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Als das, was die Schiffe und ihre Geschicke lenkt, verehrte man in der Antike fortuna gubernatrix: die Glücksgöttin am Ruder. Sobald ihr aber die Renaissance auch Insignien wie geblähte Segel und fallende Würfel verlieh, war die alte Schicksalsgottheit zur Galionsfigur neuzeitlicher Handels- und Entdeckungskunst geworden. Nun versinnbildlichte sie nautische Technologien und das Wissen um Zufall und Chance. Und fortan wurde fortuna di mare zum Terminus technicus für all jene Seegefahren, die einzukalkulieren aktives 'Risikohandeln' meint. In dieser Doppelperspektive von Bild und Begriff,…mehr

Produktbeschreibung
Als das, was die Schiffe und ihre Geschicke lenkt, verehrte man in der Antike fortuna gubernatrix: die Glücksgöttin am Ruder. Sobald ihr aber die Renaissance auch Insignien wie geblähte Segel und fallende Würfel verlieh, war die alte Schicksalsgottheit zur Galionsfigur neuzeitlicher Handels- und Entdeckungskunst geworden. Nun versinnbildlichte sie nautische Technologien und das Wissen um Zufall und Chance. Und fortan wurde fortuna di mare zum Terminus technicus für all jene Seegefahren, die einzukalkulieren aktives 'Risikohandeln' meint. In dieser Doppelperspektive von Bild und Begriff, Metapher und Medium erschließt die Studie das Meer als ein offenes Experimentierfeld zwischen Technik und Poetik, als einen Horizont unterschiedlichster Passagen zwischen Seefahrt und Literatur.
Autorenporträt
Wolf, BurkhardtBurkhardt Wolf studierte Literaturwissenschaft, Philosophie und Kulturwissenschaften. Er lehrt am Institut für Deutsche Literatur der Humboldt-Universität zu Berlin. Aktuell ist er Gastprofessor an der University of California, Santa Barbara. Zuvor war er im Bereich des Journalismus, der Ausstellungsplanung, des Verlagswesens und als Übersetzer tätig. Seine Forschungsschwerpunkte sind: Poetologie der politischen Repräsentationen und Sozialtechnologien; Archivierungspraktiken; literarische Anthropologie und Affektgeschichte; DIskursgeschichte von Gefahr und Risiko; Mentalitätsgeschichte von Gewalt und Religion; Kultur- und Literaturgeschichte des Meers und der Seefahrt.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Burkhard Wolfs Habilitationsschrift "Fortuna die mare", in der er die vielen Fäden zwischen Literatur und Seefahrt aufzudröseln versucht, ist zwar in jener hochelaborierten Sprache geschrieben, die sich das deutsche Universitätswesen antut, dennoch ist sie so spannend, dass Rezensent Florian Welle ihr mehr Leser wünscht als ein paar versprengte Literaturwissenschaftler. Von Homers "Odyssee" bis zu den modernen Seefahrerromanen eines Melville oder Conrad schildert Wolf vor allem den Zusammenhang zwischen technischer Entwicklung und den Veränderungen des Themas in der Literaturwelt: während der Handel eine "Geschichte unablässiger Risikominimierung" forderte, blieb das Meer in der Literatur allerdings zumeist der "Ort des Unwägbaren schlechthin", erklärt der Rezensent.

© Perlentaucher Medien GmbH

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 28.02.2014

Fortunas Garn spinnen
Meer und Schrift: Burkhardt Wolfs Studie über das enge Band zwischen Literatur und Seefahrt
„A sort of marine Ritz“, nannte Joseph Conrad die RMS Titanic nach ihrem Untergang abfällig. Als echter Seemann hielt der Schriftsteller die vor der Jungfernfahrt stetig wiederholte Rede von der Unsinkbarkeit des Luxusdampfers für naive Fortschrittsgläubigkeit. Das Meer war für Conrad der Ort des Unwägbaren schlechthin. Wie für all die Seefahrer vor ihm auch. Erst durch das Dampfschiff kam der Glaube an die Beherrschbarkeit des lange als unbeherrschbar geltenden Elements auf. Fortan war nicht mehr das nautische Wissen wind- und wettererprobter Kapitäne gefragt, nun gaben seefremde Experten auf dem Festland den Kurs vor. „Experten aber“, schreibt Burkhardt Wolf in seiner Habilitationsschrift „Fortuna di mare“, „sind für Conrad nur potentielle Vertrauensschwindler: confidence men, wie man die Börsenspekulanten des 19. Jahrhunderts auch nannte“.
  Der Untergang der Titanic erschütterte den Glauben an den technischen Fortschritt. Bis der Mensch verstand, dass die Katastrophe unabdingbar dazugehört. Burkhardt Wolf, der an der Humboldt-Universität Berlin deutsche Literatur lehrt, geht in seiner dickleibigen, von zahlreichen Exkursen in die Geistes-, Technik- und Wirtschaftsgeschichte durchzogenen Arbeit dem Zusammenhang zwischen „Literatur und Seefahrt“ nach. Von der „Odyssee“ über Shakespeares „Kaufmann von Venedig“ bis zu Melville und Conrad, den großen Autoren moderner Seefahrer-Romane, zeigt er, „wie die Wechselfälle der See stets auch solche des Schreibens“ gewesen sind. Ein Kapitel über die moderne Tiefseearchäologie beendet schließlich das Buch, das einen mit zahllosen Trouvaillen, blitzgescheiten Überlegungen und luziden Textinterpretationen vielfach überrascht.
  Vorausgesetzt, man bringt bei der Lektüre Geduld mit. Noch immer müssen Habilitations-Arbeiten in einer hochelaborierten Sprache geschrieben sein, um sich in der akademischen Welt Respekt zu verschaffen. Ein breites Publikum dürften sie daher nur schwer finden. Dabei schließen sich Gelehrsamkeit und Verständlichkeit nicht notwendig aus. Wolfs Schrift jedenfalls hätte mehr als ein paar Literaturwissenschaftler als Leser verdient.
  „Fortuna di mare“ gilt seit dem 13. Jahrhundert als Terminus technicus für alle Gefahren der See, nachgewiesen zum ersten Mal in einem Genueser Dokument von 1242. In der Renaissance wurde Fortuna sodann mit einer Kugel als Symbol ihres „unzuverlässigen und ungewissen Kurses, ihres chaotischen und zufälligen Wesens“ dargestellt. Davon wusste schon die „Odyssee“ zu singen. Mit der Lichtung des Ankers ließen die Männer um Odysseus die Sicherheiten, aber auch die Gesetze des Festlandes hinter sich. Gleichzeitig wurden in dem Epos viele „nautische Sachverhalte erstmals auf den Begriff gebracht oder gar dokumentiert“.
  Geschickt schließt Burkhardt Wolf immer wieder das close reading ausgewählter Texte mit der Beschreibung technischer Weiterentwicklungen und Erfindungen kurz – der Gebrauch des Heckruders oder die Verwendung des Kompasses sind hier zu nennen. Die Geschichte der Seefahrt ist die Geschichte unablässiger Risikominimierung. Gänzlich beherrschen ließ sich das Meer freilich nie, weshalb andere Formen des Umgangs mit dem Risiko nötig wurden. Wie Wolf vor dem Hintergrund von Shakespeares Kaufmann-Drama die Geburt des Versicherungswesens aus dem Meer nachzeichnet, gehört zu den eindrücklichsten Kapiteln des Buches.
  Die Seeversicherung ist die erste Assekuranz überhaupt. Welch frühkapitalistische Energie hinter ihrer unternehmerischen Durchsetzung steckte, ahnte man zwar immer. Über eine Passage wie folgende ist der Leser dann aber doch erstaunt: „Deshalb verfügten die Versicherer bereits in Venedig über eigene Spionageringe und Nachrichtendienste zur Kontrolle der Schiffer, Reeder und Kaufleute, aber auch zur Beobachtung möglichst aller Schiffsbewegungen und zur Meldung maritimer (. . . ) Bedrohungen – ein assekuranztechnischer Kommunikationsverbund, der (bis heute) sämtliche verfügbaren personalen wie medialen Ressourcen aktiviert, ja seinerseits die Entwicklung neuer Nachrichtentechniken vorangetrieben hat“.
  In „Fortuna di mare“ geht es auch um die allegorische Rede vom Staatsschiff, den Ausnahmezustand in Form der Meuterei sowie das Erleiden des Schiffbruchs. Das über die Jahrhunderte entstandene Seemannsgarn ist endlos, es an einigen zentralen Stellen mit großer Sorgfalt aufgedröselt zu haben, ist das Verdienst von Burkhardt Wolf.
FLORIAN WELLE
Burkhardt Wolf : Fortuna di mare. Literatur und Seefahrt. Verlag Diaphanes, Zürich und Berlin 2013. 504 Seiten, 44,95 Euro.
Das Meer ist unsicher –
aus der Seefahrt ging das
Versicherungswesen hervor
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»Das über die Jahrhunderte entstandene Seemannsgarn ist endlos, es an einigen zentralen Stellen mit großer Sorgfalt aufgedröselt zu haben, ist das Verdienst von Burkhardt Wolf«. Florian Welle, Süddeutsche Zeitung