Der mit vielen Farbaufnahmen ausgestattete Band widmet sich der Baugeschichte des bedeutendsten Bauwerkes Sachsens im Mittelalter und dokumentiert die seit Ende der sechziger Jahre des 20. Jahrhunderts vorgenommenen Untersuchungen und Restaurierungsarbeiten. Der reich bebilderte Band dokumentiert die Untersuchungen und Restaurierungsarbeiten der Denkmalpflege am Meißner Dom, dem bedeutendsten Bau Sachsens im Mittelalter. Die Figuren der Bistumsgründer und Bistumsheiligen im Hohen Chor sind als Spitzenwerke aus der Werkstatt des "Naumburger Meisters" ein Begriff. Die Forschungen galten der Wirkungsweise von Architektur und Skulptur, den Aufstellungsorten der Figuren und deren Farbigkeit. Den hochgotischen Innenraum bestimmt noch heute ein Lettner, der durch glückliche Fundumstände in seiner eigenartigen Gestalt geistig rekonstruiert werden konnte. Ein besonders künstlerisches Kleinod ist der an den Dom angefügte Achteckbau, dessen Architektur und Skulpturen hier erstmalig in ihremZusammenhang gewürdigt werden. Das gilt auch für die Allerheiligenkapelle. Hier befindet sich das Retabel vom Annenaltar, dem ein Beitrag gewidmet ist. Forschungen zum Südportal beschließen den Band.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 26.11.2001Schlagfertigkeit zum Steinerweichen: Der Naumburger Meister trieb auch im Meißner Dom sein Zauberwesen
Der Naumburger Meister gehört zu der großen Gruppe mittelalterlicher Künstler vornehmlich des dreizehnten Jahrhunderts, die man genau zu kennen glaubt, von denen man faktisch aber nicht das geringste weiß. Nach seiner Ausbildung zum Steinmetz und Architekten am Neubau der Kathedrale von Reims und einer Schulungsreise an die Baustellen französischer Kathedralen soll er seine ersten eigenhändigen Werke in Noyon und Metz geschaffen haben. Anschließend sei er verantwortlich gewesen für die Umgestaltung der Kathedralen in Mainz und Naumburg. Sein Spätwerk hätte er dieser Vorstellung nach im Meißner Dom hinterlassen: den Lettner, vier Figuren im Chor, einen achteckigen Annexbau mit zwei weiteren Skulpturen sowie die Kapitellornamentik dieser Ausstattungsteile. Soweit das Konstrukt, mit dem die deutschsprachige Kunstgeschichte seit knapp einhundert Jahren das Bild des Naumburger Meisters formt. Als Raster fungiert dabei in den Anfängen ein biologisches Entwicklungsmodell vom genialen Frühwerk bis hin zum Altersstil, zuweilen wurde dabei der Vergleich mit Größen wie Beethoven, Wagner oder Rembrandt bemüht. Die Argumentationsstrukturen dieser Fiktionsbildung sind vor knapp zehn Jahren durch die kanadische Kunsthistorikerin Kathryn Brush offengelegt worden, erst sie konnte wieder einen freien Blick eröffnen auf jene Gruppe von Werken, die in Mimik, Gestik und Wirklichkeitsaneignung so ähnlich scheinen.
Neue Argumente für die Existenz der Künstlerpersönlichkeit kann nun ein Buch über die Skulpturen des dreizehnten und vierzehnten Jahrhunderts am Meißner Dom entwickeln. Grundlage war eine akribisch genaue Befunddokumentation im Rahmen von Restaurierungen über einen Zeitraum von zwanzig Jahren. Früher wurde der florale Dekor der Kapitellornamentik im Meißner Dom als einfach, blechern, verbeult oder erstarrt beschrieben und mit diesem Sprachkokon ein Spätwerk des Naumburger Meisters geformt. Die Übersicht zeigt indes, daß dieses Urteil der Variationsbreite im Blumenund Pflanzendekor kaum gerecht wird. Das Ornament an der steinernen Einfassung des Chorgestühls zeigt genau jenen Grad an Naturstudium, wie er im Westchor des Naumburger Doms zu beobachten ist. Und die einfachere Ornamentik ist genau an der Stelle des Doms zwischen Vierung und Langhaus plaziert, an der während des Chorneubaus eine provisorische Abschlußwand errichtet worden war. Ihre Gestalt findet so eine sinnfällige Erklärung, vergleichbare Hierarchisierungen des skulpturalen Aufwands kann man auch in Naumburg beobachteten. Die Abschlußwand ersetzte man später durch einen Lettner, für den Heinrich Magirius und der Restaurator Peter Vohland eine viermalige Veränderung bis ins fünfzehnte Jahrhundert rekonstruieren können. Die Vorstellung des ersten Lettners aus den siebziger Jahren des dreizehnten Jahrhunderts kann dabei als Sensation angesehen werden. Aus den während der Restaurierungskampagnen ergrabenen Gewölberesten ist er schlüssig zu rekonstruieren, in seiner trapezoiden Grundrißstruktur folgte er einer Reihe mittelrheinischer Lettner des dreizehnten Jahrhunderts. Ihr Vorbild war der Lettner im Mainzer Dom, dem Sitz des Metropoliten. Die Zuschreibung der Werkgruppe an den Naumburger Meister, die nun endgültig auch die Skulpturen des Meißner Doms umfaßt, findet ihre Begründung demnach nicht nur im spezifischen Stil der erhaltenen Figuren, ihrer vielfach gerühmten Mimik und Gestik, sondern auch in der architektonischen Gestalt des ersten Lettners.
Im Hochchor des Meißner Doms ist für die steinernen Abbilder von vier Personen ein eigenes Joch reserviert, die Bistumspatrone Johannes und Donatus sowie die Stifter des Bistums, Otto der Große und seine Gattin Adelheid (unsere Abbildungen: der Kaiser während, die Kaiserin nach der Reinigung). Es sind raffiniert behauene Steinblöcke, die jedoch erst durch eine farbige Fassung ihre so eindrucksvoll lebensechte Wirkung entfalten können. Diese Farbfassung wurde im Zug der Restaurierung freigelegt und retuschiert, neben dem Westchor des Naumburger Doms ist in Deutschland kein weiteres Ensemble greifbar, das eine vergleichbare skulpturale Präsenz entfaltet. Als Pygmalion des Mittelalters kann der Naumburger Meister folglich beschrieben werden. Der Meißner Dom darf inzwischen als einer der am besten erforschten Kathedralbauten des Mittelalters gelten. Ein Jahrbuch berichtet kontinuierlich von den neuen Forschungsergebnissen, eine aktuelle Baugeschichte liegt vor (F.A.Z. vom 30. April 2001); nun sind erstmals auch die Skulpturen angemessen gewürdigt.
ALEXANDER MARKSCHIES.
"Architektur und Skulptur des Meißner Domes im 13. und 14. Jahrhundert". Beiträge von Elisabeth Hütter, Günter Kavacs, Heinrich Magirius, Magdalena Magirius, Peter Vohland. Forschungen zur Bauund Kunstgeschichte des Meißner Domes, Band 2. Verlag Hermann Böhlaus Nachfolger, Weimar 2001. 451 S., 500 Farb- und Schwarzweißabb., Grundund Aufrisse, Isometrien, geb., 199,80 DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Der Naumburger Meister gehört zu der großen Gruppe mittelalterlicher Künstler vornehmlich des dreizehnten Jahrhunderts, die man genau zu kennen glaubt, von denen man faktisch aber nicht das geringste weiß. Nach seiner Ausbildung zum Steinmetz und Architekten am Neubau der Kathedrale von Reims und einer Schulungsreise an die Baustellen französischer Kathedralen soll er seine ersten eigenhändigen Werke in Noyon und Metz geschaffen haben. Anschließend sei er verantwortlich gewesen für die Umgestaltung der Kathedralen in Mainz und Naumburg. Sein Spätwerk hätte er dieser Vorstellung nach im Meißner Dom hinterlassen: den Lettner, vier Figuren im Chor, einen achteckigen Annexbau mit zwei weiteren Skulpturen sowie die Kapitellornamentik dieser Ausstattungsteile. Soweit das Konstrukt, mit dem die deutschsprachige Kunstgeschichte seit knapp einhundert Jahren das Bild des Naumburger Meisters formt. Als Raster fungiert dabei in den Anfängen ein biologisches Entwicklungsmodell vom genialen Frühwerk bis hin zum Altersstil, zuweilen wurde dabei der Vergleich mit Größen wie Beethoven, Wagner oder Rembrandt bemüht. Die Argumentationsstrukturen dieser Fiktionsbildung sind vor knapp zehn Jahren durch die kanadische Kunsthistorikerin Kathryn Brush offengelegt worden, erst sie konnte wieder einen freien Blick eröffnen auf jene Gruppe von Werken, die in Mimik, Gestik und Wirklichkeitsaneignung so ähnlich scheinen.
Neue Argumente für die Existenz der Künstlerpersönlichkeit kann nun ein Buch über die Skulpturen des dreizehnten und vierzehnten Jahrhunderts am Meißner Dom entwickeln. Grundlage war eine akribisch genaue Befunddokumentation im Rahmen von Restaurierungen über einen Zeitraum von zwanzig Jahren. Früher wurde der florale Dekor der Kapitellornamentik im Meißner Dom als einfach, blechern, verbeult oder erstarrt beschrieben und mit diesem Sprachkokon ein Spätwerk des Naumburger Meisters geformt. Die Übersicht zeigt indes, daß dieses Urteil der Variationsbreite im Blumenund Pflanzendekor kaum gerecht wird. Das Ornament an der steinernen Einfassung des Chorgestühls zeigt genau jenen Grad an Naturstudium, wie er im Westchor des Naumburger Doms zu beobachten ist. Und die einfachere Ornamentik ist genau an der Stelle des Doms zwischen Vierung und Langhaus plaziert, an der während des Chorneubaus eine provisorische Abschlußwand errichtet worden war. Ihre Gestalt findet so eine sinnfällige Erklärung, vergleichbare Hierarchisierungen des skulpturalen Aufwands kann man auch in Naumburg beobachteten. Die Abschlußwand ersetzte man später durch einen Lettner, für den Heinrich Magirius und der Restaurator Peter Vohland eine viermalige Veränderung bis ins fünfzehnte Jahrhundert rekonstruieren können. Die Vorstellung des ersten Lettners aus den siebziger Jahren des dreizehnten Jahrhunderts kann dabei als Sensation angesehen werden. Aus den während der Restaurierungskampagnen ergrabenen Gewölberesten ist er schlüssig zu rekonstruieren, in seiner trapezoiden Grundrißstruktur folgte er einer Reihe mittelrheinischer Lettner des dreizehnten Jahrhunderts. Ihr Vorbild war der Lettner im Mainzer Dom, dem Sitz des Metropoliten. Die Zuschreibung der Werkgruppe an den Naumburger Meister, die nun endgültig auch die Skulpturen des Meißner Doms umfaßt, findet ihre Begründung demnach nicht nur im spezifischen Stil der erhaltenen Figuren, ihrer vielfach gerühmten Mimik und Gestik, sondern auch in der architektonischen Gestalt des ersten Lettners.
Im Hochchor des Meißner Doms ist für die steinernen Abbilder von vier Personen ein eigenes Joch reserviert, die Bistumspatrone Johannes und Donatus sowie die Stifter des Bistums, Otto der Große und seine Gattin Adelheid (unsere Abbildungen: der Kaiser während, die Kaiserin nach der Reinigung). Es sind raffiniert behauene Steinblöcke, die jedoch erst durch eine farbige Fassung ihre so eindrucksvoll lebensechte Wirkung entfalten können. Diese Farbfassung wurde im Zug der Restaurierung freigelegt und retuschiert, neben dem Westchor des Naumburger Doms ist in Deutschland kein weiteres Ensemble greifbar, das eine vergleichbare skulpturale Präsenz entfaltet. Als Pygmalion des Mittelalters kann der Naumburger Meister folglich beschrieben werden. Der Meißner Dom darf inzwischen als einer der am besten erforschten Kathedralbauten des Mittelalters gelten. Ein Jahrbuch berichtet kontinuierlich von den neuen Forschungsergebnissen, eine aktuelle Baugeschichte liegt vor (F.A.Z. vom 30. April 2001); nun sind erstmals auch die Skulpturen angemessen gewürdigt.
ALEXANDER MARKSCHIES.
"Architektur und Skulptur des Meißner Domes im 13. und 14. Jahrhundert". Beiträge von Elisabeth Hütter, Günter Kavacs, Heinrich Magirius, Magdalena Magirius, Peter Vohland. Forschungen zur Bauund Kunstgeschichte des Meißner Domes, Band 2. Verlag Hermann Böhlaus Nachfolger, Weimar 2001. 451 S., 500 Farb- und Schwarzweißabb., Grundund Aufrisse, Isometrien, geb., 199,80 DM.
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Über den Meißner Dom erscheint jedes Jahr ein Forschungsbericht, dieses Jahr erschien eine Baugeschichte und nun auch endlich ein Buch, das die Skulpturen "angemessen" würdigt, meint Rezensent Alexander Markschies. Der Naumburger Meister, der zu den wichtigsten mittelalterlichen Künstlern des 13. Jahrhunderts zählt, schulte seine Kunst zunächst an der Kathedrale von Reims, später schuf er seine ersten eigenen Werke in Noyon und Metz, berichtet Markschies. Sein Spätwerk ist neuen kunsthistorischen Forschungen zufolge der Meißner Dom, so Markschies, dessen Skulpturen eine unvergleichbar "lebensechte" Wirkung entfalten. Der Meißner Dom zähle zu den am "besten erforschten Kathedralbauten des Mittelalters", aber dennoch eröffne sich dem Leser mit diesem Buch ein neuer Blickwinkel. Lobend hervor hebt Markschies, dass die Darstellung auf einer "akribisch genauen Befunddokumentation" basiert.
© Perlentaucher Medien GmbH
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