Die Leiden eines jungen Lehrers-Intelligent, ironisch, witzig!
«Um permanentes Chaos im Klassenraum zu vermeiden, muss den Schülern von der ersten Minute an klar sein, wer im Unterricht der Boss ist. In meiner siebten Klasse war das Murat. Aber danach kam gleich ich, denn ich war mit Murat befreundet.»
Liebevoll mal als «Bonsai», mal als «Nabelküsser» bezeichnet, versucht Stephan Serin vor seiner Klasse zu bestehen. In amüsanten Geschichten erzählt er von den täglichen Windmühlenkämpfen, seinen Schülern etwas beizubringen, und beschreibt den ganz normalen Wahnsinn in deutschen Klassenzimmern - mit viel Sprachwitz und Selbstironie.
«Um permanentes Chaos im Klassenraum zu vermeiden, muss den Schülern von der ersten Minute an klar sein, wer im Unterricht der Boss ist. In meiner siebten Klasse war das Murat. Aber danach kam gleich ich, denn ich war mit Murat befreundet.»
Liebevoll mal als «Bonsai», mal als «Nabelküsser» bezeichnet, versucht Stephan Serin vor seiner Klasse zu bestehen. In amüsanten Geschichten erzählt er von den täglichen Windmühlenkämpfen, seinen Schülern etwas beizubringen, und beschreibt den ganz normalen Wahnsinn in deutschen Klassenzimmern - mit viel Sprachwitz und Selbstironie.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.10.2010Pippi Langstrumpf in Berlin-Mitte
Stephan Serins Beschreibung des Lehreralltags in Problemschulen krankt am unbedingten Willen zur Satire
Wer hat sie nicht schon einmal gehört, die Klage, das Schulreferendariat sei die schlimmste Zeit des Lebens? Ganz verschiedene Gründe werden dafür angeführt: Für die einen liegt es an der in Stundenvorbereitungen zu investierenden Zeit, für die anderen an der geforderten Subordination gegenüber den Ausbildungsleitern. Für manche sind es allerdings auch die ganz spezielle schulische Realität oder nur einzelne Schüler, die ihnen das Leben zur Hölle machen. Dass insbesondere in Berlin für solche Erfahrungen besondere Bedingungen gegeben sind, kann man sich leicht vorstellen.
Der Erfahrungsbericht von Stephan Serin beschreibt solche Bedingungen an einer Schule in Berlin-Mitte, hat sich allerdings selbst eine kuriose Bürde auferlegt: Er will sein Thema um jeden Preis humoristisch ausschlachten, immer auf der Suche nach Pleiten, Pech und Pannen. So präsentiert er in knapp vierzig kurzen Kapiteln eine haarsträubende Geschichte nach der anderen aus dem heutigen Schulalltag. Die harmloseren dieser Geschichten tragen Überschriften wie "Noch vierzig Minuten bis zum Pausenklingeln" und "Langenscheidt oder Handy" - wobei auch das Problem der Handys im Unterricht wohl den wenigsten Lehrern als amüsant erscheint, wenn sie mit diesen gefilmt werden und das Ergebnis dann im Internet wiederfinden können, häufig verbunden mit Verunglimpfungen.
Witzig soll zum Beispiel sein, dass die Größe einer Lerngruppe "nicht definitiv zu bestimmen" ist, weil die Schüler kommen und gehen, wie sie wollen, oder noch Freunde mitbringen, die eigentlich "bereits von der Schule abgegangen sind und nicht wissen, wo sie, bis das Gesundbrunnen-Center öffnet, die Zeit totschlagen sollen." Da es überwiegend um Fragen der Integration von Schülern mit Migrationshintergrund geht, bringt Serin ausgiebig das Comedy erprobte Migrantendeutsch zum Einsatz: "Hast Du U-Bahn?" - "Hab Bus!" - "Weißdu gestern?" - "Nee, weiß nisch." - "Musstu wissen gestern."
Der Autor will einerseits das Spaßpotential von solchen Dialogen nutzen, kommentiert dann aber scheinbar sorgenvoll: "Mir bereitete die Sprache der Schüler fast körperliche Schmerzen, denn ich war von meinen Eltern früh dazu erzogen worden, auf meine Ausdrucksweise zu achten." Die besorgte Haltung nimmt man ihm allerdings zunehmend weniger ab, wenn er dann auch die Schilderung schlimmerer Missstände krampfhaft auf Pointen hin zu trimmen versucht.
Zur Kulmination kommt diese nicht nachvollziehbare Verkehrung ins Komische im Kapitel "Aussprache auf Arabisch". Serin schildert darin, wie ein schlecht benoteter Schüler ihm Schläge androht, sollte er seine Bewertung nicht abändern. Daraufhin geht der Referendar zum Schulleiter, der die Mutter des Schülers einbestellt. Mutter und Sohn erscheinen zum Gespräch, die Mutter kann allerdings kein Deutsch. Die Vorwürfe gegen den Sohn müssen also von diesem selbst für die Mutter ins Arabische übersetzt werden. Der Sohn nutzt die Gelegenheit, um aus den Lehreraussagen etwas völlig anderes zu machen, nämlich die behauptete Beleidigung durch türkische Mitschüler. Die Reaktion der Mutter wiederum übersetzt der Sohn als elterliche Drohung, ihn wegen Fehlverhaltens in den Libanon zurückzuschicken und bewegt durch diese doppelte Täuschung den Lehrer dazu, aus Mitleid ein Auge zuzudrücken. Der ernste und durchaus realistische Hintergrund der Gewalt von Schülern gegen Lehrer wird damit verharmlost.
Die Nichtintegration wird hier zur Komödie, das Scheitern der Schule zum Slapstick-Gag, was durch die fahrigen Zeichnungen des Illustrators Ulrich Scheel noch unterstrichen wird. Auch sie, in denen Schüler munter über Stühle und Tische gehen, als solle eine Erzählung von Pippi Langstrumpf bebildert werden, tragen zur Verharmlosung bei. Geschmacklos erscheint insbesondere die cartoonistische Darstellung eines Amoklaufes.
Wenn man Serins Buch etwas zugutehalten kann, so sind es die treffenden Beschreibungen der Referendarsausbildung - der Gegensatz zwischen dem Anspruch der Seminarleiter und ihrer eigenen Unzulänglichkeit, die teilweise tatsächlich amüsante Schilderung von Bürokratie. Dieser Teil des Buches kann jedoch das Grundfalsche seiner Verniedlichungstendenz nicht wettmachen. Bedenkt man darüber hinaus noch, dass nicht alle Lehrkräfte mit einem ausreichend dicken Fell für die Härten ihres Berufs ausgestattet sind - man könnte hier exemplarisch an die bewegende Geschichte einer jungen Lehrerin in Maren Ades Film "Der Wald vor lauter Bäumen" erinnern -, dann wirkt der vermeintliche Spaß doch eher wie Hohn.
JAN WIELE
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Stephan Serins Beschreibung des Lehreralltags in Problemschulen krankt am unbedingten Willen zur Satire
Wer hat sie nicht schon einmal gehört, die Klage, das Schulreferendariat sei die schlimmste Zeit des Lebens? Ganz verschiedene Gründe werden dafür angeführt: Für die einen liegt es an der in Stundenvorbereitungen zu investierenden Zeit, für die anderen an der geforderten Subordination gegenüber den Ausbildungsleitern. Für manche sind es allerdings auch die ganz spezielle schulische Realität oder nur einzelne Schüler, die ihnen das Leben zur Hölle machen. Dass insbesondere in Berlin für solche Erfahrungen besondere Bedingungen gegeben sind, kann man sich leicht vorstellen.
Der Erfahrungsbericht von Stephan Serin beschreibt solche Bedingungen an einer Schule in Berlin-Mitte, hat sich allerdings selbst eine kuriose Bürde auferlegt: Er will sein Thema um jeden Preis humoristisch ausschlachten, immer auf der Suche nach Pleiten, Pech und Pannen. So präsentiert er in knapp vierzig kurzen Kapiteln eine haarsträubende Geschichte nach der anderen aus dem heutigen Schulalltag. Die harmloseren dieser Geschichten tragen Überschriften wie "Noch vierzig Minuten bis zum Pausenklingeln" und "Langenscheidt oder Handy" - wobei auch das Problem der Handys im Unterricht wohl den wenigsten Lehrern als amüsant erscheint, wenn sie mit diesen gefilmt werden und das Ergebnis dann im Internet wiederfinden können, häufig verbunden mit Verunglimpfungen.
Witzig soll zum Beispiel sein, dass die Größe einer Lerngruppe "nicht definitiv zu bestimmen" ist, weil die Schüler kommen und gehen, wie sie wollen, oder noch Freunde mitbringen, die eigentlich "bereits von der Schule abgegangen sind und nicht wissen, wo sie, bis das Gesundbrunnen-Center öffnet, die Zeit totschlagen sollen." Da es überwiegend um Fragen der Integration von Schülern mit Migrationshintergrund geht, bringt Serin ausgiebig das Comedy erprobte Migrantendeutsch zum Einsatz: "Hast Du U-Bahn?" - "Hab Bus!" - "Weißdu gestern?" - "Nee, weiß nisch." - "Musstu wissen gestern."
Der Autor will einerseits das Spaßpotential von solchen Dialogen nutzen, kommentiert dann aber scheinbar sorgenvoll: "Mir bereitete die Sprache der Schüler fast körperliche Schmerzen, denn ich war von meinen Eltern früh dazu erzogen worden, auf meine Ausdrucksweise zu achten." Die besorgte Haltung nimmt man ihm allerdings zunehmend weniger ab, wenn er dann auch die Schilderung schlimmerer Missstände krampfhaft auf Pointen hin zu trimmen versucht.
Zur Kulmination kommt diese nicht nachvollziehbare Verkehrung ins Komische im Kapitel "Aussprache auf Arabisch". Serin schildert darin, wie ein schlecht benoteter Schüler ihm Schläge androht, sollte er seine Bewertung nicht abändern. Daraufhin geht der Referendar zum Schulleiter, der die Mutter des Schülers einbestellt. Mutter und Sohn erscheinen zum Gespräch, die Mutter kann allerdings kein Deutsch. Die Vorwürfe gegen den Sohn müssen also von diesem selbst für die Mutter ins Arabische übersetzt werden. Der Sohn nutzt die Gelegenheit, um aus den Lehreraussagen etwas völlig anderes zu machen, nämlich die behauptete Beleidigung durch türkische Mitschüler. Die Reaktion der Mutter wiederum übersetzt der Sohn als elterliche Drohung, ihn wegen Fehlverhaltens in den Libanon zurückzuschicken und bewegt durch diese doppelte Täuschung den Lehrer dazu, aus Mitleid ein Auge zuzudrücken. Der ernste und durchaus realistische Hintergrund der Gewalt von Schülern gegen Lehrer wird damit verharmlost.
Die Nichtintegration wird hier zur Komödie, das Scheitern der Schule zum Slapstick-Gag, was durch die fahrigen Zeichnungen des Illustrators Ulrich Scheel noch unterstrichen wird. Auch sie, in denen Schüler munter über Stühle und Tische gehen, als solle eine Erzählung von Pippi Langstrumpf bebildert werden, tragen zur Verharmlosung bei. Geschmacklos erscheint insbesondere die cartoonistische Darstellung eines Amoklaufes.
Wenn man Serins Buch etwas zugutehalten kann, so sind es die treffenden Beschreibungen der Referendarsausbildung - der Gegensatz zwischen dem Anspruch der Seminarleiter und ihrer eigenen Unzulänglichkeit, die teilweise tatsächlich amüsante Schilderung von Bürokratie. Dieser Teil des Buches kann jedoch das Grundfalsche seiner Verniedlichungstendenz nicht wettmachen. Bedenkt man darüber hinaus noch, dass nicht alle Lehrkräfte mit einem ausreichend dicken Fell für die Härten ihres Berufs ausgestattet sind - man könnte hier exemplarisch an die bewegende Geschichte einer jungen Lehrerin in Maren Ades Film "Der Wald vor lauter Bäumen" erinnern -, dann wirkt der vermeintliche Spaß doch eher wie Hohn.
JAN WIELE
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