Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 28.12.2009Die Krise und die Ökonomen
Die Wirtschaftsbücher des Jahres
Viele Menschen wollen aus gutem Grund nichts mehr von der Finanzkrise hören, und dies nicht nur, weil sich die Wirtschaft und die Kapitalmärkte zu erholen scheinen. Überdies ist der homo sapiens so gestrickt, dass er nach Tiefschlägen wieder unverdrossen nach vorne schaut. Würde er in Trübsinn und Schwarzmalerei versinken, hätte ihn die Evolution vermutlich längst aussortiert.
Dennoch war das Jahr 2009 innerhalb der Wirtschaftsliteratur noch einmal ein Jahr der Krisenbücher. Das international herausragende Werk, von dem leicht prognostiziert werden kann, dass es im Unterschied zu den meisten Vertretern dieses Genres Bestand haben dürfte, stammt von den amerikanischen Ökonomen Carmen Reinhart und Kenneth Rogoff. "This Time is different" (Dieses Mal ist es anders) besitzt das Zeug zum neuen Standardwerk über Finanzkrisen.
Auf einer einmalig breiten Datenbasis beruhend, klar gegliedert und zupackend analysiert, versorgt es den Leser mit einer beeindruckenden Fülle an Informationen und Erläuterungen über Finanzkrisen aus acht Jahrhunderten, ohne besserwisserisch daherzukommen. Vielmehr ist das Buch wie ein zwar schon sehr geräumiges, aber doch noch ausbaufähiges Haus angelegt: Zusätzliche Informationen dürften künftige Auflagen bereichern, zumal die definitive Geschichte der im Jahre 2007 ausgebrochenen Krise einfach deshalb noch nicht geschrieben wurde, weil es hierfür zu früh ist.
Auch auf dem reichgedeckten Tisch deutschsprachiger Krisenbücher ragt ein Werk heraus: Hans-Werner Sinns "Kasino-Kapitalismus" ist gottlob weniger reißerisch geraten, als es der Titel vermuten lässt. Statt dessen ist Sinn von der Erkenntnis ausgegangen, dass gute Ökonomik auf dem Dreiklang von Theorie, Empirie und Institutionenlehre beruht. Und da sich der Münchener Ökonom auch als ein sehr guter Kenner der Praktiken und Produkte an den Finanzmärkten erweist, ist sein Buch ebenso informativ wie lehrreich geworden, auch wenn der geneigte Leser nicht jeder Schlussfolgerung des prominenten Autors zustimmen muss.
"The Myth of the Rational Market" (Der Mythos des rationalen Marktes) des amerikanischen Wirtschaftsjournalisten Justin Fox ist eine spannend und kundig geschriebene Geschichte über eine höchst einflussreiche ökonomische Theorie: die Theorie der effizienten Finanzmärkte. Fox erzählt ihre Entstehung, Ausbreitung und die an ihr geübte Kritik aus der Perspektive bedeutender Ökonomen, deren Namen sich mit dieser Theorie verbinden. Irving Fisher, Harry Markowitz, Paul Samuelson, Franco Modigliani, Merton Miller, Gene Fama, Fisher Black, Michael Jensen, Richard Thaler, Andrei Shleifer, Robert Shiller und andere - es sind die Großen der Zunft, anhand deren Gedanken und Arbeiten der Leser auf leicht verständliche Weise und ohne jede mathematische Formel mit einer der folgenreichsten, aber auch umstrittensten ökonomischen Theorien aller Zeiten vertraut gemacht wird. Diese Art des typisch amerikanischen Sachbuchs ist in Deutschland leider nicht sehr verbreitet.
Wer die jüngste Finanzkrise verstehen will, kommt ohne Kenntnisse der modernen Finanzmärkte nicht aus. Gillian Tett, eine preisgekrönte Redakteurin der britischen Wirtschaftszeitung "Financial Times", kennt moderne Märkte und ihre Teilnehmer. Ihr von der Kritik hoch gelobtes Buch "Fool's Gold" (Gold der Narren) erzählt die Geschichte einer der wichtigsten Finanzinnovationen der vergangenen Jahre, die es während der Krise auch außerhalb der Finanzszene zu einiger Berühmtheit gebracht hat: Es geht um den Credit Default Swap (CDS), eine Art handelbare Kreditversicherung. Tett hat mit den Schöpfern dieses Produkts sowie mit vielen anderen Marktteilnehmern gesprochen und eine Art Insidergeschichte aus der Welt der Bankentürme geschrieben, die gleichzeitig als eine Milieustudie über das Investmentbanking verstanden werden kann. Die Kombination aus Naivität und Hybris, mit der die Banker in die Krise stolperten, wirkt geradezu beklemmend.
Der japanische Ökonom Takashi Negishi vertritt die Auffassung, dass alle wichtigen ökonomischen Ideen bereits in den Schriften der Klassiker des Fachs zu finden seien und die zeitgenössischen Fachvertreter nur noch an der Ausarbeitung alter Ideen feilten. Auch wer diese Auffassung nicht teilt, wird im Leben und Werk der Altvorderen viele lehrreiche Einsichten (wie auch manche Irrtümer) finden.
Der Grazer Ökonom und Dogmenhistoriker Heinz D. Kurz hat in zwei Taschenbüchern Porträts wichtiger Ökonomen herausgegeben, die von Fachleuten kompetent und verständlich verfasst wurden, sofern der Leser ein ökonomisches Grundwissen mitbringt. Die anregende und lehrreiche Zeitreise beginnt mit William Petty im 17. Jahrhundert und endet in der Gegenwart mit Kenneth Arrow, Amartya Sen und dem gerade verstorbenen Paul Samuelson. Die Beiträge umfassen jeweils rund 20 Seiten und sind nach dem bewährten Muster "Leben - Werk - Wirkung" aufgebaut.
Er wäre lieber ein Tischler im Berner Oberland als ein Millionär in New York, hat Wilhelm Röpke (1899 bis 1966) einmal gesagt. Es ist vermutlich kein Zufall, dass im Zuge der Beschäftigung mit den Vätern des deutschen Ordoliberalismus und der Sozialen Marktwirtschaft Röpke seit einigen Jahren mindestens so viel Aufmerksamkeit findet wie Walter Eucken, das unbestrittene Haupt des Ordoliberalismus.
So erschien im Jahr 2009 zunächst im Manuscriptum-Verlag eine lehrreiche Sammlung mit Aufsätzen Röpkes unter dem beziehungsreichen Titel "Marktwirtschaft ist nicht genug"; außerdem haben Heinz Rieter und Joachim Zweynert als Herausgeber im Metropolis-Verlag einen Band mit Aufsätzen moderner Ökonomen über Röpke veröffentlicht. Kurz vor dem Jahresende hat nun der Verlag Handwerk mit dem ursprünglich 1958 erschienenen "Jenseits von Angebot und Nachfrage" Röpkes letzte und, von seinem Lehrbuch für Anfänger abgesehen, vielleicht verbreitetste Monographie neu aufgelegt. Sie zeigt ihn in der für diesen Autor typischen Verbindung eines liberalen Marktwirtschaftlers mit einem konservativen und bodenständigen Sozialphilosophen und Kulturkritiker.
Damit grenzte sich Röpke nicht nur vom traditionellen Feindbild des Liberalismus ab: dem Kollektivismus und dem Zentralismus sowie staatlichem Machbarkeitswahn. Röpke unterschied sich auch deutlich von radikaleren Liberalismus-Interpretationen wie etwa der Österreichischen Schule. Wirtschaftlicher Wettbewerb war für ihn auch ein "Moralzehrer", der die Wolfsnatur im Menschen aktivierte. Moralische Reserven sollten die Menschen nach seiner Ansicht in anderen Lebensbereichen wie der Familie und in einer landschaftlich intakten Umwelt aufbauen.
Röpkes Ideal war in der Tat der kernige Handwerker in einer idyllischen Schweizer Kleinstadt mit Frau, Kindern und einem Haus mit Garten. Vieles an Röpke war zeitgebunden und ist heute nicht mehr leicht nachvollziehbar; anderes gehört zum ehernen Bestand des deutschen Ordoliberalismus. Nicht im Geiste einer unkritischen Heldenverehrung, wohl aber als eine Quelle der Inspiration verdient Röpke, wieder gelesen zu werden.
GERALD BRAUNBERGER
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Die Wirtschaftsbücher des Jahres
Viele Menschen wollen aus gutem Grund nichts mehr von der Finanzkrise hören, und dies nicht nur, weil sich die Wirtschaft und die Kapitalmärkte zu erholen scheinen. Überdies ist der homo sapiens so gestrickt, dass er nach Tiefschlägen wieder unverdrossen nach vorne schaut. Würde er in Trübsinn und Schwarzmalerei versinken, hätte ihn die Evolution vermutlich längst aussortiert.
Dennoch war das Jahr 2009 innerhalb der Wirtschaftsliteratur noch einmal ein Jahr der Krisenbücher. Das international herausragende Werk, von dem leicht prognostiziert werden kann, dass es im Unterschied zu den meisten Vertretern dieses Genres Bestand haben dürfte, stammt von den amerikanischen Ökonomen Carmen Reinhart und Kenneth Rogoff. "This Time is different" (Dieses Mal ist es anders) besitzt das Zeug zum neuen Standardwerk über Finanzkrisen.
Auf einer einmalig breiten Datenbasis beruhend, klar gegliedert und zupackend analysiert, versorgt es den Leser mit einer beeindruckenden Fülle an Informationen und Erläuterungen über Finanzkrisen aus acht Jahrhunderten, ohne besserwisserisch daherzukommen. Vielmehr ist das Buch wie ein zwar schon sehr geräumiges, aber doch noch ausbaufähiges Haus angelegt: Zusätzliche Informationen dürften künftige Auflagen bereichern, zumal die definitive Geschichte der im Jahre 2007 ausgebrochenen Krise einfach deshalb noch nicht geschrieben wurde, weil es hierfür zu früh ist.
Auch auf dem reichgedeckten Tisch deutschsprachiger Krisenbücher ragt ein Werk heraus: Hans-Werner Sinns "Kasino-Kapitalismus" ist gottlob weniger reißerisch geraten, als es der Titel vermuten lässt. Statt dessen ist Sinn von der Erkenntnis ausgegangen, dass gute Ökonomik auf dem Dreiklang von Theorie, Empirie und Institutionenlehre beruht. Und da sich der Münchener Ökonom auch als ein sehr guter Kenner der Praktiken und Produkte an den Finanzmärkten erweist, ist sein Buch ebenso informativ wie lehrreich geworden, auch wenn der geneigte Leser nicht jeder Schlussfolgerung des prominenten Autors zustimmen muss.
"The Myth of the Rational Market" (Der Mythos des rationalen Marktes) des amerikanischen Wirtschaftsjournalisten Justin Fox ist eine spannend und kundig geschriebene Geschichte über eine höchst einflussreiche ökonomische Theorie: die Theorie der effizienten Finanzmärkte. Fox erzählt ihre Entstehung, Ausbreitung und die an ihr geübte Kritik aus der Perspektive bedeutender Ökonomen, deren Namen sich mit dieser Theorie verbinden. Irving Fisher, Harry Markowitz, Paul Samuelson, Franco Modigliani, Merton Miller, Gene Fama, Fisher Black, Michael Jensen, Richard Thaler, Andrei Shleifer, Robert Shiller und andere - es sind die Großen der Zunft, anhand deren Gedanken und Arbeiten der Leser auf leicht verständliche Weise und ohne jede mathematische Formel mit einer der folgenreichsten, aber auch umstrittensten ökonomischen Theorien aller Zeiten vertraut gemacht wird. Diese Art des typisch amerikanischen Sachbuchs ist in Deutschland leider nicht sehr verbreitet.
Wer die jüngste Finanzkrise verstehen will, kommt ohne Kenntnisse der modernen Finanzmärkte nicht aus. Gillian Tett, eine preisgekrönte Redakteurin der britischen Wirtschaftszeitung "Financial Times", kennt moderne Märkte und ihre Teilnehmer. Ihr von der Kritik hoch gelobtes Buch "Fool's Gold" (Gold der Narren) erzählt die Geschichte einer der wichtigsten Finanzinnovationen der vergangenen Jahre, die es während der Krise auch außerhalb der Finanzszene zu einiger Berühmtheit gebracht hat: Es geht um den Credit Default Swap (CDS), eine Art handelbare Kreditversicherung. Tett hat mit den Schöpfern dieses Produkts sowie mit vielen anderen Marktteilnehmern gesprochen und eine Art Insidergeschichte aus der Welt der Bankentürme geschrieben, die gleichzeitig als eine Milieustudie über das Investmentbanking verstanden werden kann. Die Kombination aus Naivität und Hybris, mit der die Banker in die Krise stolperten, wirkt geradezu beklemmend.
Der japanische Ökonom Takashi Negishi vertritt die Auffassung, dass alle wichtigen ökonomischen Ideen bereits in den Schriften der Klassiker des Fachs zu finden seien und die zeitgenössischen Fachvertreter nur noch an der Ausarbeitung alter Ideen feilten. Auch wer diese Auffassung nicht teilt, wird im Leben und Werk der Altvorderen viele lehrreiche Einsichten (wie auch manche Irrtümer) finden.
Der Grazer Ökonom und Dogmenhistoriker Heinz D. Kurz hat in zwei Taschenbüchern Porträts wichtiger Ökonomen herausgegeben, die von Fachleuten kompetent und verständlich verfasst wurden, sofern der Leser ein ökonomisches Grundwissen mitbringt. Die anregende und lehrreiche Zeitreise beginnt mit William Petty im 17. Jahrhundert und endet in der Gegenwart mit Kenneth Arrow, Amartya Sen und dem gerade verstorbenen Paul Samuelson. Die Beiträge umfassen jeweils rund 20 Seiten und sind nach dem bewährten Muster "Leben - Werk - Wirkung" aufgebaut.
Er wäre lieber ein Tischler im Berner Oberland als ein Millionär in New York, hat Wilhelm Röpke (1899 bis 1966) einmal gesagt. Es ist vermutlich kein Zufall, dass im Zuge der Beschäftigung mit den Vätern des deutschen Ordoliberalismus und der Sozialen Marktwirtschaft Röpke seit einigen Jahren mindestens so viel Aufmerksamkeit findet wie Walter Eucken, das unbestrittene Haupt des Ordoliberalismus.
So erschien im Jahr 2009 zunächst im Manuscriptum-Verlag eine lehrreiche Sammlung mit Aufsätzen Röpkes unter dem beziehungsreichen Titel "Marktwirtschaft ist nicht genug"; außerdem haben Heinz Rieter und Joachim Zweynert als Herausgeber im Metropolis-Verlag einen Band mit Aufsätzen moderner Ökonomen über Röpke veröffentlicht. Kurz vor dem Jahresende hat nun der Verlag Handwerk mit dem ursprünglich 1958 erschienenen "Jenseits von Angebot und Nachfrage" Röpkes letzte und, von seinem Lehrbuch für Anfänger abgesehen, vielleicht verbreitetste Monographie neu aufgelegt. Sie zeigt ihn in der für diesen Autor typischen Verbindung eines liberalen Marktwirtschaftlers mit einem konservativen und bodenständigen Sozialphilosophen und Kulturkritiker.
Damit grenzte sich Röpke nicht nur vom traditionellen Feindbild des Liberalismus ab: dem Kollektivismus und dem Zentralismus sowie staatlichem Machbarkeitswahn. Röpke unterschied sich auch deutlich von radikaleren Liberalismus-Interpretationen wie etwa der Österreichischen Schule. Wirtschaftlicher Wettbewerb war für ihn auch ein "Moralzehrer", der die Wolfsnatur im Menschen aktivierte. Moralische Reserven sollten die Menschen nach seiner Ansicht in anderen Lebensbereichen wie der Familie und in einer landschaftlich intakten Umwelt aufbauen.
Röpkes Ideal war in der Tat der kernige Handwerker in einer idyllischen Schweizer Kleinstadt mit Frau, Kindern und einem Haus mit Garten. Vieles an Röpke war zeitgebunden und ist heute nicht mehr leicht nachvollziehbar; anderes gehört zum ehernen Bestand des deutschen Ordoliberalismus. Nicht im Geiste einer unkritischen Heldenverehrung, wohl aber als eine Quelle der Inspiration verdient Röpke, wieder gelesen zu werden.
GERALD BRAUNBERGER
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
__ 'A truly gripping narrative . . . The fact that Tett is able to reproduce such raw private communications is a tribute to her journalistic abilities Dominic Lawson, SUNDAY TIMES