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57 Menschen flüchteten im Jahr 1964 durch einen Tunnel in der Bernauer Straße in den Westen. »Tokio!« das war die Parole für die Freiheit. Unter dem Namen »Tunnel 57« ist das spektakulärste Vorhaben der Fluchthelfergruppe um den Jenenser Wolfgang Fuchs in die Geschichte eingegangen. Klaus-M. von Keussler und Peter Schulenburg sind damals 23 Jahre alt und beide Mitglieder der Gruppe. Nach der Vorlesung an der Freien Universität fahren sie zum Tunnelgraben. Woher das Geld nehmen für Werkzeug, Schippen, Kabel, Birnen, Essen? Wie gelangen die Abstützbalken in den Keller? Schießen die Grenzposten,…mehr

Produktbeschreibung
57 Menschen flüchteten im Jahr 1964 durch einen Tunnel in der Bernauer Straße in den Westen. »Tokio!« das war die Parole für die Freiheit. Unter dem Namen »Tunnel 57« ist das spektakulärste Vorhaben der Fluchthelfergruppe um den Jenenser Wolfgang Fuchs in die Geschichte eingegangen. Klaus-M. von Keussler und Peter Schulenburg sind damals 23 Jahre alt und beide Mitglieder der Gruppe. Nach der Vorlesung an der Freien Universität fahren sie zum Tunnelgraben. Woher das Geld nehmen für Werkzeug, Schippen, Kabel, Birnen, Essen? Wie gelangen die Abstützbalken in den Keller? Schießen die Grenzposten, wenn etwas schief geht? Brauchen wir Waffen? Wie erkennt man Spitzel? Klaus und Peter sind keine Profis. Sie wollen Menschen helfen, die von Deutschland nach Deutschland wollten. Ein Buch, dass die leidenschaftlichen Empfindungen junger Männer nach dem Bau der Mauer eindrucksvoll skizziert, die dramatischen Tunnel-Fluchtaktionen und die Stimmung auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 30.12.2011

Hohes persönliches Risiko
Wie nach dem Mauerbau westdeutsche und West-Berliner Fluchthelfer das brutale DDR-Grenzregime bekämpften

Mit dem Einmauern ihrer Bürger begann am 13. August 1961 der Anfang vom Ende der DDR. Der 50. Jahrestag des Mauerbaus ist mit einer Fülle von Veranstaltungen und einer Flut von Publikationen gewürdigt worden. Aber während Vorgeschichte, Ausbau und Auswirkungen des brutalen Grenzregimes gut erforscht sind und stets in den Medien präsent waren, blieb ein anderes Kapitel dieser traurigen Geschichte bis in die neunziger Jahre nahezu tabuisiert: die Bemühungen, Bürgern der DDR durch das immer enger werdende Abschottungsnetz zur Flucht in die Freiheit zu verhelfen.

Marion Detjen hat 2005 zum Thema "Fluchthilfe" eine überzeugende wissenschaftliche Publikation für den Zeitraum bis 1989 vorgelegt: "Ein Loch in der Mauer". Ihre Befunde wurden jüngst für die sechziger Jahre durch zwei Veröffentlichungen aus der Feder aktiver Fluchthelfer ergänzt. Klaus von Keussler und Peter Schulenburg beschreiben die Aktivitäten der vornehmlich auf den Fluchttunnelbau setzenden Gruppe um Wolfgang Fuchs. Burkhart Veigel befasst sich in einer breiter angelegten Darstellung mit den Aktionen der sogenannten Girrmann-Gruppe sowie von ihm alleine initiierten Fluchthilfeverfahren.

Fluchthilfe setzte unmittelbar nach dem Mauerbau ein. Dabei ging es zunächst darum, Familienangehörige, Freunde oder auch Grenzgänger durch die Sperren zu bringen. Die Fluchthelfer kamen vornehmlich aus studentischen Zirkeln, vor allem der Freien Universität Berlin (FU). Später stießen auch Handwerker dazu, von denen manche zuvor selbst aus der DDR geflohen waren. Außer Verwandten oder Freunden das Entkommen zu ermöglichen, trieb viele Fluchthelfer der selbstlose Wunsch an, Menschen in Not zu unterstützen. Die "Zeit der Helden" (Detjen) und der studentischen Fluchthilfe endete Mitte der sechziger Jahre, weil das Grenzregime der DDR immer undurchlässiger und der Aufwand für eine Flucht immer größer wurde. Trotz weiterhin vorhandener humanitärer Motive ließen sich nun professionell arbeitende Fluchthelfer wie Burkhart Veigel ihre explodierenden Auslagen erstatten. Seit Ende der sechziger Jahre beherrschten kommerzielle Fluchthilfe-Kleinunternehmer die Szene, mitunter in Kooperation mit ehemaligen DDR-Häftlingen.

Fluchthilfe war mit einem hohen persönlichen Risiko verbunden. Die Grenzorgane der DDR machten rücksichtslos von der Schusswaffe Gebrauch, auch Fluchthelfer verloren dadurch ihr Leben. Wurden die Helfer gefasst, hatten sie ebenso wie die Fluchtwilligen mit drakonischen Strafen zu rechnen. Da das MfS viele der Gruppen erfolgreich mit Spitzeln durchsetzen konnte, flogen zahlreiche Fluchtvorhaben auf. Schulenburg selbst wurde verhaftet und zu sechs Jahren Zuchthaus verurteilt, kam allerdings nach einem Jahr im Austausch wieder frei.

Während die DDR Fluchthilfe als bandenmäßigen Menschenhandel aus Gewinnsucht diffamierte, verhielten sich staatliche Stellen in West-Berlin vorsichtig distanziert. Unterstützung gab es nur in Einzelfällen. So berichten Keussler und Schulenburg von einem leitenden Polizeibeamten in Wedding, der die aktive Unterstützung eines Fluchttunnelvorhabens mit beruflichen Nachteilen bezahlte. Konnten die Fluchthelfer unmittelbar nach dem Mauerbau noch auf öffentliche Solidarität und staatliche Duldung rechnen, wurden sie im Zuge der auf "Wandel durch Annäherung" zielenden Politik (beispielsweise durch die Passierscheinvereinbarungen 1963/64) zunehmend als Störpotential empfunden. Medien und Öffentlichkeit betrachteten die Aktivitäten jetzt nicht selten vor einem kommerziellen Hintergrund.

Keussler und Schulenburg, damals beide Jura-Studenten an der FU, schildern detailliert Entstehung und Struktur der bis zu 50 Personen umfassenden Fuchs-Gruppe, zu der auch der spätere Astronaut Reinhard Furrer zählte. Diese leistete zunächst Fluchthilfe für Verwandte von Fuchs und konzentrierte sich neben der Nutzung anderer Verfahren ab 1962 auf den Bau von Tunneln. Anschaulich beschreiben die Autoren den Verlauf erfolgreicher sowie aufgrund von Verrat oder Einsturz misslungener Unternehmungen. Einen Höhepunkt der Aktivitäten bildete die dramatische Flucht von 57 Personen durch einen Tunnel unter der Bernauer Straße im Oktober 1964. Dabei wurde ein Unteroffizier der Grenztruppen durch Schüsse eines Kameraden tödlich verletzt. Die DDR machte jedoch die Fluchthelfer ("Mordbanditen") dafür verantwortlich.

Burkhart Veigel stieß als Medizinstudent zu einer Gruppe um Detlef Girrmann und Dieter Thieme, die das Studentenwerk an der FU leiteten und es zu einer Fluchthelferzentrale machten, zunächst vor allem für studentische Grenzgänger. Veigel trennte sich später von der Gruppe und ging bis 1970 mit Helfern eigene Wege in der zunehmend mit Spitzeln durchsetzten Szene. Mit Hilfe von West-Berliner und westdeutschen Ausweisen oder skandinavischen Pässen, mit Unterstützung von Doppelgängern, durch die Kanalisation oder Tunnel in Berlin sowie in Autos versteckt schleusten die Fluchthelfer Menschen aus der DDR. Alleine 120 Personen kamen mit einem aufwendig umgebauten Cadillac Veigels in den Westen.

Trotz des mitunter ermüdenden Detailreichtums und einer wahren Namensflut zeichnen beide Darstellungen ein facettenreiches Bild von Motiven, Verfahren, Gefahren sowie von Erfolgen und Misserfolgen der Fluchthilfe. Sie gewähren einen authentischen Einblick in die Situation existentieller Bedrohung, in der sich die Beteiligten befanden, und geben Aufschluss über die zeitgenössischen juristischen, öffentlichen und politischen Bewertungen. Die gut recherchierten Bücher basieren auf Interviews, eigenen Aufzeichnungen oder MfS-Akten und sind mit zahlreichen Abbildungen, Faksimiles und Skizzen versehen.

HANS EHLERT.

Klaus-M. von Keussler/Peter Schulenburg: Fluchthelfer. Die Gruppe um Wolfgang Fuchs. Berlin Story Verlag, Berlin 2011. 300 S., 19,80 [Euro].

Burkhart Veigel: Wege durch die Mauer. Fluchthilfe und Stasi zwischen Ost und West. Edition Berliner Unterwelten, Berlin 2011. 431 S.,19,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Sehr wichtig findet der Militärgeschichtler Hans Ehlert diese Publikation, denn er sieht in der Fluchthilfe ein noch immer tabuisiertes Thema. Die Autoren Klaus von Keussler und Peter Schulenburg waren als West-Berliner Jurastudenten selbst Fluchthelfer; in ihrem Buch berichten sie von ihren Aktivitäten in der Gruppe Fuchs, deren Höhepunkt die Flucht von 57 Menschen durch einen Tunnel unter der Bernauer Straße im Jahr 1964 bildete. Ein "facettenreiches" Bild hat der Rezensent mit diesem Buch gewonnen, er lobt den authentischen Einblick, den ihm die Autoren gewähren, und zeigt sich nur ein wenig ermüdet von den etwas überbordenden Details.

© Perlentaucher Medien GmbH