Wie kann ein nicht-repressives, nachdenkliches und doch "sinnliches" Üben aussehen? Wie kann der Körper als Instrument einer reflektierten, werkanalytisch gestützten Interpretation eingesetzt werden? Wie kann sich der Interpret, körperlich und psychisch, auf die Musik einstellen und ihren Sinnzusammenhang mit vollziehen?
Mannigfaltige Übungsmodelle zeigen die Wegstationen des forschenden Übens und leiten den Interpreten dazu an, sich beim Üben und Spielen mit den musikalischen Prozessen der Klangarchitektur und der "Gestik" der Strukturen in Übereinstimmung zu bringen. Stets werkbezogen (mit etwa 100 Werkbeispielen) ausgerichtet, eignet sich das Buch auch als Hilfe zum Erarbeiten bestimmter Stücke.
Mannigfaltige Übungsmodelle zeigen die Wegstationen des forschenden Übens und leiten den Interpreten dazu an, sich beim Üben und Spielen mit den musikalischen Prozessen der Klangarchitektur und der "Gestik" der Strukturen in Übereinstimmung zu bringen. Stets werkbezogen (mit etwa 100 Werkbeispielen) ausgerichtet, eignet sich das Buch auch als Hilfe zum Erarbeiten bestimmter Stücke.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 18.09.2002Uneinholbarer Vorsprung
"Forschendes Üben" gehört zum Besten der Musikliteratur
Der Band "Forschendes Üben" schließt, ohne sie vorauszusetzen, an die vor vierzehn Jahren von denselben Verfassern vorgelegte Untersuchung "Denken und Spielen" an. Beides zusammengenommen gehört zum Eindringlichsten, was über Musik geschrieben worden ist, und steht einzig da in der Schlüssigkeit, mit der analytische, interpretatorische, pädagogische Details mit obersten Deutungsansprüchen, einer realiter "erfahrenen" Philosophie der Musik verknüpft und wechselseitig erklärt werden. Die pädagogische Literatur für Klavier war der für andere Instrumente in der Weite des Horizontes ohnehin voraus - diese Bücher sichern ihr einen fast uneinholbaren Vorsprung, allerdings einen, von dem andere Ressorts profitieren können und sollten. Sie verdienen das Interesse aller, die mit einigem Anspruch musizieren, Musik hören und verstehen wollen.
Der zur Verfügung stehende Raum verbietet die fällige Blütenlese einladender Zitate, oft glänzend resümierender Formulierungen - gleich etlichen Werkbetrachtungen Kostbarkeiten, welche auch zeigen würden, daß es sich um ein gleicherweise unmittelbar verständliches wie auf höchstem Niveau reflektierendes Buch handelt. Kaum je findet man Gewährsleute wie Adorno, Benjamin, Bloch, Goethe, Kleist, Proust oder Schopenhauer so plausibel und musikalisch konkret herangezogen wie hier.
Im "Forschenden Üben", wie die Autorin es versteht, die das gemeinsam konzipierte Buch nach dem Tode Jürgen Uhdes im Jahre 1991 allein schreiben mußte, erforscht der Übende sich selbst nicht weniger als das, was er übt - Anwendung jener "zarten Empirie" Goethes, die sich mit ihrem Gegenstande "innigst identisch macht" und eine pragmatisch-einsinnige Subjekt-Objekt-Beziehung gegen eine wechselseitig vermittelnde einzutauschen versucht. Jener entspräche ein "repressives", dieser das "gewaltfreie" Üben, letzteres freilich nicht im Sinne einer permissiven, an kniffligen Passagen vorbeimogelnden Liberalität, sondern als Erkundungsgang, bei dem auf jeder Station das Junktim zwischen Erforschung musikalischer Verläufe, Charaktere, Strukturen und die Selbsterforschung des Spielenden neu überprüft, der "Körper als Instrument der Musik" neu eingestellt werden muß, mithin sich eine Trennung technischer und musikalischer Erarbeitung verbietet - selten auch ist über die Psychologie des Übens so kompetent geschrieben worden. Ohne zu dogmatisieren, mündet jene Überprüfung etwa in eine genaue Beschreibung der körperlichen Aktion beim Beginn von Schuberts G-Dur-Sonate D 894 und in Begründungen, weshalb der Spieler zwischen dem ersten und zweiten Satz von Beethovens Sonate op. 111 jede Bewegung vermeiden muß.
Art und Ziel der Erarbeitung befinden sich in einem ähnlichen "double bind" wie der Spielende und das Gespielte. Im Sinne eines hier fast neugewonnenen, Goethes "zarter Empirie" nahestehenden Mimesis-Begriffs formuliert die Verfasserin ein Interpretationsideal gleich nah zu Adornos "désinvolture" wie zu japanischen Zen-Meistern: "ein Nichtwollen im Wollen, ein Nichttun im Tun", dem körperlich vorgearbeitet werden muß - der größere erste Teil des Buches hat "hörende Bewegung" zum Oberthema. Keineswegs zu den Nebengewinnen gehört, daß die Prüfung der Musik als eines realisierenden Prozesses profunde Einsichten erbringt, an denen auf Form und Struktur orientierte Analysen vorbeizugehen pflegen.
Das Buch ist hervorragend ausgestattet und mit zahlreichen Notenbeispielen denkbar benutzerfreundlich gestaltet. Schade, daß man es nicht, mit dem Prinzip Demokratie auch auf Wahlfreiheit verpflichtet, in einer Taschenbuchausgabe für die meisten an Musikhochschulen Tätigen, Studierende wie Lehrende, zur obligatorischen Lektüre erklären darf.
PETER GÜLKE
Renate Wieland, Jürgen Uhde: "Forschendes Üben". Wege instrumentalen Lernens. Über den Interpreten und den Körper als Instrument der Musik. Bärenreiter Verlag, Kassel 2002. 321 S., geb., 34,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
"Forschendes Üben" gehört zum Besten der Musikliteratur
Der Band "Forschendes Üben" schließt, ohne sie vorauszusetzen, an die vor vierzehn Jahren von denselben Verfassern vorgelegte Untersuchung "Denken und Spielen" an. Beides zusammengenommen gehört zum Eindringlichsten, was über Musik geschrieben worden ist, und steht einzig da in der Schlüssigkeit, mit der analytische, interpretatorische, pädagogische Details mit obersten Deutungsansprüchen, einer realiter "erfahrenen" Philosophie der Musik verknüpft und wechselseitig erklärt werden. Die pädagogische Literatur für Klavier war der für andere Instrumente in der Weite des Horizontes ohnehin voraus - diese Bücher sichern ihr einen fast uneinholbaren Vorsprung, allerdings einen, von dem andere Ressorts profitieren können und sollten. Sie verdienen das Interesse aller, die mit einigem Anspruch musizieren, Musik hören und verstehen wollen.
Der zur Verfügung stehende Raum verbietet die fällige Blütenlese einladender Zitate, oft glänzend resümierender Formulierungen - gleich etlichen Werkbetrachtungen Kostbarkeiten, welche auch zeigen würden, daß es sich um ein gleicherweise unmittelbar verständliches wie auf höchstem Niveau reflektierendes Buch handelt. Kaum je findet man Gewährsleute wie Adorno, Benjamin, Bloch, Goethe, Kleist, Proust oder Schopenhauer so plausibel und musikalisch konkret herangezogen wie hier.
Im "Forschenden Üben", wie die Autorin es versteht, die das gemeinsam konzipierte Buch nach dem Tode Jürgen Uhdes im Jahre 1991 allein schreiben mußte, erforscht der Übende sich selbst nicht weniger als das, was er übt - Anwendung jener "zarten Empirie" Goethes, die sich mit ihrem Gegenstande "innigst identisch macht" und eine pragmatisch-einsinnige Subjekt-Objekt-Beziehung gegen eine wechselseitig vermittelnde einzutauschen versucht. Jener entspräche ein "repressives", dieser das "gewaltfreie" Üben, letzteres freilich nicht im Sinne einer permissiven, an kniffligen Passagen vorbeimogelnden Liberalität, sondern als Erkundungsgang, bei dem auf jeder Station das Junktim zwischen Erforschung musikalischer Verläufe, Charaktere, Strukturen und die Selbsterforschung des Spielenden neu überprüft, der "Körper als Instrument der Musik" neu eingestellt werden muß, mithin sich eine Trennung technischer und musikalischer Erarbeitung verbietet - selten auch ist über die Psychologie des Übens so kompetent geschrieben worden. Ohne zu dogmatisieren, mündet jene Überprüfung etwa in eine genaue Beschreibung der körperlichen Aktion beim Beginn von Schuberts G-Dur-Sonate D 894 und in Begründungen, weshalb der Spieler zwischen dem ersten und zweiten Satz von Beethovens Sonate op. 111 jede Bewegung vermeiden muß.
Art und Ziel der Erarbeitung befinden sich in einem ähnlichen "double bind" wie der Spielende und das Gespielte. Im Sinne eines hier fast neugewonnenen, Goethes "zarter Empirie" nahestehenden Mimesis-Begriffs formuliert die Verfasserin ein Interpretationsideal gleich nah zu Adornos "désinvolture" wie zu japanischen Zen-Meistern: "ein Nichtwollen im Wollen, ein Nichttun im Tun", dem körperlich vorgearbeitet werden muß - der größere erste Teil des Buches hat "hörende Bewegung" zum Oberthema. Keineswegs zu den Nebengewinnen gehört, daß die Prüfung der Musik als eines realisierenden Prozesses profunde Einsichten erbringt, an denen auf Form und Struktur orientierte Analysen vorbeizugehen pflegen.
Das Buch ist hervorragend ausgestattet und mit zahlreichen Notenbeispielen denkbar benutzerfreundlich gestaltet. Schade, daß man es nicht, mit dem Prinzip Demokratie auch auf Wahlfreiheit verpflichtet, in einer Taschenbuchausgabe für die meisten an Musikhochschulen Tätigen, Studierende wie Lehrende, zur obligatorischen Lektüre erklären darf.
PETER GÜLKE
Renate Wieland, Jürgen Uhde: "Forschendes Üben". Wege instrumentalen Lernens. Über den Interpreten und den Körper als Instrument der Musik. Bärenreiter Verlag, Kassel 2002. 321 S., geb., 34,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Restlos begeistert zeigt sich Peter Gülke von diesem Übungsbuch, das eine praktisch erfahrene Philosophie der Musik auf höchstem analytischen und pädagogischen Niveau vermittelt. Das Autorenteam habe bereits vor vierzehn Jahren ein Buch vorgelegt, das "Denken und Spielen" hieß, teilt Gülke mit. Das neue schließe, ohne es vorauszusetzen, daran an. Nirgends hat Gülke so kompetente Passagen über die Psychologie wie auch die Physiologie des Übens gefunden, denn dies bezeichnet für ihn die große Leistung des Buches, das es die körperlichen Aspekte mit einbezieht. Üben beziehungsweise spielen wird so zu einer wechselseitigen Beziehung zwischen Instrument und Spieler, so dass der Spielende stets neben der Musik auch sich selbst erkundet, wie Gülke emphatisch schreibt. Im übrigen sei der Text brillant formuliert, auch eine Fundgrube, was musikästhetische Gewährsleute von Adorno bis Goethe anbelange, so Gülke, hervorragend ausgestattet, benutzerfreundlich und mit zahlreichen Notenbeispielen versehen. Auch wenn es der Klaviermusik huldigt und ihr musikpädagogisch einen "fast uneinholbaren Vorsprung" einräume, schreibt Gülke, sei zu hoffen, daß auch die anderen Sparten davon profitierten.
© Perlentaucher Medien GmbH
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