Lutz Rathenow führt in Glossen, Satiren, Rundfunkkommentaren, Mini-Essais und kabarettistischen Dialogen eine vergnüglich provozierende bis freundlich verstörende Gegenwartsauseinandersetzung vor. Die politische bis literarischen Prosa zum Tage greift weit über diesen hinaus. Rathenow wechselt souverän zwischen den Arten, die Welt zu betrachten und darf auch ästhetisch als Flaneur zwischen den kürzeren Formen gesehen werden. Der Zeitungskolumnist und regelmäßige Mitarbeiter von Deutschlandfunk, NDR und MDR publiziert hier das Beste aus 2003 und den beiden Vorjahren, dazu Unveröffentlichtes. Zu den publizierten oder im Funk gesendeten Texten verfasste Rathenow Nachträge, Anmerkungen, Fortführungen.
So entstand ein ein Fortsetzungsroman in lauter kleinen Portionen.
Da wird der Attentate auf sich lockende Doppelgänger für Politiker als zu fördernder Beruf angepriesen. Da schreibt eine Autorin streng geheim glänzend bezahlte Fernsehserien und zur Tarnung experimentelle Prosa, um weiterhin die allseits geachtete erfolglose Schriftstellerin zu bleiben. Da denkt der Berliner Autor über Gespräche per Handy nach und sein Schwindelgefühl, wenn er sich vorzustellen beginnt, auf welchen Wegen die unsichtbaren Signale durch die Luft und über die Verteilermasten eilen, bis sie zu hörbaren zurückverwandelt werden. "Worte werden auf einen Kurzausflug in den Weltraum geschickt, um rasch wieder zur Erde und in ein anderes Ohr zu fallen. Wären wir gezwungen, die Geschwindigkeit dieser Signalübermittlung visuell zu verfolgen, wir würden vor lauter Schwindelgefühlen nicht so lange telefonieren."
"Jahre nach dem Mauerfall entdeckt eine neue Generation den Dichter Rathenow.
So entstand ein ein Fortsetzungsroman in lauter kleinen Portionen.
Da wird der Attentate auf sich lockende Doppelgänger für Politiker als zu fördernder Beruf angepriesen. Da schreibt eine Autorin streng geheim glänzend bezahlte Fernsehserien und zur Tarnung experimentelle Prosa, um weiterhin die allseits geachtete erfolglose Schriftstellerin zu bleiben. Da denkt der Berliner Autor über Gespräche per Handy nach und sein Schwindelgefühl, wenn er sich vorzustellen beginnt, auf welchen Wegen die unsichtbaren Signale durch die Luft und über die Verteilermasten eilen, bis sie zu hörbaren zurückverwandelt werden. "Worte werden auf einen Kurzausflug in den Weltraum geschickt, um rasch wieder zur Erde und in ein anderes Ohr zu fallen. Wären wir gezwungen, die Geschwindigkeit dieser Signalübermittlung visuell zu verfolgen, wir würden vor lauter Schwindelgefühlen nicht so lange telefonieren."
"Jahre nach dem Mauerfall entdeckt eine neue Generation den Dichter Rathenow.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 10.09.2004Die Mauer als Exportschlager
Charme-Offensive: Lutz Rathenow sucht Möglichkeiten im Chaos
"An der Grenze ist ja auch nicht nur geschossen worden!" Mit diesem Ausspruch zitiert Lutz Rathenow den wirklichen oder fiktiven Betreiber eines Erlebnis-Hotels, in dem alles ist wie zu DDR-Zeiten, nur schöner. In "Fortsetzung folgt" wird mit viel schwarzem Humor den Absurditäten der Erinnerung nachgespürt und nicht nur darauf geantwortet, warum keine Westbanane je wieder so bananig schmeckte wie die Zahnpasta Putzi-Banane. Der Band versammelt Rundfunk- und Zeitungstexte, aber auch Unveröffentlichtes des ehemaligen Dissidenten Rathenow. Entstanden ist daraus ein abwechslungsreiches Mosaik gesamtdeutscher Befindlichkeiten im Jahre dreizehn und vierzehn nach der Mauer. Die Überwachungskamera im Aufzug findet sich hier ebenso wie die Gedenktagsaktivitäten zum 17. Juni, das Schul-Massaker von Erfurt oder das ungebrochene Interesse an der Berliner Mauer: "Das Prinzip DDR-Mauer als möglicher Exportschlager für die Welt", notiert Rathenow angesichts der Ideen zum Mauerbau aus Korea oder Zypern. Sarkastisches vermischt sich in den Betrachtungen mit Leichtem, lockere Stimmungsbilder mit warnenden Beispielen. Erfrischend ist die konsequente Politisierung des Alltäglichen.
Rathenow versteht es, einen eigenen Ton zu finden, der sich von ostalgischer Geschichtsvergessenheit ebenso wohltuend unterscheidet wie von der Beliebigkeit gefälliger Lifestyle-Kolumnen. Vielleicht ist so gar eine Antwort darauf zu finden, was vom Schreiben gegen die Diktatur nach den historischen und medialen Umbrüchen der letzten Jahre bleiben kann. Rathenow bringt den Leser zum Lachen, ohne der Situation den Ernst zu nehmen. Ein Paradestück ist die Reportage von Berliner Arbeits- und Sozialämtern mit dem sprechenden Titel "Von Amts Wegen". Ein grotesker Kosmos wird hier vorgestellt, der nach ganz eigenen und vor allem völlig undurchschaubaren Regeln zu funktionieren scheint: "Wahrscheinlich existieren im Westen Deutschlands noch Arbeitsämter, die Arbeit anbieten. In Berlin und vielen Regionen des Ostens ist das jedenfalls nicht so." Trotzdem gibt es Rathenow an seinem Beobachtungspunkt Berlin nicht auf, nach der Chance im Zusammenbruch zu suchen. Der charmante Band ist nicht zuletzt eine Liebeserklärung an die Stadt Berlin als Denk- und Schreibplatz, sie wird darin zum exemplarische Versuchsort für ein Deutsches, das sich "immer als ein Wettbewerb seiner Möglichkeitsformen" darbietet. Ein solches Spiel mit Möglichkeitsformen macht auch den Reiz der Glossen aus.
ESTHER KILCHMANN
Lutz Rathenow: "Fortsetzung folgt". Prosa zum Tage. Verlag Landpresse, Weilerswist 2004. 140 S., 14.- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Charme-Offensive: Lutz Rathenow sucht Möglichkeiten im Chaos
"An der Grenze ist ja auch nicht nur geschossen worden!" Mit diesem Ausspruch zitiert Lutz Rathenow den wirklichen oder fiktiven Betreiber eines Erlebnis-Hotels, in dem alles ist wie zu DDR-Zeiten, nur schöner. In "Fortsetzung folgt" wird mit viel schwarzem Humor den Absurditäten der Erinnerung nachgespürt und nicht nur darauf geantwortet, warum keine Westbanane je wieder so bananig schmeckte wie die Zahnpasta Putzi-Banane. Der Band versammelt Rundfunk- und Zeitungstexte, aber auch Unveröffentlichtes des ehemaligen Dissidenten Rathenow. Entstanden ist daraus ein abwechslungsreiches Mosaik gesamtdeutscher Befindlichkeiten im Jahre dreizehn und vierzehn nach der Mauer. Die Überwachungskamera im Aufzug findet sich hier ebenso wie die Gedenktagsaktivitäten zum 17. Juni, das Schul-Massaker von Erfurt oder das ungebrochene Interesse an der Berliner Mauer: "Das Prinzip DDR-Mauer als möglicher Exportschlager für die Welt", notiert Rathenow angesichts der Ideen zum Mauerbau aus Korea oder Zypern. Sarkastisches vermischt sich in den Betrachtungen mit Leichtem, lockere Stimmungsbilder mit warnenden Beispielen. Erfrischend ist die konsequente Politisierung des Alltäglichen.
Rathenow versteht es, einen eigenen Ton zu finden, der sich von ostalgischer Geschichtsvergessenheit ebenso wohltuend unterscheidet wie von der Beliebigkeit gefälliger Lifestyle-Kolumnen. Vielleicht ist so gar eine Antwort darauf zu finden, was vom Schreiben gegen die Diktatur nach den historischen und medialen Umbrüchen der letzten Jahre bleiben kann. Rathenow bringt den Leser zum Lachen, ohne der Situation den Ernst zu nehmen. Ein Paradestück ist die Reportage von Berliner Arbeits- und Sozialämtern mit dem sprechenden Titel "Von Amts Wegen". Ein grotesker Kosmos wird hier vorgestellt, der nach ganz eigenen und vor allem völlig undurchschaubaren Regeln zu funktionieren scheint: "Wahrscheinlich existieren im Westen Deutschlands noch Arbeitsämter, die Arbeit anbieten. In Berlin und vielen Regionen des Ostens ist das jedenfalls nicht so." Trotzdem gibt es Rathenow an seinem Beobachtungspunkt Berlin nicht auf, nach der Chance im Zusammenbruch zu suchen. Der charmante Band ist nicht zuletzt eine Liebeserklärung an die Stadt Berlin als Denk- und Schreibplatz, sie wird darin zum exemplarische Versuchsort für ein Deutsches, das sich "immer als ein Wettbewerb seiner Möglichkeitsformen" darbietet. Ein solches Spiel mit Möglichkeitsformen macht auch den Reiz der Glossen aus.
ESTHER KILCHMANN
Lutz Rathenow: "Fortsetzung folgt". Prosa zum Tage. Verlag Landpresse, Weilerswist 2004. 140 S., 14.- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Mit viel Sympathie hat Esther Kilchmann diesen Band des ehemaligen Bürgerrechtlers Lutz Rathenow gelesen, der journalistische Texte aus den beiden vergangenen Jahren enthält und für Kilchmann ein "abwechslungsreiches Mosaik gesamtdeutscher Befindlichkeiten" ergibt. Neben den Glossen und Texten, in denen Rathenow den Absurditäten ostalgischer Erinnerung nachspürt, gehören für Kilchmann die Reportagen aus den Berliner Arbeits- und Sozialämtern zu den Glanzlichtern des Bandes. Hier hat sie einen hervorragenden Einblick in den grotesken Kosmos deutscher Amtsstuben erhalten und wurde nach eigenem Bekunden von Rathenow mehr als einmal zum Lachen gebracht.
© Perlentaucher Medien GmbH
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