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Jeden Tag Pistolenschüsse und Breakdance, mit komplizierten, blassen und wunderschönen Frauen im gelben Taxi ins Waldorf fahren. Das ist New York. Und genau dahin wollte Jakob Hein schon mit zwölf, als er noch mit der Taschenlampe unter der Bettdecke gelesen hat. Daran kann ihn auch die knisternde Nylonunterwäsche seiner ersten Flamme nicht hindern. Außerdem sieht er jetzt auch Phoebe jeden Tag, im Cupcake Cafe in der 9ten Avenue, mit ihren langen braunen Haaren und dem wilden Kußmund. Aber die Liebesregeln im Land der unbegrenzten Möglichkeiten sind noch komplizierter als die Frauen selbst.…mehr

Produktbeschreibung
Jeden Tag Pistolenschüsse und Breakdance, mit komplizierten, blassen und wunderschönen Frauen im gelben Taxi ins Waldorf fahren. Das ist New York. Und genau dahin wollte Jakob Hein schon mit zwölf, als er noch mit der Taschenlampe unter der Bettdecke gelesen hat. Daran kann ihn auch die knisternde Nylonunterwäsche seiner ersten Flamme nicht hindern. Außerdem sieht er jetzt auch Phoebe jeden Tag, im Cupcake Cafe in der 9ten Avenue, mit ihren langen braunen Haaren und dem wilden Kußmund. Aber die Liebesregeln im Land der unbegrenzten Möglichkeiten sind noch komplizierter als die Frauen selbst. Nach seinem hinreißenden Debüt "Mein erstes T-Shirt" zieht es Jakob Hein in die Neue Welt. Und von New York bis San Francisco studiert er Formen menschlichen Zusammenlebens.
Autorenporträt
Jakob Hein, geb. 1971 in Leipzig. 1977 hat er die ersten Geschichten geschrieben und seiner Mutter vorgelesen. Seine erste Regiearbeit wurde 1982 beim 'Fest der jungen Talente' mit einer Urkunde ausgezeichnet. 1988 entdeckte er die Möglichkeit, seine Geschichten auch anderen Leuten als seiner Mutter vorzulesen. Das macht er jetzt jeden Sonntag in der Reformbühne 'Heim und Welt' im Berliner 'Kaffee Burger'. Jedes Frühjahr moderiert er die 'Lesershow' im Roten Salon in der Volksbühne. In Wirklichkeit ist er Arzt an der Berliner Charite.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.03.2003

Kaffee mit Zungenkuß
Ich war neunzehn: Jakob Hein reist nach Amerika

In den Jahren nach der Wende, als die DDR allmählich verschwand, tauchte in den Leerstellen des untergehenden Landes Amerika auf. Großtankstellen leuchteten wie gestrandete Raumschiffe in ländlicher Gegend. Überdimensionierte Shopping Malls warteten in verlassenen Dörfern. Werbeplakate standen auf freiem Feld wie in Texas, und Gebrauchtwagenhändler waren häufiger anzutreffen als Fußgänger. Eine tiefe Sehnsucht brach hervor und durfte endlich sichtbar werden. Ganz egal, was die DDR-Propaganda einst über Rassenkonflikte und Klassenunterschiede in den "imperialistischen" Vereinigten Staaten verbreitet hatte, "Amerika" war davon unberührt geblieben als Land der unbegrenzten Phantasien: ein Über-Westen, so unerreichbar wie das Paradies.

Jakob Hein, ein Vertreter der jungen Berliner Lesebühnen-Szene, erzählt in seinem zweiten Buch von dieser vergangenen Kindersehnsucht: von heimlicher Westernlektüre unter der Bettdecke, von einem Pullover mit dem Aufdruck NYC, der ihm unverständlich blieb, und von einem Englischbuch, in dem Peter und Maria, zwei tapfere junge Kommunisten, dafür kämpften, daß England einmal genau so werde wie die DDR. Derart durch die Schule der Dialektik gegangen, war er nach der Wende und dem Abitur begierig darauf, die erste Reise in die Vereinigten Staaten anzutreten. Zehn Jahre später schrieb er seine Erlebnisse auf und wurde mit dieser Arbeit genau eine Woche vor dem 11. September 2001 fertig. Das Nachwort, das er nach den Terroranschlägen überlegte, unterblieb zum Glück. So ist sein Bericht über "Formen menschlichen Zusammenlebens" ein Dokument der Unschuld in doppelter Hinsicht: der Unschuld des Landes, das noch nicht durch Verunsicherung, Unsicherheit und Hysterie regiert wird, und der Unschuld des Helden, der als naiver junger Mann anreiste und auch als Erzähler nicht klüger sein will, als er damals war.

Mehr als eine kleine Prise Ironie erlaubt Hein sich nicht, um gelegentlich einen geringfügigen Abstand zur einstigen Harmlosigkeit kenntlich zu machen. Es war eine Reise heraus aus der Kindheit, die nun, erinnert und erzählt, einer Rückkehr in die Kindheit gleichkommt. Der in der Fremde weitgehend allein verbrachte neunzehnte Geburtstag erscheint als Tapferkeitsübung des jungen Mannes, der gerne erwachsen wäre. "Ich war neunzehn" hätte dieses Buch auch heißen können, als argloses amerikanisches Nachwende-Gegenstück zu Konrad Wolfs erdschwerem DDR-Film über das Ende des Zweiten Weltkriegs und die Rückkehr nach Deutschland mit der Roten Armee.

Jakob Hein weiß, daß die Verteidigung der Naivität seine einzige Chance ist und daß sie den Charme seiner Prosa ausmacht. Er erzählt leicht und locker und mit Sinn für Skurrilität. Er tut einfach so, als gäbe es keine lange literarische Tradition der Amerika-Reise. Ob er einen Überfall in der U-Bahn schildert oder sein Erstaunen über Produkte wie "skim milk", Cornflakes-Großpackungen oder dauerquasselnde Fernsehsender: Nichts davon ist neu und überraschend, und dennoch wirkt sein Erzählen völlig unverbraucht. Auch die in den Text eingeblockten Fotos von verrosteten Werbetafeln, verlotterten Hausfassaden und Trödlerschuppen tragen nicht dazu bei, das Amerika-Bild zu revolutionieren. Sie dokumentieren aber, daß es gerade die Allgegenwart des Verfalls ist, die im ostdeutschen Besucher so etwas wie Heimatgefühle produziert.

Von erstaunlicher Aktualität ist das Bild einer mit Gasmaske ausgerüsteten Schaufensterpuppe zur Zeit des ersten Golfkrieges. Doch Hein liefert weniger eine Ethnologie des Landes als einen Erfahrungsbericht über eigene Wohn-, Lebens- und Liebesversuche. Das komplexe Regelwerk, das ein Mann bei der Verabredung mit einer Frau zu beachten hat, macht ihm zu schaffen. Der unerbittliche Progressionszwang, der von der Einladung zum Kaffee über den daraus resultierenden Zungenkuß direkt zum Zusammenwohnen und zum Heiratsversprechen führt, ist für den touristischen Jahresreisenden aus dem alten Europa nicht geeignet. Und auch die unbarmherzigen Verkuppelungsversuche einer kalifornischen Vermieterin dienen bloß dazu, den armen Helden in die Flucht zu schlagen. Die Rückkehr in den Osten Berlins stellt nach dem amerikanischen Lehrjahr allerdings kein großes Problem mehr dar. Zu Hause begrüßt man sich inzwischen mit "Hi" und nicht mehr per Handschlag. Und im Kino laufen all die Filme, die in den Wochen zuvor in Amerika zu sehen waren. Da muß man eigentlich gar nicht mehr wegfahren.

JÖRG MAGENAU

Jakob Hein: "Formen menschlichen Zusammenlebens". Piper Verlag, München 2003. 150 S., br., 12,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Während Jakob Hein in seinem Debütroman "Mein erstes T-Shirt" von Pubertieren in der ehemaligen DDR berichtete, nimmt er uns nun, nach der Wende, mit auf den Weg ins Land seiner Jugendträume: Amerika. Schon mit zwölf ist ihm klar, dass Frau Dr. Gaber, die selbst noch im Englischunterricht russische Volkslieder anstimmt, in Wirklichkeit eine getarnte Russischlehrerin ist. Und auch im Schulfernsehen lernt er nur Sätze wie "Peter and Mary are preparing banners for a demostration." Um die Tatsachen vor Ort zu überprüfen, muss er nur noch 53 Jahre warten, dann darf er endlich wie alle Rentner in den Westen fahren. (X-mag)

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Die ganze antikapitalistische Propaganda der DDR hat den Traum von Amerika nicht zum Verschwinden gebracht, behauptet Jörg Magenau. Es blieb das "Land der unbegrenzten Phantasien". Von dieser Amerika-Sehnsucht berichtet auch Jakob Hein: von der Westernlektüre unter der Bettdecke und seiner ersten Reise in die Vereinigten Staaten kurz nach dem Mauerfall. Aufgeschrieben hat Hein seine Erlebnisse erst zehn Jahre nach dieser Reise, die Magenau als Rückkehr in die Kindheit verbucht. Den Charme von Heins Prosa macht für Magenau darum auch die naive Herangehensweise aus. Völlig unbekümmert vom literarischen Topos der Amerika-Reise und mit einem Hang für das Skurrile schildert Hein Amerika mit all seinen hinlänglich bekannten Besonderheiten und doch wirkt sein Erzählen völlig unverbraucht, staunt der Rezensent. Das liegt womöglich auch daran, dass sich der Erzähler als Proband unterschiedlichen kulturellen Regelwerks beschreibt. Die dazugestellten Fotos verdeutlichen für Magenau, dass es die "Allgegenwart des Zerfalls" ist, die im Autor Heimatgefühle erweckt.

© Perlentaucher Medien GmbH