Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 09.06.2017Einfühlsamer Dirigentenversteher
Die schönste Anekdote, die Peter Gülke in seinem Buch "Dirigenten" erzählt, ist eine mit ideologiekritischer Sprengkraft und geht so: Georg Solti spielt Theodor W. Adorno eine Aufnahme der Orchestervariationen op. 31 von Arnold Schönberg vor, ohne den Dirigenten zu nennen. "Adorno fand sie hervorragend und war betroffen, als er hörte, dass es Karajan wäre, den er als musizierenden Propheten des Wirtschaftswunders gern schlecht finden wollte." Gülke, selbst Dirigent, aber vor allem Musikwissenschaftler mit der Gabe zum schönen Wort, trägt für dieses Buch Fest- und Gedenktexte zusammen, in denen er Dirigenten von Hans von Bülow bis Nikolaus Harnoncourt porträtiert - teils aus gründlicher Quellenkenntnis, teils aus eigener Anschauung heraus, immer lebhaft, prägnant, erhellend. Deutet er Bülows Sprachstil und Probenperfektionismus psychologisch als Symptom von Minderwertigkeitskomplexen, so steht bei Hermann Abendroth eine detaillierte Interpretationsanalyse der ersten Symphonie von Johannes Brahms im Zentrum. Persönlich ergreifend sind die Porträts von Rudolf Kempe und Kurt Sanderling. Die Schlussbetrachtung zum Verhältnis von Universalismus und Spezialistentum, Autorität und Demokratie hebt die Ausführungen über das Persönliche hinaus in perspektivische Mutmaßungen über das Metier als solches.
jbm.
Peter Gülke: "Dirigenten".
Georg Olms Verlag, Hildesheim 2017, 296 S., geb., 22 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Die schönste Anekdote, die Peter Gülke in seinem Buch "Dirigenten" erzählt, ist eine mit ideologiekritischer Sprengkraft und geht so: Georg Solti spielt Theodor W. Adorno eine Aufnahme der Orchestervariationen op. 31 von Arnold Schönberg vor, ohne den Dirigenten zu nennen. "Adorno fand sie hervorragend und war betroffen, als er hörte, dass es Karajan wäre, den er als musizierenden Propheten des Wirtschaftswunders gern schlecht finden wollte." Gülke, selbst Dirigent, aber vor allem Musikwissenschaftler mit der Gabe zum schönen Wort, trägt für dieses Buch Fest- und Gedenktexte zusammen, in denen er Dirigenten von Hans von Bülow bis Nikolaus Harnoncourt porträtiert - teils aus gründlicher Quellenkenntnis, teils aus eigener Anschauung heraus, immer lebhaft, prägnant, erhellend. Deutet er Bülows Sprachstil und Probenperfektionismus psychologisch als Symptom von Minderwertigkeitskomplexen, so steht bei Hermann Abendroth eine detaillierte Interpretationsanalyse der ersten Symphonie von Johannes Brahms im Zentrum. Persönlich ergreifend sind die Porträts von Rudolf Kempe und Kurt Sanderling. Die Schlussbetrachtung zum Verhältnis von Universalismus und Spezialistentum, Autorität und Demokratie hebt die Ausführungen über das Persönliche hinaus in perspektivische Mutmaßungen über das Metier als solches.
jbm.
Peter Gülke: "Dirigenten".
Georg Olms Verlag, Hildesheim 2017, 296 S., geb., 22 [Euro].
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