Als »Expressionist« unter den zeitgenössischen Dichtern ist es nicht erstaunlich, wenn Albert Ostermaier sich der Sportart zuwendet, die an die Emotionen vieler Menschen rührt, dem Fußball. Als »klassischen« unter den zeitgenössischen Dichtern versteht es sich von selbst, dass er die strenge Form variiert: die Ode. Bekannt geworden ist vor allem Albert Ostermaiers Ode an den »Titan«, den Torhüter Oliver Kahn: »wenn er beim eckball wie ein blonde katze aus dem tor stürmt auf einer welle der begeisterung durch die blauen lüfte fliegt«. Die Weltmeisterschaft bildet den Anlass, um eine Auswahl seiner Fußball-Gedichte zu veröffentlichen - illustriert von dem Fußball-Narr Florian Süßmayr.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 09.04.2014Nie aus erwarteter Richtung
Albert Ostermaiers Fußball-Oden führen die Tabelle an
Der Fußball lässt sich von vielen Menschen lieben, aber nur ganz wenige Auserwählte liebt er zurück. Dafür sucht er sich meistens einfache Leute mit tapferem Herzen. Aber manchmal, wenn auch ganz selten, macht er eine Ausnahme. Dann schafft es ein komplizierter Intellektueller, sich irgendwie hineinzudribbeln ins emotionale Zentrum dieses launischen Spiels. Der deutsche Schriftsteller Albert Ostermaier könnte so ein Glücklicher sein. Zumindest temporär, bedenkt man, dass es ihm im vergangenen Herbst gelang, bei einem Fußballspiel, in dessen Schatten die Frankfurter Buchmesse stattfand, zwei Treffer zum 9:1-Sieg der deutschen Autoren-Nationalmannschaft über Brasilien beizusteuern.
Eine solche Erfahrung ist von unermesslichem Wert, nicht nur wegen des Sieger-Adrenalins. Von Hause aus Torwart, teilt Ostermaier uns mit einem Umweg über seinen Keeper-Kollegen Albert Camus (F.A.Z. vom 4. März) mit, welchen Schatz ein Denker auf dem Platz - und am besten zwischen den Pfosten finden kann: die Befreiung von der Kopfsteuerung. "er ahnt dass alles nur / von ihm abhängt tragisch ist es aber / nur in den wenigen augenblicken / wenn er sich dessen bewusst wird / und statt zu spielen kluges denkt / denn der ball kommt nie aus der / richtung aus der man ihn erwartet".
Es ist also nach Ostermaier nicht etwa so, dass man beim Fußball nichts Kluges denken muss. Sondern dass man nichts Kluges denken darf. Daraus entsteht eine andere, eine physische Form der Intelligenz, der geniale Reflex vielleicht, die spontane Faustabwehr, der automatisierte Spagat. Dieser Bereich der inneren Naivität, der zu äußeren Glanzleistungen führt, scheint es Ostermaier nachhaltig angetan zu haben. Seine nun erschienene Oden-Sammlung "Flügelwechsel", die sich um nichts anderes dreht als den Fußball, ist eine einzige Liebeserklärung an diesen Sport, an - für viele unverständlich, für andere leicht nachvollziehbar - den FC Bayern München und ganz besonders an Oliver Kahn, der einst unter anderem für die Bayern und die Nationalmannschaft den Kasten sauber hielt.
Sechs Oden älteren und neueren Datums sind allein dem "Titanen" gewidmet, der sich seinerseits ganz kurz auf Ostermaiers Spielfeld hat einwechseln lassen und ein Vorwort verfasst hat, in dem er sich nicht gerade bescheiden als "Welttorhüter" vorstellt. Aber diesem Mega-Torwart kann, folgt man dem Bewunderer Ostermaier, wohl von Natur aus keine Peinlichkeit passieren. Für ihn ist Kahn, obwohl er inzwischen als wohlgenährter Fernsehkommentator seine Titanenhaftigkeit ein wenig eingebüßt hat, omnipotent: "was er sagt hat zwei hände / gedanken zu fassen wie / einst jeden ball der auf ihn / zuschoss aus dem nichts".
Man könnte leicht behaupten, der preisgekrönte Roman- und Bühnenautor und der Insel-Verlag hätten "Flügelwechsel" deshalb im Weltmeisterschaftsjahr herausgebracht, um auch ein bisschen Profit zu machen mit der Popularität dieses Massensports. Aber so einfach ist das nicht. Ostermaiers Fußball-Oden sind keine schnelle Ware. Sie halten sich schon seit Jahren im oberen Tabellenbereich der Fußball-Literatur, und ihre Helden entstammen mehreren Epochen: Angefangen mit Julius Hirsch, dem deutschen Nationalspieler, der als Jude in Auschwitz umkam ("er hat die kugel er schiesst / das eiserne Kreuz auf der brust"), über den Argentinier Jorge Valdano, der in Mexiko beim 3:2-Finalsieg der Weltmeisterschaft von 1986 gegen Deutschland ein Tor erzielte ("die kleinen nimmermüden füsse / zeigen der nacht im schlaf / noch einmal all ihre zaubertricks"), bis zu den aktuellen Bayern-Heroen Lahm, Neuer oder Schweinsteiger. Die schönste Ode aber gilt dem Brasilianer Socrates, dessen bürgerlicher Name an sich schon ein Gedicht ist: Socrates Brasileiro Sampaio de Souza Vieira de Oliveira. Dieser Nationalspieler, der seine Elfmeter ohne Anlauf schoss, war außerdem Arzt, Trainer, Sänger, Maler, Dramaturg und Alkoholiker. An der Sucht starb er im Jahr 2011 mit nur 57 Jahren: "kein / hackentrick mit dem sich der tod / noch täuschen liesse".
Albert Ostermaiers Zuneigung zeigt sich in solchen Zeilen ungebrochen. Es scheint, als hätte der wortgewandte und wagemutige Dichter, der schon ganz andere Welten von sich überzeugt hat, all seine gefeierte Kunst in diese Poesie gelegt, als Liebesgabe an seinen spröden Sport. Dazu kommen Bilder des Münchner Malers Florian Süssmayr (laut Verlag ein Fußball-Narr), auf denen man im ersten Teil lauter leere Fußballplätze und im zweiten lauter volle Tribünen sieht. Man kann sich nicht entscheiden, woraus mehr Einsamkeit spricht.
Es ist ja wahr: Der Fußball quillt sowieso schon über von Symbolhaftem, er ist sich selbst Plot genug und braucht keinen hochbegabten Troubadix. Aber Ostermaiers Gedichte - so voller naiver und anrührender Liebe - sind der ultimative Luxusartikel für den anspruchsvollen Fußballfanatiker.
EVI SIMEONI
Albert Ostermaier:
"Flügelwechsel".
Fußball-Oden. Insel Verlag, Berlin 2014. 112 S., Abb., geb.,
13,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Albert Ostermaiers Fußball-Oden führen die Tabelle an
Der Fußball lässt sich von vielen Menschen lieben, aber nur ganz wenige Auserwählte liebt er zurück. Dafür sucht er sich meistens einfache Leute mit tapferem Herzen. Aber manchmal, wenn auch ganz selten, macht er eine Ausnahme. Dann schafft es ein komplizierter Intellektueller, sich irgendwie hineinzudribbeln ins emotionale Zentrum dieses launischen Spiels. Der deutsche Schriftsteller Albert Ostermaier könnte so ein Glücklicher sein. Zumindest temporär, bedenkt man, dass es ihm im vergangenen Herbst gelang, bei einem Fußballspiel, in dessen Schatten die Frankfurter Buchmesse stattfand, zwei Treffer zum 9:1-Sieg der deutschen Autoren-Nationalmannschaft über Brasilien beizusteuern.
Eine solche Erfahrung ist von unermesslichem Wert, nicht nur wegen des Sieger-Adrenalins. Von Hause aus Torwart, teilt Ostermaier uns mit einem Umweg über seinen Keeper-Kollegen Albert Camus (F.A.Z. vom 4. März) mit, welchen Schatz ein Denker auf dem Platz - und am besten zwischen den Pfosten finden kann: die Befreiung von der Kopfsteuerung. "er ahnt dass alles nur / von ihm abhängt tragisch ist es aber / nur in den wenigen augenblicken / wenn er sich dessen bewusst wird / und statt zu spielen kluges denkt / denn der ball kommt nie aus der / richtung aus der man ihn erwartet".
Es ist also nach Ostermaier nicht etwa so, dass man beim Fußball nichts Kluges denken muss. Sondern dass man nichts Kluges denken darf. Daraus entsteht eine andere, eine physische Form der Intelligenz, der geniale Reflex vielleicht, die spontane Faustabwehr, der automatisierte Spagat. Dieser Bereich der inneren Naivität, der zu äußeren Glanzleistungen führt, scheint es Ostermaier nachhaltig angetan zu haben. Seine nun erschienene Oden-Sammlung "Flügelwechsel", die sich um nichts anderes dreht als den Fußball, ist eine einzige Liebeserklärung an diesen Sport, an - für viele unverständlich, für andere leicht nachvollziehbar - den FC Bayern München und ganz besonders an Oliver Kahn, der einst unter anderem für die Bayern und die Nationalmannschaft den Kasten sauber hielt.
Sechs Oden älteren und neueren Datums sind allein dem "Titanen" gewidmet, der sich seinerseits ganz kurz auf Ostermaiers Spielfeld hat einwechseln lassen und ein Vorwort verfasst hat, in dem er sich nicht gerade bescheiden als "Welttorhüter" vorstellt. Aber diesem Mega-Torwart kann, folgt man dem Bewunderer Ostermaier, wohl von Natur aus keine Peinlichkeit passieren. Für ihn ist Kahn, obwohl er inzwischen als wohlgenährter Fernsehkommentator seine Titanenhaftigkeit ein wenig eingebüßt hat, omnipotent: "was er sagt hat zwei hände / gedanken zu fassen wie / einst jeden ball der auf ihn / zuschoss aus dem nichts".
Man könnte leicht behaupten, der preisgekrönte Roman- und Bühnenautor und der Insel-Verlag hätten "Flügelwechsel" deshalb im Weltmeisterschaftsjahr herausgebracht, um auch ein bisschen Profit zu machen mit der Popularität dieses Massensports. Aber so einfach ist das nicht. Ostermaiers Fußball-Oden sind keine schnelle Ware. Sie halten sich schon seit Jahren im oberen Tabellenbereich der Fußball-Literatur, und ihre Helden entstammen mehreren Epochen: Angefangen mit Julius Hirsch, dem deutschen Nationalspieler, der als Jude in Auschwitz umkam ("er hat die kugel er schiesst / das eiserne Kreuz auf der brust"), über den Argentinier Jorge Valdano, der in Mexiko beim 3:2-Finalsieg der Weltmeisterschaft von 1986 gegen Deutschland ein Tor erzielte ("die kleinen nimmermüden füsse / zeigen der nacht im schlaf / noch einmal all ihre zaubertricks"), bis zu den aktuellen Bayern-Heroen Lahm, Neuer oder Schweinsteiger. Die schönste Ode aber gilt dem Brasilianer Socrates, dessen bürgerlicher Name an sich schon ein Gedicht ist: Socrates Brasileiro Sampaio de Souza Vieira de Oliveira. Dieser Nationalspieler, der seine Elfmeter ohne Anlauf schoss, war außerdem Arzt, Trainer, Sänger, Maler, Dramaturg und Alkoholiker. An der Sucht starb er im Jahr 2011 mit nur 57 Jahren: "kein / hackentrick mit dem sich der tod / noch täuschen liesse".
Albert Ostermaiers Zuneigung zeigt sich in solchen Zeilen ungebrochen. Es scheint, als hätte der wortgewandte und wagemutige Dichter, der schon ganz andere Welten von sich überzeugt hat, all seine gefeierte Kunst in diese Poesie gelegt, als Liebesgabe an seinen spröden Sport. Dazu kommen Bilder des Münchner Malers Florian Süssmayr (laut Verlag ein Fußball-Narr), auf denen man im ersten Teil lauter leere Fußballplätze und im zweiten lauter volle Tribünen sieht. Man kann sich nicht entscheiden, woraus mehr Einsamkeit spricht.
Es ist ja wahr: Der Fußball quillt sowieso schon über von Symbolhaftem, er ist sich selbst Plot genug und braucht keinen hochbegabten Troubadix. Aber Ostermaiers Gedichte - so voller naiver und anrührender Liebe - sind der ultimative Luxusartikel für den anspruchsvollen Fußballfanatiker.
EVI SIMEONI
Albert Ostermaier:
"Flügelwechsel".
Fußball-Oden. Insel Verlag, Berlin 2014. 112 S., Abb., geb.,
13,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Wenn Albert Ostermaier über Fußball dichtet, hört Evi Simeoni das Herz des Autors und Bayern-Fans schlagen. Ob Ostermaier nun seine Oden Oliver Kahn, Philipp Lahm oder dem Brasilianer Socrates widmet, Simeoni hat keinen Zweifel, dass hier einer dem Sport und seinen Helden nicht aus bloßer Geschäftstüchtigkeit huldigt (immerhin ist heuer ja WM). Nein, Leidenschaft ist im Spiel und jede Menge Kenntnis, etwa über die innere Naivität beim Schuss oder den genialen Reflex des Keepers. Gepaart mit der Wortgewandtheit des Autors und den Bildern des Münchner Malers Florian Süssmayr, findet die Rezensentin, wird ein echter Luxusartikel für Fans draus.
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH
»Flügelwechsel ist intellektuelles Pressing. ... Zusammen mit den Fußballgemälden des Ex-Punks Florian Süssmayer (der auch das Coverbild des Buchs beisteuert) ist Flügelwechsel das beste Mitbringsel für den finalen Festabend am 13. Juli.« Jan Drees der Freitag 20140612