Produktdetails
- Verlag: Edition Thanhäuser
- Erscheinungstermin: 24. November 2020
- Deutsch
- ISBN-13: 9783900986308
- ISBN-10: 3900986304
- Artikelnr.: 60093552
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Rezensent Tobias Lehmkuhl freut sich schon auf weitere Texte von Esther Kinskys über ihre neue Wahlheimat am Tagliamento. Die Gedichte und Prosastücke in diesem Band erfreuen ihn vorläufig mit Eindrücken aus einer Mondlandschaft mit Brachvogel und Kiebitz, Lichtnelke und Wolfsmilchgewächsen. Schön findet Lehmkuhl die Beschreibungen der norditalienischen Flusslandschaft. Dass Kinsky mehr will, ahnt er aber auch. Den Blick der Autorin vergleicht er mit dem einer Biografin, die eine Charakterstudie des Geländes vorlegt. Der im Vergleich zu früheren Arbeiten laut Rezensent leichtere Ton macht die Sache für ihn nicht weniger attraktiv.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 14.08.2021Verkümmertes
Gelände
Esther Kinsky porträtiert das
„FlussLand Tagliamento“
Menschen begegnen Esther Kinsky am Tagliamento nur in Gestalt von Jägern, „ohren gespitzt und schatten von kleinwild/ baumelnd am gürtelhaken“. Die Hauptfigur in ihrem Band „FlussLand Tagliamento“ ist der Fluss selbst, oder eben: Die weite Flusslandschaft. Denn Schnee und starker Regen werden immer seltener. So liegt die längste Zeit des Jahres das nackte Flussbett da, ein Fluss aus Steinen.
Granit, Porphyr, Malachit - schon in ihrem letzten Gedichtband, „Schiefern“, nahm Esther Kinsky unterschiedliche Gesteinsschichten- und formationen in den Blick. Auf den Inneren Hebriden, wo die Schieferinseln liegen, haben die „halden, trümmerfelder“ sie mehr interessiert als pittoreske Naturpostkarten. Und auch im Friaul findet Kinsky nun „verkümmertes Gelände, mit Blick über Abraum. Stillgelegtes Werk. Kleinblütiges quillt aus Betonklüften, Holunder drängt sich vor den Schattenrissen der Berge, der hellblauen Kerbe Flusstal.“
Schönheit kann freilich auch in den Steinen liegen. Brachvogel, Rohrsänger und Kiebitz bevölkern das Flussgebiet ohnehin, und nicht zuletzt so liebliche Pflanzen wie Wolfsmilch, Flockenblume und Lichtnelke zeigen sich in dürren Zeiten dem geschulten Auge. Die Ingredienzen holder Naturseligkeit wären also zweifelsfrei gegeben.
Für Kinsky aber ist die Natur nicht Mittel zum Zweck. Mit dem neutralen, doch wissensdurstigen Blick einer Forscherin durchstreift sie das Gelände. Als eine Art Biografin erkundet sie mit höchster Wahrnehmungsintensität seine Geschichte und spürt den verbliebenen Rinnsalen nach, die sich zwischen den Kieskämmen winden „wie eine Erinnerung“.
Von den strengen Gedichten in „schiefern“ wie von den ausgreifenden Prosabänden „Am Fluss“ und „Hain“ unterscheiden sich die Gedichte und kurzen Prosastücke von „FlussLand Tagliamento“ durch einen leichteren Ton, ein gewisse, durchaus anziehende Skizzenhaftigkeit. Wie schon „Banatsko“, ihrem Buch über das ungarisch-rumänisch-serbische Grenzgebiet, die luftige Erzählung „Sommerfrische“ vorausging, so könnte „FlussLand Tagliamento“ jetzt den Auftakt bilden zu einer großräumigen Erkundung jener norditalienischen Gegend, die der Dichterin und Übersetzerin seit einiger Zeit Heimat geworden ist.
Sollte diese Hoffnung trügen, liegt mit dem Band, der von Christian Thanhäuser mit zahlreichen Holzstichen versehen wurde, immerhin eine poetische Geländekarte vor, die zugleich als Charakterstudie jener karstigen Gegend gelten kann. Sie registriert nicht ohne Witz, auch lange nachdem die letzten Jäger längst verschwunden sind, „die stille nach dem fluss“.
TOBIAS LEHMKUHL
Diese poetische Geländekarte
ist zugleich eine
Charakterstudie der Gegend
Esther Kinsky: FlussLand Tagliamento. Edition Thanhäuser. Ottensheim/Donau 2021.
96 Seiten, 24 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Gelände
Esther Kinsky porträtiert das
„FlussLand Tagliamento“
Menschen begegnen Esther Kinsky am Tagliamento nur in Gestalt von Jägern, „ohren gespitzt und schatten von kleinwild/ baumelnd am gürtelhaken“. Die Hauptfigur in ihrem Band „FlussLand Tagliamento“ ist der Fluss selbst, oder eben: Die weite Flusslandschaft. Denn Schnee und starker Regen werden immer seltener. So liegt die längste Zeit des Jahres das nackte Flussbett da, ein Fluss aus Steinen.
Granit, Porphyr, Malachit - schon in ihrem letzten Gedichtband, „Schiefern“, nahm Esther Kinsky unterschiedliche Gesteinsschichten- und formationen in den Blick. Auf den Inneren Hebriden, wo die Schieferinseln liegen, haben die „halden, trümmerfelder“ sie mehr interessiert als pittoreske Naturpostkarten. Und auch im Friaul findet Kinsky nun „verkümmertes Gelände, mit Blick über Abraum. Stillgelegtes Werk. Kleinblütiges quillt aus Betonklüften, Holunder drängt sich vor den Schattenrissen der Berge, der hellblauen Kerbe Flusstal.“
Schönheit kann freilich auch in den Steinen liegen. Brachvogel, Rohrsänger und Kiebitz bevölkern das Flussgebiet ohnehin, und nicht zuletzt so liebliche Pflanzen wie Wolfsmilch, Flockenblume und Lichtnelke zeigen sich in dürren Zeiten dem geschulten Auge. Die Ingredienzen holder Naturseligkeit wären also zweifelsfrei gegeben.
Für Kinsky aber ist die Natur nicht Mittel zum Zweck. Mit dem neutralen, doch wissensdurstigen Blick einer Forscherin durchstreift sie das Gelände. Als eine Art Biografin erkundet sie mit höchster Wahrnehmungsintensität seine Geschichte und spürt den verbliebenen Rinnsalen nach, die sich zwischen den Kieskämmen winden „wie eine Erinnerung“.
Von den strengen Gedichten in „schiefern“ wie von den ausgreifenden Prosabänden „Am Fluss“ und „Hain“ unterscheiden sich die Gedichte und kurzen Prosastücke von „FlussLand Tagliamento“ durch einen leichteren Ton, ein gewisse, durchaus anziehende Skizzenhaftigkeit. Wie schon „Banatsko“, ihrem Buch über das ungarisch-rumänisch-serbische Grenzgebiet, die luftige Erzählung „Sommerfrische“ vorausging, so könnte „FlussLand Tagliamento“ jetzt den Auftakt bilden zu einer großräumigen Erkundung jener norditalienischen Gegend, die der Dichterin und Übersetzerin seit einiger Zeit Heimat geworden ist.
Sollte diese Hoffnung trügen, liegt mit dem Band, der von Christian Thanhäuser mit zahlreichen Holzstichen versehen wurde, immerhin eine poetische Geländekarte vor, die zugleich als Charakterstudie jener karstigen Gegend gelten kann. Sie registriert nicht ohne Witz, auch lange nachdem die letzten Jäger längst verschwunden sind, „die stille nach dem fluss“.
TOBIAS LEHMKUHL
Diese poetische Geländekarte
ist zugleich eine
Charakterstudie der Gegend
Esther Kinsky: FlussLand Tagliamento. Edition Thanhäuser. Ottensheim/Donau 2021.
96 Seiten, 24 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de