethische Prozeß der Modernisierung ist egalitär gerichtet, der kulturelle individualistisch, ja elitär. Der erste benötigt ein liberales Milieu, der ästhetisch-erotische kann damit wenig anfangen. Von Rationalität mag allemal die Rede sein, aber nicht gut im selben Sinn. Und lauter Bindestriche wie in "expressiv-ästhetisch-rationalistisch" machen die unterschiedlichen Anliegen nicht vergleichbarer.

Welche Kunst, welchen Eros der Moderne hat eigentlich Claudia Klingers Philosophie im Sinn? Denn welcher Liebhaber, sobald er die Pubertät hinter sich hat, welcher Künstler, sobald er etwas kann, setzt in diesem Jahrhundert noch auf die heilige Dreifaltigkeit, die sie ebenso anhaltend wie halsstarrig, ebenso liebenswürdig wie liebes- und kunstvergessen verehrt: "Einheit, Ganzheit, Sinn"? Der Jüngste, den sie erwähnt, ist Jünger. GERT MATTENKLOTT

Cornelia Klinger: "Flucht, Trost, Revolte. Die Moderne und ihre ästhetischen Gegenwelten". Carl Hanser Verlag, München 1995. 288 S., geb., 45,- DM.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr