Ein auf Tatsachen beruhender Abenteuerroman über Utopien und künstlich erschaffene Welten! Weil er es satt hat, Wucherpreise für den von den Engländern monopolisierten Kautschuk zu bezahlen, beschließt Henry Ford 1928, selbst die Produktion aufzunehmen. Seine Wahl fällt auf den Amazonas, und kurz entschlossen wird dort ein gigantisches Projekt verwirklicht: die Gründung der Stadt, die den Namen ihres Erbauers trägt: Fordlandia. Ein argentinischer Ingenieur erzählt uns diese unglaubliche Geschichte. Es geht um Eroberung und Unterdrückung der Einheimischen, um Sklavenarbeit und Überlebenskampf. Die Macht des Dschungels ist der Mittelpunkt in diesem Abenteuerroman verlorener Menschen. Denn wie stets bei solchen Unternehmungen verläuft alles anders als geplant. Der Urwald schlägt zurück, und die Männer, die dem Fortschritt der Menschheit den Weg bahnen wollten, müssen einsehen, dass dem Abenteuer überall die Möglichkeit des Scheiterns folgt.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 01.04.2003Kampf mit dem Dschungel
Henry Fords Utopia: Eduardo Sguiglia erzählt aus der grünen Hölle
Das Opernhaus in Manaus war ein bizarrer Versuch, europäische Kultur in den Dschungel zu verpflanzen. Seit Werner Herzogs "Fitzcarraldo" wissen wir auch, wie es an den Amazonas kam: auf den Schultern wahnsinniger Abenteurer vom Schlage eines Klaus Kinski.
Ganz in der Nähe, am Rio Tapajós, modert eine andere Zivilisationsruine vor sich hin: Fordlandia, das Utopia Henry Fords. 1928 hatte der exzentrische Automobilkönig hier eine Modellstadt mit Schulen, Krankenhäusern, Straßenbeleuchtung und strengster Prohibition aus dem Urwaldboden gestampft. Fordlandia war das Zentrum einer dreißigtausend Quadratkilometer großen Plantage, mit der Ford - getreu seiner Devise "Schlag dir dein Brennholz selbst, und es wird dich doppelt wärmen" - sich vom englischen Kautschukmonopol befreien wollte. Die Musterkolonie für fünftausend "Caboclos" verschlang im Monat eine Million Dollar; schon nach drei Jahren hatten Heuschreckenschwärme und Pilzepidemien, Arbeitskämpfe, Rassenkonflikte, logistische Probleme und nicht zuletzt die große Depression dem ehrgeizigen Projekt den Garaus gemacht. Fordlandia war eine mit Geld, Humanitäts- und Fortschrittspathos geschmierte Maschine, die "weit entfernt vom Schmutz und der Verderbtheit der Städte" funktionieren sollte; aber weder die Natur noch die Menschen ließen sich unters Joch von Stechuhren, Fließbändern und Gringo-Buchhaltern zwingen. Der "große amerikanische Koloß", die Ideologie des Fordismus, hatte den Kampf gegen den wuchernden Dschungel und disziplinlose indianische Kautschukzapfer verloren. Heute ist Fordlandia eine Geisterstadt, fast vergessen selbst von brasilianischen Historikern.
Der argentinische Soziologe Eduard Sguiglia hat jetzt die Industriebrache vom Wildwuchs der Schlingpflanzen und Legenden befreit. Sein Roman "Fordlandia" ist eine Geschichte maßloser Träume und enttäuschter Hoffnungen, eine wahre Parabel auf den Sieg der Natur über die Rationalität von Technik und Kapital - und ein fast klassischer Abenteuerroman. Wir begegnen Kopfjägern und Indios, die sich stolz, mißtrauisch und träge den Dreißigjahresplänen aus Detroit verweigern, und all jenen schweigsamen, rauhen Glücksrittern, die wir aus den Romanen von Joseph Conrad oder B. Traven kennen. Brutale Sklaventreiber und sentimentale Säufer, gescheiterte Existenzen, hochmütige Yankees und der gottlose deutsche Missionar Theo: Sie leiden unter Moskitos, brütender Hitze und dem Wissen, verloren zu sein; messen ihre Kräfte bei Zweikämpfen in verräucherten Kneipen und beim Mobbing in alkoholfreien Büros, fahren auf alten Flußdampfern tief ins Herz der Finsternis und finden überall grüne Höllen voller Eifersucht, Gier und Haß.
Horacio, Erzähler und leitender Angestellter, beobachtet das Treiben mit kaltblütiger Unbeteiligtheit. Der Argentinier steht zwischen und über den Fronten: Im Dschungel ist er der bewunderte und verhaßte Abgesandte Amerikas, bei Fords Statthaltern der zwielichtige Vertraute der Caucheros und Mulatten, in den Augen des durchgeknallten Priesters ein Feigling und Versager. Horacio ist loyaler Untergebener und egoistischer Rebell, Macho im Machtrausch und zärtlicher Liebhaber, Schlichter von Arbeitskämpfen und Mörder. Er respektiert die Caboclos und schätzt selbst Ford als Mann von Stolz, Überzeugungen und Trotz, aber im Grunde bleibt er lieber allein, ein existentialistischer Herumtreiber, der sich nie in die Karten blicken läßt. Am Ende zieht er weiter den Amazonas hinauf, um für eine Handvoll Dollar einen anderen Job zu erledigen. Die Welt, so endet sein Bericht, wird "von Wünschen, Zufällen und Irrtümern" regiert, und insofern kann er "nicht viel falsch machen".
Sguiglia ist kein großer Erzähler. Die Porträts der Yankees, die Dialoge zwischen Ford, seinem schwächlichen Sohn Edsel und seinem Freund Edison fallen eher hölzern aus (wozu freilich auch die, vor allem im ersten Teil, lausige Übersetzung beiträgt), und von dem, was Horacio umtreibt, erfahren wir fast nichts. Anders die Schilderungen von Natur und ethnologischem Brauchtum. Sguiglia erzählt mit kaltblütiger Nüchternheit, aber nicht ohne Farbe und Leidenschaft von nächtlichen Festen und Sonnenaufgängen im Dschungel, von Messerstechereien und Malariaattacken, ohne je am Amazonas gewesen zu sein. Er erliegt dabei weder dem puritanischen Fortschrittsoptimismus Fords noch der Versuchung, die Kautschuksammler als ausgebeutete edle Wilde zu idealisieren: Frei von romantischen Illusionen zeichnet er mit epischem Gleichmut das Scheitern eines sozialen Experiments nach. So ist "Fordlandia" nicht nur geographisch weit entfernt von Conrads fiebrigheißen Dramen männlicher Bewährung und dem alteuropäischen Wahn, auf vorgeschobenem Posten ausharren zu müssen: eine Kreuzung aus Abenteuerroman und historischer Dokumentation. Horacio ließ sich das Schweigen über Fords größte Niederlage bezahlen. Sguiglia dagegen hat ein Kapitel Industriegeschichte an der Nahtstelle zwischen altem Kolonialismus und moderner Globalisierung dem Vergessen entrissen.
MARTIN HALTER
Eduardo Sguiglia: "Fordlandia". Roman. Aus dem Spanischen übersetzt von Veronika Schmidt und Rike Bolte. Europa Verlag, Hamburg und Wien 2002. 288 S., geb., 18,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Henry Fords Utopia: Eduardo Sguiglia erzählt aus der grünen Hölle
Das Opernhaus in Manaus war ein bizarrer Versuch, europäische Kultur in den Dschungel zu verpflanzen. Seit Werner Herzogs "Fitzcarraldo" wissen wir auch, wie es an den Amazonas kam: auf den Schultern wahnsinniger Abenteurer vom Schlage eines Klaus Kinski.
Ganz in der Nähe, am Rio Tapajós, modert eine andere Zivilisationsruine vor sich hin: Fordlandia, das Utopia Henry Fords. 1928 hatte der exzentrische Automobilkönig hier eine Modellstadt mit Schulen, Krankenhäusern, Straßenbeleuchtung und strengster Prohibition aus dem Urwaldboden gestampft. Fordlandia war das Zentrum einer dreißigtausend Quadratkilometer großen Plantage, mit der Ford - getreu seiner Devise "Schlag dir dein Brennholz selbst, und es wird dich doppelt wärmen" - sich vom englischen Kautschukmonopol befreien wollte. Die Musterkolonie für fünftausend "Caboclos" verschlang im Monat eine Million Dollar; schon nach drei Jahren hatten Heuschreckenschwärme und Pilzepidemien, Arbeitskämpfe, Rassenkonflikte, logistische Probleme und nicht zuletzt die große Depression dem ehrgeizigen Projekt den Garaus gemacht. Fordlandia war eine mit Geld, Humanitäts- und Fortschrittspathos geschmierte Maschine, die "weit entfernt vom Schmutz und der Verderbtheit der Städte" funktionieren sollte; aber weder die Natur noch die Menschen ließen sich unters Joch von Stechuhren, Fließbändern und Gringo-Buchhaltern zwingen. Der "große amerikanische Koloß", die Ideologie des Fordismus, hatte den Kampf gegen den wuchernden Dschungel und disziplinlose indianische Kautschukzapfer verloren. Heute ist Fordlandia eine Geisterstadt, fast vergessen selbst von brasilianischen Historikern.
Der argentinische Soziologe Eduard Sguiglia hat jetzt die Industriebrache vom Wildwuchs der Schlingpflanzen und Legenden befreit. Sein Roman "Fordlandia" ist eine Geschichte maßloser Träume und enttäuschter Hoffnungen, eine wahre Parabel auf den Sieg der Natur über die Rationalität von Technik und Kapital - und ein fast klassischer Abenteuerroman. Wir begegnen Kopfjägern und Indios, die sich stolz, mißtrauisch und träge den Dreißigjahresplänen aus Detroit verweigern, und all jenen schweigsamen, rauhen Glücksrittern, die wir aus den Romanen von Joseph Conrad oder B. Traven kennen. Brutale Sklaventreiber und sentimentale Säufer, gescheiterte Existenzen, hochmütige Yankees und der gottlose deutsche Missionar Theo: Sie leiden unter Moskitos, brütender Hitze und dem Wissen, verloren zu sein; messen ihre Kräfte bei Zweikämpfen in verräucherten Kneipen und beim Mobbing in alkoholfreien Büros, fahren auf alten Flußdampfern tief ins Herz der Finsternis und finden überall grüne Höllen voller Eifersucht, Gier und Haß.
Horacio, Erzähler und leitender Angestellter, beobachtet das Treiben mit kaltblütiger Unbeteiligtheit. Der Argentinier steht zwischen und über den Fronten: Im Dschungel ist er der bewunderte und verhaßte Abgesandte Amerikas, bei Fords Statthaltern der zwielichtige Vertraute der Caucheros und Mulatten, in den Augen des durchgeknallten Priesters ein Feigling und Versager. Horacio ist loyaler Untergebener und egoistischer Rebell, Macho im Machtrausch und zärtlicher Liebhaber, Schlichter von Arbeitskämpfen und Mörder. Er respektiert die Caboclos und schätzt selbst Ford als Mann von Stolz, Überzeugungen und Trotz, aber im Grunde bleibt er lieber allein, ein existentialistischer Herumtreiber, der sich nie in die Karten blicken läßt. Am Ende zieht er weiter den Amazonas hinauf, um für eine Handvoll Dollar einen anderen Job zu erledigen. Die Welt, so endet sein Bericht, wird "von Wünschen, Zufällen und Irrtümern" regiert, und insofern kann er "nicht viel falsch machen".
Sguiglia ist kein großer Erzähler. Die Porträts der Yankees, die Dialoge zwischen Ford, seinem schwächlichen Sohn Edsel und seinem Freund Edison fallen eher hölzern aus (wozu freilich auch die, vor allem im ersten Teil, lausige Übersetzung beiträgt), und von dem, was Horacio umtreibt, erfahren wir fast nichts. Anders die Schilderungen von Natur und ethnologischem Brauchtum. Sguiglia erzählt mit kaltblütiger Nüchternheit, aber nicht ohne Farbe und Leidenschaft von nächtlichen Festen und Sonnenaufgängen im Dschungel, von Messerstechereien und Malariaattacken, ohne je am Amazonas gewesen zu sein. Er erliegt dabei weder dem puritanischen Fortschrittsoptimismus Fords noch der Versuchung, die Kautschuksammler als ausgebeutete edle Wilde zu idealisieren: Frei von romantischen Illusionen zeichnet er mit epischem Gleichmut das Scheitern eines sozialen Experiments nach. So ist "Fordlandia" nicht nur geographisch weit entfernt von Conrads fiebrigheißen Dramen männlicher Bewährung und dem alteuropäischen Wahn, auf vorgeschobenem Posten ausharren zu müssen: eine Kreuzung aus Abenteuerroman und historischer Dokumentation. Horacio ließ sich das Schweigen über Fords größte Niederlage bezahlen. Sguiglia dagegen hat ein Kapitel Industriegeschichte an der Nahtstelle zwischen altem Kolonialismus und moderner Globalisierung dem Vergessen entrissen.
MARTIN HALTER
Eduardo Sguiglia: "Fordlandia". Roman. Aus dem Spanischen übersetzt von Veronika Schmidt und Rike Bolte. Europa Verlag, Hamburg und Wien 2002. 288 S., geb., 18,90 [Euro].
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"Die Schatten von King Lear, Heart of Darkness und Fitzcarraldo liegen über diesem aufregenden neuen literarischen Werk ... die Bilder des Dschungels, der Männer und Frauen in diesem Meisterwerk sind dermaßen lebendig ... mitreißend spannend!" (Library Journal) "Eine Fabel, die Erinnerungen an Conrad und Kafka wach werden läßt ... Fordlandia führt uns vor Augen, wie dünn der Grat zwischen Inspiration und Wahn ist." (The New York Times)