Einen »Nordlandsmenschen« hat Theodor Fontane sich selbst genannt, doch die Grand Tour durch Italien ließ er sich nicht entgehen: Vom Anhalter Bahnhof in Berlin reiste er 1874 mit der Eisenbahn und Frau Emilie nach Verona, Venedig, Florenz, Rom und Neapel. Er genoss die Annehmlichkeiten des modernen Reisens inklusive reduziertem Rundreisebillett, Baedeker, Gepäckträger, Grandhotel und Absinth im Café. In Notizbüchern und Briefen hielt er seine Beobachtungen fest, die großen Sehenswürdigkeiten in den Museen und die flüchtigen Begegnungen mit den Menschen. Und obwohl Fontane dem Süden gegenüber skeptisch blieb (»Sehnsucht nach Teppich und Doppelfenster!«), finden sich seine Italien-Eindrücke in den großen Romanen wieder: »Das ist ja wie Capri!«, sagt Effi Briest, als sie mit Instetten nach Rügen kommt. In Schach von Wuthenow und L'Adultera befreien sich die Frauen der Gesellschaft in Preußen durch Flucht nach Italien.Dieter Richter folgt Fontanes Spuren sichtlich vergnügt und gewohnt kenntnisreich. Auf den noch nicht ausgetretenen Touristenpfaden entdeckt er bisher unbekannte Verbindungen zwischen Werk und Leben. Mit vielen Abbildungen und zwei erstmals vollständig publizierten Reiseerinnerungen Fontanes aus dem Nachlass.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 17.10.2019Irrungen, Wirrungen
Italien war das Sehnsuchtsziel der Massen, und die Bahn half ihnen, es zu erreichen: Von 1864 bis 1884 verdoppelte sich in Neapel die Zahl der ausländischen Gäste - einer von ihnen war Theodor Fontane, ganz Vertreter dieses bürgerlichen Saeculums. Seine Reisen nach London, Schottland, zu Preußens Schlachtfeldern und in die Mark sind kaum weniger bekannt als die Romane, in denen ebenfalls und viel gereist wird. Dass er zweimal auch in Italien war, von seiner Frau Emilie begleitet, ist wenigen bewusst; dass Goethes Arkadien nicht seines werden würde, damit war zu rechnen. Dieter Richter ist es in einem sehr lesbaren Essay gelungen, die Umstände, die Resonanz und die möglichen Folgen dieser Bildungsreisen in argumentativ klaren Schritten darzulegen sowie die Ambivalenz des Autors gegenüber seinem Ziel verstehbar zu machen und mit dem Autor selbst zu überwinden: Nicht der Vesuv, die Müggelberge sind seine Bestimmung! Er reist kein Jahr, wie das die Alten noch für wahre Bildung nötig hielten, doch er gibt sich ausgesprochen Mühe, schon beim ersten Mal - und er schreibt dabei: Verona, fünf Tage je Venedig und Florenz, 18 Tage Rom und 13 für Neapel; elf Monate darauf noch einmal, nun nach Pisa und in die Emilia Romagna. Zwei dieser Städtebilder ihrer zweiten Reise, zu Pisa und Bologna, hat Richter aus der Handschrift erstmals vollständig ediert. Meist folgten die Fontanes ihrem Baedeker, allemal beim Quartier, ins erste Haus am Platz. Wer mag, kann aus ihrer Neigung bei der Wahl, der "Birreria" in Rom, dem "Bauer-Grünwald" in Venedig, die Sehnsucht nach "dem Deutschen" ablesen, die bisweilen von "den Deutschen", die man traf, gelindert wurde - und geweckt. Der Romancier Fontane trat später auf. Rom hat, als Reiseziel, in seinem großen Werk den Platz, den es in der Gesellschaft Preußens hatte. Als Gradmesser von Bildungswissen oder Herzensgüte und als Ziel von Hochzeitsreisen. In "L'Adultera" wie in "Graf Petöfy", in "Effi Briest" wie im "Stechlin": Stets schafft die italienische Hochzeitsreise Maßstäbe für das Leben in Preußen, für den Protagonisten, mehr noch für den Leser. Und selbst wenn die Hochzeitsreise nicht nach Italien führt, in "Mathilde Möhring" und "Irrungen, Wirrungen", markiert sie vor der Folie des Wunschziels die beschränkten Möglichkeiten ihres Personals. Eine Hochzeitsreise besiegelt gar als bloßes Motiv innerhalb der Erzählung Preußens moralischen Niedergang: Die auf ein Jahr als Camouflage geplante Italien-Reise Schachs von Wuthenow und der pockennarbigen Victoire, die von ihm schwanger ist. Schach entzieht sich seiner Pflicht der falschen Ehre wegen und erschießt sich.
mbe
"Fontane in Italien" von Dieter Richter. Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 2019. 141 Seiten, einige Abbildungen. Gebunden, 18 Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Italien war das Sehnsuchtsziel der Massen, und die Bahn half ihnen, es zu erreichen: Von 1864 bis 1884 verdoppelte sich in Neapel die Zahl der ausländischen Gäste - einer von ihnen war Theodor Fontane, ganz Vertreter dieses bürgerlichen Saeculums. Seine Reisen nach London, Schottland, zu Preußens Schlachtfeldern und in die Mark sind kaum weniger bekannt als die Romane, in denen ebenfalls und viel gereist wird. Dass er zweimal auch in Italien war, von seiner Frau Emilie begleitet, ist wenigen bewusst; dass Goethes Arkadien nicht seines werden würde, damit war zu rechnen. Dieter Richter ist es in einem sehr lesbaren Essay gelungen, die Umstände, die Resonanz und die möglichen Folgen dieser Bildungsreisen in argumentativ klaren Schritten darzulegen sowie die Ambivalenz des Autors gegenüber seinem Ziel verstehbar zu machen und mit dem Autor selbst zu überwinden: Nicht der Vesuv, die Müggelberge sind seine Bestimmung! Er reist kein Jahr, wie das die Alten noch für wahre Bildung nötig hielten, doch er gibt sich ausgesprochen Mühe, schon beim ersten Mal - und er schreibt dabei: Verona, fünf Tage je Venedig und Florenz, 18 Tage Rom und 13 für Neapel; elf Monate darauf noch einmal, nun nach Pisa und in die Emilia Romagna. Zwei dieser Städtebilder ihrer zweiten Reise, zu Pisa und Bologna, hat Richter aus der Handschrift erstmals vollständig ediert. Meist folgten die Fontanes ihrem Baedeker, allemal beim Quartier, ins erste Haus am Platz. Wer mag, kann aus ihrer Neigung bei der Wahl, der "Birreria" in Rom, dem "Bauer-Grünwald" in Venedig, die Sehnsucht nach "dem Deutschen" ablesen, die bisweilen von "den Deutschen", die man traf, gelindert wurde - und geweckt. Der Romancier Fontane trat später auf. Rom hat, als Reiseziel, in seinem großen Werk den Platz, den es in der Gesellschaft Preußens hatte. Als Gradmesser von Bildungswissen oder Herzensgüte und als Ziel von Hochzeitsreisen. In "L'Adultera" wie in "Graf Petöfy", in "Effi Briest" wie im "Stechlin": Stets schafft die italienische Hochzeitsreise Maßstäbe für das Leben in Preußen, für den Protagonisten, mehr noch für den Leser. Und selbst wenn die Hochzeitsreise nicht nach Italien führt, in "Mathilde Möhring" und "Irrungen, Wirrungen", markiert sie vor der Folie des Wunschziels die beschränkten Möglichkeiten ihres Personals. Eine Hochzeitsreise besiegelt gar als bloßes Motiv innerhalb der Erzählung Preußens moralischen Niedergang: Die auf ein Jahr als Camouflage geplante Italien-Reise Schachs von Wuthenow und der pockennarbigen Victoire, die von ihm schwanger ist. Schach entzieht sich seiner Pflicht der falschen Ehre wegen und erschießt sich.
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"Fontane in Italien" von Dieter Richter. Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 2019. 141 Seiten, einige Abbildungen. Gebunden, 18 Euro.
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»Dieter Richter ist ein glänzender Essayist. Für alle, die wissen, dass Arkadien jenseits der Alpen liegt, ist dieses Buch die ideale Lektüre.« Ijoma Mangold, ZDF, über »Der Süden. Geschichte einer Himmelsrichtung«