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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 01.12.1997

Alle Wege führten nach Rom
Nur der letzte brachte Hannibal bis nach Kleinasien: Jakob Seibert setzt sich auf die Spur des punischen Feldherrn

Hannibal läßt ihn nicht los. Der Münchner Althistoriker Jakob Seibert, der schon durch eine umfangreiche wissenschaftliche Biographie des Feldherrn (F.A.Z. vom 30. März 1993) sowie durch deren Begleitband spezieller Einzelstudien "Forschungen zu Hannibal" (1993) hervorgetreten ist, legt eine weitere Publikation zu dem großen Punier vor. Die neue Veröffentlichung wird beherrscht durch teilweise nur wenig bekanntes antikes wie modernes Bildmaterial sowie eine ganze Folge von Kartenskizzen. Numismatische Quellen, insbesondere Münzbilder und -porträts, sind dabei ebenso erfaßt wie Inschriften und archäologische Denkmäler, aber auch vielfältige Rekonstruktionen von Bauwerken, Befestigungen, Schiffen und Waffen. Dazu treten Abbildungen von mittelalterlichen Buchminiaturen, neuzeitlichen Gemälden und Holzstichen, wobei der Bogen von Jacopo Riponda über Battista Tiepolo bis zu Alfred Rethel geschlagen wird, schließlich zahlreiche Farbfotos des Verfassers und Luftbilder, welche die wichtigsten geographischen Grundlagen und Lokalitäten der Feldzüge dokumentieren. Wohl nie zuvor sind die Etappen von Hannibals Wirken so plastisch und in so dichter Weise veranschaulicht und so eingehend erläutert worden wie hier.

Der knappe Text des Bandes, der sich im wesentlichen auf die Auffassungen der Biographie stützt, ist meist nüchtern und klar. Didaktisch geschickt bezieht er das reiche Bildmaterial ein, wird allerdings von diesem teilweise überwuchert. In den vielen Kontroversen um Hannibals Feldzüge und Wirken wie um die Interpretation der antiken Quellen zeigt der Verfasser in der Regel ein besonnenes Urteil, doch nicht immer sind seine persönlichen Akzente überzeugend. Auf einige zentrale Punkte sei näher eingegangen.

Seiberts Kritik am "Ebrovertrag" erscheint trotz aller Widersprüche in der antiken literarischen Überlieferung zu weitgehend. Seine Vorstellung, daß Hannibals Alpenübergang in zwei Kolonnen über den Mont Genèvre und über den Kleinen Sankt Bernhard erfolgte, läßt sich nicht beweisen, eine Zweiteilung seines Heeres nicht belegen. Die Argumente des topographisch besonders kompetenten Ernst Meyer, die für einen Weg über den Col du Clapier sprechen, wurden nicht erschüttert. Voll berechtigt ist dagegen Seiberts Kritik an den Angaben über die scheinbar immensen Verluste Hannibals bei diesem Zug, die ihn zu einem verantwortungslosen Hasardeur stempeln mußten.

Auch Seibert übernimmt die in der antiken wie der modernen Literatur weitverbreitete Vorstellung, daß sich Hannibal im Jahre 217 vor Christus "eine Augenentzündung zuzog, die schließlich zur Erblindung eines Auges führte". Er konnte dabei die medizinhistorischen Forschungen des Ophthalmologen Gerhard Holland noch nicht kennen, die dieser Auffassung widersprechen. Nicht unumstritten ist Seiberts Bewertung von Hannibals Kriegführung nach Cannae, wenn er von "Konzeptionslosigkeit" spricht. Auch der Begriff eines "Stellvertreterkrieges" erscheint in diesem Zusammenhang problematisch. Für jene schwierigen Jahre haben die jüngsten Arbeiten militärisch erfahrener Autoren, diejenige des früheren britischen Generalstabschefs Sir Nigel Bagnall (F.A.Z. vom 5. Dezember 1995) sowie diejenige von Max Zlattner (F.A.Z. vom 30. September 1997), ein wesentlich positiveres Bild gezeichnet.

Seiberts Hinweis auf die kaum bekannte Verehrung Hannibals durch Kemal Atatürk dürfte neu sein. Im hundertsten Geburtsjahr Atatürks wurde Hannibal in Gebze, das mit Libyssa, dem Todesort des Flüchtlings, identifiziert wird, ein eindrucksvoller Gedenkstein errichtet. In der weiträumigen, von Zypressen umgebenen Anlage erinnern Steintafeln in türkischer wie in den wichtigsten europäischen Sprachen an den großen Feldherrn, den diese neue Veröffentlichung Jakob Seiberts einem breiten Publikum vergegenwärtigt. KARL CHRIST

Jakob Seibert: "Hannibal". Feldherr und Staatsmann. Verlag Philipp von Zabern, Mainz 1997. 81 S., 59 Farb- und 106 S/W-Abb., geb., 45,- DM.

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