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Helmuth Nürnberger ist Vorsitzender der Theodor-Fontane-Gesellschaft und befaßt sich seit Jahrzehnten mit Leben und Werk Fontanes. Aus Anlaß des 100. Todestages im Jahr 1998 legt er diesen Text-Bild-Band vor, in dem er den Spuren des großen Schriftstellers folgt.

Produktbeschreibung
Helmuth Nürnberger ist Vorsitzender der Theodor-Fontane-Gesellschaft und befaßt sich seit Jahrzehnten mit Leben und Werk Fontanes. Aus Anlaß des 100. Todestages im Jahr 1998 legt er diesen Text-Bild-Band vor, in dem er den Spuren des großen Schriftstellers folgt.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 04.11.1997

Frachtwagen im märkischen Sand
Helmuth Nürnberger und Gordon A. Craig zeigen ihren Fontane / Von Hermann Kurzke

Stark wie der Tod ist die Liebe. Im Koordinatenkreuz von Liebe und Tod kann man eines jeden Menschen Seele definieren. Die Liebe ist das, was ihn manchmal herausreißt aus dem, wozu er abgerichtet wurde. Der Tod ist der große Satiriker, er macht alles lächerlich, die Gesellschaft, die Geschichte, das Geld.

Helmuth Nürnberger erzählt uns alle Einzelheiten aus Fontanes Welt, aber etwas schwer Bestimmbares fehlt: ein Ziel und Wille zu etwas Lebenswichtigem, ein metaphysisches Aroma. Das Buch steht da wie ein Riesenmosaik in einem zu kleinen Raum. Man sieht zahlreiche Steinchen, aber kein Bild. Das hugenottische Erbe, die Apothekerlaufbahn, der Tunnel über der Spree, Emilie, Geldsorgen, Schottisches, Kriegsberichter, Kreuzzeitung, Theaterkritik, Effi und der Stechlin: es ist alles da, alles hörenswert und qualitativ einwandfrei, auf neuestem Stand, aber die Frage will nicht verstummen, auch nach vierhundert zweispaltig engbedruckten Seiten nicht, warum man das eigentlich alles gelesen habe. Wahrscheinlich liebt Nürnberger Fontane, aber es gelingt ihm nicht, diese Liebe mitzuteilen. Unbarmherzig schaut ihm ein imaginäres Publikum aus Krittlern und Kollegen über die Schulter. Er verbietet sich Begeisterung, Anteilnahme, Parteilichkeit, Privates. Der Mut, sich zu etwas zu bekennen und den Lesern Vorbilder zu zeigen, diskreditiert einen bei den meisten deutschen Professoren als Dilettanten. Ein dickes Buch ohne diesen Mut aber muß staubgrau werden.

Fontane war kein Professor. Daß er in späten Jahren einen Ehrendoktor erhielt, quittierte er mit Ironie. Er hat zwar immer fleißig studiert, aber nicht seinen Recherchen verdanken seine Bücher ihren Reiz, sondern dem, was als unwissenschaftlich gilt, dem Tonfall, der persönlichen Färbung, dem Urteil - mag es auch wackeln. Der amtierende Altmeister der Fontane-Forschung weiß das alles. Er geht mit besten Vorsätzen ans Werk. Die ersten Seiten, ein vorausschauendes Gesamtporträt, sind geschliffen und reich an spritzigen Sentenzen, beglückt wandert man hinein in die Kindheits- und Jünglingsjahre, doch allzu bald erlahmt die frische Morgenbrise, das Wissen vermehrt sich, aber es beflügelt nicht, sondern drückt, die angehäufte Last macht immer langsamer, schwer mahlen am Ende die Räder im märkischen Sand. Nürnberger mag an Richard Wagner gedacht haben, dessen Musik Lenbach einen Frachtwagen nach dem Himmelreich nannte; aber nicht jeder Frachtwagen hat Flugeigenschaften.

Gordon Craig macht alles ganz anders: Selbst ein Profi, lobt der hochbetagte schottisch-amerikanische Historiker den Amateur Fontane auf Kosten seiner Wissenschaftskollegen: Er sagt, es bestehe nicht der geringste Zweifel, daß die meisten akademischen Positionen im Fach Geschichte mit ausgesprochenen Langweilern besetzt waren und sind. Das erfrischt. Wie sich Fontane heute fühlen würde beim Wandern in der Mark, solche unakademische Fragen erörtert er unbekümmert. Das Buch gibt uns das Fontane-Erlebnis von Gordon Craig, seine Begeisterung, seine Urteile, seine Gefühle. Er reist seinem Lieblingsautor nach und pilgert durch die Mark Brandenburg erst in Zeiten der sich auflösenden DDR, erschüttert von Tristesse, dann noch einmal Jahre nach der Wende. Die Kneipen sind inzwischen besser geworden. "Abends speisten wir ausgezeichnet im ,Glücklichen Hecht'." Ja, es gibt rührend Triviales in diesem Buch. Es ist eine Plauderei über den Plauderer, ein Gespräch unter Freunden, mit viel Nacherzähltem und geschmückt mit Fontanes Pointen. Was Nürnberger zuviel hat, hat Craig zuwenig: Forschungsehrgeiz, Erkenntnisdrang, Lust auf neue Quellen und Einzelheiten. Während Nürnberger allem nachgeht, sei es bemerkenswert oder nicht, bleibt Craig im herkömmlichen Fontane-Kanon. Er redet nur über das, was geblieben ist. Der Wanderer, der Kriegsberichter, der Theaterkritiker und der Romancier Fontane beschäftigten ihn, nicht der Apotheker, der Achtundvierziger oder der Familienvater.

Was verstehen Zivilisten vom Krieg und von seinen Geheimnissen? Nichts und wieder nichts, meinen die Militärs und halten Kriegsgeschichte für die Sache von Berufssoldaten. Fontane ist die große Ausnahme. Seine Schriften über die Kriege von 1864, 1866 und 1879 überdauern das, was die Fachleute geschrieben haben - das glaubt jedenfalls Craig, während Nürnberger an einer der wenigen Stellen, wo er sich ein vorsichtiges Urteil erlaubt, die Kriegsbücher den am meisten zeitgebundenen Teil des Fontaneschen Werkes nennt. Während Craig die Kriegsberichte preisend nacherzählt, unterrichtet uns Nürnberger detailliert über Fontanes Militärdienstjahr, über seine Ausflüge in die Kriegsgebiete und über die Abenteuer der Kriegsgefangenschaft 1870, als der Dichter mit naiver Beherztheit hinter die Front spaziert war, um von dort zu berichten, und natürlich prompt als Spion verhaftet wurde und in Lebensgefahr geriet. Es bedurfte eines beträchtlichen diplomatischen Aufwandes, um ihn zu befreien. Bismarck selbst wurde tätig und bat den amerikanischen Botschafter um Vermittlung. Die Aktion glückte. Fontane wußte, was er zu tun hatte. Schon zwei Monate nach seiner Freilassung hatte der neugierige Militärtourist das Buch fertig ("Kriegsgefangen"). Ein Künstler kann alles brauchen.

Politisch gebe es von Theodor Fontane kaum etwas Bemerkenswertes, urteilt Craig und ist schnell fertig. Auch Bismarck habe nur als Persönlichkeit interessiert, nicht als Politiker. Nürnberger aber informiert uns sorgfältig, wie Fontane zur Ära Manteuffel stand, wie zur Kreuzzeitung, wie zu Bismarck, und liefert ein geschliffenes Mosaiksteinchen über Fontanes revolutionären Eifer im Jahre 1848. Freilich gelingt es auch ihm nicht recht, die sprunghaften Wandlungen des politisierenden Schriftstellers zu erklären. Wie konnte der patriotische Schilderer preußischer Haudegen 1848 zum Barrikadenschwärmer werden, wie konnte er wenig später in den Dienst der Reaktion treten, wie lassen sich Adelsnostalgie und Interesse für den vierten Stand vereinen? Die Rätsel dieser Persönlichkeit bleiben ungelöst. War die Unbeständigkeit politisches Unvermögen oder skeptische Weisheit? Eine wirkliche Antwort bleiben beide Bücher schuldig.

Theodor Fontane hat heute keine Gegner mehr, und das ist schlecht für einen Schriftsteller. Er rutscht ins Romantische ab. Das scharf Ausgeleuchtete, niemals Dämmrige seiner Sicht droht gemütlich zu werden. Es liegt nicht an ihm, sondern am Lauf der Zeit. Die märkischen Befindlichkeiten vor 1914 sind heute, nach so furchtbaren Zerstörungen und Veränderungen, unweigerlich gute alte Zeiten geworden. Man liest Fontane nostalgisch, nicht mehr analytisch. Der "Stechlin", damals ein Gegenwartsroman, ist heute ein abendlich besonntes Idyll aus tief versunkenen Tagen. Am Stechlinsee steht heute ein Atomkraftwerk. Nürnberger erklärt zwar einleitend, gegen das biedermeierliche Fontane-Bild des "heiteren Darüberstehens" eingestellt zu sein. Aber indem er uns durch seine quellentreue Ausführlichkeit die verklärte Perspektive verstellt, die doch eine heute berechtigte ist, sofern sie grundiert ist von der Wehmut eines wirklichen Verlustes, nimmt er uns die lebendige Anteilnahme überhaupt. Sein Fontane ist erst recht ein Mann nur des neunzehnten Jahrhunderts, das bald nicht mehr das vorige, sondern das vorvorige sein wird, sehr weit weg von uns.

Craig wie Nürnberger halten wenig von Psychologie, noch weniger von jener eindringlichen, die als Psychoanalyse Erklärungen dafür sucht, warum die Beschwernisse eines Lebenslaufs ihr Ventil ausgerechnet im Bücherschreiben finden. Fontane hat viel für Geld geschrieben, das ist wahr, aber das kann ja wohl nicht alles sein. Eine Tiefenpsychologie seines Schaffens wäre notwendig. Nürnberger liefert einige Bausteine dafür, sofern er die kuriose Privaterziehung durch den Vater lebendig beschreibt, einen geschichtsreichen Kauz, der seine Apotheke verspielte, worauf seine Gattin ihn verließ. Hier liegen Prägungen. Auch über Fontanes Frau Emilie schreibt Nürnberger Gutes und rückt sie aus des Dichters Schatten, denn sie hatte Verstand, Leidensfähigkeit und, gerade in den schwersten Jahren, als kein Geld da war und sieben Geburten durchzustehen, drei Söhne nach wenigen Lebenstagen zu beerdigen waren, eine unverwandelbare Treue und Liebe zu ihrem Mann. Ob er wirklich ein Dichter sei, bezweifelte sie allerdings bis zum Ende. Er hatte Grund zu klagen, "es mag liegen wie es will, das Ende vom Liede bleibt doch immer, daß ich Unrecht habe. Mal sagst Du's freundlich, mal unfreundlich, aber es bleibt immer dasselbe. Streite ich mit dem dümmsten Menschen über Kunst, schreibt mir wer einen anzüglichen Brief, findet wer meine Kritik zu scharf, meine Bücher zu langweilig - Du sekundierst immer meinem Gegner." Sie hat ihn kritisiert, das spornte ihn an, aber seine Muse war sie nicht.

Mit fünfzehn gab es Minna Krause, Fontanes erste, glücklose Liebe. Er war ihr zu wenig, das wurmte. Sie war unerreichbar, aber die Erinnerung sollte ihn nie verlassen und spricht aus manchen seiner Gedichte. Aus einem Brief an Lepel wissen wir ferner von zwei unehelichen Kindern, für die Fontane zahlen mußte, aus der Zeit kurz vor seiner Verlobung mit Emilie. Es ist sonst nichts darüber bekannt, aber man darf doch vermuten, wenn es gleich zwei Kinder sind, daß dahinter eine umfängliche Geschichte verborgen ist. Er verstand etwas von der Liebe und von der Ehe, auch vom Verzichten und vom Unglück, er hätte sonst "Effi Briest" nicht schreiben können, "Cécile" nicht und "Irrungen Wirrungen" nicht.

Der Tod kam wie Zieten aus dem Busch, plötzlich, schmerzlos, Exitus. Man kann mit drei Zeilen damit fertig sein. Aber Fontane wußte mehr vom Tode. Er hatte seinen Vater sterben sehen und überlebte vier seiner Söhne. Er kannte den Tod auf dem Schlachtfeld und im Lazarett. Ausführlich läßt er einen Alten sterben, in seinem Roman "Der Stechlin". Dubslav von Stechlin nimmt seinen Abschied, ohne viel Aufhebens davon zu machen, denn "er war recht eigentlich frei", wie Pastor Lorenzen sagt, der die Grabrede hält. Er hatte die Liebe, heißt es dort weiter, ist nun eingegangen in seines Vaters Wohnungen und wird da die Himmelsruhe haben, die der Segen aller Segen ist. Fontane war nur ganz verhalten religiös, er liebte zwar Landpastoren und ging gelegentlich zum Gottesdienst, aber das fromme Schwatzen mochte er nicht. Er plaudert ausführlichst über Nebensächliches, aber um den Tod wie um die große Liebe breitet er einen Raum der Schonung und des Schweigens.

Helmuth Nürnberger: "Fontanes Welt". Siedler Verlag, Berlin 1997. 448 S., geb., 98,- DM.

Gordon A. Craig: "Über Fontane".Aus dem Amerikanischen übersetzt von Jürgen Baron von Koskull. Verlag C. H. Beck, München 1997. 297 S., geb., 38,- DM.

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