Seit dem Erscheinen seines ebenso brillanten wie erschütternden Romans »Flughunde« im Jahr 1995 gilt Marcel Beyer als »einer der besten jungen Romanciers der Gegenwart« (The New Yorker). »Flughunde«, mittlerweile in 14 Sprachen übersetzt, erzählt vom Ende des Zweiten Weltkriegs aus der Perspektive eines fanatischen Akustikers im Dienste der Nazis und aus der Sicht einer der Töchter Goebbels', erzählt von der Instrumentalisierung der Sprache durch die Propaganda und von Experimenten mit menschlichen Stimmen. Ulli Lust, eine der bedeutendsten deutschsprachigen Comic-Künstler und erst kürzlich mit dem Comic-Oscar, dem Prix Révélation, ausgezeichnet, legt hier Marcel Beyers verstörendes Meisterwerk als Graphic Novel vor.
Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension
Sehr gespannt beobachtet Rezensentin Katja Lüthge, wie es der Zeichnerin Ulli Lust wohl gelingen mag, Marcel Beyers Monolog-Montage-Roman "Flughunde", der vor allem Dingen die materielle Beschaffenheit von Stimm- und Geräuschaufzeichnungen zum Thema hat, in die ästhetischen Rahmenbedingungen eines Comics zu übersetzen. Und siehe - wenn schon nicht höre - das Experiment gelingt: Lust bedient sich des "ganzen Instrumentariums comictypischer Lautdarstellungen" und so quasi-tönt es einem, gesäumt von zahlreichen zackigen Sprechblasen und Speedlines, unter anderem "iiieek, flap,flap, flap, AHHHH, OHHH, mmhmm, hihihi, HUAAA, Ratratatatata" aus den Seiten entgegen. Die im "Dritten Reich" angesiedelte Geschichte um einen Tontechniker und die Goebbels-Tochter Helga wirkt nun in Lusts prägnanter Bildsprache um einiges direkter auf den Leser, beobachtet die Rezensentin weiterhin. Dies liege auch an der Art und Weise, wie Lust die Bilder in rostig-erdig bis schimmelartige Farbtöne taucht. Der Verzicht auf übliche Nazi-Ästhetik schafft überdies die Grundlage für die beklemmende Wirkung dieser Geschichte darüber, wie banal, aber auch wie lächerlich das Böse sein kann, schließt Lüthge.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.07.2013Comic Karnau, ein fanatischer Akustiker und Opportunist des Dritten Reichs, freundet sich 1945 mit Helga, der ältesten Goebbels-Tochter, an. Davon erzählt Marcel Beyers Roman "Flughunde" aus dem Jahr 1995. Ulli Lust hat nun eine Graphic Novel daraus gemacht (Suhrkamp, 24,99 Euro). Die Österreicherin ist eine phantastische Zeichnerin, diesmal aber überzeugt das Ergebnis nicht so. Der Roman setzt ganz auf die Beschreibung von Stimmen und Geräuschen, und es bleibt dem Kopf überlassen, ein Lautbild daraus zu formen. Bei Ulli Lust werden die Geräusche dagegen mit Soundwörtern ausbuchstabiert, und das hemmt einfach die Phantasie.
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Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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»Ein Buch, das lange nachhallt.«
»Flughunde ist das aufwendigste und anspruchsvollste Werk in dem Graphic-Novel-Programm, mit dem der Suhrkamp-Verlag seit 2011 seine Produktpalette erweitert hat. Eine gewagte Idee, den düsteren, in der Nazizeit spielenden Roman einer Zeichnerin anzuvertrauen, die zwar zu den besten im deutschsprachigen Raum gehört, bisher aber eher Gegenwartsstoffe illustriert hatte. Doch es hat funktioniert.« Matthias Heine DIE WELT 20130423