Produktdetails
- Verlag: DuMont Buchverlag
- Seitenzahl: 144
- Abmessung: 210mm
- Gewicht: 255g
- ISBN-13: 9783770147915
- Artikelnr.: 24949270
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 15.09.1999Die List des Augenscheinlichen
Revolte der Schrift: Ulf Erdmann Ziegler bespricht Fotografien
Wie sieht ein Zimmer aus, das man erstmals betritt? Offenbar je nach dem, ob man dies als Hotelgast, Tapezierer oder Detektiv tut, immer anders. Und dennoch ist es möglich, von diesem Zimmer eine Fotografie anzufertigen, die alle diese verschiedenen Aspekte auf einmal in sich schließt. Ulf Erdmann Ziegler nennt dies die "Überlistung des Augenscheinlichen durch physische Beharrlichkeit". Alle drei müssten, wenn sie das Bild sehen, zugeben: Ja, das ist das Zimmer.
Ist die Fotografie aber dies, eine List, so muss ihr die Beute des Augenscheinlichen, die sie gemacht hat, erst wieder entrissen werden, muss dem Apparat des Fotografen ein anderer Apparat auf dem Fuße folgen: der deutende Text, der den flachen, in einer einzigen Hundertstelsekunde erhobenen Datensatz aus seiner Erstarrung löst. Ziegler buchstabiert dies an einem Beispiel vor, in dem sich das besonders bohrend und unabweislich aufdrängt: an Lucinda Devlins Bildern der "Omega Suites", der Todeskammern amerikanischer Gefängnisse. Was sieht man hier eigentlich? Nicht viel, scheint es zunächst; sterile, undramatisch ausgeleuchtete Räume ohne Personal - in geradezu quälender Weise zu wenig für das Gewicht des Orts. Hier nun setzt die Sprache ein; mit dem Begriffspaar des "Funktionalen" und des "Rituellen" erschafft Ziegler das Offensichtliche der Fotografie.
"Allein die bröckelnde Farbe an der blauen Wand hinter der Toilette besagt, daß auch hier das Design des Alltags und seine Ökonomie über die Autorität des finalen Gedankens triumphieren. Der funktionale Aspekt der Zelle ist davon nicht berührt, der rituelle schon. Während man den bitteren Hauch von Verfall im Gemäuer dem Verurteilten in seinen letzten Stunden meint zumuten zu können, gilt das selbe für die eigentliche Hinrichtungskammer des gleichen Gefängnisses nicht. (. . .) Während wir in der Gestaltung des Raumes die Arbeit von Handwerkern erkennen, die mit traditionellen Mitteln etwas geschaffen haben, dessen Zweck ihnen wohl bekannt gewesen sein muß, läßt das metallene Bett mit seiner zentralen Säule auf Expertenarbeit schließen." Und er erkennt bei einem anderen Bild der Serie noch eine dritte Hand im Spiel: "Offenbar um den Teppichboden vor den Körpersäften des Verendeten zu schützen, wurde das karge rehbraune Bett auf einer Plexiglasfläche abgestellt - wehe, wenn der Hausmeister zuständig ist für das Interieur."
Erst wenn man Ziegler so über die Fotografien reden hört, bemerkt man, wie stumm sie ohne ihn waren. Aber man braucht eine Lupe, um es zu bemerken: Die beigefügten Bilder mit Briefmarken vergleichen hieße die Post beleidigen, deren Sondermarken größer auszufallen pflegen. Das liegt natürlich zuerst einmal an dem unglücklichen Format des broschierten Bandes - wer gibt schon vierzig Mark für ein Taschenbuch aus? Noch zehn Mark drauf, und es hätte ein Hardcover von anständigen Abmessungen werden können, über dessen Preis niemand meutert. Genau das jedoch wollte Ziegler anscheinend nicht; und damit nähern wir uns dem Problematischen des Bandes. Sein "Erstes Kapitel" umfasst vier Essays, (über Rineke Dijkstra, Nobuyoshi Araki, Cindy Sherman und Lucinda Devlin), die zuvor schon in Ausstellungskatalogen veröffentlicht waren. Wieso strebt er darüber hinaus noch diese "eigentliche" Publikation an, und zwar ganz unmissverständlich auf Kosten der Fotografien?
Wer sich über Fotografien äußert, hat dies - so ist die Konvention der Kataloge - in ihrer Gegenwart zu tun, er vertieft ihr Profil durch seinen dienenden Schatten und leistet Beschriftung im weiteren Sinn. Jetzt aber soll der Spieß umgedreht werden: "Der Vorschlag des Gestalters Victor Malsy, den Satzspiegel asymmetrisch anzulegen, um die Bilder sichtbar dem Diskurs (den Gedanken) zuzuschlagen, entspricht genau der Idee zu diesem Buch." In der unentzifferbaren Winzigkeit der Bilder rebelliert der Librettist gegen die Oper. Eine traurige Revolte.
Anderen Charakters und deutlich als "Zweites Kapitel" abgesondert sind die kurzen Kritiken, die Ziegler zwischen 1996 und 1998 für die "Zeit" und die "taz" verfasst hat. Fotografie-Kritik hat zu ihrer Voraussetzung, dass es sich bei den Fotografien um Werke handelt - der Titel "Fotografische Werke" macht diese Voraussetzung mit Nachdruck. Dass die Galerisierung und Musealisierung der Fotografie sich vermittels allen möglichen bombastischen Klimbims vollzieht - des genauen Nachweises der vor- und nachbereitenden technischen Daten, der Art der Rahmung, nicht zuletzt eines gewissen auskennerischen Tonfalls der begleitenden Publikationen -, das weiß Ziegler gut. Es bewahrt ihn nicht vor einem Vorwort, in dem er die altehrwürdig fruchtlose Frage, ob Fotografie Kunst sei, noch einmal herumwälzt, mit durchaus unbefriedigendem Ergebnis. Die gedankliche Schwäche dieses Vorworts steht in markantem Gegensatz zu dem Scharfsinn und Scharfblick, den viele der Texte bewähren.
Loben kann man alles. Aber nur der Verriss schält den Maßstab heraus, an dem Qualitäten sichtbar werden. Darum gehört zu den interessantesten Beiträgen derjenige über Karl Lagerfeld, wo sich Zieglers Temperament über eine gänzlich unverdiente Preisverleihung erhitzt: "(Die Fotografie) ist auch im Detail schlecht gemacht, ohne Gefühl für die Tiefe eines Raums, die flirrende Kraft von Unschärfen und am auffälligsten: so gut wie blind für Schwarztöne. Selbst der Topos des unheimlichen Gebüschs ist ihm entgangen, oder Lagerfeld weiß den Topos nicht umzusetzen. Heraus kommt ein schwarzer Knäuel. Dasselbe passiert ihm bei schwarzer Kleidung. Er hat keine Ahnung, wie man in dunklen Oberflächen Licht macht." Die erhellende Kraft solcher Passagen bestärkt die Vermutung: Alles, was an Zieglers Band fragwürdig oder ärgerlich erscheint, gehört dem ungewissen Status seines Metiers an; was jedoch trifft, ihn allein.
BURKHARD MÜLLER.
Ulf Erdmann Ziegler: "Fotografische Werke". DuMont Buchverlag, Köln 1999. 144 S., Abb., geb., 39,90 DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Revolte der Schrift: Ulf Erdmann Ziegler bespricht Fotografien
Wie sieht ein Zimmer aus, das man erstmals betritt? Offenbar je nach dem, ob man dies als Hotelgast, Tapezierer oder Detektiv tut, immer anders. Und dennoch ist es möglich, von diesem Zimmer eine Fotografie anzufertigen, die alle diese verschiedenen Aspekte auf einmal in sich schließt. Ulf Erdmann Ziegler nennt dies die "Überlistung des Augenscheinlichen durch physische Beharrlichkeit". Alle drei müssten, wenn sie das Bild sehen, zugeben: Ja, das ist das Zimmer.
Ist die Fotografie aber dies, eine List, so muss ihr die Beute des Augenscheinlichen, die sie gemacht hat, erst wieder entrissen werden, muss dem Apparat des Fotografen ein anderer Apparat auf dem Fuße folgen: der deutende Text, der den flachen, in einer einzigen Hundertstelsekunde erhobenen Datensatz aus seiner Erstarrung löst. Ziegler buchstabiert dies an einem Beispiel vor, in dem sich das besonders bohrend und unabweislich aufdrängt: an Lucinda Devlins Bildern der "Omega Suites", der Todeskammern amerikanischer Gefängnisse. Was sieht man hier eigentlich? Nicht viel, scheint es zunächst; sterile, undramatisch ausgeleuchtete Räume ohne Personal - in geradezu quälender Weise zu wenig für das Gewicht des Orts. Hier nun setzt die Sprache ein; mit dem Begriffspaar des "Funktionalen" und des "Rituellen" erschafft Ziegler das Offensichtliche der Fotografie.
"Allein die bröckelnde Farbe an der blauen Wand hinter der Toilette besagt, daß auch hier das Design des Alltags und seine Ökonomie über die Autorität des finalen Gedankens triumphieren. Der funktionale Aspekt der Zelle ist davon nicht berührt, der rituelle schon. Während man den bitteren Hauch von Verfall im Gemäuer dem Verurteilten in seinen letzten Stunden meint zumuten zu können, gilt das selbe für die eigentliche Hinrichtungskammer des gleichen Gefängnisses nicht. (. . .) Während wir in der Gestaltung des Raumes die Arbeit von Handwerkern erkennen, die mit traditionellen Mitteln etwas geschaffen haben, dessen Zweck ihnen wohl bekannt gewesen sein muß, läßt das metallene Bett mit seiner zentralen Säule auf Expertenarbeit schließen." Und er erkennt bei einem anderen Bild der Serie noch eine dritte Hand im Spiel: "Offenbar um den Teppichboden vor den Körpersäften des Verendeten zu schützen, wurde das karge rehbraune Bett auf einer Plexiglasfläche abgestellt - wehe, wenn der Hausmeister zuständig ist für das Interieur."
Erst wenn man Ziegler so über die Fotografien reden hört, bemerkt man, wie stumm sie ohne ihn waren. Aber man braucht eine Lupe, um es zu bemerken: Die beigefügten Bilder mit Briefmarken vergleichen hieße die Post beleidigen, deren Sondermarken größer auszufallen pflegen. Das liegt natürlich zuerst einmal an dem unglücklichen Format des broschierten Bandes - wer gibt schon vierzig Mark für ein Taschenbuch aus? Noch zehn Mark drauf, und es hätte ein Hardcover von anständigen Abmessungen werden können, über dessen Preis niemand meutert. Genau das jedoch wollte Ziegler anscheinend nicht; und damit nähern wir uns dem Problematischen des Bandes. Sein "Erstes Kapitel" umfasst vier Essays, (über Rineke Dijkstra, Nobuyoshi Araki, Cindy Sherman und Lucinda Devlin), die zuvor schon in Ausstellungskatalogen veröffentlicht waren. Wieso strebt er darüber hinaus noch diese "eigentliche" Publikation an, und zwar ganz unmissverständlich auf Kosten der Fotografien?
Wer sich über Fotografien äußert, hat dies - so ist die Konvention der Kataloge - in ihrer Gegenwart zu tun, er vertieft ihr Profil durch seinen dienenden Schatten und leistet Beschriftung im weiteren Sinn. Jetzt aber soll der Spieß umgedreht werden: "Der Vorschlag des Gestalters Victor Malsy, den Satzspiegel asymmetrisch anzulegen, um die Bilder sichtbar dem Diskurs (den Gedanken) zuzuschlagen, entspricht genau der Idee zu diesem Buch." In der unentzifferbaren Winzigkeit der Bilder rebelliert der Librettist gegen die Oper. Eine traurige Revolte.
Anderen Charakters und deutlich als "Zweites Kapitel" abgesondert sind die kurzen Kritiken, die Ziegler zwischen 1996 und 1998 für die "Zeit" und die "taz" verfasst hat. Fotografie-Kritik hat zu ihrer Voraussetzung, dass es sich bei den Fotografien um Werke handelt - der Titel "Fotografische Werke" macht diese Voraussetzung mit Nachdruck. Dass die Galerisierung und Musealisierung der Fotografie sich vermittels allen möglichen bombastischen Klimbims vollzieht - des genauen Nachweises der vor- und nachbereitenden technischen Daten, der Art der Rahmung, nicht zuletzt eines gewissen auskennerischen Tonfalls der begleitenden Publikationen -, das weiß Ziegler gut. Es bewahrt ihn nicht vor einem Vorwort, in dem er die altehrwürdig fruchtlose Frage, ob Fotografie Kunst sei, noch einmal herumwälzt, mit durchaus unbefriedigendem Ergebnis. Die gedankliche Schwäche dieses Vorworts steht in markantem Gegensatz zu dem Scharfsinn und Scharfblick, den viele der Texte bewähren.
Loben kann man alles. Aber nur der Verriss schält den Maßstab heraus, an dem Qualitäten sichtbar werden. Darum gehört zu den interessantesten Beiträgen derjenige über Karl Lagerfeld, wo sich Zieglers Temperament über eine gänzlich unverdiente Preisverleihung erhitzt: "(Die Fotografie) ist auch im Detail schlecht gemacht, ohne Gefühl für die Tiefe eines Raums, die flirrende Kraft von Unschärfen und am auffälligsten: so gut wie blind für Schwarztöne. Selbst der Topos des unheimlichen Gebüschs ist ihm entgangen, oder Lagerfeld weiß den Topos nicht umzusetzen. Heraus kommt ein schwarzer Knäuel. Dasselbe passiert ihm bei schwarzer Kleidung. Er hat keine Ahnung, wie man in dunklen Oberflächen Licht macht." Die erhellende Kraft solcher Passagen bestärkt die Vermutung: Alles, was an Zieglers Band fragwürdig oder ärgerlich erscheint, gehört dem ungewissen Status seines Metiers an; was jedoch trifft, ihn allein.
BURKHARD MÜLLER.
Ulf Erdmann Ziegler: "Fotografische Werke". DuMont Buchverlag, Köln 1999. 144 S., Abb., geb., 39,90 DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main